Der erste preußische Seesieg

Textdaten
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Autor: G. Z.
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Titel: Der erste preußische Seesieg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 878, 879
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der erste preußische Seesieg.[1]

Havanna, Insel Cuba, an Bord Sr. Maj. Kanonenboot „Meteor“ 11. November 1870.

In Folge einer Proclamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten, nach welcher Kriegsschiffe der Kriegführenden nur vierundzwanzig Stunden lang in einem amerikanischen Hafen verweilen dürfen, verließ das Kanonenboot „Meteor“ am 6. November die Rhede von Key West, eines südlich von der Halbinsel Florida liegenden Eilandes. Wir dampften, nach der Havanna, indem wir glaubten, dort einige Sachen vorzufinden, die uns von Deutschland nachgesandt worden waren. Am nächsten Morgen schon trat die Insel Cuba in Sicht, und zehn Uhr Vormittags liefen wir in ihren Haupthafen, einen der schönsten und sichersten der Welt.

Eine Stunde später dampfte auch das französische Kanonenboot „Bouvet“ herein. Unsere Ueberraschung war um so freudiger, als wir bis jetzt vergeblich eine Gelegenheit ersehnt hatten, uns thatsächlich an dem ausgebrochenen Kriege zu betheiligen.

Der „Bouvet“ ist bedeutend größer als der „Meteor“; er führt neun Geschütze und hundert bis hundertzwanzig Mann Besatzung, wir hatten nur drei Geschütze und zweiundsechszig Mann an Bord. Noch mehr aber – und dies ist überhaupt der größte Vortheil, den ein Schiff nur haben kann – war er uns durch seine Schnelligkeit überlegen; die Stärke seiner Maschine gestattete ihm, elf bis dreizehn Seemeilen zu machen, während wir nur sechs eine halbe Seemeile in der Stunde laufen.

Trotzdem aber verließen wir Nachmittags ein Uhr den Hafen und sandten dem „Bouvet“ eine Herausforderung zum Gefecht. Gleichzeitig mit uns ging ein französischer Postdampfer hinaus, kehrte aber schleunigst um, da er glaubte, wir wollten ihn nehmen. Dies lag jedoch durchaus nicht in unserer Absicht, da ja nach Allerhöchster Cabinetsordre feindliches Privateigenthum zur See unantastbar ist. Der einzige Grund unseres Auslaufens war, den „Bouvet“ zu engagiren. Dieser kam jedoch nicht, und nachdem wir vier Stunden vergeblich auf ihn gewartet hatten, gingen wir wieder in den Hafen zurück.

Am nächsten Tage ein Uhr Mittags verließ das feindliche Schiff seinen Ankerplatz und ging in See. Zu gleicher Zeit erhielten wir nach seerechtlichem Gebrauche durch den Adjutanten des General-Gouverneurs von Cuba die Weisung, nicht eher als vierundzwanzig Stunden später den Hafen zu verlassen, und privatim die Nachricht, daß der „Bouvet“ uns am andern Tage draußen erwarten würde. Wahrscheinlich hatte er Tags vorher auf Grund einer gleichen Weisung unserer Aufforderung nicht sofort Folge geben können. Am Nachmittage kamen viele hier ansässige Deutsche an Bord, um uns Glück und Erfolg für den nächsten Tag zu wünschen.

Am 9. November Morgens sieben Uhr verkündeten die Signale eines spanischen Forts, daß Schiffe im Ansegeln seien. Wir waren noch immer im Glauben, daß der Franzose das Weite gesucht habe; da wehte plötzlich der französische Wimpel, blau-weiß-roth, von der Signalstation des Hafens, ein Zeichen, daß ein französisches Kriegsschiff in Sicht sei. Wir jauchzten vor Freude, nun wahrscheinlich doch noch mit dem Feinde zusammenzutreffen.

Mittags drei Viertel auf ein Uhr ging das Signal, das so lange geweht hatte, herunter; der Franzose war wieder außer Sicht. Wir mußten bis ein Uhr warten, da erst dann die vierundzwanzig Stunden abgelaufen waren. Zwei spanische Kriegsschiffe hatten ebenfalls Dampf auf, um bis zur Neutralitätsgrenze mit hinauszugehen und das Gefecht zu beobachten; zu dem gleichen Zwecke schifften sich spanische und englische Officiere ein. Ganz Havanna pilgerte nach dem Strande, alle Geschäfte waren geschlossen.

Punkt ein Uhr warfen wir unsere Befestigungen los und passirten eine Viertelstunde später die Forts, welche am Ausgange des Hafens liegen. Eine unabsehbare Menschenmenge hatte sich dort versammelt, Hunderte von Booten, mit Zuschauern schwer beladen, schwammen auf dem Wasser; überall wünschte man uns Glück und wehte mit weißen Tüchern. Nun wurde an Bord Generalmarsch geschlagen und wir machten „klar zum Gefecht“. Von dem „Bouvet“ war nichts zu sehen. Da plötzlich wehte das frühere Signal wieder auf dem Fort, er war also wiederum in Sicht. Um halb zwei Uhr erblickten wir am Horizont eine dunkle Rauchwolke und bald darauf auch die Masten unseres Gegners. Mit voller Kraft dampften wir auf ihn zu. Die beiden spanischen Kriegsschiffe, von denen eines den spanischen Admiral an Bord hatte, folgten uns.

Um zwei und ein Viertel Uhr, als wir uns dem Franzosen bis auf ungefähr viertausend Schritte genähert hatten, feuerte dieser den ersten Schuß ab. Das Geschoß ging über uns hinweg. Sechs Granaten, von denen keine traf, waren bereits nach uns geworfen, als wir auf zweitausendfünfhundert Schritte den ersten Schuß abgaben. An allen Masten, wurde die norddeutsche Flagge [879] gehißt. Die Fahrzeuge legten sich nun einander gegenüber und ungefähr eine Stunde lang wurde Breitseite auf Breitseite gewechselt; sie schienen aber beiderseits nicht zu wirken. Ich stand am Ruder und konnte das französische Kanonenboot recht gut beobachten. Die See war ziemlich unruhig, beide Schiffe schwankten daher bedeutend, und hierdurch wurde das genaue Zielen und richtige Abkommen sehr erschwert.

Um das Verständniß des Folgenden zu erleichtern, seien hier einige kurze Erklärungen vorausgeschickt. Vom Hintertheil eines Schiffes nach vorn blickend, hat man rechts Steuerbord, links Backbord. Die Masten heißen der Reihe nach vom hintersten beginnend: Besan-, Groß- und Fockmast; sie bestehen aus mehreren übereinander gestellten Stücken, deren erstes stärkstes einfach Mast oder auch Untermast, die übrigen Stangen genannt werden. Wanten sind starke Taue, welche vom obern Ende des Untermastes in sich nach beiden Seiten spreizen und straffgezogen den Mast vor dem Ueberfallen bewahren. Der Bug ist vergleichsweise die Brust des Schiffes, mit welcher es sich den Wellen entgegenwirkt. Er verjüngt sich zum Vordersteven, die vom Kiel ansteigende aus starken Balken gezimmerte und sehr feste vorderste Begrenzung des Schiffskörpers, welche also gewissermaßen das Brustbein vorstellt. –

Unser Capitain-Lieutenant Knorr beabsichtigte nun, bis auf fünfhundert Schritte an den Feind heranzugehen, und steuerte voll Dampf aus ihn zu. Auch Letzterer zeigte uns seinen Bug und kam uns entgegen; er glaubte jedenfalls, wir hätten die Absicht, ihn niederzurennen oder zu entern. Um diese Zeit verlor ich den „Bouvet“ für einige Minuten aus den Augen, da ich auf das Ruder achten mußte und auch nach vorn kein freies Gesichtsfeld hatte. Die Entfernung zwischen beiden Schiffen verringerte sich mit rasender Schnelligkeit.

„Tausend Schritte!“ hallte der Befehl für unsere Geschützecommandeure und dann immer kurz aneinander: „Achthundert, – sechshundert, – vierhundert Schritte!“ Mir kam dies sehr unheimlich vor. Ich stieg einen Augenblick auf die Ruderwelle und gewahrte dicht vor uns das feindliche Schiff, seinen scharfen Bug auf uns gerichtet und mit ungefähr zwölf Meilen Fahrt auf uns anfliegend. Bewaffnete Matrosen hingen in der Takelage und zeigten sich überall an seinem Deck. –

„Klar zum Entern an Backbord!“ kam bei uns das Commando. Da im kritischen Augenblick etwas – das Steuerreep – an unserem Ruder brach, und der Feind uns an Schnelligkeit sehr überlegen war, gelang es nicht, unser Kanonenboot so weit abfallen zu lassen, daß er frei an uns vorüberschoß, und so traf er mit seinem Vordersteven unseren Schiffskörper etwas vor dem Großmast, glücklicherweise aber nur unter einem sehr spitzen Winkel. Ein heftiger Stoß, dem ein grausiges Krachen folgte, erschütterte den „Meteor“. Unser Groß- und Besanmast, viel schwächer als die des Franzosen, brachen zusammen und gingen über Bord. Der um Bug befestigte Rüstanker des „Bouvet“ hatte unsere Backbord Großwanten gefaßt und losgerissen; der auf dieser Seite so plötzlich seines Haltes beraubte Großmast stürzte nach der Steuerbordseite und nahm den Besanmast mit sich. Zwei Boote, Kutter und Gig, welche am Backbord hingen, wurden durch den Zusammenstoß selbst, ein drittes, die an Steuerbord hängende Pinasse, durch den fallenden Großmast zertrümmert.

Während dieses kurzen Vorganges wurde von beiden Seiten mit Gewehren geschossen, außerdem warfen die Franzosen von den Masten Handgranaten auf uns. Bei diesem in nächster Nähe geführten Gefechte hatten wir zwei Todte und einen Verwundeten. Der Stellermann Carbonnier, welcher neben dem Befehlshaber auf der Commandobrücke stand, erhielt drei Chassepotkugeln und war nach wenigen Augenblicken eine Leiche. Der Matrose Thomson wurde durch einen Granatsplitter, welcher sein ganzes Gehirn hinwegriß, getödtet. Ein Dritter wurde durch eine Chassepotkugel im Kopfe verwundet, die Doctoren haben jedoch Hoffnung, ihn durchzubringen. An ein Entern war nicht zu denken, denn das feindliche Schiff glitt schnell vorüber und befand sich bald sechs- bis achthundert Schritte hinter uns. Es war bereits im Umdrehen begriffen, um uns, die wir unsere Maschine augenblicklich nicht gebrauchen konnten, da die Takelage des Großmastes sich in der Schraube verfangen hatte, womöglich von der Steuerbordseite durch einen neuen Anlauf in den Grund zu bohren. Aber wir kehrten, so schnell es eben unter so mißlichen Umständen geschehen konnte, dem Feinde die Breitseite zu und unsere Geschütze gaben Feuer. Jeder Schuß traf. Die erste Granate fegte über sein Deck und muß daselbst crepirt sein; die zweite schlug in sein Hintertheil und barst in der Kajüte des Commandanten; die dritte, endlich, ein Hauptschuß des gezogenen Vierundzwanzigpfünders, ging ihm mitten in’s Herz. Sie schmetterte in die im innersten Raume geschützte Maschine und sprengte die Kessel.

Im Nu war der „Bouvet“ in eine mächtige Dampfwolke gehüllt; er schien zu brennen. Ein kräftiges freudiges Hurrah erschallte von den Lippen aller der Unsrigen. Wie schade war es, daß wir unsere Maschine noch nicht angehen lassen konnten, um den „Bouvet“, der schleunigst Segel setzte und mit günstigem Winde nach dem Hafen abhielt, zu verfolgen und ihm den Rest zu geben. Wir feuerten ihm, nachdem wir unsere Geschütze von dem verworrenen Tauwerk, welches auf sie gestürzt war, befreit hatten, noch einige Kugeln nach, von denen eine noch eine am Heck hängende Rettungsboye hinwegriß. Es war halb vier Uhr, als ein Schuß vom spanischen Admiralschiff fiel, zum Zeichen, daß der flüchtende Franzose die Neutralitätsgrenze überschritten habe. Darauf stellten wir unser Feuer ein. Die Granate, welche so rechtzeitig in die Maschine des „Bouvet“ fuhr, rettete uns aus großer Gefahr und verschaffte uns zugleich den Sieg.

Nachdem unsere Schraube klar gemacht worden war, dampften auch wir dem Hafen zu; als wir an den spanischen Kriegsschiffen vorüberliefen, erkundigte sich der Admiral, wie viel Todte und Verwundete wir hätten. Nach ungefähr einer Viertelstunde hatten wir die Forts erreicht. Dieselbe Menschenmenge, wohl an die achtzigtausend Köpfe zählend, begrüßte uns an der Einfahrt des Hafens, wieder und immer wieder Hurrah und Victoria rufend. Den „Bouvet“, der sich von einem Schleppdampfer hatte in den Hafen bugsiren lassen, sollen nur Wenige so teilnehmend begrüßt haben. Wir ankerten nur eine Kabellänge von ihm. Kaum lagen wir fest, so umringten Hunderte von Böten unser Schiff oder besser unser jetziges Wrack: Deutsche, Spanier, Angehörige aller Nationen kamen an Bord, um sich unser Kanonenboot zu besehen und uns Glück zu wünschen zu unserem Siege.

Unsere deutschen Landsleute brachten Eis für den Verwundeten, welcher noch am Abend in das Lazareth gebracht wurde, wo, wie man uns versicherte, ihm die beste Pflege zu Theil werden würde. Ich war sehr ermüdet von den Anstrengungen des Tages, aber die angenehme Nachricht, daß sogar die Spanier und überhaupt ganz Havanna – natürlich mit Ausnahme der daselbst wohnendem Franzosen – uns als Sieger betrachteten, außerdem auch die schönen Havannacigarren, deutsches Bier und guter Wein, welche Sachen man uns massenhaft an Bord brachte, hielten mich wach. Bis elf Uhr Nachts blieben unsere Freunde an Bord und wir erfuhren von ihnen, daß die Franzosen fünf Verwundete an’s Land geschickt haben sollten, daß ihnen beim Sprengen der Kessel zwei Maschinisten total verbrüht waren und daß sie in See zwei Todte über Bord geworfen hatten. Ueber dieses unceremonielle Begräbniß ihrer Gefallenen wird noch eine Untersuchung angestellt werden, da es auf neutralem Gebiet geschehen ist. Außerdem hatte der „Bouvet“ von seinem Fockmast Bramstenge und Raa verloren. Seine Mannschaften sangen die Marseillaise und andere Lieder, wir aber verhielten uns ruhig, um unsere Todten zu ehren.

Am Morgen des 10. November wurden wir auf Befehl des Generalgouverneurs von Cuba von einem Dampfer nach den am Ende des Hafens liegenden spanischen Kriegsschiffen geschleppt. Bald klärte sich jedoch der Irrthum auf. Nicht der „Meteor“, sondern der „Bouvet“ sollte dorthin unter die Aufsicht der Spanier gebracht werden, und in Folge dessen wurden wir wieder an die andere Seite des Hafens bugsirt, wo wir uns vor Anker legten.

Später trafen wir unsere Vorbereitungen zu der Beerdigung unserer Gefallenen. Am Nachmittage fand dieselbe statt. Ein langer Zug, dem die Norddeutsche Flagge vorangetragen wurde, bewegte sich nach dem Friedhofe. In zwei prächtigen Leichenwagen wurden die Todten gefahren. Die Kosten des Begräbnisses, welche die hier ansässigen Deutschen tragen, belaufen sich auf ungefähr zweitausend Thaler; jedes Grab allein kostet fünf- bis sechshundert Thaler. Außerdem sammelten unsere Landsleute noch am selben Abend ungefähr zweitausend Thaler für die Hinterbliebenen der Todten. – So ehren unsere deutschen Brüder ihre gefallenen Helden im fernen Lande. G. Z.



  1. Wir verdanken die obigen Mittheilungen einem Freunde unseres Blattes, dessen Neffe den Kampf am Bord des „Meteor“ mitgemacht hat, und bringen den Brief des jungen Seemannes wörtlich zum Abdruck. D. Red.