Der blinde König (Uhland 1815)
Was steht der nord’schen Fechter Schaar
Hoch auf des Meeres Bord?
Was will in seinem grauen Haar
Der blinde König dort?
Auf seinen Stab gelehnt,
Daß über’m Meeresarme
Das Eiland wiedertönt:
„Gib, Räuber, aus dem Felsverließ
Ihr Harfenspiel, ihr Lied, so süß,
War meines Alters Glück.
Vom Tanz auf grünem Strande
Hast du sie weggeraubt,
Mir beugt’s das graue Haupt.“
Da tritt aus seiner Kluft hervor
Der Räuber, groß und wild,
Er schwingt sein Hünenschwerdt empor
„Du hast ja viele Wächter,
Warum denn litten’s die?
Dir dient so mancher Fechter,
Und keiner kämpft um Sie?“
Tritt keiner aus dem Reihn,
Der blinde König kehrt sich um:
„Bin ich denn ganz allein?“
Da faßt des Vaters Rechte
„Vergönn mir’s, daß ich fechte!
Wohl fühl’ ich Kraft im Arm.“
„O Sohn! der Feind ist riesenstark,
Ihm hielt noch Keiner Stand.
Ich fühl’s am Druck der Hand.
Nimm hier die alte Klinge!
Sie ist der Skalden Preis.
Und fällst du, so verschlinge
Und horch! es schäumet und es rauscht
Der Nachen über’s Meer.
Der blinde König steht und lauscht,
Und Alles schweigt umher;
Der Schild’ und Schwerdter Schall,
Und Kampfgeschrei und Toben,
Und dumpfer Wiederhall.
Da ruft der Greis so freudig bang:
Mein Schwerdt, ich kenn’s am guten Klang,
Es gab so scharfen Laut.“
„Der Räuber ist gefallen,
Er hat den blut’gen Lohn.
Du starker Königssohn!“
Und wieder wird es still umher,
Der König steht und lauscht:
„Was hör’ ich kommen über’s Meer?
„Sie kommen angefahren,
Dein Sohn mit Schwerdt und Schild,
In sonnehellen Haaren
Dein Töchterlein Gunild.“
Der blinde Greis hinab –
Nun wird mein Alter wonnig seyn
Und ehrenvoll mein Grab.
Du legst mir, Sohn, zur Seite
Gunilde, du Befreite,
Singst mir den Grabgesang.“