Textdaten
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Autor: G. W.
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Titel: Der Turnvater Jahn als Spion
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 559–560
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[559] Der Turnvater Jahn als Spion. Von einem der wenigen noch lebenden Kampfgenossen Jahn’s und Körner’s geht uns die nachstehende Mittheilung zu, die einen der wichtigsten Momente aus dem Leben des Turnvaters schildert, welchem dieser selbst nur in einem in seinem Nachlasse gefundenen Blättchen an Professor Eiselen flüchtig erwähnt:

Das dritte Bataillon des bekannten tapfern Lützow’schen Freicorps, der schwarzen Schaar, stand unter dem Befehl des Turnvaters Jahn, welcher die Charge eines Lieutenants inne hatte, aber allgemein als Hauptmann titulirt wurde, weil die unter seinem Commando stehenden Freiwilligen sehr wohl wußten, daß Jahn einer derjenigen deutschen Männer war, durch welche die Bildung der schwarzen Schaar ihren Anfang genommen hatte. Im September des Jahres 1813 befanden wir uns in Mecklenburg im Lager bei Zarrentin. Unser drittes Bataillon war den Truppen des Generals Wallmoden zugetheilt und hatte die besondere Aufgabe, den Marschall Davoust an der Stecknitz zu beobachten. Unsere Lage war keine beneidenswerthe. Die öde Gegend, aus Sümpfen und Haiden bestehend, bot wenig Abwechselung dar, es trat allmählich Mangel an Lebensmitteln ein und fast täglich wurden wir von den dänischen Husaren beunruhigt, ohne daß diese uns Stand hielten und in ein Gefecht mit uns eintraten. Dies erbitterte uns von Tage zu Tage mehr. Wir glühten von Kampfeslust, doch leider war uns bisher noch wenig Gelegenheit geboten worden, uns mit den Franzosen messen zu können, denn durch ihre Uebermacht waren wir von ihnen fast beständig im Schach gehalten worden. Und doch hatten wir noch eine tüchtige Scharte auszuwetzen! Unsere Reiterei war von dem hinterlistigen Feinde verrätherischer Weise während des Waffenstillstandes bei Leipzig in die Pfanne gehauen und größtentheils zersprengt worden, wobei manches edle deutsche Herzblut geflossen war; unser theurer Körner, der Stolz des Bataillons, dem ich manches Mal die Büchse getragen hatte, während er seine feurigen Kriegslieder dichtete oder sie uns vorlas, schlummerte, von einer französischen Kugel getroffen, in seinem Heldengrabe und viele unserer Cameraden waren bei dem nächtlichen Ueberfall in Lauenburg getödtet und verwundet worden.

Diese Scharte auszuwetzen, dazu schien vorläufig wenig Aussicht vorhanden, denn noch immer lagen wir einer bedeutenden Uebermacht des Feindes gegenüber, der noch den Vortheil einer günstigeren Stellung hatte. Ueber diese konnten wir nur sehr wenig erfahren, und selbst diese wenigen Nachrichten waren durchaus unzuverlässig. Mißmuth und Ingrimm hatten sich unsers ganzen Corps bemächtigt.

Um den Mittag des 14. September hatte unser Hauptmann Jahn das Bataillon zum Appell versammelt. Nach Beendigung desselben wählte er sich zehn Mann aus, unter welchen auch ich mich befand, und bedeutete uns, zu warten, da er uns eine Mittheilung zu machen habe. Neugierig, welcher Art diese Mittheilung sein werde, und die stille Hoffnung hegend, daß vielleicht eine Unternehmung beschlossen sein könne, welche der bisherigen niederdrückenden Unthätigkeit ein Ende machen werde, sahen wir unsere Cameraden sich entfernen. Als wir nur noch allein dastanden, trat Jahn unter uns und ließ uns dicht an sich herantreten. „Kinder,“ sagte er mit gedämpfter Stimme, „so kann es nicht länger fortgehen. Etwas muß geschehen. Vor allen Dingen gilt es, einen genauen und zuverlässigen Bericht von der Stellung des Feindes zu erhalten. Wer von Euch will mich in das Lager der Franzosen begleiten? Ihr wißt, wenn sie uns kriegen, dann ist ein schimpflicher Tod unser Loos, aber wenn auch ich und Jeder von Euch einen ehrenvollen Soldatentod vorziehen, so will ich auch vor einem schimpflichen Tode nicht zurückschrecken, wenn ich durch mein Wagen einen Vortheil für uns Alle erreiche. Wer hat Lust?“

Ich, ein junger Mensch von einundzwanzig Jahren, durchglüht von der feurigsten Begeisterung und einem unauslöschlichen Hasse gegen die Unterdrücker unseres Volkes, trat augenblicklich vor und erklärte mich bereit. Auch die Anderen waren alle mehr oder weniger entschlossen, das Wagestück mit unserem geliebten Hauptmann auszuführen. Seine Wahl traf indeß mich. Er bestimmte, daß ich mich um zwei Uhr Nachmittags bei ihm einstellen sollte. Pünktlich traf ich ein, und wir begaben uns in das nächste Dorf, dessen Namen ich leider vergessen habe. In einer Scheune fanden wir zwei vollständige Anzüge Mecklenburger Bauern, welche wir anlegten. Ein kleines Fäßchen Rum, einen mehrfach zusammengedrehten Strick als Tragband aufweisend, lag für Jeden bereit, und bald hatte sich der Hauptmann Jahn mit seinem Gefährten in zwei Bauersleute verwandelt, welche als Marketender den Franzosen den Inhalt ihrer Fäßchen als willkommene, herzstärkende Erquickung, woran es ihnen, wie wir wußten, sehr fehlte, anzubieten gingen. Natürlich mußten wir auf Schleichwegen ein Stück von unserm Lager uns entfernen und von einer andern Seite her in die Mitte der Franzosen zu kommen suchen.

Mir klopfte doch unterwegs das Herz gewaltig, denn die Aussicht, im ungünstigen Falle als Spion entdeckt und an dem nächsten Baum aufgeknüpft zu werden, war nicht sehr erfreulich. Ein Blick indeß auf meinen Hauptmann, der mit der gleichgültigsten, unbefangensten Miene dahinschritt, machte mir wieder Muth. Eins fiel mir plötzlich schwer auf’s Herz. „Herr Hauptmann,“ begann ich, „ich kann ja nicht Plattdeutsch sprechen.“

„So hältst Du Deinen Mund,“ war seine Antwort, „Du kannst Dich überhaupt etwas schwerhörig stellen und schenke nur frisch ein, und wenn [560] auch einer von den Franzosen Dir mit der Bezahlung durchgeht, laß ihn laufen. Aber nur keinen langen Aufenthalt, immer gleich weiter.“

Ich befolgte seine Anweisung, und ich glaube, ich habe die Rolle eines recht dummen Bauerburschen, dem man kaum zutraute, daß er bis drei zählen könne, ganz gut gespielt.

In kurzer Zeit erreichten wir die feindliche Vorpostenkette. Ungehindert kamen wir durch dieselbe. Wer hätte auch unter dem Bauerkittel den bei den Franzosen geächteten Monsieur Jahn errathen können? Unser Geschäft ging gut und wir hätten in kurzer Zeit unsern Rumvorrath vollständig verkaufen können. Das lag aber nicht in unserm Plane, denn wir mußten vor allen Dingen darauf Bedacht nehmen, von dem Lager und der Stellung der Feinde so viel wie möglich zu sehen. Es ging deshalb nach ganz kurzem Aufenthalt bei den einzelnen Truppentheilen weiter, ohne daß wir auf das Schelten und Drohen der Franzosen achteten, denen wir mit unserer Waare zu schnell davoneilten. Endlich waren die Fäßchen leer und eine ziemliche Anzahl kleiner französischer Münze beschwerte unsere Taschen. Jahn schmunzelte zufrieden, was die Franzosen natürlich dem gutgegangenen Geschäft zuschrieben.

Glücklich gelangten wir wieder aus dem Bereich der Feinde und begaben uns in ein dichtes, mit hohem Haidekraut bewachsenes Gehege. Hier legten wir uns hin und Jahn zog zwischen der Sohle seiner derben Bauernschuhe ein mehrfach zusammengefaltetes Papier hervor und begann eifrig mit Bleistift seine Notizen zu machen, während ich sorgfältig umherspähte, daß wir nicht überrascht würden. Im Fall der Annäherung eines Menschen wollten wir uns den Anschein geben, als seien wir ganz in das Zählen und Berechnen unseres Erlöses aus dem Marketendergeschäft vertieft. Endlich war Jahn mit seinen Aufzeichnungen fertig, rollte das Papier zusammen und steckte es in das leere Fäßchen, dessen Spundloch er sorgfältig verschloß. Spät am Abend kamen wir in das Dorf zurück, entledigten uns unserer Anzüge, legten unsere Uniformen an und nahmen aus dem zerschlagenen Fäßchen das wichtige Papier, da besondere Vorsichtsmaßregeln jetzt nicht mehr nöthig waren. Bei den Unserigen angekommen, trennten wir uns, nachdem ich das feierliche Versprechen hatte ablegen müssen, keinem Menschen das Geringste von unserm Abenteuer zu verrathen.

Der Erfolg unserer Spionage zeigte sich bald. Während der Nacht und im Laufe des folgenden Vormittags herrschte ein reges Leben unter den höheren Officieren. Jeder konnte merken, daß etwas im Werke sei. Um Mittag des 15. Septembers kam der Befehl an unser Corps, uns marschfertig zu halten, welcher natürlich mit vielem Jubel begrüßt wurde. Gegen zwei Uhr Nachmittags marschirten wir still aus unserm Lager ab, ohne zu wissen wohin, und vereinigten uns während des Marsches mit den übrigen Truppen des Wallmoden’schen Corps. Am Abend hatten wir sämmtlich unsere, wie es sich aus dem Erfolge ergab, ausgezeichneten Stellungen inne, und der Feind war von drei Seiten eingeschlossen.

Am Morgen des 16. Septembers entwickelte sich das bedeutende Gefecht bei der Göhrde, welches damit endigte, daß das Corps des Marschalls Davoust fast vollständig aufgerieben wurde, indem von zehntausend Mann nur dreihundert zu Gefangenen gemacht wurden, die übrigen bedeckten todt oder verwundet das Schlachtfeld. Ein Entweichen war nicht möglich gewesen, da wir, besonders mit Hülfe der Kosaken, den Feind gänzlich umstellt hatten.

Glänzend war die Scharte ausgewetzt. Aber auch unsere Verluste an diesem Siegestage waren nicht unbedeutend. Wir Lützower betrauerten manchen tapferen Cameraden; Lützow selbst war schwer verwundet worden, auch das Heldenmädchen Prohaska befand sich unter den Schwerverwundeten und starb drei Tage darauf an ihren Wunden.

Es ist kein Zweifel, daß das kühne Unternehmen unseres tapfern Hauptmanns uns diesen glänzenden Sieg verschafft hatte. Ich habe später wohl zuweilen im traulichen Gespräch mit meinen Cameraden unsern Marketendergang zu den Franzosen erzählt, in weiteren Kreisen ist aber die Geschichte nicht bekannt geworden. Jahn hat aus mancherlei Gründen selbst nichts gethan, seinen Marketendergang in das Lager der Franzosen bekannter zu machen.
G. W.