Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Der schlaue Pilgrim
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 126-128
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[126]
Der schlaue Pilgrim.

Vor einigen Jahren zog ein Müßiggänger durch das Land, der sich für einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn, und laufe geraden Wegs zum heil. Grab nach Jerusalem, fragte schon in Müllheim an der Post: Wie weit ist es noch nach Jerusalem? Und wenn man ihm sagte: Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fußweg über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher, so gieng er, um auf dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das wäre nun so übel nicht. Man muß einen kleinen Vortheil nicht verachten, sonst kommt man zu keinem großen. Man hat öfter Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen, [127] als einen Gulden. Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700 Stunden nur allemal an 5 Stunden weiß eine Viertelstunde abzukürzen, der hat an der ganzen Reise gewonnen – wer rechnet aus, wie viel. Allein unser verkleideter Pilgrim dachte nicht eben so, sondern weil er nur dem Müßiggang und guten Essen nachzog, so war es ihm einerley, wo er war. Ein Bettler kann nach dem alten Sprichwort nie verirren, muß in ein schlechtes Dorf kommen, wenn er nicht mehr darinn bekommt, als er unterwegs an den Sohlen zerreißt, zumal wenn er barfuß geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer darauf, so bald als möglich wieder an die Landstraße zu kommen, wo reiche Häuser stehen, und gut gekocht wird. Denn der Halunke war nicht zufrieden, wie ein rechter Pilgrim seyn soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht wurde, sondern wollte nichts fressen als nahrhafte Kieselstein-Suppen. Wenn er nemlich irgendwo so ein braves Wirthshaus an der Straße stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus in Krotzingen, oder den Baselstab in Schliengen, so gieng er hinein und bat ganz demüthig und hungrig um ein gutes Wasser-Süpplein von Kieselsteinen, um Gotteswillen, Geld habe er keines. – Wenn nun die mitleidige Wirthin zu ihm sagte: „Frommer Pilgram, die Kieselsteine könnten euch hart im Magen liegen!“ so sagte er: Eben deswegen! Die Kieselsteine halten länger an, als Brod, und der Weg nach Jerusalem ist weit. Wenn ihr mir aber ein Gläslein Wein dazu bescheren wollt, um Gotteswillen, so könnt ichs freylich besser verdauen. Wenn aber die Wirthin sagte: [128] „Aber, frommer Pilgram, eine solche Suppe kann euch doch unmöglich Kraft geben!“ So antwortete er: Ey, wenn ihr anstatt des Wassers wolltet Fleischbrühe dazu nehmen, so wärs freylich nahrhafter. Brachte nun die Wirthin eine solche Suppe, und sagte: „Die Tünklein sind doch nicht so gar weich worden“, so sagte er: Ja, und die Brühe sieht gar dünn aus. Hättet ihr nicht ein paar Gabeln voll Gemüß darein, oder ein Stücklein Fleisch, oder beydes? Wenn ihm nun die mitleidige Wirthin auch noch Gemüß und Fleisch in die Schüssel legte, so sagte er: „Vergelts euch Gott! Gebt mir jezt Brod, so will ich die Suppe essen.“ Hierauf streifte er die Ermel seines Pilgergewandes zurück, sezte sich, und grif an das Werk mit Freuden, und wenn er Brod und Wein und Fleisch und Gemüß und die Fleischbrühe aufgezehrt hatte bis auf den lezten Brosamen, Faser und Tropfen, so wischte er den Mund am Tischtuch oder an dem Ermel ab, oder auch gar nicht, und sagte: „Frau Wirthin, eure Suppe hat mich rechtschaffen gesättigt, so daß ich die schönen Kieselsteine nicht einmal mehr zwingen kann. Es ist schade dafür! Aber hebt sie auf. Wenn ich wieder komme, so will ich euch eine heilige Muschel mitbringen ab dem Meeresstrand von Ascalon, oder eine Rose von Jericho.“