Das lachende Parterre W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Der Dichter in der Noth
Der erzürnte Musiker
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Der Dichter in der Noth.
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DER DICHTER IN DER NOTH.
THE DISTRESSED POET.

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Der Dichter in der Noth.


(The distrest poët.)




Die hier dargestellte Familienscene wiederholt ein altes aber dennoch ewig neues Thema, die Armuth der Poeten, und zwar in einer Dachstube, wo Dürftigkeit, mit Unordnung gepaart, sowohl die Beschäftigung als das Genie des Familienhauptes andeutet. Der Priester des Apollo, wie ihn Hogarth hier zeichnet, ist wohl kein heruntergekommener Gentleman, der nach dem Verlust seines Vermögens zur Feder greift, sondern ein armer Teufel, der als Lehrbursche oder Kaufmannsdiener dem Drange des Genie’s nicht widerstehen konnte, um den Pfad zum Helicon und zum Ruhme emporzuklimmen. Für’s Erste wird er noch von der Welt verkannt; mit sich selbst scheint er jedoch vollkommen zufrieden, und wiegt sich wahrscheinlich in Träumen zukünftiger Schätze. Letztere bieten wenigstens den Stoff zu seiner poetischen Begeisterung, denn das Werk, welches er, auf einem Bette sitzend, unter der Feder hat, führt den Titel: Reichthum (riches a poëms), mit dessen Mißbrauch [658] er wohl noch gar nicht bekannt ist, und dessen Gebrauch ihm eben so wenig bisher Sorge gemacht hat. Gleichsam als Sattel, worauf er den Pegasus reitet, liegt vor ihm ein Reim-Lexicon in Byshee’s art of poëtry (Dichtkunst); ein anderes Hilfsmittel zu dem Werke, welches ihm Unsterblichkeit verschaffen soll, hängt an der Wand; es ist eine Charte der unerschöpflichen peruanischen Goldminen (a view of the goldmines in Peru), damals übrigens für Andere, wie Spanier, ein vollkommenes Geheimniß, und somit auch ein Product der Poesie, wie die eben erwähnten Reichthümer. Vor dem Fenster steht ferner ein Mittel, Tiefe der Gedanken zu erschaffen in einer Pfeife mit Taback; auf dem Boden liegt ein Beweis vom Verdienste des Poeten im Grubstreet journal, einem damaligen, nur von dem niederen Volke gelesenen Blatte. Er ist also ein sogenannter Penny-a-liner, d. h. ein Mitarbeiter an der Tagespresse, dessen Thätigkeit so hoch geschätzt wird, daß er von den Herausgebern der Zeitungen einen Penny für die Zeile erhält. – Seine Kleidung, ausschließlich ein Schlafrock, ist für den Augenblick etwas mangelhaft; ihr fehlt ein Hemd, wenn auch nur ein halbes, welches mit einem Paar Manschetten mittlerweile am Kamin getrocknet wird, damit er in sauberer Wäsche als Gentleman später ausgehen kann. Daß er aber als solcher gelten will, beweist auch der auf dem Boden liegende Degen, zu Hogarth’s Zeiten das nothwendigste Erforderniß für einen Jeden, welcher auf den Namen Anspruch machen wollte.

Während er Verse spinnt, begegnet ihm ein Unglück. Eine Idee oder ein Reim geht ihm verloren. Die Milchfrau ist nämlich eingetreten, hält der Frau des Poeten ein ziemlich langes und gefülltes Kerbholz hin, und verlangt mit einer vielleicht sehr schrillen Stimme ihre endliche Bezahlung. Darüber wird des Dichters Kind aus dem Schlaf geweckt, und vermehrt durch sein Geschrei ein wahrscheinliches Concert von drei Stimmen. Somit wird die Gedankenkette unterbrochen. Er fährt bedenklich mit der Hand hinter’s Ohr, allein ohne Erfolg, denn diese wird wohl nur an einem leeren Schädel kratzen. – Ein zweites Unglück, das er freilich wohl noch nicht bemerkt, kommt in dem Augenblick hinzu. Ein Hund schleicht sich während dessen zur Thür hinein, und stiehlt dem [659] Poeten das letzte morceau de resistance in einer halben vom gestrigen Tage aufbewahrten Hammelskeule.

Die Frau des Dichters, welche denjenigen Theil der Beinkleider ihres Mannes flickt, worin die Reichen ihr Gold zu tragen gewohnt sind, ist vom Künstler in anderer Art dargestellt, wie dies sonst hinsichtlich des schönen Geschlechts bei ihm der Fall zu sein pflegt. Ihr Gesicht wird durch sanften Ausdruck interessant, wie dieser durch Ergebung in Mißgeschick bei häuslichen Sorgen bewirkt wird. Sie muß jedoch das Genie ihres Mannes einigermaßen theilen, denn die Unordnung im Zimmer ist bedeutend. Auf dem fashionablen Rocke des Poeten ruht eine Katze, und säugt ihre Jungen; allerlei Geräth ist in dem Zimmer zerstreut, und liegt eben an Orten, wohin es sicherlich nicht gehört. Besen und Wischlappen, Kleiderlappen zum Flicken u. s. w. sind im Zimmer unter Manuscripten und dem übrigen auf dem Boden ruhenden Eigenthume zu erblicken. Der Schüssel mit der halben Hammelskeule gehörte auch eben so wenig ein Platz auf dem Sessel an der Thür, wie dem sicherlich leeren Porterkruge auf dem Stuhl am Kamin. Auf dem Kaminsims liegt ferner ein Buch, und darauf ein Brod, mit einem Thee-Apparat und einem Saucentopf an den Flanken. Die Höhe dieser Pyramide bildet kein Küchengeräth, sondern ein hölzerner Apparat zur Aufbewahrung von Schönpflästerchen, Pommade u. s. w., wie er bei der damaligen Mode gewöhnlich war.

Noch andere Zuthaten zu dem Bilde stimmen mit der Dachkammer, worin der Poet über den Pöbel erhöht ist, überein. In dem Kamin dient ein zerbrochener Stoßdegen, welcher einem Stutzer des höchsten Grades bei der damaligen Kleidung zur Zierde gereicht haben mag, für den Augenblick als Feuerproker; der Schrank, worin andere Leute die übrig gebliebenen Speisen verwahren, steht offen, und ist gänzlich leer. Die Garderobe der Dame vom Hause wird in keinem Schranke verwahrt, sondern hängt einfach an der Wand, und wird durch einen Mantel verdeckt, welcher die wahrscheinliche Aermlichkeit dem Blicke entzieht. – Hinter dem Tische des Poeten steht endlich ein sehr prosaisches Geräth, ein Waschzuber, worin ein weiteres Erforderniß [660] für einen Gentleman, ein paar seidene Strümpfe, gereinigt wurden. Der eine Strumpf hängt noch über dem Rande hervor.

Das Original-Gemälde befindet sich gegenwärtig im Besitze des Marquis von Westminster, und hängt in der berühmten Gallerie desselben zu London, welche mit dem Familiennamen dieses Peers als die Grosvenor-Gallery bezeichnet wird. Waagen stellt das Bild in malerischer Hinsicht sehr hoch, und sagt darüber: Die Behandlung ist geistreich, die Harmonie der gebrochenen aber saftigen Farben und ein mäßiges Helldunkel sehr glücklich... Dies Urtheil bietet, nebst einem anderen über die Modeheirath, welches bereits in der Biographie Hogarth’s erwähnt wurde, einen Gegensatz zu dem Urtheile Walpole’s, welcher das künstlerische Verdienst Hogarth’s als Maler in Behandlung der Farben u. s. w. in Zweifel stellt.