Der Tower-Brand (Fontane, 1905)
Wenn’s im Tower Nacht geworden, wenn die Höfe leer und stumm,
Gehn die Geister der Erschlagnen in den Corridoren um,
Durch die Lüfte bebt Geflüster klagend dann, wie Herbsteswehn,
Mancher hat im Mondenschimmer schon die Schatten schreiten sehn.
Schwebt des sechsten Heinrichs greise, gramverwitterte Gestalt,
Lady Gray dann, mit den Söhnen König Edwards an der Hand; – –
Leise rauscht der Anna Bulen langes seidenes Gewand.
Zahllos ist das Heer der Geister, das hinauf, hinunter schwebt,
Schutt und Trümmer sollst Du werden!“ aber machtlos ist ihr Fluch,
Ehern hält den Bau zusammen böser Mächte Zauberspruch.
Plötzlich stock der Zug und schaart sich um ein glimmend Tannenscheit,
Und zur hellen Flamme schüren sie die matte Gluth im Nu.
Wie das prasselt, wie das flackert! einen sprühnden Feuerbrand
Nehmen sie zum nächt’gen Umzug jetzt als Fackel in die Hand,
Weithin wird die Saat der Funken in den Zimmern ausgestreut,
Alles schläft: doch auf vom Lager springt im Nu der rasche Sturm,
Und er wirft sich in das Feuer, und das Feuer in den Thurm,
An des Towers Felsenwände peitscht er schon das Flammenmeer,
Und den Segen drüber sprechend, wogt auf ihm das Geisterheer.
Wie wenn Blut der beste Mörtel, den ein Meister je erdacht, –
Hat sie doch, als wären’s Becher, nur den Inhalt ausgeschlürft.
Wieder, wenn es Nacht geworden, wenn’s im Tower leer und stumm,
Durch die Lüfte weht Geflüster, klagend dann wie Herbsteswehn,
Mancher wird im Mondenschimmer noch die Schatten schreiten sehn.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Festung überstand das Große Feuer von London 1666. Am 30. Oktober 1841 wurden bei einem Feuer im Tower Gebäude beschädigt.