Der Dichter in der Noth W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Der erzürnte Musiker
Der Chor
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Der erzürnte Musiker.
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DER ERZÜRNTE MUSICUS.
THE ENRAGED MUSICIAN.

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Der erzürnte Musiker.


(The Enraged Musician.)




Das Gegenstück zum geduldigen Poeten bietet Hogarth in dem wüthenden Fiedler. Der arme Barde war bei seiner Armuth mit dem Besitz seiner Muse zufrieden, und schien sich außerdem um die Außenwelt nicht viel zu bekümmern. Nicht so sein Camerad in der göttlichen Kunst, ein italienischer Geiger. Dieser ist übrigens in durchaus anderer Lage. Die Fashion hat ihn gehoben, denn damals wie jetzt war die italienische Musik ein Modeartikel, welcher von den aristokratischen Classen wenigstens sehr theuer bezahlt wurde. Des Maëstro Adagio’s und Forte’s haben ihm einen betreßten Rock, feine Wäsche und modische Perrücke eingetragen. Wahrscheinlich wollte er einem Edelmanne Unterricht ertheilen, wartete vorerst im Vorzimmer, und stimmte sein Instrument, als er einen ärmeren Virtuosen der Clarinette, ein Mittelding zwischen Mensch und Affen, auf der Straße vernahm, dessen Melodieen mit den seinigen wahrscheinlich nicht in Harmonie standen. Er öffnete das Fenster, um diesen zum [664] Schweigen zu bringen, fährt aber erschreckt und wüthend mit einer natürlichen Bewegung zurück, indem er sich die Ohren zuhält. Es ertönt plötzlich ein Lärm, in welchem man alle nur möglichen Töne sogar im Anschauen des Blattes vernehmen kann; englische Erklärer sagen nämlich nicht mit Unrecht: Es betäubt, wenn man es ansieht (it deafen’s one to look at it).

Vorerst sind die lieblichsten der sogenannten London cries vor dem Fenster vereint: ein Kehrichtsammler (Dustman) schreit aus: Dust ho! Dust ho! (Staub ho! Staub ho!), und läutet dabei seine Glocke; hinter ihm bietet ein Fischer seine Butten (flounders) mit einer Stentor-Stimme und mit einer eigenthümlichen Dehnung im Tone feil Flounda-a-a-a-rs! Ein Schweinschneider zu Pferde bläst mit besonderer Energie sein Horn; ein Pflasterer schwingt sein schweres Instrument, und läßt bei jedem Stoße den Ruf Ho (Haugh) ertönen; eine Schönheit vom Lande schreit im schärfsten Discant ihre Milch aus, Mi-i-i-u-lk (Milk) oder Belo-u-u-u-w (below). Außerdem wetzt ein Scherenschleifer das breite Hackemesser eines Schlächters mit solcher Gewalt, daß die Funken davon fliegen; die gellen Töne dieser Procedur erscheinen einem Hunde so lieblich, daß er mit seinem Geheul accompagnirt. Ein kleiner Franzose, an der Kleidung zur Genüge kennbar, rührt die Trommel und schreit dabei. Ein kleines Mädchen bewegt die Klapper, und ein Knabe, der sich übrigens auf der Straße wenig genirt, schleift einen schweren Ziegelstein hinter sich her. Beide haben gespielt; ein zerbrechliches Haus ist von ihnen erbaut worden, welches bald, durch Vorübergehende umgeworfen, den Lärm erhöhen wird, indem es die Schimpfreden der Kleinen und vielleicht die Antwort verursacht. Ireland erklärt übrigens, dies Haus sei durch ein besonderes Kinderspiel veranlaßt, und sagt hierüber: Dergleichen Häuser wurden von Orangenverkäuferinnen für Kinder errichtet, die eine Kugel hindurch rollen durften, wenn sie eine Kleinigkeit erlegt hatten. Rollte die Kugel hindurch, ohne die Wände zu treffen, so erhielten die Kinder eine Orange. Auch hält das kleine Mädchen auf einigen Abdrücken eine Kugel, die jedoch eben so wenig, wie die von den Kindern gepflanzte Allee, mit der Musik zu thun haben wird. – Neben dem kleinen [665] Mädchen steht eine zerlumpte und bettelnde Balladensängerin, welche mit ihrem schreienden Kinde ihren Antheil zum Concerte beiträgt, denn sie singt in kläglichen Tönen den Fall der Dame von Stande (The lady’s fall), vielleicht ihren eigenen. Ueber ihr stimmt ein Papagei mit ein.

Die Disharmonie ist aber noch nicht zu Ende. Dem Hause gegenüber, worin der arme Italiener gequält wird, wohnt ein Kupferschmied (Pewterer), dessen Hämmer sicherlich den Takt zu dem Concerte schlagen. Auf dem Dache desselben wehklagen zwei Katzen, und ein Schornsteinfegerjunge accompagnirt. Endlich läuten die Glocken auf dem Thurm im Hintergrunde bei einer festlichen Gelegenheit, welche die aufgesteckte Fahne andeutet. Der Thurm bezeichnet übrigens die Gegend der Stadt, in welcher dies merkwürdige Concert gehalten wird. Es ist der Thurm der S. Martins-Kirche, und die Gegend der Stadt S. Martin’s lane.

Der Aerger des armen Italieners ist aber noch nicht zu Ende; er kann noch erhöht werden, wenn der Maëstro um die Ecke sieht. Dort hängt nämlich der Anschlagzettel zur zweiundsechzigsten Vorstellung von Gay’s berühmter Bettleroper (Beggars opera), von der man sagte: sie habe den Verfasser Gay reich (rich) und den Theaterdirector Rich (reich) fröhlich (gay) gemacht. Diese Oper wird den Sohn Ausoniens kränken; sie enthält nämlich barbarische Musik, d. h. englische Volkslieder nach einfachen Melodieen, anstatt italienischer Canzonen, worin Castraten die hohe Kunst der Läufe und Triller offenbaren. Ein Signor, der herüber gekommen ist, die englischen Barbaren in der Musik zu cultiviren, muß jenen Erfolg der Bettler-Oper bitter beklagen. – Auf dem Zettel stehen neben den Namen der Personen im Stück die von damaligen Schauspielern in Drurylane. Diese sind jetzt vergessen, mit Ausname der Miß Fenton, deren Andenken sich dadurch erhalten hat, daß ein Peer des Reichs, der Herzog von Bolton, sie zu seiner Gemahlin wählte, ein Fall, der sich bekanntlich hinsichtlich der Schauspielerinnen öfter wiederholte.

Die Idee zu dieser Composition soll nach Ireland ein gewisser Musiklehrer Festin dem Künstler dadurch angegeben haben, daß er ihm folgende Anecdote von sich selbst erzählte: Als ich Herrn N. des [666] Morgens neun Uhr eine Stunde geben wollte, lag dieser noch im Bett. Ich trat in’s Zimmer, öffnete ein Fenster, und setzte mich nieder. An dem Eisengitter vor dem Hause stand ein Mensch, und spielte die Clarinette. Ein Kerl mit einer Karre voll Zwiebeln bot ihm eine derselben an, wenn er eine Melodie spielen wolle; nachdem diese beendet war, bot er ihm eine zweite für eine zweite Melodie, alsdann eine dritte. Dies war für mich zu viel; ich ärgerte mich bis in das Innerste meiner Seele. T...... rief ich aus, halt ein. Dieser Kerl entehrt meine Profession; er spielt die Clarinette um Zwiebeln. –

Hogarth gab den erzürnten Musiker unmittelbar nach dem Dichter in der Noth heraus, und beabsichtigte auch einen Maler in ähnlicher Stimmung darzustellen, um das Trio der schönen Künste zu vervollständigen. Er veruneinigte sich jedoch mit dem Besteller des letzteren Gemäldes, und die Ausführung der Idee unterblieb.