Der letzte Johanniterritter des Thüringer Waldes

Textdaten
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Autor: Georg Sauer
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Titel: Der letzte Johanniterritter des Thüringer Waldes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 635–637
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der letzte Johanniterritter des Thüringer Waldes.
Eine Erinnerung, von Georg Sauer.

Wer weiß es nicht, daß Knaben vor Allem die Soldaten und das Soldatenleben lieben, und daß es für sie nichts Höheres giebt, als in einen Papppanzer geschnürt, den Papphelm auf dem Lockenkopf und das hölzerne Schwert an der Seite oder eine Stange als Lanze in der Hand einen Ritter zu spielen, wie er in den vielen Rittergeschichten so schön und schaurig, so kühn und herrlich geschildert ist? Ich zumal hatte als Kind so recht die Gelegenheit, mein kleines Gehirn mit den phantastischen Rittergestalten zu füllen, da ich in der Kirche zu Römhild, meiner Vaterstadt, oft die Grabmäler der Grafen von Henneberg betrachtete, die dort, Mann an Mann gereiht, der Auferstehung harren. Ihre steinernen und ehernen Bilder aber erweckten in mir eine stille Sehnsucht nach der verschwundenen Zeit, die so prächtig gewesen sein mußte, und oft stieg in mir der – wie ich mir freilich selber sagte – fruchtlose Wunsch auf, nur einmal einen solchen wirklichen Ritter sehen zu können.

Und doch, dieser Wunsch wurde mir gegen alles Hoffen und Erwarten bald schon erfüllt. Zu Michaelis 1803 kam ich auf das noch jetzt blühende Gymnasium zu Schleusingen. Die Hauptzierde der Stadt ist die Burg der Grafen von Henneberg, die bis jetzt alle Gefahren einer Zerstörung glücklich bestanden hat, im Jahre 1525 selbst den Bauernkrieg, der ganz in ihrer Nähe wüthete. Ein besonders günstiger Umstand für mich, den nunmehrigen Gymnasiasten, war es, daß ich dem Hause eines Freiherrm v. Trebra empfohlen wurde, welcher aus Sachsen als Oberforstmeister über die großen, weitläufigen Thüringerwald-Reviere königlich sächsischen Antheils nach Schleusingen ge- und versetzt worden war. Die Familie v. Trebra gehörte zu den gebildetsten in Schleusingen und in der ganzen Umgegend. So lange Trebras in Schleusingen lebten, hatten sie das mittlere Stockwerk der Burg inne, und es war daselbst fast ununterbrochen ein kleiner Hof. Einheimische und Fremde trafen, geladen und ungeladen, auf der Burg bei Trebras ein, Jeder, der in Beziehung auf Geist, Talent und Kunst auch nur einigermaßen sich auszeichnete, war allda willkommen.

[636] Hier war es, wo ich meinen Ritter sah. Zu den ersten Neuigkeiten, die ich in Schleusingen erfuhr, gehörte nämlich die, daß bei den festlichen Gelegenheiten dort bisweilen ein Comthur in seinem ritterlichen Ordensgewand erscheine und durch die Pracht desselben, sowie durch das Riesige seiner Gestalt stets Aller Berwunderung errege. Man kann sich denken, wie mächtig meine Neugierde angespannt war, als ich bei meiner ersten Einladung auf die Burg zu einem Trebra’schen Familienfest erfuhr, daß auch der Herr Comthur den Abend durch seine Gegenwart verherrlichen werde. Ich konnte die Zeit kaum erwarten bis zur bestimmten Stunde und verstieß dann, weil all’ meine Aufmerksamkeit nur der Thür zugewendet war, durch welche mein ersehntes mittelalterliches Bild leibhaftig hereintreten sollte, wohl nicht selten gegen die Regeln des Ceremoniels, bis endlich schon von ferne hörbar die Erfüllung meines Wunsches geschah. Meine jugendliche Phantasie hatte ein Uebriges gethan in der Ausmalung der Größe dieses Ritterriesen, aber die Erscheinung blieb wirklich nicht hinter ihr zurück. Da schritt er herein, mit centnerschweren klirrenden Schritten in seiner kolossalen Gestalt. Auf dem Haupte trug er einen glänzenden eisernen Helm, an der Seite ein schweres, breites Schwert, an den Stiefeln pfundschwere eiserne Sporen, und angethan war er mit einem schwarzen Mantel oder Talar, wie jeder andere Johanniter-Ritter, vorne aber auf der Brust war ein weißes Kreuz. In dieser Johanniter-Tracht, sagte man mir, erschien er stets hier und auch an anderen Orten bei festlichen Gelegenheiten, da er seinen Ritterornat für mögliche Fälle auch auf Reisen mitzunehmen pflegte. Selbst die weltliche Lust des Tanzes, mit welcher an jenem Abend die Festlichkeit schloß, behandelte der geistliche Ritter nicht feindselig. Der Comthur eröffnete sogar den Ball mit einer Polonaise. So oft er nun an der Seite seiner Dame nach dem Tact der Musik vorschritt, dröhnte und bog der Fußboden sich unter seinen Füßen und klirrten die Fenster. Auch während der Polonaise war er in Rittertracht, das breite, schwere Schwert an der Seite und die pfundschweren eisernen Sporen an den Stiefeln.

Dieser seltsame Gast war ein Freiherr von Andlau, Comthur des Ordens der Johanniterritter. Bekanntlich ging der Johanniter- oder frühere Malteser-Orden nach vielerlei Noth und Bedrängniß, die über ihn gekommen war, mit der Auflösung des deutschen Reiches im Jahre 1806 gleichfalls seiner Auflösung entgegen. Die meisten deutschen Fürsten ließen als Territorialherren diese Ritter nach und nach aussterben, die Commenden (Besitzthümer) wurden eingezogen und meistens zum Staatsvermögen geschlagen. Dies konnte um so füglicher geschehen, weil die Johanniter als geistliche Ritter unverheiratet bleiben mußten und sonach keine Wittwen und keine rechtmäßigen Nachkommen zu versorgen waren. Die meistens durch fromme Stiftungen entstandenen Besitzungen dieses Ordens lagen begreiflich überall hin zerstreut, ohne Ordnung und Zusammenhang. Die einzelnen Commenden, oft auch mehrere zusammen, je nach Zeit und Umständen, wurden wieder einzelnen Rittern gewöhnlich zur Nutznießung überlassen. Ein solcher nun war und hieß Comthur und schlug gewöhnlich auf seiner Commende selbst seine Wohnung auf.

Zur Zeit, wo unser Ritter dem Orden angehörte, war ein Prinz Ruspoli Großmeister desselben und der Sitz des Großpriorats in Deutschland war Heitersheim am Schwarzwald im Badischen. Der Freiherr von Andlau war einem altadeligen, stiftsmäßigen Geschlecht entsprossen (nur solche wurden in diesen Orden als Ritter ausgenommen) und, wie es scheint, aus dem Elsaß gebürtig; aber auch in Baden und Württemberg blühen noch mehrere Familien dieses Namens.

Ungefähr zwanzig Jahre alt, nahm der junge Freiherr Kriegsdienste in Frankreich bei Ludwig’s des Sechszehnten Schweizer-Gardisten, die bekanntlich bei der Erstürmung der Tuilerien den tapfersten Widerstand leisteten; die meisten blieben todt oder verwundet auf dem Platze liegen. Unser Baron v. Andlau lag nur leicht verwundet mitten in einem Haufen der Todten und Verwundeten, fand aber, wie durch ein Wunder, seine Rettung durch die List seines Bedienten (oder, wie Andere sagten, eines Mädchens). Verkleidet entwich er, da Alles für den Krieg verloren war, in der darauf folgenden Nacht aus Paris und erreichte glücklich die deutsche Grenze. Als der jüngere Sohn seiner Eltern wünschte er nun in den Orden der Johanniterritter aufgenommen zu werden. Dies geschah, ungewiß ob durch Einkauf oder sonst statutenmäßig.

So erhielt er die von einem Grafen Berthold v. Henneberg 1291 gegründete Commende zu Schleusingen.

Als der neue Comthur in Schleusingen ankam, sah er sich in Verlegenheit darüber, wo er in der Grafschaft Henneberg-Schleusingen seinen Wohnsitz aufschlagen solle. In dem Gebäude der Commende zu Schleusingen hatte seit der Einführung der Reformation der protestantische Superintendent seine Wohnung aufgeschlagen und wäre also sein allernächster Nachbar geworden; dazu lag dieses Gebäude hart an der Kirche, so daß er das protestantische Orgelspiel und den protestantischen Gesang jederzeit hätte mit anhören müssen. Dies Alles nöthigte ihn gewissermaßen zu einem anderen Entschluß. In der Nähe des ansehnlichen Fleckens Heinrichs bei Suhl liegt nun ein ziemlich hoher, waldiger Berg, der Schneeberg genannt; auf dieser Höhe lag schon seit alter Zeit ein cultivirtes Gütchen, von lauter Tannenwald umgeben. Der Johanniter-Orden war durch Ein- und Umtausch seit 1653 im Besitz dieses Gütchens, welches die lange Bahn hieß. Hier wohnte auch der Vorgänger des Herrn v. Andlau, wenigstens zeitweise, der Comthur v. Vorell, der im Dom zu Erfurt begraben liegt.

Der Comthur v. Andlau nun wählte gleichfalls die Lange Bahn zu seinem, wenn auch nicht gewöhnlichen, doch zeitweiligen längeren Aufenthalte. Hier wohnte er auf dem Eigenthum seines Ordens; hier störte ihn kein protestantischer Gottesdienst; hier blieb er ungestört in der Ausübung und in dem Genuß seiner Liebhabereien. Die große Einsamkeit kümmerte ihn wenig.

Wie ich bereits erzählt, lernte ich auf der Burg zu Schleusingen unsern Comthur v. Andlau zuerst kennen und sah ihn später noch oft daselbst. Aber stets auf’s Neue ergriff mich dasselbe Staunen, als wie ihn zum ersten Mal sah. Nicht ein gewöhnlicher Mensch oder Mann, nein! ein Koloß stand vor Einem, ein Riese. Das Längenmaß seines Körpers war über sechs Fuß, das Gewicht des ganzen Körpers, obgleich er erst ungefähr zweiunddreißig Jahre alt war, gegen vier Centner. Man kann sich nun denken, wie breitschulterig, wie knochen- und muskelreich dieser Koloß war und welch eine unglaubliche körperliche Stärke er besaß. Mehr als einmal hat er auf der Erde liegende schwere Bäume oder Blöcke, an denen mehrere keineswegs schwache Männer sich zerarbeiteten, um sie auf der Erde ein Stück weiter fortzuwälzen, mit dem bloßen Fuße weiter gestoßen oder gewälzt. Kurz zuvor, ehe er in die Grafschaft Henneberg-Schleusingen kam, hatte er sich wiegen lassen, das Gewicht betrug schon drei Center vierundsiebenzig Pfund. Ein so großer, schwerer, unbehülflicher Körper nun war zum Reisen wenig geeignet, besonders bei dem Zustande der Wege in jener Zeit.

Unser Comthur hatte erst seit Kurzem auf der Langen Bahn häuslich sich niedergelassen, als er von Trebras zu einer Festlichkeit nach Schleusingen eingeladen wurde. Da war nun guter Rath theuer. Er selbst besaß damals noch keine eigene Kutsche, wie späterhin, und in Suhl, der nächsten Stadt, war gerade auch keine aufzutreiben. Es blieb nichts Anderes übrig, als daß der Comthur seines eigenen, zwar stark gebauten, leider aber nicht breit, sondern nur schmal angelegten offenen Wägelchens (Droschke) sich bediente. Da man ihn auf das Beschwerliche und für ihn sogar Gefahrvolle einer Reise von der Langen Bahn nach Schleusingen und umgekehrt aufmerksam machte, ließ er sich einen langen, starken, unten mit einer eisernen Spitze versehenen Stock machen, der auf dieser Reise, die ein Fußgänger in drei Stunden zurücklegt, sein Tröster und Helfer wurde. Er ließ sein eigenes Pferd vorspannen. Kaum hatte er die Lange Bahn hinter sich, so nahmen auch schon die Reiseabenteuer ihren Anfang. So oft nun eine gefahrvolle Stelle kam, stach der Ritter seinen starken spitzen Stock schnell in die Erde (meistens eine Wand) derjenigen Seite, auf die der offene kleine Wagen umzustürzen drohte, stemmte sich dann durch seine große Körperkraft mit Hülfe des Stocks gegen diese Seite und stellte hierdurch das Gleichgewicht wieder her. Auf dieser kurzen Reise traten Gefahren dieser Art mehr als zwanzig Mal ein.

Das Gesicht des Comthurs, um noch einmal auf sein Aeußeres zurückzukommen, hatte keine frische Farbe, sondern war mehr blaß, aber ein Vollmondsgesicht, nur mit einer kleinen, etwas gestülpten Nase. Auch einen Schnurrbart trug er nicht, ebenso wenig einen Stutz- oder Zwickelbart, wohl aber einen Backenbart. Man sieht nicht leicht einen stärkeren und schöneren. Wenn man ein [637] einzelnes Haar heraus- und herabzog, so reichte es bis an die äußerste Spitze des Zeigefingers des ohnedies schon sehr langen Arms. Man hätte sehr gut weit hinabreichende starke Zöpfe aus den Haaren dieses Backenbartes flechten können. Die Haare dieses Backenbartes waren überdies schon von Natur wunderbar schön gekräuselt. Der Ton und die Stärke seiner Stimme waren seinem riesenhaften Körper ganz angemessen. Er sprach stark und tief, verständlich und gemessen. Sein Gang war ganz der eines Ritters, würdevoll, aristokratisch, der Schritt abgemessen, die ganze Bewegung männlich graziös. Sein Mund war voll der schönsten Zähne, und diese hatten eine solche Stärke und standen so fest, daß er einst aus der Langen Bahn einen stämmigen Mann blos mit den Zähnen am Hosenbund frei in die Höhe hob.

Durch seine Gemüthsart zeichnete sich unser Comthur vor vielen Andern bestens aus. Er war theilnehmend, mitleidig, wohlthätig. Die Armen strömten an gewissen sogenannten Gehtagen fast in Schaaren zur Langen Bahn; schuldlos Herabgekommene wurden im Stillen vom ihm unterstützt. Eine andere schöne Eigenschaft unseres Ritters war, daß, wenn er bisweilen allerdings in heftigen Unwillen gerieth, er in diesem Affect sich nie zu weit vergaß, um nicht seinen Zorn zur rechten Zeit zu bändigen. Einst benahm sich ein Knecht des Hofes gegen den Pachter äußerst roh und ungezogen. Der Ritter sah und hörte es, am Fenster stehend, eine Zeit lang ruhig mit an. Als aber der Knecht es allzu arg machte, trat er heraus, faßte den Sünder oben am Kragen, hob ihn wie einen leichten Flederwisch hoch in die Höhe, stellte ihn dann in einen ganz in der Nähe stehenden, bis oben mit Wasser angefüllten Braubottich, tauchte ihn drei- oder viermal in aller Ruhe bis über den Leib unter, hob ihn dann heraus, legte ihn auf Rasen und rief ihm nun eine derbe donnernde Ermahnung zu. Der arme Kerl regte sich vor Schrecken nicht mehr, der Ritter aber ging, still in sich lächelnd, wieder in’s Haus zurück. Noch in demselben Jahr heirathete dieser Knecht, und der Comthur gab der Braut eine schöne Aussteuer.

Das häusliche Leben unseres Comthur war sehr einförmig, ein Tag fast wie der andere. Von vielen Besuchen war nicht die Rede, da die Lange Bahn für Viele zu weit entfernt und der Comthur selbst ungemein eng, im Grunde sehr schlecht logirt war. Doch sah er es gerne, wenn Gymnasiasten, Studenten, reisende Schauspieler etc. auf kurze Zeit bei ihm sich einfanden, da er von lustigen Streichen, Schnurren, Anekdoten gerne hörte; auch mit Handelsleuten, Juden, Hökerinnen etc. unterhielt er sich gern, da sie ihm allerlei Neuigkeiten zutrugen; doch banden sie ihm auch manchen Bären auf.

Ein besonderes Geschäft machte er sich daraus, die Wolken zu beobachten, deren Lauf, Richtung, Bewegung, Farbe, Zertheilung etc. Vom gestirnten Himmel hatte er nicht zu verachtende Kenntnisse, denn da er die meisten Nächte außer dem Bett zubrachte – er ging erst drei oder vier Uhr Nachts zu Bett, um Vormittags zehn oder elf Uhr aufzustehen – so benutzte er gern die lange nächtliche Zeit zur Beobachtung der Bewegung der Sterne. Vom Schreiben, Briefschreiben und dergleichen war er kein Freund; Schreibmaterialien gehörten bei ihm zu den größten Seltenheiten.

Einst hatte er den Einfall, eine Anzahl Mädchen aus der Umgegend auf die Lange Bahn zu sich zu einem Kaffee einzuladen. Sie stellten sich alle ein. Es war ein Sonntag und unter freiem Himmel wurde getäfelt. Bald überreichte eines der Mädchen dem Comthur einen schönen mit Bändern geschmückten Kranz, wozu sie einige Worte des Dankes sprach. Die Unterhaltung wurde immer lebhafter, fast bis zur Ausgelassenheit. Die Mädchen neckten den Comthur besonders deshalb, weil er nicht heirathen dürfe, warum er denn in einen so wunderlichen Stand oder Orden eingetreten sei etc. In fröhlichem Uebermuth brachten sie ihm einen zweiten Kranz, der gerade das Gegentheil von dem ersten war, nämlich einen Trauerkranz, ohne alle Blumen und mit schwarzem Flor oder Crep umwickelt, damit er wegen seines ehelosen Lebens ja recht trauern möge. „Ihr seid halt lose, durchtriebene Dirnl,“ sagte unser Comthur, der im gewöhnlichen Leben in der süddeutschen, alemannischen Mundart sprach, als er den Trauerkranz sah. „Müsche denn alle Mannsen heirathe? Ja, wenn alle Weiber gut wären. Wasch thut mer denn mit so anem Brummeise? Bei mir zu Land spreche gar viele Ehemannen ein Sprüchwort, das lautet: ‚Meine Frau heißt Lisabeth, wenn ich nur eine andre hält’.‘ Es muß auch alte Junggeselle gebe, wie’s auch alte Jungfere giebt.“ Der kecke Scherz störte seinen Gleichmuch so wenig, daß er sogar zu guter Letzt jedem Mädchen noch eine Düte mit sogenanntem Gregoriuszucker mit auf den Weg gab.

Daß dieser stattliche Körper auch gehörig versorgt sein wollte und daß die Leibesnahrung und Nothdurft das wichtigste Departement der Verwaltung auf der Langen Bahn war, versteht sich wohl von selbst; uns interessirt nur die kluge Absonderlichkeit, daß der Comthur fleißig auf Anordnung seines Freundes Trebra durch die Förster und andere Personen auch, mit Fischottern versehen wurde, weil nach den Satzungen der katholischen Kirche die Fischotter in Bezug auf ihr Fleisch nur für Fisch gilt und auch an den Fasttagen genossen werden darf.

Weil der Comthur in einer stockprotestantischen Gegend lebte und daher weit und breit weder eine katholische Kirche noch einen katholischen Priester fand, so hielt er um so strenger die Fasttage, da dies ohne eine Kirche und ohne einen Priester geschehen kann; und deshalb war er auch mit Fischen immer reichlich versehen. An den höchsten Festtagen seiner Kirche erschien er in seinem ganzen Ritterornat, ebenso an seinem eigenen Namenstag sowie dem des Papstes. Dazu ließ er bisweilen einen Capuzinermönch von Königshofen (im Grabfeld) kommen, der sich dann mehrere Tage lang auf der Langen Bahn aufhielt. In seinem Wohnzimmer sah man übrigens kein Heiligenbild, in seiner Hand nie einen Rosenkranz oder ein Brevier.

Gegen alles Erwarten verbreitete sich wenige Jahre später in Schleusingen das Gerücht, der Comthur sei Willens, die Lange Bahn für immer zu verlassen. Und so geschah es auch. Er zog von da weg und ist noch nicht in der Mitte der vierziger Lebensjahre stehend im Elsaß, wie man erzählte, in Folge von Schlagflüssen gestorben. Um dieselbe Zeit wurde die Lange Bahn vom Staat eingezogen und zum Staatsgut geschlagen. Die Gebäude wurden sammt und sonders abgebrochen, Alles der Erde gleich gemacht, das ganze Ackerland hörte als solches auf, es wurde mit Tannensamen besäet und mit Tannenpflanzen bepflanzt. Von der ehemaligen Langen Bahn sind gegenwärtig kaum noch einige Spuren aufzufinden. Ein hochragender Tannenwald ist an die Stelle des letzten Johannitersitzes getreten.

Alle Poesie ist ursprünglich Volkspoesie. Das Volk lebt mit ganzer Seele in dem Kreise des Wunderbaren, nicht allein der Märchen, sondern auch des Ritterlichen. Es müßte nun wunderlich zugehen, wenn der Ritter von Andlau auf der Langen Bahn für immer verschollen wäre. Nein! das ist er nicht, er lebt im Munde des Volkes noch fort. Schon bald nach seinem Tode läßt das dichterische Volk des Ritters Geist auf der Langen Bahn umgehen, besonders zur Zeit der zwölf heiligen Nächte. Man hört ihn da reden und rufen, man hört das Wiehern und Stampfen seines Pferdes, die ganze Lange Bahn scheint wiedererstanden zu sein. Auch der Geist eines Waldfräuleins, einer früheren Geliebten des Ritters, erscheint von Zeit zu Zeit in einem weißen Schleier, weinend, rufend, die Arme ausstreckend. Ja, die Lange Bahn ist verödet, verschwunden, der Ritter aber lebt noch fort.