Der Peterspfennig sonst und jetzt

Textdaten
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Autor: F. H.
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Titel: Der Peterspfennig sonst und jetzt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 637–638
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Peterspfennig sonst und jetzt.

Mit Abbildung.

Im Dominicanerkloster zu Leipzig starb vor nun gerade vierthalbhundert Jahren, also schon zwei Jahre nach dem großen Thesenanschlag von Wittenberg, der Mönch, welchem unter den Tausenden von päpstlichen Ablaßpredigern das Loos gefallen ist, einen Namen von der unbeneidetsten Unsterblichkeit davon zu tragen. Es ist bemerkenswerth, daß dieser Johann Tetzel in seiner Person das damalige Pfaffenwesen leider nur allzu vollständig repräsentirte. Wir dürfen dem freundlich gemischten Kreis unserer Leser gar nicht zumuthen, sich vor ein wahres, unverschleiertes Bild des Lebens und Treibens der Geistlichen und besonders der [638] Mönche und Nonnen in dem Jahrhundert vor der Reformation führen zu lassen; man wird selbst in der Einsamkeit an seinem Arbeitstisch schamrot, wenn man in den Geschichtsbüchern über jene Zeit die Schilderungen von Lasterausbrüchen lesen muß, deren Scheußlichkeit über alle unsere Begriffe geht. Daß die Nonnen zu Sonnenfeld bei Koburg ihre Priorin davon jagten, weil diese die nächtlichen Liederlichkeiten derselben nicht mehr leiden wollte, gehört nicht einmal zu den seltenen Nachrichten; aber auch daß die Würzburger Bürger während des Bauernkriegs sich weigerten in’s Feld zu ziehen, weil dann ihre Frauen und Töchter vor den Pfaffen ihrer Ehre nicht sicher wären, auch Das steht zwischen den zahllosen schlimmeren Berichten aus jenen Tagen noch ziemlich harmlos da.

Zu den schlimmsten Sündern dieser Sorte gehörte Tetzel. Sah sich doch Kaiser Maximilian sogar genöthigt, ihn zum Tode durch Ersäufen zu verurtheilen, weil er in Innsbruck sich so schwer gegen das sechste Gebot vergangen hatte. Nur die Fürbitte des sächsischen Kurfürsten, Friedrich’s des Weisen, rettete ihm das Leben. Zur ewigen Haft begnadigt, saß er in dem Thurm am Grimmaischen Thor zu Leipzig. Wahrscheinlich gelang es seinen hohen Gönnern, dem Bischof von Merseburg, dessen Ablaßprediger er wegen seiner bedeutenden Beredsamkeit geworden war, und dem Kurfürsten von Mainz, der ihn sogar zu seinem Inquisitor haereticae pravitatis (Ketzerei-Ankläger) ernannt hatte, ihn wieder auf freien Fuß zu setzen, denn er trieb plötzltch seinen Bettlerberuf als Ablaßkrämer in Meißen und der Lausitz noch unverschämter, als er zuvor gethan, und gab dadurch die Veranlassung zu Luther's weltgeschichtlicher That.

Wie das ruchlose Leben der meisten Pfaffen, so war auch der Ablaß längst eine Ursache tiefer Entrüstung im Volk, nur daß Niemand der allmächtigen Kirche gegenüber den Muth hatte, dem Kinde den rechten Namen laut und öffentlich zu geben. Die schlauen heiligen Väter in Rom betrauten mit diesem Seligkeitsschacher die Bettelmönche, weil diese am besten mit dem Volke zu verkehren wußten, und demgemäß verwandelte sich die Sache in pure Marktschreierei und in Possenspiel. Bald suchte ein Ablaßkrämer den andern an plumpem und gottlosem Witz zu übertreffen. So führte ein Mönch Iselin in Schwaben, wie W. Menzel in seiner „Geschichte der Deutschen“ erzählt, eine Feder mit sich, von der er vorgab, sie sei aus dem Flügel des Engels Michael. Als ihm diese Feder zu Aldingen zufällig verbrannte, ließ er sich von der Wirthin einen Büschel Heu aus dem Stalle holen und kündigte sogleich dem herbeigerufenen Landvolk an, dieses Heu sei aus der Krippe Jesu von Nazareth, und wer es nicht glaube, sei ein Ketzer. Da kniete die Wirthin selber nieder und küßte ihr eigenes Heu als eine heilige Reliquie. Ein anderer Ablaßkrämer, Samson, rief zu Baden in der Schweiz den Käufern: ecce volant („Seht, sie fliegen!“, nämlich die erlöseten Seelen) zu, während ein Schalk ein Kissen voll Bettfedern auf dem Kirchthurm ausschüttete. Da war freilich die Lust groß! Ein Söldnerführer erhielt für einen schönen Hengst Ablaß nicht nur für sich, sondern auch für seine fünfhundert Soldaten. – Tetzel führte ein Bild mit sich herum, auf welchem der Teufel dargestellt war, wie er die armen Seelen im Feuer quält, und auf seinen Geldkasten setzt der Volkswitz den Vers. „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt.“ Sein Treiben ging in’s Unfläthige und seine Frechheit in’s Entsetzliche: um einen Ducaten gab er Ablaß für Vater- und Muttermord! –

Wäre das Volk nicht viel besser gewesen, als die Pfaffen, wie hätte diese „römische Gnad“, wie es den Ablaß hieß, sittenverpestend wirken müssen! Die richtige Einsicht lebte schon im Volk, ehe Luther ihr das rechte Wort verlieh, indem er es aussprach, daß der sogenannte Stellvertreter Gottes auf Erden eben deshalb sein Amt nur auf Erden zu verwalten und Nichts im Himmel zu befehlen habe, wo der Herrgott allein herrsche. Gegen die große Beutelschneiderei des Ablaßkrams empörte sich zuerst der Patriotismus. Ein Reichsbeschluß von 1500 bestimmte, daß von den großen Summen, die für Ablaß bezahlt würden, nur ein Drittel dem Papst zufließen und zwei Drittel beim Reichsregiment bleiben sollten, um gegen die Türcken verwendet zu werden. Friedrich von Braunschweig wagte es sogar, dem Legaten Marinus die volle Casse abzunehmen; kurz, man sah im Ablaß einen schmählichen Tribut, welchen Deutschland den Italienern zahlen müsse.

Es gereicht jener Zeit vor der Reformation zur Ehre, daß man nur aus Scheu vor der Kirche sich nicht zur Wehr gegen den Ablaß setzte, sondern daß man ihn offenbar mehr aus Furcht vor der Pfaffenrache, als aus Dummheit kaufte.

Wie verhält sich in dieser Beziehung das heutige Deutschland zum Peterspfennig? Ablaß und Peterspfennig sind so nahe Verwandte, daß sogleich einer an den andern erinnert, namentlich wenn man so auffällig an beide gemahnt wird, wie dies durch das ultramontane Treiben in unserer Gegenwart geschieht. Diese Verwandtschaft hat offenbar auch unsern Künstler geleitet, als er sich daran machte, gerade jetzt vor den Augen der Zeitgenossen jenen Leipziger Dominicaner vorüberziehen zu lassen, hoch zu Roß über seinem Ablaßgeldkasten, mit Chorsängern und heiligen Fahnen voran, im Gefolge und um sich das Volk, das von dem der Gegenwart, trotz der vierthalbhundert Jahre voll großartiger Fortschrttte, geistig so wenig übertroffen, ja kaum erreicht wird. –

Auch die Tetzel sind wieder auferstanden, nur daß sie nicht in den Ländern umherstreifen, sondern, bequemer als jener betriebsame Mönch, den Opferkasten in den Kirchen aufstellen und die Bettelpredigten eindringlicher im Beichtstuhl halten.

„Ora et labora!“ - „Bete und arbeite!“ - Das ist der Spruch, welcher, zum Segen der Menschheit, niemals hätte getheilt werden sollen. Die Menschen lebten ihres Glaubens froher, als sie noch, wie das Arbeiten, auch das Beten selbst besorgten. Von dem Augenblick an, wo ein besonderer Stand die erste Hälfte des Spruches allein übernahm und dem Volke die andere Hälfte ebenfalls allein überließ, ist unsägliche Trübsal über die Welt gekommen. Und so lange es noch Kutten giebt, sterben auch die Tetzel nicht aus.

F. H.