Der Uebergang über den Mont Cenis

Textdaten
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Titel: Der Uebergang über den Mont Cenis
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 331–333
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Uebergang über den Mont Cenis.

Die italienische Halbinsel, vom Continente durch jene hohe Gebirgskette, welche wir im Allgemeinen die „Alpen“ nennen, getrennt, kann nur auf zwei Wegen von diesem aus angegriffen oder unterstützt werden, entweder zur See oder über jenes Gebirge, – letzteres muß durch die Gebirgspässe geschehen, die von allen Seiten nach den Ebenen der Lombardei und Piemonts hinabführen, und selbst die zur See nach Nizza oder Genua transportirten Truppen müssen Gebirge überschreiten, um dorthin zu gelangen. Von Hannibal bis zu den Zeiten Napoleon’s I. galt es für ein riesiges Unternehmen, die Alpen mit einem Kriegsheere zu passiren, und weil es Letzterem eine Nothwendigkeit war, eine raschere Communication zwischen den italienischen Provinzen des Kaiserreiches und diesem selbst herzustellen, that er alles Mögliche, die Straßen über die Gebirge zu verbessern, und ließ Alessandria befestigen, um für deren Debouchés einen gesicherten Stützpunkt zu erhalten, – Alessandria, das zu diesem Zwecke viel günstiger liegt, als Turin.

Napoleon III. benutzt jetzt jene Straßen, die sein Oheim einst theils neu anlegen, theils herstellen ließ, um Oesterreich anzugreifen. Die nördlichste ist die über den Mont Cenis, weil alle anderen nach jener Himmelsgegend hin gelegenen durch die Neutralität der Schweiz nicht gebraucht werden können. Der Mont Cenis bildet die Wasserscheide der Flußgebiete des Po und der Rhone, die Are und Dora Ripera entspringen in seiner Nähe, und in ihren Thälern zieht sich die Straße von Montmelian bis Susa, wo sie in Piemonts Ebenen tritt. Unweit Montmelian liegt Chambery, hier und bei Grenoble sammelten sich die französischen Truppen, welche diesen Gebirgspaß überschreiten sollten. Ein derartiger Marsch macht viele Vorbereitungen nothwendig.

Noch war man im Begriff, dieselben zu treffen, als die Nachricht einlief, die Oesterreicher hätten sich durch diplomatische Kunststückchen nicht länger täuschen lassen, sondern den Po und Ticino überschritten und wären in Piemont eingerückt. Der Befehl, welchen die französische Armee erhielt, nunmehr die Alpen zu überschreiten, rief die lebhafteste Begeisterung bei derselben hervor; abermals konnte jeder Soldat sich Lorbeeren pflücken und la gloire winkte ihm, wenn er sich aus liberté nicht eben viel macht, denn diese Pflanze läßt die Disciplin nicht recht gedeihen.

Italien hat für das französische Heer einen unendlichen Reiz:

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Der Uebergang der französischen Truppen über den Mont Cenis. (Originalzeichnung von E. D.)

[333] hier sind die Schlachtfelder von Lodi, Arcole, Caldiero und Marengo, hier erwarben sich ihre Vorgänger einst einen Ruhm, der die Welt erfüllte und in der Folge beinahe zur Weltherrschaft führte – warum sollte es gegenwärtig nicht dasselbe leisten, gegenwärtig, wo der harte Feldzug in der Krim die Führer und Soldaten geschult hat? Und wie freudlos war jene Campagne, wie freudlos jede in Afrika gegen eine solche unter Italiens ewig lächelndem Himmel!

Mit mehr Ernst und weniger chimärischen Hoffnungen blickte ein Theil der Officiere auf die bestehenden Verhältnisse; dieser wußte recht gut, daß die Armee noch nicht marschbereit sei, daß es namentlich an Last- und Zugthieren, sowie an Reiterei und Artillerie fehlte. Ein Tagesbefehl sagte den Truppen, daß ihre Vorfahren einst unter noch trüberen Verhältnissen die Alpen überschritten hätten, forderte Jeden auf, seine Schuldigkeit zu thun, und ordnete die Details des Marsches an. Wind und Wetter waren gegen das Unternehmen, noch hemmte der Schnee die Passagen auf den Höhen, und an den Hängen rieselte das Wasser herab und ließ die Lache aus ihren Ufern treten. Jeder Soldat weiß, wie schlecht es sich marschirt, wenn der Boden naß und aufgeweicht ist; kommt nun noch Wind, Regen und Schneegestöber hinzu, so muß dies mit der wechselnden Gebirgsluft nicht nur einen großen Nachtheil auf den Marsch ausüben, weil es Verzögerungen veranlaßt, sondern auch auf die Gesundheit der Leute selbst. Das Corps des General Niel war es, dem die Aufgabe ward, diesen Weg zurückzulegen; ursprünglich sollte auch das Corps des Marschalls Canrobert dieselbe Straße gehen, doch ward dies in Folge der Schwierigkeit und Langsamkeit, mit welcher sie passirt werden mußte, über den Mont Genèvre dirigirt, während fast die ganze Artillerie beider Corps nach Marseille geschickt wurde, um von dort nach Italien eingeschifft zu werden.

Die, wie wir bereits sagten, von Napoleon I. angelegte Straße steigt von Aiguebelle bis St. Jean de Maurienne in südlicher Richtung langsam aufwärts, in gleicher Weise wendet sie sich östlich bis Madone, wo sie, steiler werdend, sich erst nördlich und nordöstlich um den Mont Cenis windet, und dann noch steiler in südöstlicher Richtung nach Susa abfällt. Hieraus ergibt sich, daß es leichter ist, den Mont Cenis in der Richtung von Frankreich nach Piemont, als umgekehrt zu passiren, und daß man diesen Weg wohl zu einem Vormarsch benutzen kann, wenn der Feind das Debouché nicht in seiner Gewalt hat, kaum aber als Rückzugslinie, wenn man gedrängt wird. Auch als Etappenstraße hat diese Straße wenig Werth, da sie zu schwierig zu passiren ist, und sie wurde jetzt von den Franzosen wohl nur eingeschlagen, um gleichzeitig mit mehreren Colonnen in Piemont erscheinen und sich mit Leichtigkeit auf Turin oder die Dora-Baltea-Linie werfen zu können, je nachdem die Bewegungen des Feindes das Eine oder Andere nöthig gemacht hätten. Das ist nicht nöthig gewesen, der strömende Regen hielt auch die Oesterreicher in ihren Bewegungen auf und ließ den Franzosen Zeit, bis Alessandria und wohl selbst über dieses hinaus vorzurücken und das sardinische Heer zu unterstützen, das jetzt kaum mehr als solches existirt, sondern divisionsweise den französischen vier Armeecorps beigegeben ist.

Die Straße über den Mont Cenis liegt an ihrem höchsten Punkte 7080 Fuß über dem Meeresspiegel, geht wie andere große Gebirgsstraßen im Zickzack aufwärts und ist für Infanterie und Lastthiere überall passirbar, wenn nicht der Schnee hemmend eintritt, der nur wenige Sommermonate zu schmelzen pflegt. So auch jetzt, der Schnee lag hoch, und Tausende von Arbeitern mußten Tage lang beschäftigt werden, um ihn in so weit zu beseitigen, daß die Truppen nicht aufgehalten wurden. Hatte der sündfluthartige Regen der letzten Wochen schon die Zugänge fast unwegsam gemacht, so spottete der fast täglich sich erneuernde Schneefall aller Anstrengungen der zahllosen Arbeiter, den Paß schneefrei zu machen. Kein Wunder, daß die Militairhospitäler in Susa und Umgegend voller Kranken lagen. Viele fanden dort ihren Tod, diejenigen, welche dem peinigenden Durst bei der Erhitzung und Anstrengung durch den Marsch nicht widerstehen konnten und von dem Schnee- und Eiswasser tranken, sind in den meisten Fällen ein Opfer ihrer Unvorsichtigkeit geworben. Trotz alledem wurde der Uebergang von circa 45,000 Mann mit solcher Energie bewerkstelligt, daß die Soldaten sogar des Nachts keine Ruhe hatten, und die Regimenter von den Arbeitern der Tunnels mit Fackeln begleitet wurden, um nur rasch vorwärts zu kommen. Der große Verlust an Menschen und Vieh hat indeß den Obergeneral neuerer Zeit doch veranlaßt, Artillerie und Reiterei zur See zu befördern.