Der Zeisig
Ein Zeisig wars und eine Nachtigall,
Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hiengen.
Die Nachtigall fieng an, ihr göttlich Lied zu singen,
Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
„Den Vogel möcht ich wirklich sehn!
Der Vater macht ihm diese Freude,
Er nimmt die Vögel gleich herein.
Hier, spricht er, sind sie alle beide;
Getraust du dich, mir das zu sagen?
Der Sohn läßt sich nicht zweymal fragen,
Schnell weist er auf den Zeisig hin;
Der, spricht er, muß es seyn, so wahr ich ehrlich bin!
Drum singt er auch so schöne Lieder;
Dem andern sieht mans gleich an seinen Federn an,
Daß er nichts kluges singen kann.
Sagt, ob man im gemeinen Leben
Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben,
Der hat Verstand, so dumm er ist.
So hält man ihn auch schon für klug.
Wie vortheilhaft ist jeder Zug!
Ein andrer hat zwar viel Geschicke;
Doch weil die Miene nichts verspricht:
So schließt man bey dem ersten Blicke,
Daß ihm Verstand und Witz gebricht.