Der neue Hofmeister
[592] Der neue Hofmeister. (S. Abbildung auf S. 581.) Der Künstler, von dessen Leistungen wir diesmal unseren Lesern eine Probe darbieten dürfen, C. Franz in Dresden, gehört zu der Anzahl unserer modernen Maler, die, hauptsächlich nach dem Vorgange Carl Hübner’s in Düsseldorf, in ihre Bilder Tendenz zu legen suchen, d. h. ihre Darstellungen, wenn diese auch anderen Perioden entlehnt sind, mit dem Gedankengange unserer Zeit, mit einem Ausdrucke unserer Bestrebungen, unserer Kämpfe und Errungenschaften füllen. Als ein solches Bild fassen wir wenigstens den „Neuen Hofmeister“ auf, welcher uns in jene glücklich überwundenen Tage des Rococo zurückführt, wo der Lehrer in den vornehmen Familien nichts war, als ein Bedienter, und nicht einmal der erste des Hauses, denn Kammerdiener und Jäger pflegten hochnäsig auf den armen Schlucker im abgetragenen schwarzen Rocke herabzusehen, ein Bedienter, welcher vor dem „gnädigen Herrn“ in Unterthänigkeit ersterben, allen Launen und Tyranneien der „gnädigen Frau“ in Dienstbeflissenheit zu Willen sein, von den verzogenen jungen Herren und Fräulein sich jede mögliche Bosheit, jeden erdenklichen Eigensinn und Widerstand gefallen lassen, oftmals mit den Domestiken in der Küche speisen und schließlich, um zum Gipfelpunkte seiner höchsten Wünsche, der vom hochmögenden Patron zu vergebenden mageren Pfarrstelle, zu gelangen, die Wittwe des verstorbenen Pastors oder auch wohl – das unmöglich gewordene Kammermädchen der Frau Baronin heiraten mußte.
Einen Hofmeister jener „guten alten Zeit“ zeigt uns das Gemälde von Franz, noch dazu einen Hofmeister, der erst einer werden will, der voller Demuth und Unbehülflichkeit der gestrengen Gnädigen sich vorstellt, welche ihn mit hochmüthigem Seitenblicke mustert, auf die im Ganzen recht acceptable äußere Erscheinung des Aspiranten indeß bereits allerlei Speculationen (zur Ausfüllung müßiger Stunden) zu gründen scheint – denn auch derlei war eben eine Signatur der Zeit.
Wir haben also in den beiden Hauptfiguren des Bildes die ganze Jämmerlichkeit und zugleich Frivolität der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts gewissermaßen verkörpert vor uns, in wenigen Umrissen ein anschauliches Bild jener Periode, welche die große französische Revolution zeitigte und naturgemäß zeitigen mußte.