Der Vater von „Mein Leopold!“

Textdaten
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Autor: Julius Stettenheim
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Titel: Der Vater von „Mein Leopold!“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 639, 640
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Vater von „Mein Leopold!“


Adolf L’Arronge.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

In David Kalisch, zu früh gestorben für seine Freunde, wie für seine dramatische und literarische Thätigkeit, hatte nicht nur das Wallner-Theater, sondern die Berliner Posse überhaupt eine unersetzliche Kraft verloren. Kalisch hatte die Berliner Localposse geschaffen; er war auch bis zu seinem Tode ihr geistvollster, witzigster und gewissenhaftester Vertreter geblieben, und ihm verdankt die Bühne die muntersten Volksfiguren, deren Lebensfähigkeit auch heute dieselbe geblieben ist. Kalisch war zwar kein dramatischer Dichter im eigentlichen Sinne; er bearbeitete vorhandene Stoffe, oder übersetzte österreichische oder französische Stücke in sein geliebtes Berlinisch, dies aber geschah mit so viel anmuthigem Humor und mit so viel geistvollen und originellen Einfällen, daß von den fremden Arbeiten nur die Baupläne übrigblieben, während ihr Stil, die innere Einrichtung und Ausschmückung ganz als sein geistiges Eigenthum zu betrachten waren. Man hatte ein selbstständiges, genial dastehendes Berliner Possengebäude vor sich, und das Publicum wurde nicht müde, es hundert Mal und häufiger anzusehen und sich daran zu ergötzen.

Aber mit ihrem Schöpfer verlor die Berliner Localposse auch ihren Ernährer, und vornehmlich das Wallner-Theater, die Arena des dramatisirten Berliner Witzes, sah sich verlassen und war bald ganz ohne Novitäten, da Pohl sich einem eigenen Genre, der Operettenposse oder Possenoperette, widmete, für welches die Gesangskräfte des Wallner-Theaters nicht ausreichten, und Belly, Haber, Wilken u. A. nur einactige Possen mit Glück producirten. Wohl wurde noch Größeres, „Abendfüllendes“ geschrieben. Jede Saison brachte mehrere Portionen „Posse mit Gesang“, aber Alles war nur das Schondagewesene, und die Fußstapfen Kalisch’s waren bald so ausgetreten, daß die ursprüngliche Form derselben nicht mehr zu erkennen war. Keiner wußte die Pointe im Couplet so fein zu schleifen, Keiner den Dialog so zu würzen, Keiner so keck in’s volle Menschenleben hineinzugreifen, wie Kalisch. Selbst die Auffrischung der Possen Kalisch’s gelang Keinem, wenn die Direction in ihrer Noth zu denselben zurückzukehren versuchte. Sollte also das ganze Genre im Wesentlichen erhalten bleiben, so mußte dasselbe durch eine selbstständige Kraft neu belebt werden.

Eine solche ist in Adolf L’Arronge zu rascher Entfaltung gekommen. Wir dürfen dies heute behaupten, nachdem seit fast einem Jahre das Repertoire der deutschen Bühne, soweit dieselbe sich dem Volksstücke öffnet, ein Werk des genannten Autors so häufig genannt hat, daß dessen Titel schon die Popularität eines geflügelten Wortes für sich in Anspruch [640] nimmt: „Mein Leopold!“ Dieses Stück, im Wallner-Theater am 23. December 1873 zum ersten Male aufgeführt, machte rasch den großen Weg über die deutschen Bühnen, verweilte auf jeder eine lange Reihe von Abenden und wurde überall vom Publicum und von der Kritik ehrenvoll ausgezeichnet.

Adolf L’Arronge hat diesen glänzenden Erfolg dem ernsten und ehrlichen Eifer zu verdanken, mit welchem er sich von der Schablone, zu welcher Kalisch’s Posse durch die Nachahmer herabgesunken war, losgesagt hat. Er fordert nicht zu Vergleichen heraus, sondern steht auf eigenen Füßen; er erfindet seine Stoffe selbstständig, belebt dieselben mit Charakteren, die zu Gunsten billigen Applauses nicht von der Natur abweichen, und sorgt dafür, daß der Faden einer dramatischen Handlung nicht jeden Augenblick durch tolle Sprünge zerreißt, oder dem Zuschauer unter der Hand verschwindet. Dazu kommt seine Fähigkeit, den ihm innewohnenden Witz mit so weiser Oekonomie über die Scenen zu verbreiten, daß derselbe uns vor Allem da nicht aufdringlich erscheint, wo vor dem Zuschauer sich der ernste Theil der Handlung, der sich in jedem Stücke unseres Autors findet, abspielt. Das Mitglied der komischen Bühne sieht sich nach langer Pause durch L’Arronge einmal wieder mit Aufgaben betraut, deren Lösung in ihm den Schauspieler zur Geltung kommen läßt, und damit erklärt sich ein großer Theil des Erfolges, welchen „Mein Leopold!“ überall gefunden hat. Der Komiker beschäftigt sich freudig und eingehend mit einer Rolle, die eine ernstere Leistung von ihm fordert als den an das Café-Chantant erinnernden Vortrag von Couplets und alten Scherzen.

Wie freudig diese Rückkehr zum gesunden Volksstücke anerkannt wird, beweist der Umstand, daß einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, Friedrich Spielhagen, in einem Feuilleton den Eindruck geschildert hat, den Carl Helmerding’s Darstellung des Gottlieb Weigelt in „Mein Leopold!“ auf ihn hervorbrachte.* Nachdem Spielhagen dem Mißbehagen Ausdruck gegeben, mit welchem der Ton der Schablonenposse ihn zu beschleichen pflegte und welches ihn von dem Besuche des Wallner-Theaters fern gehalten, sagt er: „So war denn die zweiundachtzigste Wiederholung von ‚Mein Leopold!‘ angesetzt, bis ich mich entschließen konnte, ein Stück zu sehen, das mir auch sonst als ein gutes in seinem Genre bezeichnet wurde und in welchem Helmerding ganz brillant sein solle. Ich fand, daß man mir nur die Wahrheit gesagt. Das Stück ist gut und Helmerding ganz brillant.“

Auf ein Lob aus solcher Feder darf L’Arronge stolz sein. L’Arronge ist ein echtes Theaterkind; er kennt von Jugend auf die Bühne, und diese Bekanntschaft kommt seiner Thätigkeit nicht wenig zu Statten. Er ist der Sohn des rühmlich bekannten Komikers und Theaterdirectors L’Arronge und erblickte im März 1838 in Hamburg das Licht der – Lampen. In Berlin und Aachen besuchte er das Gymnasium, widmete sich in letztgenannter Stadt unter Leitung des Musikdirectors Richard Genée der Musik und ging zu weiterer Ausbildung nach Leipzig, wo er durch drei Jahre am Conservatorium studirte. Als Opern-Capellmeister war er dann in Danzig, Königsberg, Cöln, Würzburg, Stuttgart, Pest und zuletzt am Kroll’schen Theater in Berlin thätig, wo er auch als Dirigent des Männergesangvereins unter ehrenvoller Anerkennung wirkte.

Für das letztgenannte Theater schrieb er eine Posse, „Das große Loos“, deren guter Erfolg ihn vom Dirigentenpult an das Pult der dramatischen Literatur verführte, an welchem er fleißig und mit großem Erfolg arbeitete. Selbst während er Redacteur der „Gerichtszeitung“ war, blieb er dem Theater treu, dem er sich jetzt auch als Bühnenleiter widmete, indem er die Direction des Breslauer Lobe-Theaters übernahm. Hoffentlich bleibt er auch in dieser Stellung als Bühnendichter im Dienste der holden Thalia, für den er schon so tüchtige Beweise außergewöhnlicher Befähigung geliefert hat.


* Aus meinem Skizzenbuche. Von Friedrich Spielhagen.

Julius Stettenheim.