Der schwarze Georg von Serbien

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Titel: Der schwarze Georg von Serbien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 82–83
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der schwarze Georg von Serbien.

Sie haben zu Weihnachten den Sohn des schwarzen Georg, Alexander, abgesetzt und dafür ihren anderen modernen Helden, Milosch, den Zweiundachtzigjährigen, vor zwanzig Jahren Davongejagten, wieder als Retter auf den Thron gerufen. Europa, ohnehin schon in der größten politischen Verlegenheit und durch allerhand Kriegsgerüchte in seinem friedlichen Fleiße beunruhigt, ist dadurch mit einer Verlegenheit mehr beschenkt worden, da alle Großmächte es als eine ihrer heiligsten Pflichten betrachten, gewisse kleine, unsichere Throne Europa’s mit Fürsten zu versorgen und sich bei diesem Geschäfte bald zu zanken, bald zu vereinbaren.

Dazu gehört der Fürstenstuhl Serbiens, der blos drei Beine zu haben scheint, so daß immer eine Großmacht das vierte ersetzen zu müssen glaubte, um den Stuhl und den Fürsten darauf nicht fallen zu lassen.

Früher war’s ganz anders. Serbien, das paradiesische, von den stärksten Männern und den schönsten Mädchen bewohnte, singende, liederreiche, heldenmüthige Serbien über der Donau drüben, mit den üppigsten Feldern und Wäldern und malerischsten Berglandschaften, durch welche manch’ herrlicher Fluß und Strom der Donau zueilt, blühte einst vom siebenten Jhrhunderte an als großer, mächtiger, heroischer Staat. Im vierzehnten Jahrhundert nannte der serbische Kaiser Stephan Duschan ganz Serbien, außerdem Macedonien, Thessalien, Nordgriechenland und Bulgarien sein Land, über welches er Kunst und Wissenschaft, Industrie und Handel aussäete. Aber die Landestheile zerfielen unter späteren Kaisern, besonders durch deren Satrapen oder Statthalter. Die Türken fielen über ein Stück nach dem anderen her und behielten sie. Später (1718) wurden die besten Theile Serbiens Oesterreich zuerkannt, durch den Frieden von Belgrad (1739) aber wieder dem Sultan, an dessen Stelle wüste, fanatische, ruchlose Janitscharen nicht nur Serbien, sondern auch die ganze Türkei ausplünderten und bis auf’s Blut mißhandelten.

Die „Srbins“ oder Serben wurden von Creaturen der Janitscharen von ihrem Grund und Boden gejagt, wenn sie nicht mehr zahlen konnten. Türken wurden große Grundeigenthümer und besetzten alle Staats- und Verwaltungsämter, d. h. verschiedene privilegirte Stellen zum willkürlichsten Ausplündern, Gerechtigkeit und Gesetz waren ganz verschwunden. Kadis oder Richter gaben nie einem „Srbin“ Recht.

„Was der Pascha nicht nimmt, nimmt der Bey; was der Bey nicht nimmt, nimmt der Aga; was der Aga nicht nimmt, nimmt der Janitschar, und was der nicht nimmt, will auch der Teufel nicht mehr haben.“ Dieses Sprüchwort trat in Serbien an die Stelle herrlicher, volltöniger Volks- und Heldenlieder.

Die Serben sind in friedlicher, ackerbaulicher Häuslichkeit die schönsten, gastfreundlichsten, lustigsten Leute von der Welt, die alle Abende nach leichter Arbeit auf üppigem Boden, nachdem sie die Schweine gehütet u. s. w., zu singen und mit ihren wunderschönen Mädchen auf freien Plätzen zu tanzen lieben.

Aber ein Stück Landes nach dem andern wurde ihnen genommen, eine Heerde nach der andern weggetrieben. Lust und Lieder verstummten. Der unsichere oder verlorene Besitz hatte keinen Werth mehr. Dunkele, sehnige Männergestalten nahmen Aexte, schlugen ihre Pflüge in Stücke, umgürteten sich mit breiten, gestickten, festen Brustbinden, steckten Pistolen und breite Schlitzmesser hinein, schulterten lang- und schlankläufige Damascenerflinten und verließen schaarenweise Haus und Hof, ganze Dörfer, um in Wäldern als Karl Moor’s und der Rache gegen alle Türken, als Haiducken, zu leben. Das Gegengift gegen die Janitscharenwirthschaft schwoll als Haiduckenthum auf und erfüllte das schöne Serbien mit entsetzlichen Thaten der Rache, Grausamkeit, Räuberei, List und Verwilderung. Der Name Haiducke verbreitete sich als Schreckenswort über Europa.

Die Janitscharen überboten in Thaten der Rache die Haiducken und suchten ihre Opfer selbst in fremden Ländern auf. Kaiser Joseph II. und Katharina II. erklärten der Pforte Krieg. Als Grund war auch der mit angegeben, daß Janitscharen serbische Haiducken, die zum Theil als Freiwillige in der österreichischen Armee Sicherheit gefunden hatten, auf österreichischem Boden aufgesucht und abgeschlachtet hätten.

Unter diesen Haiducken der österreichischen Armee ragte eine hohe, riesige, schwarzglühäugige, elastische, breitschulterige Gestalt hervor, genannt Georg Petrowitsch, auch der schwarze Georg, Czerny Georg, hernach Kara[1] Djordje und der „Befreier Serbiens“, wie Milosch auf sein Grabesdenkmal malen ließ.

Der schwarze Georg ward kurz vor 1770 in Wischnjewzi bei Kragujewaz geboren. Sein Vater Petar war Bauer und Schweinezüchter. Vor den Räubereien türkischer Beamten und Janitscharen fliehend, hatte er sich tiefer in’s Gebirge, in das Dorf Topola, zurückgezogen. Hier hörte der junge Georg nur von Türkenhaß reden, von Thaten der Haiduckenrache, der er sich schon als Knabe angeschlossen haben soll. Nachdem er mehrere Türken abgethan, floh er (1788) vor deren Rache in das Oesterreichische. Die Janitscharen hatten ihm persönlich Rache geschworen. Er scheint sich gleich im Anfange als Genius der Rache hervorgethan zu haben. Rache! Immer Wiederholung desselben Wortes? Werden sie sich nicht an seinem Vater rächen, wenn sie ihn nicht finden? Der Vater soll mit fliehen. Aber der alte Mann weigert sich. Der Sohn bittet, wird eifrig, flammt auf aus seinen dunkel glühenden Augen in Wuth gegen die Schwäche des alten Mannes, in Liebe zu dem Vater, welchen er für scheußliche Martern der Janitscharenbanden, für einen schmachvollen Tod zurücklassen soll. Der Vater bleibt unerbittlich.

Wir wissen aus einer wundervoll dramatischen Schilderung des Livius, wie einst ein edler Römer seine jungfräuliche, schöne, einzige Tochter mitten auf dem politischen Markte des alten Rom vor den Augen seiner Mitbürger mit eigener Hand erstach, um sie vor Entehrung zu schützen.

In dem einsamen Wald- und Gebirgsdorfe Topola scheint Niemand gesehen zu haben, wie der schwarze Georg mit eigener [83] Hand seinen Vater erschoß, weil er nicht mit ihm fliehen wollte. War’s cannibalische Haiduckengrausamkeit oder erhabenste Kindesliebe? Wir wissen’s nicht. Aber diese That zeichnet mit einem gewaltigen Striche den ganzen Mann der Zukunft, den Napoleon Serbiens, eben so deutlich, als grauenvoll.

Von dem österreichischen Freiwilligen Georg wissen wir nicht viel, als daß er 1791 als Feldwebel zurückkam, um hier den Haiducken-Rachekrieg wieder aufzunehmen. Später wird er Waldheger in Syrmien; aber der einsame Wald ist nicht seine Mission. Unter Mustapha Pascha’s menschlicherer Verwaltung richtet er sich mit seinem Bruder Milenko die Wirtschaft in Topola wieder ein und mästet Schweine.

Die Janitscharen, durch einen früheren Vertrag vertrieben, kehren zurück, um ihre alten „Rechte“ durch Thaten der Rache, des Mordes und der Plünderung wieder geltend zu machen. Sie kommen und morden, brechen in die Hauptstadt Belgrad ein, ermorden den türkischen Statthalter, erklären sich zu Herren des Landes, und vertreiben selbst türkische Bewohner Serbiens von ihrem Hab und Gut.

Rache, Schrecken, Ruchlosigkeit herrschen wie nie zuvor. Spahis (türkische Grundherren) und Serben vereinigen sich unter gemeinschaftlichen Tscheta’s oder Aufruhrfahnen. Auch der schwache Sultan erklärt sich gegen die Janitscharen, ist aber zu schwach, etwas zu thun. Die Herren Serbiens, von zwei Seiten bedroht, suchen „Ruhe und Ordnung“ durch ein schaudervolles Blutbad (Februar 1804) herzustellen. Jetzt tritt der schwarze Georg auf. Die Janitscharen wollen ihn fangen, sie finden aber blos sein leeres Gehöft, das in Flammen aufgeht. Er sieht zu von einem Berge. Nichts war ihm geblieben, als sein erhöhter Rachedurst, Waffen und Haiduckenfreunde. Ein Janitscharenbeamter bei Belgrad liegt eines Morgens ermordet vor seinem niedergebrannten Hause, eine That des schwarzen Georg, der nun mit einem Schlage Held Serbiens wird. Alles, mit Rache im Herzen, strömt ihm zu. Sein Rachecorps verbrennt und ermordet Alles, was Türkisch heißt, über das Land hin. Ueberall bilden sich neue Freicorps der Rache. Die Janitscharen bitten um Frieden, aber der schwarze Georg weist sie ab. Sie werben in benachbarten Ländern alles Gesindel an, und suchen sich so von außen zu stärken. Die Serben sahen nun ein, daß Einheit in ihren Guerilla-Rachekrieg kommen müsse, und wählten den schwarzen Georg zum „Commandanten von Serbien.“

Er warf Zuzüge der Janitscharen aus Bosnien und der Bulgarei mit dem gründlichsten Erfolge zurück, dann rückte er mit reicher Beute gegen Belgrad, und eroberte es.

Die vier Häupter der Janitscharen-Regierung liegen am folgenden Morgen zu Füßen des schwarzen Georg. Der Sultan hatte die Serben bisher sogar unterstützen lassen. Aber nun sollt’ es gut sein, man sollte die Waffen niederlegen. Die Großen Serbiens waren, wie der schwarze Georg, noch nicht zufrieden, aber schon neidisch auf die Popularität und Macht ihres Commandanten. Sie drangen in ihn, daß er das Commando niederlege, besonders der Knes Theodosje, der hinzufügte, daß er seine Befehle nicht mehr beachten werde. Der schwarze Georg, mitten unter ihnen stehend, blitzt unter seinen schwarzen Brauen hervor, zieht ein Pistol aus der breiten Brustbinde und mit den Worten: „Dann nimm, was dem Empörer gebührt!“ schießt er ihn durch die Brust. Der Meuterer zuckt einige Male im Kreise der serbischen Großen und liegt dann still. Der schwarze Georg berathet mit den Umstehenden, ungestört von ihnen, ungestört von dem stillen Manne zu ihren Füßen.

Der Kampf wird nun als Revolution fortgesetzt, der schwarze Georg wird ihr absolutes Haupt (1804). Aber er schwankt schon beim ersten Schritt, bittet Oesterreich, dann Rußland um – Unterstützung der Revolution, und wird auf türkische Gnade verwiesen. Diese kommt in Form eines türkischen Heeres. Der Commandant von Serbien schlägt es von den Grenzen Serbiens zurück. Allgemeine Begeisterung und Einigkeit, die den schwarzen Georg zum Vrbovni vozd (obersten Anführer) erhebt.

Von allen Grenzen her drohen türkische Truppen, so daß der schwarze Georg, der nicht überall sein kann, viele wichtige Zugänge andern Führern übergeben muß. Nach manchen Scharmützeln werden mehrere geschlagen, dann bricht die türkische Hauptmacht mordend und brennend über das Land herein, vielleicht in Folge von „Verrath.“

Serbien ist vollständig unterjocht (1806). Nur von Einem hofft man noch, vom schwarzen Georg. Was noch Muth hat, flüchtet sich zu ihm. Er wüthet mit Erfolg umher. Bei Mischvar, dicht an der Save, kommt es zu dreitägiger Schlacht. Der schwarze Georg, dunkel und glühend hervorragend überall, wo es am blutigsten herging, nur durch seine Mütze vor den Gemeinen kenntlich, mit langer Damascenerflinte in der Rechten, Pistolen und Handschar im Gürtel, Alles durch sein Beispiel und seine einzigen Commandoworte: Haidemo! Udarimo! (Drauf! Vorwärts!) mit sich in den Feind hineinreißend, kommt als vollständigster Sieger aus dem Kampfe und den Leichenhaufen des gänzlich von lebenden Feinden geräumten Schlachtfeldes zum Vorschein.

Alle Türken sind aus Serbien geflohen. Serbien, 1806 vollständig unterjocht, war 1807 wieder frei durch den schwarzen Georg.

Belgrad wurde unter dem fürchterlichsten Blutvergießen und Gräuelscenen, der schwarze Georg zuerst auf den Wällen, erobert. Seine besten Freunde und Anhänger spielten nun Haiducken gegen das eigene Volk, und lösten die Zungen seiner alten Gegner.

Im Jahre 1808 war Waffenstillstand. Seine Gegner drangen auf Anrufung russischer Hülfe und Entfernung zunächst seiner Getreuen. Der ihm im eigenen Lande drohenden Gefahr sucht er durch kühne Kriegsthaten zu entgehen: durch Revolutionirung der christlichen Bevölkerung Bosniens, Albaniens und der Herzegowina gegen das Türkenthum. Erst siegreich, dann auf allen Punkten geschlagen und fliehend (nachdem sich sein Freund Stevo mit allen den Seinen in die Luft gesprengt, von deren Köpfen die Türken den entsetzlichen Schädelthurm bei Nissa bauten), dann wieder Alles gewinnend, war er 1809 zum zweiten Male Retter und Befreier Serbiens.

Retter Serbiens? Zu Neujahr 1810 in der Volksversammlung klagen ihn die Großen als – Feind des Czaren von Rußland an. Noch können sie ihn nicht stürzen, aber Neid und Mißgunst verschwören sich gegen ihn. Ihr zuvorkommend, läßt sich Georg von der Neujahr-Volksversammlung 1811 zum Haupte der Nation ausrufen, und die Verschwörer beugen sich.

Der ehemalige Haiduck und Schweinemäster ist nun Haupt eines freien Volks. Aber ihm schwindelt auf dieser Höhe. Der Sultan bietet ihm den Fürstentitel. Der zweimalige Befreier Serbiens, Haupt der tapfersten Nation, bittet jetzt Rußland um Erlaubniß, diesen Titel anzunehmen. Rußland überlieferte ihn und sein Volk wieder ganz der Gnade des Sultans. Wer nach außen um Erlaubniß gefragt, ob er so frei sein dürfe, verdiente nichts Besseres. Um nur Haupt der Nation zu bleiben, bot und gab er dem Sultan mehr, als verlangt ward, Festungen, Kanonen, Alles. Das Volk wüthet über ihn. Er will seine Stelle retten und greift wieder zur Damascenerflinte, zum Aufstand gegen die Türkei. Die einzelnen Serbenhaufen streiten und fallen wie Spartaner, aber der schwarze Georg, überall gesucht, ist verschwunden, geflüchtet nach Oesterreich (2. October 1813). Der neunjährige Freiheitskampf des tollkühnsten, tapfersten Volkes lag zu den Füßen des türkischen Großherrn.

Milosch Obrenowitsch, auch ehemals Schweinehirt, dann Mitkämpfer, wird kluger Hospodar von Serbien und diplomatisirt zwischen Selbstständigkeit und Gehorsam, zwischen Rußland, Oesterreich und der Türkei, bis auch er weggejagt wird. Im Frühjahr 1817 erscheint der schwarze Georg wieder in Serbien, bei einem alten Gastfreunde Wuitza, der ihm – aus Gefälligkeit gegen Milosch – im Schlafe mit einem Beile den Kopf abhackt und denselben an den Hospodaren sendet. Dieser schickt ihn an einen türkischen Pascha, dieser an den Sultan, welcher ihn an der Pforte des Serails annageln läßt. Darunter die Unterschrift: „Kopf des berüchtigten serbischen Kara Djordje!“ – Milosch ließ den kopflosen Körper in der Kirche von Topola begraben und darüber „dem Befreier Serbiens“ ein Denkmal setzen. Dem Befreier, nein, dem Repräsentanten des Unterganges Serbiens und jeder Nation, die Freiheit zu erkämpfen, aber vor Neid, Zwietracht, Herrschsucht, Eigennutz und Erlaubnissen von außen her sie nicht zu würdigen und zu wahren weiß.

Der Despot Milosch, der sich seinen Thron mit Geld und russischer Unterstützung wieder erobert, wird nun an dieses untergehende Reich seine letzten Jahre setzen und seiner Auflösung entgegenführen.



  1. „Kara“ heißt im Türkischen schwarz, wie crni im Serbischen. Aus Letzterem stammt der in Zeitungen gebräuchliche Name Czerny Georg.