Der schönste der Wüstenkönige

Textdaten
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Autor: Heinrich Leutemann
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Titel: Der schönste der Wüstenkönige
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 613, 615–616
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[613]

Der Löwe im zoologischen Garten in Berlin.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

[615]
Der schönste der Wüstenkönige.
Mit Abbildung.

„Da müssen Sie nach Berlin kommen! Wenn Sie das in Berlin noch nicht gesehen haben, haben Sie noch gar nichts gesehen!“ Solche und ähnliche höchst selbstbewußte Reden haben schon Tausende Nichtberliner von abermals Tausenden echter Kinder der jetzigen Kaiserstadt hören müssen, müssen es noch hören und werden es noch oft hören. So ziemlich Alles, was sehenswerth scheint, ist nach dieser immerhin höchst patriotischen Auffassung eben nur in Berlin der Mühe werth gesehen zu werden, doch – das ist ja Alles weltbekannt.

Aber nicht weltbekannt ist es, daß bis vor einigen Jahren wohl kein einziger Berliner sich in obiger Weise über den dort doch längst bestehenden zoologischen Garten aussprach. Und doch wird ein zoologischer Garten überall, wo er besteht, zu den ersten Sehenswürdigkeiten des Ortes gerechnet. Wie kam das? Das kam daher, daß in längerer Vergangenheit, vor zwanzig und mehr Jahren, außer in Berlin im übrigen Deutschland kein zoologischer Garten bestand, denn die Menagerie in Schönbrunn konnte man füglich nicht so nennen. Es fehlte also damals an Anknüpfungspunkten zu Vergleichen, ohnedies wurde damals lange nicht so viel wie jetzt gereist, jetzt, wo man geradezu vor Scham in den Boden sinken möchte, wenn man auf die Frage, wo man dieses Jahr hinreisen wird oder gewesen ist, nicht mit einer wenigstens hundert Meilen weiten Reise dienen kann. Es fehlte also an Veranlassung, das Gespräch auf den zoologischen Garten in Berlin zu bringen. Als nun aber plötzlich die Zoologie den Deutschen in die Glieder fuhr und in rascher Reihenfolge, es wird dies seit ungefähr vierzehn bis fünfzehn Jahren sein, die zoologischen Gärten von Frankfurt am Main, Dresden, Köln, München, Hamburg, Wien, Hannover, Breslau und auch beinahe Leipzig entstanden, da gab es zwar eine üppige Veranlassung zum Vergleichen dieser neuentstandenen Gärten mit ihrem alten Bruder in Berlin, aber sonderbar – die sonst doch höchst unverfrorenen Berliner machten gar keinen Gebrauch davon. Freilich – Recht hatten sie damit, denn allerdings war jeder der neuentstandenen Gärten sofort nach seiner Eröffnung eine hohe Beschämung für das gleichartige Berliner Institut, und dies steigerte sich in dem Grade, als alle die neuen Gärten sich mehr und mehr entwickelten.

In einem der früheren Jahrgänge der Gartenlaube habe ich einmal einige bildliche Darstellungen aus dem zoologischen Garten bei Berlin gebracht, bei welcher Gelegenheit ich auch meine ersten schriftstellerischen Sünden beging. Es war dies, wenn ich nicht ganz irre, noch zu jener Zeit, wo eben der Berliner Garten in Deutschland der einzige, also unbedingt der beste war, und ich bin daher gewiß zu entschuldigen, wenn meine schüchterne Feder ihm das ungetheilteste Lob widmete. Alles war wunderschön und gefiel, womit ich mich tröste, auch Anderen, denn, wie gesagt, es war einzig in seiner Art. Die langen Wege von einem Thierbehälter zum andern, die fast überall dichte Bewaldung des Gartens, die, wenn auch nicht an kölnischem Wasser gelegene, immerhin aber sehr idyllische Restauration, kurz Alles, und natürlich auch die Thiere, fanden ungetheilten Beifall. Diese Stimmung kam mir nun leider gründlich abhanden, als ich die inzwischen gewachsenen neuen Gärten besuchte. Da war es allerdings bequemer, wenn man nicht fortwährend in Besorgniß wegen des Verirrens sein mußte, sondern von dem einen Thierbehälter schon den nächsten sehen konnte; auch der Sonnenschein, der im Berliner Garten zuletzt fast mit der Laterne gesucht werden mußte[1], that als ein längst vermißter um so wohler, und nun gar die hellen freundlichen Restaurationen, welcher Abstand! Das Sonderbarste war aber, daß es ordentlich schien, als wenn die neuen Gärten auch eine Menge neuer Thiere entdeckt hätten, oder doch die Möglichkeit, diese Thiere nach Deutschland zu bringen. Das Berliner Institut hatte sich in bewußter Selbstgenügsamkeit mit dem Erwerben neuer, noch nicht dagewesener Thiere so gut wie gar nicht abgegeben, und so bildete dort Jahr aus, Jahr ein eine gewisse Anzahl gleichsam unsterblicher Thiere einen ehrwürdigen Grundstock, dessen Glieder einen etwaigen, fast aus Irrthum hergerathenen neuen Ankömmling zürnend zu fragen schienen, wie er es wagen könnte, die Stille ihrer Beschaulichkeit zu stören. Solchen Ankömmlingen verging auch gewöhnlich bald das Lebenbleiben. Als einmal ein wirklich seltenes Thier, ein Beutelwolf, im Garten war, hörte ich von einflußreicher Stelle die Worte: „So ein Thier ist nichts für’s Publicum, das muß todt sein und gehört in’s Museum.“ Und siehe, der Beutelwolf war allerdings so aufmerksam, sich baldigst danach zu richten, es verging eine kaum nennenswerthe Zeit, da war er auch schon todt.

In den andern Gärten hingegen war es ein Hauptbestreben, neue, schöne und seltene Thiere anzuschaffen, und es ist in dieser Beziehung ein Wetteifer entstanden, der dem Thierfreund nur willkommen sein kann und bereits Erstaunliches leistet.

Um nun endlich die vom Leser wohl schon längst geahnte Schwenkung zu Gunsten des jetzigen Berliner zoologischen Gartens einzuleiten, sei blos noch erwähnt, daß, wie das selbstverständlich, bei der Gründung eines jeden neuen Thiergartens die betreffenden Baumeister etc. erst die meisten anderen Gärten bereisten, um sich dort über das dort zweckmäßig oder unzweckmäßig Befundene zu unterrichten. Deshalb sagte einst ein Beamter des Berliner Gartens mit komisch wichtiger Miene zu mir: „Ja, zu uns kommen sie nur, um zu sehen, wie sie’s nicht machen sollen!“ Und dieses gewiß unbestreitbare Verdienst ist denn, als man sich in den Berliner Palästen und Hütten desselben immer mehr bewußt wurde, die Asche geworden, aus welcher der Phönix des neuen Gartens jetzt glänzend emporsteigt und im Begriff ist, das schon so schöne Berlin durch eins der herrlichsten Institute seiner Art noch glänzender zu schmücken.

Wie diese Aenderung endlich, nach manchen mißglückten Anläufen, gekommen ist, warum überhaupt der früher wahrhaft klägliche Zustand so lange dauern konnte, das kann nicht meine Aufgabe sein, zu erörtern. Nur Wenige dürften in dieser Beziehung Alles wissen, ich bin Keiner davon, und es ist ja natürlich auch nicht Alles mittheilbar. Jedenfalls wird in der Gartenlaube später ein längst beabsichtigter Artikel über diese jetzt eben noch im Werden begriffene Neugestaltung erscheinen, dem ich nicht vorzugreifen habe. Das aber kann schon an dieser Stelle gesagt sein, daß die Seele dieser ganzen Neugestaltung der neue Director Dr. Bodinus ist, welchen man zu diesem Zweck vom Kölner zoologischen Garten, dem er bisher vorstand, nach Berlin berufen hat, und welcher dieses Werk mit der Energie, der Umsicht, dem Geschmack in Angriff genommen, wie sie allerdings unbedingt nöthig waren, wenn endlich der neue Thiergarten den Rang einnehmen sollte, zu dem er einfach verpflichtet ist.

Wer früher in der Zeit des Siechthums den Garten besucht hat, und ihn jetzt betritt, kennt ihn schlechterdings nicht mehr und muß erst ganz von Neuem lernen, sich zurecht zu finden. Den Thierfreund aber fesseln vor Allem die neuen Thierhäuser, welche, so weit sie fertig sind, so schön, geräumig, und für Thier und Beschauer so bequem sich darstellen, daß ihr Anblick allein ein Genuß ist.

Mit richtigem Blick hat der Neugestalter des Gartens nach den ersten unumgänglichen Bauten, wozu, wie der Mensch einmal ist, natürlich eine Restauration gehört, bald sein nächstes Augenmerk auf die Erbauung eines großen Raubthierhauses gerichtet; dasselbe ist im Sommer dieses Jahres fertig geworden, bereits vollständig mit Thieren besetzt, und es ist eine wahre Wonne, in das Innere dieses gewaltigen Baues einzutreten und sich dem Eindruck hinzugeben, den die geräumige Halle, wie sie jetzt ist, macht. Und nun endlich zu den Löwen! Denn außer Tigern, Leoparden, Puma, Hyänen und allen andern hierher gehörigen Bestien zieren das Raubthierhaus vier junge, aber jetzt wohl fast erwachsene Löwen in einem Käfig, in einem andern eine Löwin mit zwei dort geborenen Jungen, die sich prächtig entwickeln, und in einem dritten Behälter der Vater der letzteren, ein südafrikanischer schwarzmähniger Löwe, ungefähr acht Jahr alt, ein wahres Bild von Kraft und Wildheit.

Wenn man schon viel Löwen gesehen und zugleich als Künstler studirt hat, so legt man unwillkürlich einen immer strengern Maßstab bei der Beurtheilung solcher Thiere an, und man bleibt vielleicht bei dem Anblick eines Löwen ziemlich ruhig, vor dem ein Dichter schon Verse macht. Beim Anblick dieses Löwen aber ging es mir umgekehrt. So lächerlich dies klingen mag, und [616] auf die Gefahr hin, es zu werden, gestehe ich offen, daß ich das Gefühl, welches ich bei dem Anblick dieses herrlichen Thieres empfunden, nicht anders als mit „Andacht“ bezeichnen kann, ungefähr dieselbe Andacht, mit welcher man eine schöne menschliche Gestalt betrachtet, und ich möchte glauben, daß ich damit nicht allein stehe. Wie alles Wortgeklingel unnütz ist, wo es sich darum handelt, eine plastische Schönheit zur überzeugenden Anschauung zu bringen, so unterlasse auch ich es, das Thier zu schildern, da ohnedies das Bild diesen Versuch einigermaßen macht. Einigermaßen, denn man muß verzweifeln, den Ausdruck solcher Kraft und Wildheit, solcher Verachtung alles Andern vollständig wiederzugeben. Hierbei möge es übrigens erlaubt sein, auf einen Zwiespalt hinzuweisen zwischen der künstlerisch anerzogenen Auffassung und dem natürlichen Gefühl, der doch eigentlich nicht bestehen sollte. Nicht leicht wird nämlich ein Künstler einen Löwen dieser Race freiwillig zur Darstellung auf einem Bilde wählen, wo es sich um eine auszusprechende Bewegung des Thieres handelt, denn die über und hinter die ganze Schulter gewachsene Mähne hindert ein bildliches Aussprechen einer Bewegung so außerordentlich, daß die Gefahr einer unschönen Darstellung, vor Allem einer unverständlichen, kaum zu bewältigen ist, mit andern Worten: vom streng künstlerischen Standpunkt ist diese Löwenrace nicht so schön, wie die nördlichere. Und doch, wie straft diese lebende Erscheinung diesen Satz Lügen! Gerade die ungeheure Fülle der Mähne trägt so sehr dazu bei, den Eindruck der gewaltigen Kraft zu vervollständigen, sie hindert uns so wenig, die Bewegung des Thieres zu verstehen, daß man schlechterdings nicht daran denkt, diesen herrlichen Schmuck sich verringert zu wünschen.

Unser Löwe ist ein Geschenk vom Geheimen Commerzienrath F. W. Krause in Berlin, der ihn im vorigen Herbst durch den Director Bodinus in Hamburg, jedenfalls vom Thierhändler Hagenbeck, kaufen ließ. Es ist dies ein erfreulicher Beweis, wie die schöne Neugestaltung des Gartens bereits auch nach der Seite, welche für solche Institute immer eine höchst erwünschte sein muß, die schönsten Früchte trägt. Wen Jemand einen Fuchs schenkt, den er sonst wahrscheinlich todtgeschlagen hätte, so hat kein Mensch auf der Erde das Recht, den Geber dafür zu bestrafen, aber gefährlich bleiben solche Gaben doch, und wenn vollends bei einem solchen Geschenk, wie das doch erwartet wird, der Name des edlen Mannes zu lesen ist, so wird die Gefahr, daß alle Männer von gleicher Seelengröße sich zu ähnlichen Geschenken veranlaßt sehen, um ihre Namen dann als eine Säule des Gartens lesen zu können, immer bedenklicher, denn das zuletzt unvermeidliche Zurückweisen solcher Seltenheiten ist ja natürlich eine tödtliche Beleidigung.

Wohl aber liest man bei unserm Löwen den Namen des Schenkgebers mit ungetheilter Anerkennung, und ich bin gewiß nicht der Einzige, der im Stillen demselben seinen Dank gewidmet hat für die Großherzigkeit, ein solches Geschenk und so zur rechten Zeit dem Garten zu widmen.

Noch muß zum Lobe dieses Löwen erwähnt werden, daß er auch gut brüllt, und das gehört in der That zu den Vollkommenheiten eines solchen Thieres. Für die wandernde Menagerie ist gerade diese Eigenschaft, wie ich schon früher erwähnte, als Lockmittel von großem praktischen Werth, aber auch in einem zoologischen Garten will man seinen Löwen brüllen hören, denn der Ruhm seiner Stimme wird Einem ja schon in den ersten Schuljahren eingetrichtert.

Es ist nur ein Herabsteigen in der Stimmung, wenn man nach der Betrachtung eines schönen Löwen noch von anderen Thieren sprechen will. Aber hinweisen möchte man wenigstens noch auf die bereits überraschende Fülle schöner und besonders auch seltener Thiere, welche sich schon jetzt, wo viele Bauten noch nicht angefangen, andere noch nicht vollendet sind, dem Beschauer darbieten. Aber es würde zu weit führen, den Garten, wie er jetzt ist, schildern zu wollen, denn zunächst war dies nicht der Zweck dieser Zeilen, und es ist auch kaum gerathen, da eben das Ganze noch im Werden ist und deshalb von einem vollständigen Eindruck noch nicht die Rede sein kann. Daß es aber schon jetzt sehr dankbar, sehr der Mühe werth ist, den Berliner zoologischen Garten zu besuchen, trotz des oft ameisenartigen Gewimmels der noch beschäftigten Arbeiter, das beweist der immer sich steigernde Besuch desselben, so daß auch in finanzieller Beziehung die besten Erwartungen gerechtfertigt sind und für die Actionäre kein zweites Rumänien zu fürchten ist.

L.

  1. Vorlage: wußte