Der neue Rattenfänger (Die Gartenlaube 1883)

Textdaten
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Autor: Albert Traeger
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Titel: Der neue Rattenfänger (Die Gartenlaube 1883)
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 204–207
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Julius Wolff
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Der neue Rattenfänger.

Von Albert Traeger.

„Allbekannt ist er im Land’
Und in jedem Städtchen,
Wenn er winket mit der Hand,
folgen ihm die Mädchen.
Wie er heiße, fragt ihr mich,
Der bewährte Sänger?
Wer es sei? – Wer sonst, als ich?
Ich, der Rattenfänger!“
 Julius Wolff.

Schöne, weihevolle Tage waren es, Ende Juli 1869. Ferdinand Freiligrath, von dem endlich der Fluch der Verbannung genommen, war nach Deutschland zurückgekehrt und hielt die erste Rast in der geliebten Westfälischen Heimath, seit dreißig Jahren hatte er die rothe Erde nicht betreten. Bielefeld und die Vaterstadt Detmold ehrten ihn durch glänzende Feste, Sanges- und Sinnesgenossen eilten von allen Enden herbei, eng schaarte sich das Volk um seinen Dichterhelden, hoch und hell loderten die Flammen edelster Begeisterung empor – es waren unvergeßliche Tage. In nächster Nähe des Gefeierten hielt sich stets ein junger Mann, blond und schlank, mit blauen, klar und treuherzig blickenden Augen und von schlichtem, gewinnendem Wesen. Niemand kannte ihn, der „alte Wolff“, der letzte Redacteur der tapferen „Rheinischen Zeitung“ und ein Demokrat von echtem, vormärzlichem Schrot und Korn, hatte ihn als seinen Neffen Julius Wolff vorgestellt. Man erfuhr auch, daß er soeben das väterliche Geschäft, eine große Tuchfabrik in Quedlinburg aufgegeben, dafür an den Webstuhl der Zeit sich gesetzt und die „Harz-Zeitung“ begründet habe, die er, Redacteur und einziger Mitarbeiter, täglich herausgab. Also doch von der Zunft – seine umfassende Bildung lag offen zu Tage, und der unerschöpfliche Schatz seiner Kneiplieder im traulichen Kreise vervollständigte den Beweis, daß er die Hochschule mit glänzendem Erfolge besucht hatte. Alles gewann den wackeren Gesellen lieb, Freiligrath hatte eine

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Julius Wolff.
Nach einer Handzeichnung von L. Knaus auf Holz übertragen von Adolf Neumann.

besondere Zuneigung für ihn gefaßt, und als die festlich Vereinten allzu schnell sich wieder trennten, schied ihm in Jedem ein wahrer Freund.

Am 21. Juli 1870 endete die „Harz-Zeitung“ mit einem Abschiedsgruße ihres Redacteurs: „Vorwärts“ in kernigen, klangvollen Versen. „Steh’ Jeder seinen Mann! Thut Eure Pflicht! Vorwärts mit Gott! ein Rückwärts giebt es nicht!“ Und also griff er von der Feder zum Schwerte, zog mit den Cameraden gen Frankreich, machte in der kronprinzlichen Armee den ganzen Krieg mit, ward vor Toul mit dem eisernen Kreuze geschmückt und alsbald zum Officier befördert.

Im Felde erhielt auch der Dichter die Feuertaufe. Die gewaltigen Eindrücke, der Reiz eigener Erlebnisse, Alles regte ihn an, manch gereimten Gruß entsandte er in die Heimath, und schon 1871 erschien: „Aus dem Felde. Kriegslieder von Julius Wolff“, ein dünnes Heft, das in der Sturmfluth damaliger Kriegspoesie nicht verloren ging, vielmehr weithin bekannt und beliebt, für ihn selbst aber die Flagge seiner Zukunft wurde.

Nach der Heimkehr ließ er mit der Gattin und vier Söhnen in Berlin sich nieder, frei und ganz der freien Kunst zu leben. Doch nicht leicht ist der Weg zum Ruhme, zumal wenn er durch den Buchhandel führt. Da lag das Werk nun fertig, dem Dichter zum Spott und zum Verdruß, acht der ersten deutschen Verlagsfirmen hatten es ihm bereits zurückgeschickt, allerdings frankirt und mit den verbindlichsten Wendungen, darunter Leute mit unfehlbarem Urtheile, wenigstens nach ihrem eigenen. Plötzlich [206] kommt eine freiwillige Anfrage von der Meyer’schen Hofbuchhandlung in Detmold, natürlich erhält sie das Manuscript umgehend – endlich! Nach langen, bangen Wochen hat der Glückliche das erste Exemplar des Buches in der Hand, da brennt die Druckerei ab, die ganze kaum fertig gewordene Auflage geht in Feuer auf, und es muß noch einmal gesetzt und gedruckt werden. Endlich! – der tückische Zufall hat ihm manchen Schelmenstreich gespielt, dem „Till Eulenspiegel redivivus. Ein Schelmenlied von Julius Wolff“, aber der neu erstandene Erzschelm deutscher Nation hat sie alle reichlich wett gemacht. Das Gedicht ist „Ferdinand Freiligrath in Liebe und Verehrung gewidmet“, er hat auf seine Entstehung nicht minderen Einfluß geübt, als auf die Lebensrichtung des Dichters, sei’s herzlich ihm gedankt! Was die Buchhändler gesündigt, die Kritiker überhasteten sich, es zu sühnen, jede Beurtheilung eine unbedingte Anerkennung, wenn nicht eine begeisterte Lobpreisung, die berufensten Stimmführer vereinten sich, dem Volke das Erscheinen eines bedeutenden, eines wahren und wirklichen Dichters zu verkündigen, und das Volk glaubte ihnen auf’s Wort – nämlich auf die Worte des Dichters hin, die schnell zu allen Ohren und in alle Herzen drangen. Wie wohllautend und leichtflüssig sind diese Verse, wie jugendfrisch und liebenswürdig der Humor, zuweilen übersprudelnd, niemals verletzend, und vor Allem echt deutsch Gefühl und Gesinnung. Dabei warmherzige, leichtblütige Auffassung des Lebens und aller Verhältnisse und als Grundstimmung wahre Freisinnigkeit, die sich doch nirgend als vordringliche Tendenz breit macht.

Vierzig Jahre alt war der am 16. September 1834 geborene Dichter, als sein erstes Werk ihn mit einem Schlage in die vordersten Reihen stellte. Voll jugendfrischer Begeisterung eilte er fortan von einem Erfolge zum andern. Wiederum war ein sagenhafter Schelm der Held seiner nächsten Dichtung. Wie er den Eulenspiegel aber in unsere Zeit herübergeholt hat, sucht er den „Rattenfänger von Hameln“ inmitten der seinigen auf und bringt uns den unheimlichen Zauberer und das düstere Mittelalter nicht minder nahe, als den lustigen Schalksnarren und die lichte Gegenwart.

„Doch nirgends giebt es im Archiv
Für Forscher was und Finder,
Als daß ein Pfeifer kam und rief
Die Ratten und die Kinder,“

und darum muß man die ganze Geschichte auf Treu’ und Glauben von Einem nehmen, „der schon in der Jugend selber Mäuse fing und Lieder machte“.

In einem alterthümlichen hochgiebeligen Erkerhause zu Quedlinburg ist Julius Wolff geboren, ein Urahn war Receptarius der gefürsteten Aebtissin von Cappel und Lemgo, ein späterer Vorfahr Kammerrath der letzten Aebtissin von Quedlinburg gewesen; die Mutter entstammte einer alten seßhaften Bürgerfamilie, die seit Jahrhunderten bereits das Tuchmachergewerbe in seiner Vaterstadt betrieben hatte. Vielseitige Ueberlieferungen lenkten frühzeitig den Blick des Knaben auf die Vergangenheit. Draußen vor den Thoren aber lag der Harz mit seinen schroffen Felsen, waldigen Abhängen, rauschenden Wassern und heimlichen Thälern, immer wieder lockte es ihn hinaus in die einsamste Wildniß, Alles sah, hörte und beobachtete er, was da fleugt und kreucht, ward ihm bekannt und lieb, und „fand er eine Feder liegen, bückt’ er sich und wußte gleich, aus wessen Flügel oder Schwanze sie gefallen“.

In seinem Kämmerlein wimmelte und krabbelte es von allerlei Waldgethier, in dem alten Hause voll Ecken und Winkeln trieben die Mäuse ein lustiges Spiel, und wagte sich einmal eine besonders kecke in die Wohnzimmer, schnell erhaschte sie der kundige Fänger mit geschickter Hand.

Den Mäusen nachstellend, fand er einst auf dem Boden eine alte sehr schlechte Ausgabe von Schiller’s Gedichten. Seitdem saß er tagelang auf den Bergen, in lauschigem Versteck lesend und träumend, eine unsichtbare Welt ging ihm plötzlich auf inmitten der sichtbaren Umgebung, und Stimmen wurden laut in seinem Innern, die nicht blos ein Wiederhall des bisher Gehörten waren. Er begann zu dichten, kleine schüchterne Versuche, meist nur bei besonderen Anlässen und Gelegenheiten. Allmählich wurde die Form gewandter, der Ausdruck klarer, der Drang mächtiger und bestimmter, namentlich als er im Kampfe mit dem äußeren Berufe sich geltend machte.

Der künftige Fabrikant mußte zunächst mehrere Jahre lang die nöthigen Fachkenntnisse sich aneignen, mußte spinnen, weben und walken. Im großen Maschinensaal, wo Alles durch einander wirbelte und surrte, fand der angehende Dichter noch die Spuren der Poesie, wenn auch andere, denn einst im heimischen Walde. Weit wurde ihm die Brust, als er in Berlin, den Natur- und sonstigen schönen Wissenschaften ergeben, ein flottes Studentenleben führte, aber das kaufmännische Comptoir schnürte sie ihm wieder zusammen, so eng, daß ihm die Lebenslust auszugehen drohte. Und dabei hatte er auf seinem dreibeinigen Drehsessel hartnäckige Belagerung und manchen Sturm auszuhalten von Verwandten und Freunden, die kein Mittel unversucht ließen, ihm das Dichten zu verleiden und auszutreiben, sodaß er schließlich der geliebten Kunst nur ganz heimlich oblag.

Wie klingt sie verlockend, des Rattenfängers Pfeife, dessen sagenhafte Gestalt die Naturgewalt der Poesie und Musik an dem unmittelbarsten und natürlichsten Empfängnißvermögen, dem der Thiere und Kinder versinnbildlicht; der Orpheus des heitern hellenischen Himmels in der fratzenhaften Verkleidung des abergläubigen Mittelalters!

Daß alle Mädchen an ihm hangen, versteht sich von selbst, aber auch die Männer widerstehen nur schwer dem gutgelaunten Sänger, der ob der unergründlichen Ursache solch verblüffender Wirkungen nothgedruugen ein Zauberer sein muß. Fast nicht minder zauberhaften Erfolg hat Wolff’s Dichtung gehabt, achtzehn wirkliche und starke Auflagen in sieben Jahren, das allein schon genügt. Wunderkräftig hat sie aber auch das alte halbvergessene Märchen wieder frisch und lebendig gemacht und mitten hinein in den Vordergrund der allgemeinen Schaulust und Unterhaltung gestellt.

Seit ihrem Erscheinen ist der Rattenfänger ein Stammgast der Theaterzettel und Anschlagesäulen, wimmeln alle Bretter und Planken von Ratten und Kindern. Victor Neßler’s melodienreiche Oper hat mit ihm die ersten Bühnen erobert, die Vorstadttheater haben seit langer Zeit keinen so wirksamen Cassenzauberer gehabt, und was er im Circus Renz und seinen Ablegern nicht singen und sagen kann, das drückt er dort durch allgemein verständliche Geberden pantomimisch aus. Ueberall erscheint er aber „frei bearbeitet nach Julius Wolff’s gleichnamiger Dichtung“. So nahe hat uns der Dichter den Helden gestellt, seine Geschichte so glaubhaft erzählt und den ganzen Stoff in so zwingende Form gebracht, daß jede Abweichung den Eindruck irrthümlicher Unwahrscheinlichkeit machen würde, und doch ist dieser Stoff bis auf einige ganz schattenhafte Umrisse das freie Eigenthum des Dichters.

Wolff hat die selbstgeschaffene Gestalt so lieb gewonnen, daß er sein neuestes Werk „Singuf. Rattenfängerlieder“ gewissermaßen als das ihre erscheinen läßt. Es sind die gesammelten Gedichte des „kecken, schlanken Spielmanns mit den heißen, dunklen Augen, mit dem abgeschnittenen Ohre“ – und sie schließen mit den Versen: „Nach Hameln!“ da, wo die früher erzählte Geschichte anfängt. Es ist ein deutlicher Beweis für Wolff’s dichterische Begabung, daß seine Vorzüge und Eigenarten im Lyrischen gipfeln, alle Töne, die er mit gleicher Sicherheit und Wirkung anzuschlagen weiß, im Liede am reinsten und vollsten ausklingen. Vom duftigsten wehmüthigen Liebes- bis zum ausgelassensten Trink- und Schelmenlied findet er überall den wahrsten und einfachsten, meist geradezu volksthümlichen Ausdruck. In seinen poetischen Erzählungen kommen häufige lyrische Unterbrechungen vor, die aber nirgend willkürlich und zufällig, sondern, wie Monologe im Drama, die Erläuterung und Begründung der Handlung in den handelnden Personen selbst sind.

Bewunderungswürdig ist Wolff’s Kunst, in der Lyrik zu charakterisiren und in diesen Liedern nicht blos die Menschen, sondern auch ihre Zeit zum anschaulichsten Verständniß zu bringen; historische Lyrik möchte man diese neue Form und Gattung nennen und ihre Pflege als ein besonderes Verdienst Julius Wolff’s in Rechnung stellen. Ein Verdienst, an welchem der Forscher und Gelehrte nicht minderen Antheil hat, als der Poet, hinter dessen glänzender Begabung freilich die mühsame und gewissenhafte Arbeit des ersteren bis zur Unerkennbarkeit verschwindet. Gott schenke uns der gelehrten Dichter recht viele, wolle aber vor dichtenden Gelehrten in Gnaden uns immer bewahren! So wirkt auch die Liedersammluug „Singuf“ wie ein geschichtliches Culturbild des Mittelalters und seiner fahrenden [207] Spielleute, von denen die höfische Kunst der Minnesänger dem Volke übermittelt, verdeutlicht und angeeignet wurde. Wie weit aber der Weg von Walther von der Vogelweide bis zu Heinrich Heine sein mag, ihr Gebiet ist dasselbe und nicht größer oder kleiner als das Menschenherz mit seiner Fülle von Lust und Leid, und dieses Gebiet beherrscht Julius Wolff mit gleicher Sicherheit und vollendeter Meisterschaft. Auch hier ist der Erfolg nicht ausgeblieben, mit erklärlicher Vorliebe bemächtigen sich alle Tonsetzer seiner Texte, er gehört jetzt schon zu den meistcomponierten Dichtern, und die Concertprogramme wetteifern mit den Theaterzetteln in der Verkündung seines Ruhmes.

Nicht minder genau als das Menschenherz kennt er das Wesen und Walten der Natur, ihre Gebilde und Erscheinungen sind ihm vertraut, alle ihre Stimmen dem der Vogelsprache Kundigen verständlich. Das dankt er seiner Heimath, dem Harzgebirg, wo im Thal der wilden Bode seiner „goldnen Jugend Stromgebiet“ belegen. Der Heimath dankt er aber auch ein besonderes Lied, das er nur von ihr empfangen und ihr wieder gewidmet hat. „Der wilde Jäger. Eine Waidmannsmär“ erschien 1877 und beginnt mit einer Schilderung des erwachenden Frühlings, die zu dem Schönsten gehört, was unsere Literatur an beschreibender Poesie besitzt. Von allen Dichtungen Wolff’s ist dies vielleicht die vollendetste, namentlich in der Handlung einheitlichste und wirksamste, hier auch der geschichtliche Ausblick der klarste und weiteste. Der wilde Jäger, die Versinnbildlichung der trotzig auf sich beruhenden Manneskraft, die, selbst eine elementare Gewalt, im Kampfe mit den Mächten der Natur ihre höchste Bethätigung findet und der Muskelstärke des Eigenwillens gegenüber weder die Berechtigung des Geistes, noch die Schranke des Gesetzes und der Sitte anerkennt, ist von der Sage auf die Grenze zwischen das germanische Heidenthum und den siegreichen Christusglauben gestellt; durch die vergeistigte Natur, welche den Todesseufzer des gekreuzigten Erlösers wehmüthig widerhallt, jagt lärmend und heulend, unter Donner und Blitz, der gespenstische Spuk einher, ein begrabenes Geschlecht, das zu mitternächtigem Scheinleben erwacht. Wolff hat dies zwar festgehalten, seinen Grafen Hans Hackelberend aber untergehen lassen auf der Scheide einer späteren, uns näher liegenden Zeit. Er fällt, ein Vertreter und Verfechter des eigensüchtigen, hartherzigen Faustrechts, der Himmel über der erstürmten Burg ist von der rächenden Flamme des Bauernkrieges blutig geröthet, und unaufhaltsam wälzen über die zusammenstürzenden Wälle die Schaaren der Unterdrückten und Rechtlosen sich herein, die mit den Werkzeugen der Arbeit das Schwert in der eisernen Ritterfaust zerschlagen.

Wie wunderbar aber die versinkende Welt gewesen, welch unverwelkliche Blüthen auf ihrer Höhe sie getrieben, deren berauschender Duft die spätesten Geschlechter noch entzücken und berücken wird, das hat so stimmungsvoll und überzeugend kein Anderer uns noch gezeigt, wie „Tannhäuser. Ein Minnesang“ von Julius Wolff.

Das Jahrhundert der Hohenstaufen und der Kreuzzüge, der Kaiser und Päpste, Welfen und Ghibellinen, der Ritter und Minnesänger, Turniere und Minnehöfe – hier steigt es auf in alter, unvergänglicher Pracht, mit reicher Fülle der Gestalten, glühendem Farbenglanz und strotzender Lebenskraft. Abend- und Morgenland, die Meeresbraut Venedig, das ewige Rom und Byzanz mit seinen goldenen Kuppeln fesseln die Blicke, aber als Mittelpunkt des Ganzen erhebt sich aus dem deutschen Walde die liebliche Wartburg. Des Gottesfriedens, des echten Ritterthums und der reinen Minne schützende Veste bannt sie den Zauber des unheimlichen Hörselberges, in dessen Tiefe Frau Venus dem Fall des strauchelnden Sängers lockend die Arme entgegenstreckt. Sie vermag ihn nicht zu halten, im Feuer der Leidenschaft wird nur das reine Gold seiner Saiten für den unsterblichen Gesang seines kurzen Lebens geläutert. Entronnen aus dem Banne der Teufelinne, in strengster Verborgenheit sich haltend, schickt Heinrich von Ofterdingen seinem Volke als Abschiedsgruß das Nibelungenlied, reitet auf das Schlachtgefild, und „niemals gelangte wieder Kunde von ihm zu eines Menschen Ohr“.

In diese glänzenden Schilderungen hat Wolff seine schönsten Lieder gestreut, im Sängerkrieg den höchsten Gipfel seiner Kunst erstiegen; das „ergreifende Singen“, mit welchem der schon besiegte Tannhäuser dem siegreichen Wolfram von Eschenbach den Kranz wieder aus der Hand und den Sieger selbst an seine Brust zwingt, wird auch die strengsten unter den heutigen Richtern hinreißen.

Das deutsche Volk hat seinen Richterspruch gefällt; seit acht Jahren erst ist ihm der Name Julius Wolff genannt, und weit über hunderttausend Bände sind mit diesem Namen seitdem in alle Welt gegangen, in jedem Jahre mehren sich die Auflagen der erschienenen Werke, denen hoffentlich noch viele neue folgen werden.

Auch auf dramatischem Gebiete hat Wolff sich versucht, ohne bisher einen entschiedenen Erfolg zu erzielen; seine Stärke liegt vor Allem in seinen Liedern, in deren Ursprung das Geheimniß ihrer Wirkung ruht:

„Die Blumen flüstern sie mir zu
Und wildes Waldgesinde,
Ich höre sie bei guter Ruh’
Im Wasser und im Winde.
Aus Mädchenaugen les’ ich sie
Mit Lachen und mit Scherzen,
Aber sie kommen anders nie,
Als auf dem Weg zum Herzen.“