Der Trollhätta- und Göta-Canal
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Skandinavien ist ein classisches Land der Großthaten und noch jetzt erscheint der Schwede, der Norwege, im Kampfe mit den Elementen, in den Nationalwerken, in der beharrlichen Ueberwindung großer Hindernisse, wie ein Wesen von fast übermenschlicher Kraft. Die Beschreibungen der Eisengruben von Dannamora, der Kupferbergwerke Fahlun’s etc. etc. füllen uns mit Staunen; die prächtigen, über das ungünstige Terrain das Reich auf hunderte von Meilen durchkreuzenden Heerstraßen und Canäle aber scheinen das Werk von Giganten. Großartigkeit der Idee stempelt diese Werke und unsere Bewunderung derselben steigt auf’s Höchste, wenn wir erwägen, daß sie einem rauhen, öden, armen, schwachbevölkerten Lande angehören, das von der übrigen Welt fast abgeschieden ist und den Nachtheil eines kalten Klima’s mit dem eines undankbaren Bodens vereinigt. Die Menschen, welche jene colossalen Werke des öffentlichen Nutzens ausführten, leben auch nicht eng bei einander, zur leichtern Vereinigung der Kräfte; sondern größtentheils in engen Felsenthälern zerstreut, wo die Sonne kaum 3 Monate im Jahre das vegetabilische Leben nährt, wo der Fleiß nur mit der größten Anstrengung dem Boden die unentbehrlichen Lebensbedürfnisse abringen kann, wo die Kartoffel nur die Größe einer Wallnuß erreicht, wo der Roggen öfters zwei Jahre zur Reife braucht, wo nur alle drei Jahre auf eine gute Aerndte zu rechnen ist.
Aber je spärlicher die Allmacht die Gaben der unorganischen Natur manchem Lande spendete, um so reicher ist in manchen Fällen das Volk mit der geistigen Kraft ausgestattet, welche mit verdoppelter Anstrengung der Natur den Tribut abzuringen weiß, den freiwillig zu geben sie versagt. So sehen wir die Thätigkeit der Menschen in südlichern Himmelsstrichen, bei schwelgender Produktenfülle, so häufig erschlafft, während der Bewohner des Nordens, von Kälte und Mangel umringt, mit Muth das Schwerste unternimmt und beharrlich vollendet. Noth weckt und nährt die Kraft; Ueberfluß verzehrt sie: – das ist wahr, bei den Einzelnen, wie bei Völkern. –
Der Göta-Canal nimmt unter den größten, gleichartigen Werken Europa’s die erste Stelle ein. Selbst das Wunderwerk der neuen Welt, der Erie-Canal, übertrifft ihn nur an Länge, und kommt ihm an Größe der Idee nahe; aber er kann sich weder an Kühnheit der Ausführung mit dem Göta-Canal messen, noch sich mit diesem in Betreff der Schwierigkeiten vergleichen, welche bei dem Bau zu überwinden waren.
Die Idee des Göta-Canals ist der Vaterlandsliebe und dem Nationalstolze der Skandinavier frühe entsprossen. Zu wissen, daß Dänemark, Herr des Sunds, auch Herr des Zugangs nach Schweden’s Häfen sey, daß folglich in Danemark’s Macht es stehe, zu jeder Stunde den Handel Schweden’s zu vernichten und die Erwerbsquellen des [50] Reichs zu verstopfen, war zu kränkender und stachelnder Art, als daß es nicht das Nachdenken jedes Patrioten zur Auffindung eines Mittels gegen so großes Uebel auf das Ernstlichste beschäftigen sollte. Schon im Anfang des 18ten Jahrhunderts kam daher die Idee von dem Bau eines für Seeschiffe brauchbaren Canals zur öffentlichen Erörterung, der, mit Umgehung des Sundes, die Ostsee mit dem Cattegat und dem Ocean verbände. Aber nachdem man sich von den damals unübersteiglich scheinenden Hindernissen überzeugt hatte, blieb der Plan liegen, ohne darum aus dem Kreise der öffentlichen Discussion zu verschwinden. Es vergingen 30 Jahre. Immer von neuem tauchte das Projekt wieder auf; immer von neuem sank der Muth zur Ausführung bei der Betrachtung der Schwierigkeiten, bei der vorliegenden Unmöglichkeit, sie zu überwinden.
Endlich trat eines jener verwegenen Genies auf, die nur geschaffen zu seyn scheinen, um den Unmöglichkeiten den Heiligenschein zu nehmen und zu vollbringen, was Keiner wagt. Polhem, ein schwedischer Ingenieur, zog die fixe Idee von der Unmöglichkeit des Kanalbaues in’s Lächerliche, und in einer Reihe von Flugschriften wies er die Ausführbarkeit, trotz aller Einwürfe der Gegner, siegreich nach. Seine Meinung schmeichelte dem Stolze und der Hochherzigkeit der Nation, und als Polhem sich erbot, an die Lösung der herkulischen Aufgabe Ehre und Leben zu setzen, und auszuführen, was er erdacht: – da forderte man für ihn mit Enthusiasmus die nöthigen Mittel. Polhem’s Plan war, den Kanal von Gothenburg aus mittelst des Götaflusses und der Seen Weener, Wetter u. s. w. quer durch Schweden in einer fast geraden Linie nach Stockholm und an die Ostsee zu führen. Der erste und schwierigste Theil des Unternehmens galt der Herstellung der Verbindung zwischen Gothenburg und dem Weenersee. Letzterer liegt hundert und achtzig Fuß höher als der Belt, und der Strom des Götaflusses, der die Wasser des Weener der Nordsee zuführt, macht auf dieser geneigten Ebene mehre Stürze, die zusammen über 112 Fuß Höhe haben. Der reissende Strom hat sich sein Bett durch den festen Granit gewühlt und die hohen senkrechten Felsufer scheinen jede Idee zu entfernen, ihn einen andern Weg zu führen. Grandios war die Idee Polhem’s, in den reißenden Wasserfällen selbst Schleußen zu bauen, und mit einem ewig bewundernswürdigen Muthe begann er die Ausführung gerade bei dieser mißlichsten aller Arbeiten. Jede Stunde und jeder Tag erschuf neue Schwierigkeiten und neue Hindernisse; aber eben so schnell erfand Polhem’s Genie die Mittel, sie zu besiegen. Er und der berühmte Wimann brachten die Schleußen wirklich zu Stande, das vollständige Gelingen des Plans schien gewiß und nicht mehr fern zu seyn; als eine beispiellose Bosheit das Riesenwerk vieler Jahre vereitelte. Wahrscheinlich auf Anstiften mächtiger Widersacher, deren Privatinteresse mit dem Mißlingen des Unternehmens Hand in Hand ging, (vielleicht auch auf geheimes Anregen Dänemarks, welches das Unternehmen mit erklärlicher Eifersucht überwachte), wurden in einer stürmischen, finstern Nacht 1200 der größten über den Catarakten am Ufer liegenden Baumstämme in’s Wasser geworfen, und hinab gegen die Dämme und Mauerwerke geschleudert. Diese konnten den gewaltigen Stößen nur theilweise widerstehen und von sechzig, in derselben Nacht bei den verschiedenen Arbeitspunkten wachenden Männern fand der größte Theil den Tod. Die öffentliche Meinung rief vergeblich die Regierung auf, die Thäter [51] und ihre geheimen Lenker zur strengsten Bestrafung zu ziehen. Es wurde zwar eine Untersuchung angeordnet, diese sechs Jahre lang hingeschleppt und das Endresultat war: – man hatte nichts erfahren! – Polhem und Wiman, keineswegs entmuthigt, wollten zwar das Werk mit den noch vorhandenen Geldmitteln sogleich von neuem beginnen: aber die Gegner benutzten den günstigen Umstand, um das Beginnen der Ingenieurs als baare Thorheit darzustellen; die Regierung verließ sie und von dieser Zeit an bis 1793 behandelte man das Projekt, wenn man es wieder zur Sprache brachte, als Chimäre. Polhem, der Vater, starb; sein Sohn diskutirte die Ausführbarkeit des Kanalbaus von neuem, und durch eine würdige und sachverständige Wortführung gewann der Begriff, sowohl von der Nothwendigkeit, als von dem Nutzen des Werkes, immer mehr Anerkennung. Man faßte die Idee auf, die Trollhättafälle zu umgehen, durch den stahlharten Granit ein Kanalbett von 1½ Meilen zu sprengen, und unter den Auspizien eines Aktienvereines, der 1804 begründet wurde, begannen die Arbeiten. Sechs Jahre ununterbrochener Fortsetzung derselben brachten diesen gewaltigen Bau zu Stande. Im ersten Jahre des neuen Jahrhunderts wurde er dem öffentlichen Gebrauche feierlich übergeben. Die Trollhättenstrecke ist etwa 3½ Meilen lang und hat, bei niedrigstem Stande, 6½ Fuß Wasser. Acht Schleußen gleichen den Unterschied des Niveaus von einem Ende zum andern aus. Der Kanal trägt Seeschiffe von 200 Lasten.
Sobald dieser Theil des Götakanals fertig war, konnte über die Möglichkeit, die Schifffahrt bis zur Ostsee auszudehnen, kein Zweifel mehr seyn. Alsbald trat ein neuer Aktienverein zusammen, und der Enthusiasmus für das Unternehmen war so groß, daß Stockholm und Gothenburg allein binnen 24 Stunden über eine Million unterzeichneten. Das arme Schweden brachte die verhältnißmäßig enorme Summe von 3 Millionen Thaler durch freiwillige Subscription auf, und den Rest der Kosten übernahm die Regierung. Revolutionen und die Stürme des Kriegs konnten den Bau des großen Nationalwerks wohl auf kurze Dauer, nie aber auf längere Zeit unterbrechen. Endlich, nach dreißig Jahren, unter der Regierung des weisen Carl Johann, ist der Götakanal kürzlich vollendet worden. Ganz abgesehen von den politischen Vortheilen, die dieses Wunderwerk dem Reiche errungen, datirt sich damit für Schweden eine neue Epoche der öffentlichen Wohlfahrt. 9000 Barken und Seeschiffe benutzen den Kanal schon jetzt alle Jahre; inländischer Handel und Gewerbe haben sich verdoppelt und beide beleben sich mit jedem Jahre mehr. So sehr übersteigt der Erfolg alle vorhergegangene Berechnung, daß man das Bette des Göta für den Verkehr schon zu enge findet und das öftere Aneinanderfahren der Schiffe als einen großen Uebelstand beklagt. Die ganze Länge des Kanals, die Seen eingeschlossen, welche seine Strecken verbinden, ist ungefähr 40 deutsche Meilen.
Bosheit und Intrigue brachten Polhem um den Ruhm, sein Werk zu vollenden; die spätere Ausführung geschah durch andere Hände und nicht nach seinem genialeren Plane. Polhem ist längst todt; Andere erndteten, wo er gesäet; aber einer jener Zufälle, die der Mensch so gerne mit Ehrfurcht betrachtet, hat es gewollt, daß gerade der Theil seiner Arbeit am Kanale noch seinen Namen trägt, welcher dauern wird, wenn alle Damme und Schleußen seiner [52] Nachfolger unter der Last der Jahrtausende in Staub zerbröckelt sind. Es ist nämlich ein aus dem Granitfelsen selbst gehöhltes Schleußenbett,[1] und kein Bau war geeigneter, der Nachwelt den Geistes-Typus des großen Baumeisters besser zu verrathen. Er verkündigt den Begründer des Götakanals als das Genie, welches, Herr über materielle Substanzen, ihnen die Formen gibt, welche sein Wille vorschreibt; als jener Halbgötter einen, die aus dem Herkulesringen mit der physischen Natur immer als Sieger hervorgehen. – Nicht immer so verständig wirkt der Zufall. Wie launisch oft, wie ungerecht auch verfügt er oft über die irdischen Zeichen der Unsterblichkeit! Die unnützen Mauern der Pyramiden z. B., Monumente der Thorheit und Tyrannei zugleich, stehen noch aufrecht und erregen Bewunderung; während die Bronzebildsäule des Lysyppus spurlos verschwunden ist im Schiffbruch der Zeiten.
Das zweite Bild (der Toppö-Fall) zeigt eine andere, nicht minder interessante Partie des Trollhätta. Hier theilt ein Fels den gewaltigen Strom in zwei Hälften, und von einer Höhe, welche jener des Schaffhausener Rheinfalls nicht nachsteht, stürzt er in den Abgrund, welchen er aus dem Granit sich gehöhlt hat.
- ↑ Stahlstich CCLII.