Der Venusdurchgang vom 8./9. December 1874

Textdaten
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Autor: Dr. Rudolf Engelmann
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Titel: Der Venusdurchgang vom 8./9. December 1874
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 693–696
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
hierzu Ergänzung in Heft 46, S. 750
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[693]
Der Venusdurchgang vom 8./9. December 1874.
Von Dr. R. Engelmann.


Naturereignisse, von deren wissenschaftlicher Erforschung man weittragende Resultate, die Erkenntniß einer bedeutsamen Wahrheit erwartet, erregen nicht nur den kleinen Kreis der Fachgelehrten; auch wissenschaftliche Körperschaften, Regierungen, ja ganze Nationen nehmen daran einen warmen und thätigen Antheil, und so geziemt es sich auch, dieselben dem weiten Kreise der Gebildeten anzuzeigen, die Fragen und Probleme, um deren Lösung es sich handelt, kurz und in gemeinverständlicher Weise auch dem Nichtgelehrten darzulegen. Ein solches Ereigniß auf astronomischem Gebiete ist der am 8. und 9. December dieses Jahres stattfindende Vorübergang der Venus vor der Sonnenscheibe; und die Frage, welche durch die Beobachtung dieser Erscheinung beantwortet werden soll, ist einfach die: Wie weit ist der Centralkörper unseres Sonnensystems, die Sonne, von dem Planeten, den wir bewohnen, der Erde, entfernt?

Die Entfernung der Sonne von der Erde, oder mit anderen Worten der Halbmesser der Erdbahn, ist das Maß, mit dem wir Alles messen, sobald wir die Erde verlassen; kennen wir diese Entfernung in einem irdischen Maße, also z. B. in Meilen, so kennen wir damit die Entfernung aller übrigen Körper unseres Sonnensystems, ja sogar einiger Fixsterne, ferner die wahre Größe der Planeten und ihrer Trabanten, können endlich die Fragen nach der Lichtgeschwindigkeit u. A. lösen helfen. Aus diesem Grunde hat die Bestimmung der Sonnenentfernung zu allen Zeiten eine wichtige Rolle in der Astronomie gespielt, und die Bemühungen, dieselbe kennen zu lernen, wuchsen nur mit der Erkenntniß ihrer enormen Größe und der Schwierigkeit ihrer Ermittelung.

Die Bestimmung dieser Entfernung hängt auf das Engste zusammen mit der Bestimmung des Winkels, unter welchem, von der Sonne aus gesehen, der Halbmesser der Erde erscheint; kennt man diesen Winkel, so kann man durch einfache trigonometrische Rechnung aus ihm und dem bekannten Erdhalbmesser die unbekannte Entfernung der Sonne von der Erde ermitteln. Dieser Winkel heißt die Parallaxe der Sonne, und man versteht überhaupt unter der Parallaxe eines Gestirns, welches dem Sonnensystem angehört, den Winkel, unter welchem, von ihm aus gesehen, der Halbmesser der Erde erscheint, und drückt diesen Winkel wie jeden andern in Graden (°), Minuten (′) oder Secunden (″) aus (1° = 60′, 1′ = 60″). So spricht man also von der Mond-, der Venus-, der Marsparallaxe als den Winkeln, unter denen von den betreffenden Himmelskörpern aus der Erdhalbmesser erscheint.

Da man es in der Astronomie stets zunächst mit der Bestimmung von Winkeln zu thun hat, ehe man zu linearen Größen gelangt, so ist begreiflich, daß man erst die Parallaxe der Sonne kennen muß, ehe man auf ihre Entfernung in Meilen etc. schließen kann. Ferner ist leicht einzusehen, daß die Entfernung eines Körpers um so größer, je kleiner seine Parallaxe ist, denn je weiter man sich von einem Körper entfernt, desto kleiner, das heißt unter desto kleinerem Winkel, erscheint er.

Schon das griechische Alterthum (Aristarch von Samos) versuchte eine Bestimmung der Entfernung oder Parallaxe der Sonne; die außerordentliche Kleinheit der letztern, sowie die Ungenauigkeit der damaligen Beobachtungen verhinderte indessen eine auch nur annähernde Erkenntniß, und selbst den Bemühungen eines Kepler und Anderer im Beginne der neuen Zeit gelang es nicht, genaue Resultate zu erreichen. Bemerkenswerth und sowohl der Schärfe der astronomischen Beobachtungen, wie der Richtigkeit der Vorstellungen von den Größenverhältnissen des Sonnensystems entsprechend, ist die Thatsache, daß man im Laufe der Jahrhunderte für die Sonnenparallaxe immer kleinere Zahlen (für die Entfernung also umgekehrt immer größere) fand. So nahm das ganze Alterthum und Mittelalter seit Aristarch die Sonnenparallaxe zu 3′, die Entfernung zu einer Million geographische Meilen, an; Kepler (im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts) nahm 1′, Entfernung drei Millionen Meilen; der Jesuit P. Riccioli (Ende des siebenzehnten Jahrhunderts) 1/2′ oder 30″, Entfernung sechs Millionen Meilen; der Engländer Halley (Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) ging auf 121/2″ (Entfernung vierzehn Millionen Meilen) herab; und jetzt endlich wissen wir, daß die Sonnenparallaxe sich von 8.9″ oder die Entfernung von zwanzig Millionen Meilen nur wenig unterscheiden kann.

Bedenkt man, wie klein ein Winkel von 9″ ist – ein gewöhnliches Menschenhaar von 0.2 Millim. Dicke würde erst in mehr als 4 Meter Entfernung unter diesem Winkel erscheinen – so wird man sich über jahrhundertelanges vergebliches Bemühen nicht wundern. – Es fragt sich nun aber: wie kommen wir überhaupt zur Kenntniß dieses Winkels, da wir uns doch nicht auf die Sonne versetzen und die Erde von dort aus beobachten können?

Sehen wir zunächst von der Sonne ab und stellen uns einen Planeten, etwa den Mars, vor, so hat auch dieser natürlich eine Parallaxe, und zwar, wenn er der Sonne gegenüber (in Opposition) steht, also in den bequemen Nachtstunden sichtbar, um Mitternacht im Süden ist, eine etwa doppelt so große wie die Sonne, das heißt er ist dann der Erde etwa zwei Mal näher als die letztere.

[694] Sind (Figur 1) und zwei Erdorte, der Erdmittelpunkt, der Mars, so wird die Marsparallaxe (die gleich dem Winkel oder oder ist) an der Himmelssphäre durch den Bogen gemessen. Mißt man nun von den beiden Orten und die Abstände und der Marsprojection von einem Stern , so giebt ihr Unterschied offenbar den Bogen und damit die Marsparallaxe. Diese ist nun in günstigen Oppositionen des Mars zwei bis drei Mal


Figur 1.


größer als die Sonnenparallaxe; und da man das Verhältniß der Entfernungen der einzelnen Planeten von der Sonne (verglichen mit der Entfernung der Erde) genau kennt, also auch ihr Parallaxenverhältniß, so ist es möglich, unmittelbar aus der Parallaxe eines Planeten die der Sonne zu bestimmen. Zugleich ist klar, daß diese Bestimmung eine um so sicherere wird, je entfernter einestheils die beiden Beobachtungsorte auf der Erde und je näher andererseits der Planet der Erde ist, weil im ersten Falle die Basis, von deren Endpunkte aus man mißt, eine größere und damit auch die Parallaxe eine größere ist und im zweiten Falle


Figur 2.


die gleichfalls größere Parallaxe durch eine größere Zahl dividirt, also ein und derselbe Beobachtungsfehler im schließlichen Resultate eine geringere Unsicherheit, als unter weniger günstigen Umständen, hervorbringen wird.

Von allen Planeten ist nun Venus derjenige, welcher der Erde am nächsten kommt; das geschieht, wenn sie zwischen Erde und Sonne tritt; in diesem Falle ist Venus der Erde etwa vier Mal näher, als die Sonne, die Parallaxe der Venus also auch etwa vier Mal größer als die Sonnenparallaxe. Für gewöhnlich ist aber Venus dann unsichtbar, weil sie uns ihre nicht beleuchtete Seite zukehrt und dabei zwar in der Richtung


Figur 3.


Erde–Sonne, aber entweder über oder unter der Sonne steht; nur in den sehr seltenen Fällen, wo sie dem Sonnenmittelpunkte auch nach oben oder unten sehr nahe, ihr Abstand von demselben kleiner als der scheinbare Sonnenhalbmesser ist, wird sie als kleiner, schwarzer, runder Fleck auf der leuchtenden Sonnenscheibe sichtbar. Läge die Bahn der Venus und der Erde in einer Ebene, so müßte jedesmal, wenn Venus in die Richtung Erde–Sonne tritt (wie man sagt, gleiche Länge mit der Sonne hat) – was aller 584 Tage stattfindet – dieselbe auch auf der Sonnenscheibe sichtbar werden; sie träte am östlichen Rande ein, ginge quer vor der Sonnenscheibe vorbei und träte nach acht Stunden am westlichen Rande wieder aus. Nun ist aber die Venusbahn gegen die Erdbahn um etwa 31/2 Grad geneigt, und ein Vorübergang vor der Sonne oder ein Venusdurchgang kann nur dann stattfinden, wenn Venus nicht nur gleiche Länge mit der Sonne hat, sondern auch nahezu gleiche Breite, das heißt, wenn sie auch einem der Durchschnittspunkte (sogenannten Knotenpunkte) ihrer Bahn mit der Erdbahn nahe steht; und dies findet eben sehr selten statt. Es liegt an den Verhältnissen der Umlaufszeiten von Venus und Erde und an der Neigung der Venusbahn gegen die Erdbahn, daß solche Vorübergänge nur in Zwischenräumen von acht, hundertfünfundeinhalb, acht und hunderteinundzwanzigeinhalb Jahren stattfinden, und zwar abwechselnd zwei im Juni und zwei im December. Die letzten ereigneten sich 5. Juni 1761 und 3. Juni 1769, die nächsten werden 8. December 1874 und 6. December 1882, die dann folgenden erst 2004 und 2012 und wieder im Juni eintreten. Wie man aus der Beobachtung eines Venusdurchganges die Sonnenparallaxe bestimmt, kann wenigstens im Principe aus Figur 2 klar gemacht werden.

bedeutet hier die Erde, die Venus, die Sonne.* Ist ein sehr südlicher, ein sehr nördlicher Erdort, so würde die Venus am obern, dieselbe am untern Sonnenrand in den Punkten und sehen. Mißt man nun diesen Abstand , so erhält man aus ihm zunächst die Parallaxe der Venus (strenger die Differenz der Venus- und Sonnenparallaxe), ferner, da das Verhältniß der Venus- und Sonnenentfernung oder -Parallaxe genau bekannt ist, auch die Parallaxe der Sonne, und schließlich, da die Entfernung der Erdorte und in Meilen oder Kilometern gegeben ist, auch die Entfernung der Sonne in Meilen oder Kilometern. In der That gestalten sich nun freilich die Verhältnisse nicht so einfach, sowohl wegen der Kleinheit der Erde, verglichen mit der Entfernung der Sonne, wie wegen des Hinzutretens eines neuen Elements, der Bewegung in der Zeit. Zufolge der relativen Kleinheit der Erde unterscheiden sich nämlich auch die von den entferntesten Punkten der Erde nach der Venus gezogenen Richtungen, die sich in und auf der Sonne abbilden würden, um nicht mehr als den fünfundzwanzigsten Theil des scheinbaren Sonnendurchmessers oder etwa 1′ 10″ von einander, sodaß ein selbst sehr kleiner Beobachtungsfehler doch im schließlichen Resultate einen bedeutenden Fehler hervorbringen kann. Die nebenstehende Figur 3 zeigt diesen Unterschied, wie er bei dem bevorstehenden Venusdurchgange stattfinden wird, in ungefähr richtigem Verhältnisse; die untere Linie giebt nämlich die scheinbare Bahn der Venus vor der Sonnenscheibe, gesehen vom nördlichen Sibirien, die obere dieselbe, gesehen vom südlichen Eismeere.

Den Abstand dieser beiden Linien oder Wege, welche die Venus vor der Sonnenscheibe zurücklegt, konnte man nun bisher nicht direct messen, sondern mußte ihn aus ihren Längen berechnen, und diese Längen ergaben sich auf einfache Weise aus den Zeiten, welche die Venus für die verschiedenen Orte braucht, um durch die Sonnenscheibe hindurchzugehen. Diese Methode der Durchgangszeiten oder Verweilungen heißt nach dem Engländer Halley, der überhaupt zuerst, zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, auf die Wichtigkeit der Venusdurchgänge aufmerksam machte, die Halley’sche; bei ihr braucht man also nur eine während des Durchgangs richtig gehende Uhr und ein gutes, aber [695] einfaches Fernrohr auf zwei in nördlicher und südlicher Richtung möglichst weit von einander abstehenden Stationen, deren geographische Breite bekannt ist.

Eine zweite Methode, die der sogenannten Berührungen oder Contacte, welche von dem Franzosen de l’Isle zuerst, um 1750, in Vorschlag gebracht wurde, erfordert statt der nördlichen und südlichen vielmehr zwei östlich und westlich möglichst weit von einander entfernte Orte. Hier kommen nun nicht blos Zeitdifferenzen, sondern absolute Zeiten in Betracht; es werden nämlich die Zeiten des Ein- oder Austritts an verschiedenen Orten für sich verglichen; der beschränkte Raum verbietet aber, hier auf diese Methode weiter einzugehen.

Diese beiden Methoden von Halley und de l’Isle wurden nun zuerst bei den Venusdurchgängen von 1761 und 1769 angewandt, zu deren Beobachtung von den meisten civilisirten Nationen Expeditionen ausgerüstet und in die geeignetsten und von einander entferntesten Gegenden der Erde gesandt worden waren. Encke berechnete aus sämmtlichen Beobachtungen die Sonnenparallaxe zu 8,571″ und die Entfernung der Sonne zu 20,682,000 Meilen, eine Zahl, welche bis vor etwa fünfzehn

Weltkarte.

Jahren als sehr sicher, etwa bis auf 1/200 ihrer Größe, gehalten und allgemein adoptirt wurde. Neuere theoretische Betrachtungen und Beobachtungen, unter Anderen auch die Discussion der Marsopposition 1862, deuteten indessen auf eine etwas größere Parallaxe oder geringere Entfernung hin; aus sämmtlichen astronomischen Daten, aus denen sich überhaupt die Sonnenparallaxe bestimmen ließ, hat der amerikanische Astronom Newcomb neuerdings den Werth 8,85″ oder eine Entfernung von 20,035,000 geographischen Meilen abgeleitet.

Die beiden bevorstehenden Venusdurchgänge von 1874 und 1882 werden nun die Entscheidung bringen, und in Verbindung mit den andern zuverlässigsten Werthen die Entfernung der Sonne wohl bis auf 1/500 ihrer Größe genau ermitteln lassen. Obgleich, für den nächsten Durchgang insbesondere, die Bedingungen keineswegs sehr günstige sind, darf man dennoch nach den großartigen, von allen Seiten getroffenen Vorbereitungen, sowie aus der Anwendung aller in den letzten Jahrzehnten so sehr vervollkommneter und zum Theil ganz neuer astronomischer Beobachtungsmittel, eine erheblich größere Genauigkeit als bei den Durchgängen des vorigen Jahrhunderts erwarten. Es werden nämlich jetzt nicht nur die Zeiten des Ein- und Austritts der Venus beobachtet werden, sondern man wird auch mit Hülfe des Heliometers und andrer feinster Meßapparate die Abstände des Venus- vom Sonnenmittelpunkt, sowie die Ausschnitte des dunkeln Venusscheibchens vom Sonnenrande während des Ein- und Austritts auf das Sorgfältigste messen; ferner sollen auch während des Durchgangs photographische Aufnahmen gemacht und schließlich zur Beobachtung des Ein- und Austritts selbst Spectroskope zu Hülfe gezogen werden.

Die Beobachtungsstationen hat man diesen verschiedenen Methoden gemäß ausgewählt, zum Theil östliche und westliche, zum Theil nördliche und südliche. Auf allen sollen die Zeiten der Ein- und Austritte, beziehentlich beide Momente, wo der ganze Durchgang sichtbar ist, beobachtet, auf vielen die Abstände und Ausschnitte mikrometrisch gemessen, auf vielen wieder photographische Aufnahmen gemacht werden. – Die Vorbereitungen, welche die gelehrte Welt, Akademien und Regierungen, schon seit Jahren getroffen, sind die umfassendsten und sorgfältigsten; von fast allen civilisirten Nationen werden auf das Vollständigste ausgerüstete Expeditionen nach den entlegensten Gegenden der Erde gesandt, und in Sibirien, China, Japan, den Inseln des großen und indischen Oceans, in Australien, dem südlichen und östlichen Afrika, Persien, dem östlichen europäischen Rußland werden am 8. und 9. December hunderte von geübten Augen nach der Sonnenscheibe gerichtet sein, um durch ruhiges nüchternes Zählen und Messen die Daten zu erlangen, die zu der Erkenntniß eines der wichtigsten astronomischen Elemente, der Sonnenentfernung, führen sollen.

In der oben stehenden kleinen Weltkarte sind die verschiedenen Phasen des Durchgangs für die verschiedenen Gegenden der Erde entworfen, sowie die Stationen bezeichnet (durch die betreffenden Anfangsbuchstaben), welche von den einzelnen Nationen besetzt werden. Die Längen sind dabei von Greenwich aus nach Osten gerechnet. Der Verlauf des Phänomens ist kurz der folgende:

Am Abend des 8. December gegen Sonnenuntergang sehen die Bewohner der östlichen Inseln des großen Oceans (z. B. der Sandwich-Inseln, von Tahiti etc.) die Venus als kleines Scheibchen von 1′ Durchmesser am östlichen Sonnenrande eintreten; in der Karte bezeichnet die rechte, östliche Grenzlinie des einfach schraffirten Theils „Eintritt sichtbar“ die Gegenden, wo bei Sonnenuntergang gerade der Eintritt der Venus, die linke westliche Grenzlinie desselben die, wo bei Sonnenuntergang der Austritt stattfindet; die Sandwich-Inseln nehmen danach nur etwa die Hälfte des Durchgangs wahr.

[696] Nun kommt weiter nach Westen der Theil der Erde (auf der Karte weiß gelassen), wo der ganze Durchgang sichtbar ist; also ein großer Theil von Sibirien und China, ganz Japan, zwei Drittel des großen Oceans, ganz Australien und der indische Ocean, sowie die südlich davon gelegenen, leider bis auf wenige Inseln unzugänglichen Gegenden der Erde. Hier trifft man auf die meisten Stationen; die Erscheinung findet um die Mittagsstunden des 9. December nach dortiger Zeitrechnung statt. Weiter nach West vorschreitend gelangen wir zu den Gegenden, die nur den Austritt wahrnehmen (auf der Karte wieder nur einfach schraffirt). Bei den Orten der rechten östlichen Grenzlinie dieses Theils geht die Sonne gerade auf, wenn die Venus eintritt; diese, wie Madagaskar z. B., sehen also fast den ganzen Verlauf; bei den Orten der linken westlichen Grenzlinie dagegen ist Sonnenaufgang, wenn Venus austritt; sie sehen also so gut wie nichts. In diesem Theile liegt der größte, südliche und östliche Theil von Afrika, das westliche Asien, das südöstliche Europa. Bei uns in Deutschland, wie im ganzen westlichen Europa, ferner in ganz Amerika, ist die Erscheinung nicht sichtbar, d. h. die Sonne in der Nacht vom 8. zum 9. December unter dem Horizont, während Venus die Sonnenscheibe passirt.

Die Zahl der Beobachtungsstationen, welche von den verschiedenen Nationen besetzt werden, übersteigt die Zahl sechszig; alphabetisch geordnet besetzen nämlich: die Amerikaner (A auf der Karte) acht Stationen, zwei auf den Inseln des östlichen und südlichen großen Oceans, zwei in Australien, zwei auf den Inseln des südlichen indischen Oceans, zwei (oder drei) in Sibirien (China) und Japan; die Deutschen (Namen auf der Karte ausgeschrieben) fünf Stationen im südlichen großen, südlichen und westlichen indischen Ocean, Persien und China; die Engländer (E) fünf Stationen auf Kosten der Regierung, eine (in Mauritius) auf Kosten eines reichen Privatmannes, des Lord Lindsay; außerdem betheiligen sich noch die Colonialsternwarten in Sidney, Melbourne, Madras und am Cap der guten Hoffnung. Die Franzosen (F) haben sechs Stationen gewählt; die Holländer (H) zwei Stationen (Java und Insel Réunion); die Italiener (I) eine in Indien; die Portugiesen (P) eine in China; endlich die Russen (R) nicht weniger als dreißig Stationen, davon die meisten im östlichen europäischen Rußland und in Sibirien. –

Die fünf Stationen des deutschen Reiches sind mit allem Nothwendigen an Instrumenten und Geräthschaften aller Art auf das Reichlichste ausgerüstet und die Beobachter schon seit Monaten auf das Sorgfältigste an ihren Instrumenten eingeübt. Jede Expedition erhält ein transportables kleines Observatorium, versehen mit den verschiedensten astronomischen, physikalischen und meteorologischen Instrumenten für den speciellen Zweck des Venus-Durchgangs wie für andere astronomische und physikalische Beobachtungen; drei Stationen sind vollständig für die Beobachtung des Durchgangs ausgerüstet, mit Heliometer, photographischem Fernrohre und Fernrohr zur Beobachtung des Ein- und Austritts, Uhren etc.; es sind dies die Kerguelen (unter Dr. Börgen’s Leitung), die Aucklandsinseln (Dr. Seeliger) und Tschifu in China (Dr. Valentiner); bei der Expedition nach Mauritius (DDr. Löw und Pechüle) fehlt das photographische Fernrohr, bei der nach Ispahan (DDr. Fritsch und Becker) das Heliometer. –

Schließlich mögen noch einige der wichtigsten Zahlenangaben hier Platz finden. Bezogen auf den ersten Meridian von Greenwich und für den Mittelpunkt der Erde, findet die erste Berührung der Venus mit dem Sonnenrande beim Eintritte am 9. December früh 1 Uhr 46 Minuten statt, die letzte beim Austritte früh 6 Uhr 27 Minuten; die ganze Dauer des Durchgangs ist demnach für den Erdmittelpunkt 4 Stunden 41 Minuten; der geringste Abstand der Mittelpunkte beider Gestirne ist dabei 13′ 47″; der scheinbare Durchmesser der Venus 1′ 4″, derjenige der Sonne 32′ 32″. Für die einzelnen Beobachtungsorte fallen die Zeiten des Ein- und Austritts je nach ihrer Lage (Länge gegen Greenwich) sehr verschieden aus, wie aus dem folgenden Täfelchen zu ersehen ist:


    Ortszeit des Dauer des
 Ort.   Datum.  Eintritts. Austritts. Durchgangs.
Honolulu  Dec. 8  3  Uhr  5  M.  Nchm. 
Sydney 9   11 52 Vorm.  4  Uhr  25  M.  Nchm.  4  St. 33  M.
Nertschinsk 9 41 2 32  4 51
Madras 7 12  11 53  Vorm.   4 41
Kerguelen 6 32 10 59  4 27
Cap. d. g. H.  7 40


Die Differenz der Durchgangsdauer beträgt also z. B. zwischen Nertschinsk in Sibirien und den Kerguelen etwa 24 Minuten. Ebenso sind die Beschleunigungen und Verzögerungen der Ein- und Austritte gegen die Zeiten des Ein- und Austritts für den Erdmittelpunkt verschieden; ein Beobachter in 226° östlicher Länge von Greenwich und in 35° nördlicher Breite würde z. B. den Eintritt der Venus über 10 Minuten früher als ein Beobachter im Erdmittelpunkte wahrnehmen, ein Beobachter in 39° östlicher Länge und 39° südlicher Breite dagegen denselben nahe 11 Minuten später; die Differenz der Zeiten des Eintritts wäre also beinahe 21 Minuten und analog dann bei den Austritten.



[694] * Die Größen und Entfernungen müssen, um die Erscheinung auf dem Papiere darstellen zu können, sehr abweichend von den in der Natur statthabenden Verhältnissen genommen werden; in der That würde, wenn man der Erde einen Durchmesser von zehn Millimeter giebt, die Venus einen gleichen, die Sonne dagegen einen von mehr als einem Meter haben, die Entfernung von der Erde bis zur Venus wäre richtig dann neunundzwanzig Meter, die bis zur Sonne hundertsechszehn Meter.