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Autor: Rudolf Greinz
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Titel: Der Stoandlnarr
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51–53, S. 851–855, 867–871, 888–891
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[851]

Der Stoandlnarr.

Eine tiroler Geschichte von Rudolf Greinz.

Es sah recht buntscheckig aus im Laden des Kramer Luis. Was nur irgend ländliche Bedürfnisse erfordern, war da in reicher Auswahl aufgespeichert. Tabakbeutel und Peitschenstiele, Zuckerhüte und Mehlsäcke, Hauskappen und Schuhnägel, Wichsschachteln und Kandiszucker gaben sich ein friedliches Stelldichein neben anderen eßbaren oder irgendwie zur Verschönerung des Lebens dienenden Waren. Mitten darunter thronte auf einer Art Schusterstuhl der Luis und schmauchte seine kurze Reggelpfeife. Wenige hatten ihn anders gekannt, als er gegenwärtig war: meeralt, voll Runzeln im Gesicht, die kleinen listigen Augen eingekniffen, den passenden Mund immer gespitzt wie ein Hecht auf dem Trocknen.

Man munkelte, daß der Kramer Luis bis über die Ohren im Geld sitze. Sein Aeußeres hatte, wie gesagt, nichts Verlockendes. Dazu kam noch ein großer Höcker. Im übrigen besaß der Luis eine unverwüstliche Gesundheit, war zäh wie Sohlenleder und immerwährend bei gutem Humor, wenn dieser auch recht viele bissige Bestandteile hatte. Was im Umkreis von zehn Meilen passierte, das wußte der Luis am allerbesten. Er saß ja den ganzen Tag wie eine Spinne im Netz und sammelte Neuigkeiten.

Der Kramer stopfte sich gerade frischen Tabak in die Pfeife, als ein Kunde eintrat. Es war ein starker Bursch, hoch in den Dreißigern. Haar und Bart hingen ihm ziemlich verwildert um das wetterbraune Gesicht.

„Bist auch wieder amal aber vom Berg, Romedi!“ begrüßte der Kramer den Ankömmling. „Wird dir wohl wieder Pappendeckel und Leim ausgangen sein, denn was anderes hast ja noch nie bei mir kauft!“

„Dös geht di gar nix an!“ erwiderte der Romedi etwas unwirsch. „Wann’s dir zuviel Müh’ macht, kann i mir’s durch die Botin von der Stadt auch bringen lassen!“

„Sei nur nit gleich oben aus!“ beschwichtigte ihn der Luis und ging eilfertig in eine Ecke des Ladens, von wo er bald mit einem riesigen Packen Pappendeckel zurückkam. „Der wird wohl wieder a Weil’ langen?“ meinte er. „Und Marmelpapier is auch neues kommen. Kannst dir aussuchen, was dir g’fallt.“ Dabei zog er aus einer Lade einen Stoß bunt gesprenkelten Papieres hervor.

Der Romedi suchte lange aus, legte sich seinen Bedarf beiseite, den ihm der Kramer zu einer Rolle packte, und wollte sich, nachdem er noch einige Stücke Leim erworben, entfernen. Dem Luis schien aber daran gelegen zu sein, noch eine Weile Unterhaltung zu haben. Er zupfte den Burschen beim Aermel. „Wir sein ja nit auf’m Wasser, daß du di so zu schleunen brauchst. Setz’ di a wengerl nieder, und i schenk’ dir a Glaserl Kerscheler ein. So an seltenen B’such werd’ i doch nit gleich laufen lassen!“

Der Bursch folgte halb widerstrebend und setzte sich auf die Ladentafel. Gleich darauf stellte der Kramer den Kirschenschnaps neben ihn. „So, jetzt können wir doch noch a christliches Wort reden von Gott und der Welt. Sag’ amal, Romedi, tragt dir denn dein G’schäft etwas ein auch?“

„Sonst würd’ i wohl nit leben können!“ erklärte der Gefragte kurz, indem er an dem Schnapsglas nippte.

„Will’s glauben! Will’s glauben!“ versicherte der Kramer. „Schau, es is doch gut, daß so allerhand neue Moden in die Welt kommen. Zu meiner Zeit hätt’ einer bei so a Bransch verhungern müssen. Aber seit die Herrischen alleweil mehr in die Berg’ auferkraxelt kommen und mit ihre Winterfenster und Spekuliereisen[1] jeden Grashalm und jedes Stoandl[2] abschnuffeln – seitdem macht man halt mit di Stoaner auch a G’schäft.

„Wenn man’s versteht!“ erwiderte der Romedi, während ein spöttisches Lachen über sein Gesicht zuckte.

„Ja, ja,“ sagte der Kramer und rückte näher herzu. „Du mußt es in dei’m Hirnkasten schon ganz extra eing’richtet haben. I wüßt’ amal mit dö Stoaner nix anz’fangen!“

„Vielleicht kennst di mit der War’ besser aus, wenn sie in dei’m Gries und Mehl vorkommt!“ versetzte der Romedi boshaft.

„Mit so überflüssigen Reden kannst daheim bleiben!“ verteidigte sich der Luis aufgebracht und leitete gleich auf ein anderes Thema über. „Weißt schon das Neueste? Der Kurzweger Sagschneider is auf der Gant. In a paar Tagen versteigern sie ihm sein ganzes Zeug!“

„Dem Sagschneider?“ fuhr der Romedi empor. Die Nachricht machte sichtlich einen starken Eindruck auf ihn.

„Recht g’schieht ihr, der hochmütigen Bagaschi!“ lachte der Kramer. „Jetzt wird’s dem Sagschneider sein Weib, die Emerenz, wohl bleiben lassen, seidene Schürzen z’tragen und die teuersten Halstücheln, dö aufzutreiben sein, und a silbernes Miederg’schnür! Hat sich ja mit dem Kurzweger den allerbesten auszusuchen glaubt. War ja a G’riß um dös Diandl, und die Buab’n sein zu ihrer Schönheit wallfahrten gangen, als wann’s a wunderthätig’s Frauenbild am Altar wär’! Mir scheint, Romedi,“ meinte der Luis, mit den Augen zwinkernd, „du hast die Emerenz auch amal nit ungern g’sehen? Seid’s ja miteinander aufg’wachsen.“

Der Bursch stierte völlig geistesabwesend vor sich hin und schien die Frage des Kramers überhört zu haben. Dann raffte er sich auf, trank hastig seinen „Kerscheler“ aus und wollte gehen. Abermals hielt ihn der Kramer zurück „Mir dünkt, Romedi, du hast heut’ nit dein’ besten Tag?“

„Was macht denn nachher der Kurzweger?“ fragte der Romedi, um wenigstens etwas zu sagen.

„Der hat sich’s leicht vorg’nommen!“ spottete der Luis. „Der is auf und davon. Seit drei Tagen hat ihn koa Mensch mehr g’sehen. D’ Hoamat is ihm wohl z’eng wordn! Er wird nach Amerika sein.“ Der Kramer rückte jetzt wieder ganz nahe an den Romedi heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Und weißt du, wer die Emerenz und ihren Mann auf nix bracht hat? I – hab’s than! I hab’ die größte Hypothek auf den Hof, und alle anderen Gläubiger friß i auf’m Kraut! I laß’ der stolzen Brut das Dach überm Kopf und ’s Bett unterm Buckel verkaufen! Dann wird’s die Emerenz wohl einsehen, daß sie mit dem Kramer Luis besser g’fahren wär’!“

„Mit dir?“ fragte der Romedi, dem es ganz wirblig im Kopf wurde.

„Ja, mit mir!“ zischte der Luis und stemmte beide Fäuste auf die Ladentafel. „I hab’ das Diandl zu mei’m Weib machen wollen! Und i hätt’ sie auf Händen tragen! A Leben hätt’ sie g’habt wie a Reichsgräfin! Freilich hat sie mi[r] abg’schnalzt! Aber von da an hab’ i mir’s g’schworen … und du siehst, i hab’ mein’ Schwur g’halten! Ja, ja, aufg’schoben is nit aufg’hoben!“ Damit brach er in ein krampfhaftes Gelächter aus.

Der Romedi stand unterdessen vor ihm und öffnete fortwährend seine beiden Fäuste, sie gleich darauf wieder ballend, als ob er in der Luft etwas kneten wollte. Jetzt faßte er den Kramer bei den Schultern, hob ihn mit einem Ruck über die Ladentafel und schrie. „Du elendige Kreatur, soll i dir nit gleich da auf der Stell’ dein Lebenslicht ausblasen! Du und die Emerenz! Himmelsakra! Mach’ Reu’ und Leid, sag’ i dir!“ Jede Muskel an dem starken Burschen bebte.

Der Kramer war leichenblaß geworden vor Angst. Nun erhob er ein mörderisches Geschrei. „Zu Hilf! Zu Hilf! Er bringt mi um!“

Das schien den Romedi zu ernüchtern. Er gab dem Luis einen „Schupfer“, daß er auf den nächsten Mehlsack zu reiten kam, griff nach seiner Rolle und meinte gelassen: „Hab’ koa Angst. Is mir nit der Müh’ wert, wegen so an Kerl ins Kriminal z’kommen. Aber das merk’ dir, Kramer! Der Letzte hat noch nit g’schlagen! Vielleicht reden wir Zwei noch a Wörterl mitanander!“

„Aber vor G’richt!“ zeterte der Luis, auf seinem Mehlsack, nach Atem ringend.

„Kann auch möglich sein,“ meinte der Romedi gleichgültig und war im nächsten Augenblick auf der Dorfgasse.

„Stoandlnarr! Stoandlnarr!“ brüllte ihm wütend der Kramer, der zur Thür geeilt war, aus Leibeskräften nach.

Der Romedi ließ sich durch den Schimpf nicht beirren und schritt rüstig fürbaß. Bald hatte er die letzten Häuser des [852] Dorfes hinter sich. Nun ging es durch Wiesen und Aecker dem Wald zu. Ein schwüler Sommerabend lag über dem Unterinnthal. Auf den Gipfeln der Berge ballten sich schwarze Wolkenmassen zusammen. Kein Lufthauch rührte sich, kein Laut war hörbar als das Zirpen der Grillen im roten Klee oder der Pfiff eines vorüberschwirrenden Vogels. Hier und da hörte man auch das Wetzen einen Sense in benachbarten Wiesen.

Als der Wanderer den anfangs ebenen und dann sacht ansteigendem Wald betrat, war es dort womöglich noch „dunstiger“. Seine Joppe hatte der Bursch ausgezogen und trug sie mit der Rolle unterm Arm. Der Vorgang beim Kramer hatte den Romedi mehr aufgeregt, als er sich selbst eingestehen wollte. Sonst pflegte er ein Liedel zu pfeifen, wenn er so mit wuchtigen Schritten seinen Weg verfolgte. Heute wollte ihm kein einziger Ton aus der Kehle.

In der Ferne begannen die ersten Donner zu grollen. Es wurde schon beinahe finster im Wald und man mußte Weg und Steg gut kennen, wenn man sich nicht verirren wollte. Der Pfad wurde immer steiniger und steiler. Der Romedi hatte noch ein tüchtiges Stück, bis er seine einfache Behausung droben im Gebirge erreichte. Schon wechselten die Bestände der Fichten und Föhren vielfach mit der Zwergkiefer, die in dem felsigen Untergrund noch am ehesten ihr Fortkommen fand. Jetzt leuchtete ein greller Blitz hernieder, dem in kurzer Frist ein dumpfes Poltern folgte. Gleichzeitig fielen die ersten Regentropfen. Der Romedi hielt keuchend inne, denn er hatte die letzte Viertelstunde seines Weges fast im Sprunge zurückgelegt. Furcht vor dem Wetter kannte er nicht. Der Sturm in seinem Innern war’s, der ihn antrieb, über den holprigen Weg so hinauf zu rasen. Nun ließ er sch auf einem mit Moos und Farrenkraut überwachsenen Felsstück nieder, vergrub das Gesicht in beide Hände und dachte nach.

Die ganze Welt um ihn war vergessen, der Sturm, der die Wipfel der Bäume zauste, das Gewitter, das in immer größerer Heftigkeit losbrach, der niederrauschende Regen. Mochte es ihn erschlagen und verschwemmen, den armen Stoandlnarr! Es wäre ihm gerade recht gewesen. Sein ganzes Leben zog an dem Burschen im düstern Hochwald vorüber, und die entfesselten Elemente spielten ihm dazu auf.

Der Romedi war schon als ganz kleines Büblein aus Welschtirol in das Dorf im Unterinnthal gekommen. Von seinen Eltern hatte er nur wenig Erinnerungen. Sein Vater war ein Maurer gewesen, der mit seinem Weib in der Gegend eine Weile gelebt hatte und dann wieder in seine Heimat gezogen war. Den Romedi hatte sie bei einem Bauern gegen gute Worte als Hüterbua zurückgelassen. Er konnte bereits auf eigenen Füßen laufen und sich daher sein Brot allein verdienen. Auf diese Weise war der lästige Mitesser am besten „angebaut“. Wenn er einmal herangewachsen wäre, würde man ihn schon wieder mit nach Hause nehmen, hatten seine Eltern beim Abschied gesagt. Dann sollte er das Handwerk des Vaters erlernen. Nach dem „welschen Bua“ frug aber kein Mensch mehr. Auch alle später eingezogenen Erkundigungen über seine Eltern blieben erfolglos. So behielt man Buben im Dorf. Deutsch hatte er inzwischen gründlich gelernt und seine Muttersprache vollkommen vergessen.

Aus dem kleinen Hüterbua war ein braver Knecht geworden, der sich auf die Bauernarbeit verstand wie selten einer. Als der Romedi schon ein ganz großer „Lackl“ und bald zwanzig Jahre alt war, kam er auf den Hof des Praxmarer, eines ziemlich wohlhabenden Bauern. Die Bäuerin war nicht mehr am Leben. Der Praxmarer hauste allein auf dem Anwesen mit seinem Gesinde und der kleinen Emerenz, dem einzigen Sprößling seiner kurzen Ehe. Das Diandl war damals zehn Jahre alt und „a rechter Uebermuat“. An dem Madl ist ein Bua verloren gegangen, pflegten die Leute zu sagen. Da der Praxmarer mit Holz und Vieh handelte und daher viel auswärts war, blieb das kleine Ding dem Gesinde. überlassen und der Obhut eines alten treuen Haushundes, der das Kind öfter als einmal aus dem Mühlbach gezogen hatte. Gerade einige Wochen, nachdem der „Phylax“ seinen letzten „Schnaufer“ gethan, kam der Romedi auf den Hof und übernahm das Amt des alten Hundes. Es war wirklich rührend, zu sehen, wie der hoch aufgeschossene, unbehilfliche Bursche dem Kinde jede freie Minute widmete, es bewachte wie seinen Augapfel, ihm Puppe und Maispfeife schnitzte und sich von seinem Händchen im Spiel zerzausen ließ. Er hätte sich eher in Stücke hacken lassen, bevor dem Diandl des Praxmarer auch nur ein Haar gekrümmt worden wäre.

Lange dauerte diese Wächterrolle allerdings nicht. Die kleine Emerenz wuchs heran und vertauschte ihr Spielzeug mit der Arbeit im Haus. Der Romedi war auf dem Hofe eine unschätzbare Kraft geworden. Er sah nach allem, griff überall von selbst zu und arbeitete unverdrossen von früh bis abends. Darüber verstrichen die Jahre. Er wußte es zuletzt selbst nicht mehr, wie lange er schon beim Praxmarer diente. Daß es schon ziemlich lange sein müsse, konnte er sich an der Emerenz ausrechnen, die eine stattliche Dirn geworden war und, wie die übrigen Diandeln und ehemaligen Schulkameradinnen mit Neid eingestehen mußten, die schönste im ganzen Dorf. Und doch war alles ganz langsam und stetig vor sich gegangen. Der Romedi erinnerte sich noch ganz genau, wie das Diandl in die Schule ging und glückstrahlend mit dem ersten Preis, einem riesigen, in hellroten Sammet gebundenen Gebetbuch, heimkam. Dann besuchte sie noch ein Jahr die Sonntagsschule, wobei der Romedi sie gewöhnlich abholte, um das plötzlich ganz scheu gewordene Diandl vor den Neckereien der jungen Burschen, die mit ihr am Sonntag die Christenlehre besuchte, zu bewahren. Mehr als einen Zudringlichen hatte er durchgeholzt. Später wußte sich dann das Diandl selbst zu helfen. Eine schnippische Bemerkung der schönen Emerenz fruchtete dann mehr als früher die Fäuste des Romedi.

Die beiden Gespielen waren nicht mehr viel beisammen und hatten auch nicht mehr viel miteinander zu reden. Jedes ging seiner Arbeit nach. Und an den Abenden im „Hoamgart“ waren zu viele, als daß man ein vertraulich Wörtlein allein hätte wechseln können. In irgend einem Winkel leise zu „tuscheln“, hätte nur üble Nachrede erzeugt. Und schließlich, was sollten sie sich auch leise oder laut sagen, was nicht alle Welt hätte hören können? Sie war die Tochter vom Haus, und er war der Knecht. Dieser große Unterschied, der in den Kinderjahren ja nur wenig ins Gewicht fiel, hatte sich nunmehr Geltung verschafft. Da hieß es, den Abstand zu wahren!

Die Emerenz war gerade nicht stolz geworden. Aber daß sie etwas auf sich halten konnte, das wußte sie. Gar mancher Bursch guckte sich die Augen nach ihr aus, wenn sie so leichtfüßig dahineilte wie ein Reh, daß die dicken braunen Zöpfe im Winde flogen. Von den vielen Bewerbern konnte sich keiner rühmen, daß ihm die Emerenz auch nur die Spitze des kleinen Fingers gereicht hätte. Ob sie ans Heiraten dachte oder nicht? Wer wollte es entscheiden? Jedenfalls waren schon genug mit ellenlangen Gesichtern abgefahren, die sie nur „von weitem“ darum gefragt hatten.

Das Leben ging auf dem Praxmarer Hof ruhig weiter. Außer Tod, Feldschaden, Brand, Wassergefahr und dergleichen giebt es ja nicht viele aufregende Momente im Bauernleben, Liebe und Ehe etwa noch mit eingeschlossen. Der Romedi war daher in aller äußeren Ruhe dreißig Jahre alt geworden. Was er innerlich dachte und fühlte, darum fragte ihn niemand. Schien auch niemand neugierig danach zu sein!

Ein neues Element war allerdings in sein Leben getreten. Das hatte der Besuch von mehreren Geologen, die sich einige Wochen in der Gegend aufhielte, mit sich gebracht. Da auf dem Hof die strengste Feldarbeit gerade vorüber war, erlaubte der Bauer dem Romedi, den fremden Herren als Führer in die umliegenden Berge zu dienen. Das war für den Romedi eine Zeit der größten Anregung. Anfangs machte sich wohl die Spottlust in ihm geltend – „Was dö Herrischen doch für verrückte G’sellen san, weil sie sich wegen a paar elendige Stoaner halb zu tot schwitzen! Von Tag zu Tag wuchs jedoch das Interesse des Burschen an der Sache. Er sperrte Mund und Auge auf darüber, daß es in der ihn zunächst umgebenden Welt so viel gab, von dem er bisher keine Ahnung gehabt. Er war wohl oft genug früher mit der Büchse über der Schulter in die Berge gestiegen. Da hatten ihm aber die Steine nur manchen gelinden oder starken Fluch entlockt, und es war ihm einer wie der andere erschienen. Jetzt war er eifrig bestrebt, den fremden Herren so viel als möglich von ihrer Wissenschaft abzulauschen und hatte sich auch innerhalb der wenigen Wochen ganz erkleckliche [854] Kenntnisse angeeignet. Namentlich wußte er jetzt recht genau, daß es auch wertvolle Steine gab und daß ein Stück Feld schließlich auch mit der Sache zu verdienen sei. Kurz, als die Herren abreisten war aus dem Romedi ein vollendeter „Stoandlnarr“ geworden, welcher Spitzname denn auch nicht lange auf sich warten ließ. Jede freie Stunde benutzte er, um in den Bergen herumzustreifen, und oft kam er mit ganzen Lasten seltener Mineralien zurück. Mit seinen Lehrern, denen er zum Führer gedient, war er in Verbindung geblieben, und so wußte er seine Funde auch direkt zu verwerten.

Als ab und zu und dann immer häufiger kleinere Geldsendungen von auswärts an den Romedi einlangten, schüttelten die Bauern den Kopf und begannen langsam zu begreifen, daß der Knecht nicht so verrückt sein müsse, wie man anfangs geglaubt. Und als der Romedi eines Tages gar mit einem schier faustgroßen Granaten heimkam und dann ein hübsch Stück Geld dafür einheimste, regte sich schon der Neid.

Der „Stoandlnarr“ aber waltete wie ein Gebieter über all den fast unzugänglichen und versteckten Plätzen, die er ringsum in den Bergen aufgestöbert hatte und noch gehörig auszunutzen gedachte.

Dann war für ihn ein Tag gekommen, an dem er glaubte, der Himmel sei auf die Erde herabgefallen. Das war, als er sich ein Herz genommen, der Emerenz zu entdecken, wie lieb er sie habe und wie er meine, ohne sie nicht mehr leben zu können. Und das Diandl war ihm an die Brust gesunken. Sie hatten sich ewige Treue geschworen. Arbeiten wollte er für sie, bis ihm das Blut von den Händen rinne! Und wenn er alle Berggipfel und Felszacken im ganzen Unterinnthal abtragen sollte! Der Vater durfte vorderhand nichts von der „G’spusi“ wissen. Es wäre ja noch Zeit. Er, der Romedi, wollte dann schon selbst mit dem Alten ein vernünftiges Wort reden, wenn er von seiner letzten Waffenübung bei den Tiroler Landesschützen heim käme und damit militärfrei würde.

Der Romedi rückte im Sommer auf vier Wochen ein, zum heftigen Verdruß des Praxmarer, dem sein Knecht unter der dringendsten Feldarbeit gewaltig abging. Aber der Kaiser wollte halt auch seine Leute haben. Da ließ sich nichts machen.

Vier Wochen sei nur ein Sprung, meinte der Romedi, als er von der Emerenz Abschied nahm. Und seine letzte Zeit beim “Militari“ wollte er im Nu „aberg’rissen“ haben. Wieviel Unerwartetes kann aber sich auch in der kürzesten Spanne Zeit ereignen! Das sollte der Romedi erfahren als er zurückkam.

Seine erste Frage, als er mit seinem Urlauberpäckchen den Hof betrat, war nach der Emerenz. Das Diandl sei seit ein paar Tagen fort zu einer Bas’n nach Brixen, um dort ihre Ausstattung zu nähen. Ja, sollte der alte Praxmarer schon alles wissen und mit allem einverstanden sein? durchblitzte es den Heimgekehrten in plötzlicher Freude. Um so schwerer traf ihn der wahre Sachverhalt. Die Emerenz war mit einem anderen versprochen!

Wie und warum das gekommen, dem hatte der Romedi nie nachgeforscht. Ob das Diandl nur dem Drängen ihres Vaters nachgegeben, ob sie dessen Widerstand gefürchtet und sich schließlich selbst geschämt habe, nur einen armen Knecht zu heiraten, er brauchte es nicht zu wissen. Er fragte nicht nach den Gründen. Für ihn war die vollendete Thatsache genügend, um ihm den „Himmel auf Erden“ im Verlauf weniger Minuten in die leibhaftige Höll’ zu verwandeln. Ziemlich hoch hinaus hatte die Emerenz freilich immer wollen! Das fiel dem Romedi erst jetzt wieder ein. Drum wird ihr halt der reiche Kurzweger lieber gewesen sein als der „welsche Bua“, der eigentlich kein Herz im Leib zu haben brauchte, weil das ein überflüssig Ding ist für einen bloßen Knecht!

Der Kurzweger, der vor einigen Jahren mit einem Sack voll Banknoten aus Bayern zugewandert war, hatte schon seit geraumer Zeit mit dem Praxmarer in einer Art Kompagniegeschäft gestanden, indem er den reichen Wälderbesitz des Bauern „praktisch“ verwertete. Er hatte eine riesige Brettersäge nahe beim Dorf errichtet, die großes Geld abzuwerfen schien. Wenigstens rückten die Bauern den Hut vor dem „Sagschneider“. Das will immerhin etwas heißen und passiert einem Einheimischen außer dem Pfarrer, Doktor und Bezirksrichter nicht sonderlich oft.

Ein Vierteljahr, nachdem der Romedi heimgekommen war, hielt der Kurzweger mit der Emerenz Hochzeit. Es ging hoch her dabei. Der Wein floß in Strömen, und die Böller krachten vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht.

Der Romedi hatte noch am Tage seiner Heimkehr Abschied vom Praxmarerhof genommen. Den Grund erfuhr der Bauer, der ihn ungern ziehen sah, nicht. Er fragte auch nicht danach. Wenn der Romedi „mir nichts dir nichts und ohne irgend welchen Grund davon laufe, dann war er eben nicht recht gescheit. Wenn er aber gar sich Hoffnungen auf die Emerenz gemacht haben sollte, dann sei er erst recht verrückt. Ein Raderl zu viel habe der Bursch unter jeder Bedingung in seinem Hirnkasten. Damit war die Sache für den Bauern abgethan.

Dann sah man den Romedi über ein Jahr lang in der Gegend nicht mehr, bis er plötzlich wieder auftauchte. Es hieß, er sei inzwischen im Welschland gewesen. Einen Welschen hatte er wenigstens mitgebracht. Und das war ein Bruder des Romedi, der, wie die Leute im Dorf meinten, einen ganz verzwickten „krautwelschen“ Taufnamen hatte. Niemand konnte sich ihn merken.

Der ehemalige Knecht vom Praxmarer kaufte sich eine halb zerfallene Mühle hoch im Berg droben, die er zu einem ganz stattlichen und wetterfesten kleinen Haus wieder aufbaute. Mit der noch verfügbaren Wasserkraft richtete er sich dort eine Stein-Schleiferei ein und vergrößerte seinen Handel mit seltenen Steinen nach auswärts. Unten im Dorf ließ er sich nicht oft sehen. Nur wenn er Lebensmittel einzukaufen, gewichtige Pakete und Säcke auf die Post zu befördern hatte, ging er hinunter, oder wenn er sich beim Kramer das Material für all die großen und kleinen Pappschachteln holte, die er sich für seine mineralogischen Sammlungen selbst anfertigte. Bisweilen fuhr er aber auch nach Innsbruck, und im Dorf munkelte man, daß er dann seine Einnahmen auf die Sparkasse trage. Noch seltener kam jemand vom Dorf zu dem Einsamen hinauf. Um so mehr wurde er von fremden Touristen besucht. Auf dem Praxmarerhof war aber der Kurzweger unumschränkt Herr geworden, da der alte Bauer bald nach der Hochzeit seiner Tochter gestorben war. – –

Der Regen hatte nachgelassen, das Wetter seine ärgste Gewalt ausgetobt. Der Romedi schreckte empor. Wie lange mochte er so im Wald gesessen haben? Ihm schien es ein Augenblick zu sein. So rasch und jäh war alles vor seinem Innern vorübergeflogen. Das war also das Ende vom Lied: der Kurzweger auf der Gant und die Emerenz eine Bettlerin! Dann ballte er unwillkürlich wieder die Faust, wenn er des Kramers gedachte. Dabei erinnerte er sich der drunten eingekauften Rolle. Sie lag neben ihm auf dem Boden und war vom Regen zu einer breiigen Masse zerweicht worden. Der Romedi trat sie mit dem Fuß in den Boden. Er war selbst naß bis auf die Haut. Nicht einmal die Joppe hatte er umgehangen, die schwer und ganz durchtränkt neben ihm lag. Mit einem gleichmütigen Achselzucken zündete er sich jetzt seine Pfeife an. Die Zündhölzer in der kleinen blechernen Büchse waren trocken geblieben. Er schritt vorwärts. Man sah kaum einen Fuß breit Weges in dem Wald vor sich. Der Romedi fand sich aber auch im Finstern zurecht. Da und dort orientierte ihn auch die schwache Glut seiner Pfeife.

„Also der Kurzweger auf der Gant –“ murmelte er wiederholt, indem er gemessenen Schrittes aufwärts stieg. Ein Gerücht, daß der reiche Sagschneider durch fortgesetzte verfehlte Spekulationen namhafte Verluste erlitten, war dem Romedi allerdings auch schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen. Er hatte aber darauf nichts Besonderes gegeben. Jetzt fiel es ihm ein, daß der Kramer Luis und der Kurzweger schon seit Jahr und Tag immer beisammen steckten , gemeinschaftlich Geschäfte machten ja, daß der Luis im Dorf geradezu als der geschäftliche Ratgeber des Sagschneider galt. „Also darum? – Verfluchter Haderlump!“ wetterte der Romedi laut vor sich hin.

Dabei wäre er bei einem Haar an seinem Haus vorüber „geschuht“. So tief war er in Gedanken. Er öffnete die Thür und machte im Hausflur Licht. Der Bruder lag offenbar schon lange im Bett. Er hörte sein regelmäßiges Schnarchen aus der Kammer. Der Romedi hatte bei all dem Sinnieren Hunger und Durst bekommen. Er ging in die Stube und schnitt sich einen tüchtigen „Ranggen“ Brot ab. Aus der Selchkammer neben der Küche holte er sich ein „Trumm“ Speck. Die beiden Brüder waren ganz gut zugerichtet und kamen auch ohne Häuserin prächtig durch, kochten und wirtschafteten selbst. In der Stube [855] langte sich der Romedi noch die Flasche mit dem Enzian aus dem Wandkasten und ließ es sich gehörig schmecken.

Nachdem er sich so gestärkt hatte, trieb es ihn, vor dem Schlafengehen noch einmal in der Werkstätte Nachschau zu halten. Er kletterte über eine leiterartige Stiege empor und öffnete die aus Brettern roh gezimmerte Thür, die zu seinem Heiligtum führte. Das kleine Gemach war nicht gemauert, sondern aus gesägten Balken aufgeführt, durch die der Wind, trotz der Moosverkleidung in den Ritzen und Spalten, reichlichen Zutritt hatte.

Es herrschte eine peinliche Ordnung in diesem primitiven Naturalienkabinett. Schränke mit Glasscheiben, andere, an denen die Thüren bloß aus grünem Wachstuch in Holzrahmen waren, zierten die Wände. Jeder einzelne Kasten war ein besonderer Stolz des Romedi. Nur schweren Herzens plünderte er den Inhalt seiner Sammlungen, wenn kauflustige Touristen zu ihm kamen und für die wertvollen Mineralien die blanken Gulden, Fünfer und Zehner in die Tasche des „Stoandlnarrs“ wandern ließen.

In einem der Balken kunstvoll eingekerbt, befand sich ein für das Auge des Unkundigen nicht zu unterscheidendes kleines Schubfach, das der Romedi nur seinen besonderen Günstlingen öffnete. Jetzt leuchtete er mit dem kärglichen Talglicht nach dem Balken, bohrte mit einer spitzen Ahle in das Holz und zog an derselben ein kleines Kästchen heraus. Es war völlig wie Hexerei anzusehen Er öffnete das Behältnis und weidete sich an der stattlichen Reihe von kunstvoll geschliffenen Granaten, Amethysten, Opalen und Lasursteinen, die er im Laufe der Jahre mühsam auf seinen einsamen Bergfahrten gesammelt, selbst bearbeitet und nur zum geringsten Teil verkauft hatte. Ein eigener Geiz war über den Romedi gekommen. Wenn er sich von einem der prachtvollen Steine trennen sollte, war es ihm stets, als ob man ihm etliche Tropfen seines Herzbluts abzapfen würde.

Auch einige im Schliff noch nicht vollendete Stücke befanden sich in der Sammlung, in der jeder kostbare Steinfund sofort aufbewahrt wurde. Früher war der Romedi nicht so mißtrauisch gewesen. Seitdem aber bei den wiederholten Besuchen von Fremden manchmal das und jenes wertvolle Stück von selbst „Füße gekriegt“ hatte und auf Nimmerwiedersehen verschwunden war, ließ es sich der Romedi gesagt sein.

Er entnahm dem Kästchen einen Granaten, an dem sich noch mehrere rauhe Flächen zeigten, ging an die sinnreich eingerichtete und in ihren meisten Teilen von ihm selbst erfundene Schleifbank und zündete dort eine kleine Blendlaterne an. Dann wollte er durch einen Druck auf einen hölzernen Hebel die Wasserkraft in Bewegung setzen. Die Maschinerie versagte. Sollte das Gewitter an dem Einlauf des Baches etwas zerstört haben? Dem Romedi ließ es keine Ruhe. Er mochte sich hundertmal sagen, daß es ja morgen auch noch Zeit sei, zum Rechten zu sehen! Schlafen hätte er doch nicht können! Noch niemals war ihm seit dem Bau der Schleiferei eine solche Störung passiert.

Er löschte die Kerze aus, nahm die Blendlaterne und kletterte über die Stiege nieder in den Hausflur. Dann trat er ins Freie. Ein scharfer schneidiger Wind hatte sich im Nordosten erhoben und blies ihm gleich vor der Hausthür das Licht aus. Mit einem kräftigen Fluch ging er in die Küche und zündete die Laterne wieder an. Kaum war er zu dem Bachstall gekommen, dasselbe Manöver!

„Na, wart’, i werd’ dir helfen, Teufelswind überanand! knirschte der Romedi zwischen den Zähnen, tappte sich im Finstern in die Holzschupfe und holte einen großen „Kenten“, wie man die aus harzigem Tannen- und Fichtenholz verfertigten Kienfpanfackeln nennt. Der „Kenten“ fing bald Feuer. Der Romedi schwang ihn unterwegs in dem pfeifenden Wind über seinem Kopf im Kreise, um ihn vollends zum Brennen zu bringen.

In dem flackernden Licht stieg er rasch zu dem Wehr empor, das den heute ziemlich mächtig angeschwollenen Wildbach teilweise zu seiner Steinschleiferei lenkte und ihm den unbändigen Gesellen dienstbar machte.

An dem Wehr war nichts zu entdecken. Der Romedi leuchtete das tief gegrabene und mit Dielen-Eichenbrettern eingefaßte Bachbett entlang. Auch da nichts! Sollte ein Mutwilliger etwas an dem Hebelwerk zerstört haben? Aber auch an dem Hebelwerk, das die Wasserkraft seiner Werkstätte zuführte, bemerkte er bei oberflächlichem Zusehen nichts.

Da, was war das? Unter dem Schaufelrad ein dunkler Körper, der sich wie mit Gewalt hineingezwängt hatte! Der Romedi leuchtete zu und hätte im nächsten Augenblick mit einem lauten Aufschrei fast den Kienspan fallen lassen. Es war ein menschlicher Körper, der durch die Gewalt des Wassers herbeigeschwemmt worden und unter dem Rade stecken geblieben war. Der Romedi bekreuzte sich unwillkürlich, bohrte aber dann mit einem raschen Entschluß die Fackel zwischen zwei Schaufeln des Rades, die ziemlich eng aneinander schlossen, und sprang, wie er war, in das Bachbett. Das eiskalte Wasser reichte ihm bis über die Hüften. Mit schier übermenschlicher Anstrengung versuchte er, den Körper unter dem Rade hervorzubringen. Es gelang dem sonst äußerst kräftigen Burschen nicht.

Er kletterte wieder ans Ufer, lief ins Haus und weckte seinen Bruder. Beide arbeiteten mit vereinten Kräften gut eine halbe Stunde, bis es ihnen gelang, den Leichnam zu bergen. Der Tote kam mit dem Gesicht gegen den Boden zu liegen. Als man den schweren Körper umwendete und der Romedi ihm mit der Fackel ins Gesicht leuchtete, stieß er von neuem einen lauten Schrei aus … es war der Kurzweger, der Mann der Emerenz. [867] Die beiden Brüder trugen den Toten in die Stube, wuschen ihn und zogen ihm ein trockenes Gewand des Romedi an. Dann legten sie den Leichnam auf eine Bank, mit einem brennenden Licht zu Häupten und einem Weihwasserkessel zu Füßen. Die Hände hatten sie dem Kurzweger gefaltet, ihm ein Kreuzlein dazwischen gegeben und einen Rosenkranz um die Finger gewunden.

Dann holte der Romedi seinen eigenen Rosenkranz aus der Tasche und begann laut vorzubeten: „Herr, gieb ihm die ewige Ruh'!“ – „Und das ewige Licht leuchte ihm!“ fiel der Bruder ein. „Herr, lasse ihn ruhen im Frieden!“ Jedes Gefühl von Feindschaft oder Bitterkeit war aus der Brust des Romedi verschwunden. In diesem Augenblick war er sich nur der Pflicht eines jeden Christenmenschen bewußt, für die Seelenruhe des Toten zu beten. Da man es bei der finstern Nacht nicht recht wagen konnte, mit der traurigen Last den Abstieg ins Dorf zu unternehmen, wollte man bis zum Anbruch des Tages warten und dann den schweren Weg antreten.

Als die beiden Brüder zusammen den Rosenkranz fertig gebetet hatten, begab sich der jüngere in die Holzschupfe, um eine Tragbahre aus Stangen und Aesten herzurichten, während der Romedi die Totenwache hielt. Im ersten Schrecken war es diesem gar nicht eingefallen, darüber nachzudenken, ob der Kurzweger verunglückt sei oder selbst seinem Leben ein Ende gemacht habe. Jetzt kam ihm plötzlich der Gedanke, daß man bei solchen Unglücksfällen auch die Kleider des Verunglückten zu untersuchen pflegt. Das Gewand des Kurzwegers lag in einem Bündel auf der Stubenbank, gerade im Herrgottswinkel, wohin man es in der Eile gebracht hatte.

Der Romedi nahm Stück für Stück vor, fand aber nicht mehr als ein kurzes Messer, eine Taschenuhr an stählerner Kette und einen ledernen Geldbeutel. Als er letztern öffnete, fielen drei Kreuzer, ein Gnadenpfenniglein der Muttergottes von Absam und ein grauer Lotteriezettel heraus.

Auf die Rückseite des Zettels waren einige Worte mit Bleistift gekritzelt. Der Romedi rückte sich die Kerze näher, um sie zu entziffern. … „Ich kann die Schande nicht überleben. Ich mache meinem verlorenen Dasein freiwillig ein Ende. Gott sei mir gnädig!“ stand da zu lesen, und dann noch ganz unten, kaum zu enträtseln: „Gelobt sei Jesus Christus!“ – Danach drei Kreuze.

Also ein Selbstmörder! Der Romedi warf einen scheuen Blick auf den Toten. Das flackernde Licht zu Häupten des Kurzwegers ließ seine Züge noch verzerrter erscheinen.

In rascher Folge ging dem Romedi alles durch das Hirn, was nun weiter geschehen würde. Man würde dem Selbstmörder ein christliches Begräbnis verweigern, man würde ihn weder daheim, noch in der Totenkapelle aufbahren, sondern in einem ungehobelten Tannensarg aus sechs Brettern unter Gottes freiem Himmel bei dem hochragenden ziegelroten Missionskreuz! Man würde ihn vor Tagesanbruch ohne Geläut und ohne Geistlichen verscharren in jener ungeweihten Ecke des Friedhofs, wohin der Totengräber den Kehricht wirft. Nicht einmal einen Grabhügel würde man aufwerfen, sondern die Erde ebnen. Kein Kreuz oder sonstiges christliches Zeichen würde die Stätte bezeichnen. Vielleicht, daß ihm eine mitleidige Hand ein in Weihwasser getauchtes Buchsbaumzweiglein in die Erde steckte!

Der Romedi hatte die Arme über der Brust verschränkt und schaute unverwandt auf den Toten. Der da lag, hatte sie [868] besessen, seine Emerenz, sein ganzes Hoffen und Sehnen durch Jahre, sein heimliches Glück! Unwillkürlich dachte der Romedi, wie gut es sei, daß der Kurzweger keine Kinder habe, damit sich die Schande nicht vererbe und die Leute einst mit Fingern auf sie zeigten, als auf die Kinder eines Selbstmörders.… Doch die Emerenz war nun die Witwe eines Selbstmörders!

Aber mußten denn das die Leute wissen? Die Frage tauchte plötzlich in der Seele des Romedi auf. Freilich mußten sie es wissen! – Er und sein Bruder würden den Kurzweger ins Dorf tragen. Dann würden sie vernommen werden, er würde alles abliefern, was er bei dem Toten gefunden, also auch den Geldbeutel mit dem Zettel. Freilich, ohne den Zettel könnte es kein Pfarrer und kein Richter entscheiden, ob der Kurzweger, unkundig der Wege im Berg, bei dem greulichen Wetter nicht doch vielleicht verunglückt sei. Man könnte ihm ein stilles christliches Begräbnis und eine ehrliche Ruhestätte nicht verweigern.

Der Romedi hatte sich umgewandt, seine Hand sank bleischwer auf den Zettel, der noch auf dem Tisch lag. Durfte er ihn verheimlichen? War es nicht Sünde? Hatte es die Emerenz um ihn verdient? – Die Brust des Burschen hob sich in schweren Atemzügen. In seinem Innern tobte ein furchtbarer Kampf zwischen Pflicht, Religion und persönlicher Empfindung. Er fühlte, daß er in diesem Augenblick der Richter über den stillen Mann in der Stube war für diesseits und jenseits. Nein, für das Jenseits nicht! Da entscheidet ein anderer. Er warf unwillkürlich einen Blick nach dem Kruzifix im Herrgottswinkel, an dessen Armen blutrote Maiskolben hingen und dessen Fuß ein Strauß von Feldblumen zierte.

Da fiel ihm plötzlich ein Spruch ein, den er noch in der Schule gelernt hatte… „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ – Auf einmal waren die Worte da, als wären sie vor ihm gesprochen worden. Wie unter einem Zwange ergriff er den Zettel mit der verhängnisvollen Aufzeichnung und hielt ihn an das Kerzenlicht. Ein kurzes Aufflackern: das Zeugnis war zerstört für immer und ewig. Niemand sollte davon erfahren! Auch nicht die Emerenz! Das schwor sich der Romedi der erleichtert aufatmete… „Die Leut’ brauche's nit z’ wissen!“ murmelte er vor sich hin. „Das hat der Kurzweger mit unserm Herrgott selber ausz’machen. Und ganz wird er ihn vielleicht doch nit verlassen, weil er noch im letzten Augenblick an ihn denkt hat. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“

Bald darauf trat der Bruder in die Stube. Er hatte die Tragbahre vollendet. Die ersten bleichen Schimmer des Morgens brachen durch die Fenster herein. Die beiden Brüder luden den Kurzweger auf die Bahre, bedeckten den Leichnam mit Reisig und traten mit ihrer Last den Weg ins Dorf an.

Je näher sie dem Dorfe kamen, desto mehr Leute gesellten sich zu ihnen, die zuerst scheu fragten, dann, ihre Stimmen dämpfend, die Hüte zogen und sich anschlossen. Die Hüte der beiden Brüder lagen auf der Tragbahre. Beide waren sie barhaupt in der schneidigen Morgenluft vom Berg herabgewandert. Trotzdem rannen ihnen die hellen Schweißtropfen über die Stirn.

Es war ein langer Zug, als man die ersten Häuser des Dorfes erreichte. Wieder beteten sie alle: „Herr, gieb ihm die ewige Ruh’!“ – Dann hielt man vor dem Praxmarerhof, der nach dem Tode des alten Bauern in den Besitz der Emerenz und ihres Mannes übergegangen war.

Man hatte das unglückliche Weib von dem Vorgefallenen bereits verständigt. Sie wankte dem Zuge entgegen und brach vor der Bahre in die Kniee. Dann erst warf sie einen scheuen Blick um sich und sah den Romedi.

„Du, Romedi?“ stammelte sie kaum hörbar.

„I bin’s, Emerenz,“ stieß er hervor. Er hatte das Gefühl, als ob er noch etwas sagen sollte, ein Wort des Mitleids, des Trostes. Er vermochte es nicht. Es war ihm zu Mute, als ob man ihm mit einem eisernen Griffe die Kehle zusammenschnürte. Er spürte es als eine Erleichterung, als einige Weiber die Emerenz in das Haus führten und sie ihm aus dem Gesicht kam. Des Toten nahmen sich jetzt auch andere Leute an. So faßte er seinen Hut und ging still davon. Sein Bruder, der die Kleider des Kurzwegers trug, folgte ihm. Unterwegs begegnete beiden der Gendarmeriewachtmeister, der sie anhielt und in seine Kanzlei geleitete. Dort deponierte der Romedi, was er gefunden: Uhr, Messer und Geldbeutel, und gab ruhigen Tones an, wie er den Kurzweger nach dem gestrigen Gewitter in dem angeschwollenen Wildbach hinter seinem Haus gefunden hatte. Er sei wohl in dem Unwetter vom Wege abgekommen und so verunglückt. Das wurde alles zu Protokoll genommen.

Härter ward es dem Romedi schon, als er beim Pfarrer die gleichen Angaben wiederholen mußte. Da brauchte er seine ganze Selbstbeherrschung, um sich mit keiner Miene zu verraten. Immer aber wiederholte er sich den Spruch, der ihn in der Stube droben zu dem Entschluß getrieben hatte. Und der Spruch stand doch im Evangeli: Also mußte er seine Geltung haben! Aber hatte er ihn denn auch richtig erfaßt? Gab er ihm denn das Recht, zu verheimlichen, was auf dem Zettel gestanden, diesen zu verbrennen? Immer wieder tauchten diese Zweifel in ihm auf und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.

Als der Romedi im Laufe des Nachmittags auf den Friedhof kam, hatten sie den Kurzweger bereits in der Totenkapelle aufgebahrt. Eine gebrochene Gestalt kauerte in einem Betstuhl. Es war die Emerenz. Er erkannte sie wohl bei dem dämmerigen Licht in der Kapelle. Sie sah ihn nicht. Sie schien inbrünstig zu beten. Ein schweres Stöhnen hob von Zeit zu Zeit ihre Brust.

Ob er sie ansprechen sollte? Unwillkürlich trat der Romedi ganz leise zurück und lehnte sich erschöpft an den steinernen Thürpfosten. Wohl hätte er sie gern angesprochen. Eine Frage brannte ihm auf der Zunge – ob sie den Mann, für den sie betete, geliebt habe ober nicht. Und wenn sie Ja gesagt hätte, was dann? Dann – dann – dem Romedi flimmerte es vor den Augen – dann hätte er ihr’s ins Gesicht geschleudert, daß der Kurzweger ein Selbstmörder sei. Dann hätte er sich gerächt. Seine Aussage hätte er umgestoßen. Ins Dorf wäre er gelaufen und hätte es geschrieen vor allen Thüren. Reißt ihn heraus aus der geweihten Stätte! Er ist ihrer nicht würdig! – Das fühlte der Romedi, das würde er gethan haben. Er frug nicht. Als er jetzt zu bemerken glaubte, daß das Weib vor ihm den Kopf ein wenig wende, trat er eilig auf den Zehenspitzen aus der Thüre und verließ den Friedhof. Er wollte mit ihr nicht sprechen. Er wollte von ihr nicht einmal gesehen sein.

Auch heute war es schon Nacht, als der Romedi mit dem Bruder seine einsame Behausung im Berg erreichte. Eine friedsamere Nacht als gestern. – – –

In den bedrückten Vermögensverhältnissen des Kurzwegers war durch dessen Tod natürlich keine Aenderung eingetreten. Im Gegenteil hatte sich die Lage wesentlich verschlimmert, indem nun auch die kleineren Hypothekargläubiger kopfscheu wurden und ihre Posten aufkündigten. Das ganze prächtige Anwesen schien für die Witwe verloren. Die endgültige Versteigerung erfuhr allerdings einen mehrwöchigen Aufschub, da noch verschiedenes gerichtlich zu erledigen war. Für Anfang September wurde jedoch die Exekution des Praxmarerhofes einschließlich sämtlicher Gründe, Waldteile und Liegenschaften endgültig festgesetzt.

Den ganzen Sommer über hatte man den Romedi fast gar nicht mehr im Dorf gesehen. Sogar an den Sonntagen zog er es vor, einen stundenweiten Umweg in ein Nachbardorf zur Kirche zu machen. Auch in seinem Hause war er selten zu treffen. Wenn man seinen Bruder nach ihm fragte, so war dessen regelmäßige Antwort, der Romedi sei halt wieder „in dö Stoaner!“

Auf dem Hofe der Emerenz ging es diese Zeit hindurch um so lebhafter zu. Ein Gerichtsbote gab dem andern die Thürklinke in die Hand. Die junge Witwe hatte viel zu unterschreiben, aber nichts Erfreuliches. Inzwischen, hieß es, sei der Kramer eifrig drauf aus, alle kleineren Hypotheken aufzukaufen, und zahle dafür den vollen Wert. Einige munkelten auch, daß er die Absicht hege, die immer noch schöne Emerenz zu heiraten, wurden jedoch mit ihrer Vermutung von andern herb ausgelacht.

Etwa eine Woche vor dem Termin der Versteigerung erzählte man sich, daß der „Stoandlnarr“ nun gar „af Münken (München) außi“ sei. Der müsse wohl „a woltern“ großes Geschäft haben, daß er eine so weite Reise unternehme. Da man den Romedi aber ohnedies nicht zu den normalen Menschen, sondern nur zu den „Halbausgebackenen“ rechnete, kümmerte man sich auch nicht weiter um den Zweck seiner Reise. …

[870] Der für Emerenz so verhängnisvolle Tag war herangekommen. Ein warmer Frühherbsttag, an dem die Sonne so recht freundlich vom Himmel lachte. Kaum zeigte sich noch das erste gelbe Laub an Baum und Strauch. Im weiten Obstanger beim Praxmarer hingen die reifen Birnen und Aepfel an den Bäumen, daß es ein herrlicher Anblick der Fülle und des Reichtums war. Und dieses schöne Besitztum sollte heute „zertrümmert“ werden.

Der Beginn der Versteigerung war auf neun Uhr vormittags angesetzt worden. Man hatte einen Tisch mit Schreibzeug und Papier hinter dem Haus am Rande des Angers aufgestellt, mehrere Stühle darum herum und einige Bänke in der Nähe, da man einen großen Zufluß von Leuten erwartete, welchen die Stube vielleicht gar nicht gefaßt hätte.

Ein uralter riesiger Nußbaum breitete seine Aeste wie schützend in der Nähe des Tisches aus. Der Baum war schon längst von der Sage umwoben. Es hieß, ein Bergknappe aus Schwaz habe ihn zu Zeiten des münzreichen Erzherzogs Sigismund von Tirol gepflanzt. Der sagenhafte Knappe sei in dem Silberbergwerk zu großem Reichtum gelangt und von dort zu ständigem Aufenthalt her ins Dorf übergesiedelt, wo er sich einen Hof baute. In der That fand sich der stolze Praxmarerhof schon in den ältesten Kirchenregistern, so daß seine Erbauung ganz gut in die erwähnte Zeit hinaufreichen konnte. Die Praxmarer waren einmal viel reicher gewesen und hatten in den Franzosenkriegen großen Schaden gelitten. Deswegen hatte aber der verstorbene Vater der Emerenz doch behaupten können, daß er recht gut durch die Welt kam.

An den Nußbaum im Anger knüpften sich die ältesten Familientraditionen. Es hieß, mit ihm lebe und sterbe das Glück des Hauses. Nun stand er noch ebenso stolz da und sollte heute den Zusammenbruch des lange vererbten Besitztums erleben und einen neuen Herrn bekommen.

Es war schon halb zehn Uhr vormittags. Eine Menge Leute hatte sich bereits auf dem Anger eingefunden, zum größten Teil wohl Neugierige. Auf den Bänken saßen aber auch einige behäbige Bauern, die dem Anschein nach an der Versteigerung teilnehmen wollten. Die Gerichtsherren ließen lange auf sich warten. Endlich kam der Adjunkt mit dem Gerichtsschreiber und einem dicken Amtsdiener, der einen großen Aktenpack hinterdrein schleppte. Die Emerenz war nirgend zu sehen. Den „Herren“ stellte eine Magd vom Hofe einen Liter roten Wein samt Gläsern auf den Tisch. Die zwangsmäßige Versteigerung konnte beginnen.

Unter den letzten, die sich eingefunden hatten, befand sich der Kramer Luis. Er ging großthuerisch zum Tische, an dem die Gerichtsherren saßen, und nahm dort neben dem dicken Amtsdiener Platz. Für ihn war kein Glas aufgestellt worden. Er hätte daher auch keinen Wein bekommen, wenn ihn nicht sein Nachbar eingeladen hätte, Bescheid zu thun.

Nach Verlesung der üblichen Formalitäten begann das Aufgebot.

Der Luis hatte die Verlesung des Gerichtsadjunkten mit boshaftem Grinsen begleitet. Dann ließ er seine Augen wie musternd an dem Bauernhof hinauf- und heruntergleiten, sah auf den Anger hinaus und blieb schließlich mit seinen Blicken an dem alten Nußbaum haften. Ein teuflisches Lächeln zuckte über sein häßliches Gesicht. Er versicherte sich mit einem Griff, ob eine schwere Axt, die er mitgebracht hatte, noch neben seinem Stuhl lehne. Krampfhaft umfaßte er den Stiel der Axt. Das seltsame Gebahren des Kramers war mehreren aufgefallen. Keiner konnte sich eine Erklärung dafür geben. Doch nahm jetzt das Aufgebot das ganze Interesse der Anwesenden so sehr in Anspruch, daß man dem Kramer Luis keine besondere Aufmerksamkeit mehr schenken konnte.

Das erste Aufgebot erzielte nichts. Auch ein Angebot unter dem Schätzungswert blieb ohne Erfolg. Waren wirklich nicht die richtigen Kauflustigen vorhanden oder sollte der Hof infolge einer vorherigen Verabredung möglichst im Preise heruntergedrückt werden? Kurz, es rührte sich niemand. Der Adjunkt begann schon ungeduldig zu werden und machte Anstalt, das Besitztum dem ersten Hypothekargläubiger zuzuschlagen.

Der Kramer Luis schien das kaum erwarten zu können. Er rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her. Jetzt sprang er empor. „Habt’s alle mitanander koa Schneid’, ös Fretter?“ schrie er. „Aber i hab’ a Schneid’ mitbracht – und dös a gehörige! dabei schwang er die blitzende Axt mit beiden Fäusten in die Höhe. Er war eilfertig zu dem alten Nußbaum gegangen. Man wußte sich sein Beginnen nicht zu erklären. Etliche mochten wohl glauben, der Kramer sei plötzlich „überg’schnappt“.

„Mein g’hört der Hof! Dös könnt’s mir glauben!“ keuchte der Luis. „I bin der neuche Herr auf dem Gut da! I hab’ anz’schaffen! Vor allem muß mir der Baum weg. Der nimmt mir zu viel Licht im Haus. Hahaha!“ Der Luis schlug eine grelle Lache auf. „Wollen sehen, wie lang’ das Glück der Praxmarer noch lebt und wie lang’ der Stern der Praxmarer noch sein’ letzten Glanz behalt’t. Soll ja alles z’sammen stehen und fallen mit dem alten Baum da! Und fallen soll’s! Alles z’sammen! Der Baum und das Glück!“

Mit einer Kraft, die man dem Luis gar nicht zugetraut hätte, führte er einen mächtigen Hieb gegen den Baumstamm, daß die Holzsplitter nur so davon sprangen. „Und wenn i ihn ganz allein fällen sollt’! Um muß er! I hab' mir’s g’schworen!“ Und wieder fuhr die Axt in den Stamm.

Das lähmende Erstaunen, das die letzten Augenblicke auf den Zuschauern lag, löste sich jetzt, da die Axt in das Holz einhieb. Laute Entrüstungsrufe ließen sich vernehmen. Man hatte allgemein das Gefühl, daß hier ein unerhörter Frevel geschehe, daß ein Heiligtum ruchlos verletzt werde.

Bevor aber die Anwesenden zu irgend einer That schreiten konnten, hatten sich die Ereignisse der nächsten Minuten schon entwickelt. Alles ging blitzschnell.

Als der erste Axthieb fiel, hörte man von der auf den Anger führenden Hinterthüre des Hofes einen schrillen Aufschrei, die Emerenz war in die Thür getreten und hielt sich krampfhaft an den Pfosten derselben, um nicht zu Boden zu sinken.

Gleich darauf wurde sie zur Seite geschoben. Ein kräftiger Bursch sprang durch die Thüre auf den Anger und hatte in wenigen Sätzen den Nußbaum erreicht. Man sah ein kurzes Ringen mit dem Kramer. Dann flog die Axt in weitem Bogen in den Anger hinaus und ihr nach eine ganz beträchtliche Strecke weit der Kramer Luis, laut schreiend und sich mehrfach überkugelnd.

Man erkannte den Romedi. Laute Beifallsrufe erhoben sich. Der Luis hatte sich inzwischen wieder „aufgekrallt“. Reden konnte er noch nicht. Nur einige kreischende unartikulierte Laute brachte er hervor.

Der Romedi war plötzlich ganz ruhig geworden und wendete sich spöttisch an den Kramer. „Hoi! Mannderl! Gelt, das is nit so schnell gangen als du dir’s hast tramen lassen! Um den Baum umz’hauen, müssen Leut’ kommen und keine Heuschrecken!“

„Fangt’s den Lumpen! Liefert’s ihn ins Zuchthaus!“ zeterte jetzt der Luis, der wieder näher gekommen war, sich aber noch immer in respektvoller Entfernung von den Fäusten des Romedi hielt. „Den Stoandlnarr, den verruckten! Legt’s ihm Ketten an!“

Man ließ den Wütenden schreien. Der Romedi hatte sich inzwischen an den Gerichtsadjunkten gewendet, lüpfte seinen Hut und meinte so gleichmütig, als ob nichts vorgefallen wäre und es sich höchstens vielleicht um ein frisches Krügel Bier handeln. „Nix für ungut, Herr G’richtsherr, daß i a bisserl rauh zugriffen hab'. Aber es wär’ um jedes weitere Spandl von dem Baum schad’ g’wesen. Und da hab’ i halt die ganze Sach’ a bisserl kurz abmachen müssen!“

Der Adjunkt, der den Romedi gut kannte, ein großer Naturfreund war und mit dem „Stoandlnarr“ schon öfters „Handelschaften“ gehabt hatte, mußte über diese „kurze Abmacherei“ herzlich auflachen.

„Was soll denn nachher die ganze G’schicht’ kosten?“ fragte der Romedi nach einer kleinen Pause.

„Was für eine G’schicht’?“. entgegnete der Adjunkt.

„Na ja, die Hypothek oder wie man’s heißt,“ meinte der Romedi „I kann’s und will’s amal nit zugeben daß der Hof da vergantet wird. I bin zehn Jahr lang Knecht g’wesen beim Praxmarer und alleweil guat g’halten worden. Jatz will i mi halt auch erkenntlich zeigen.“

[871] „Ja, mit einer Kleinigkeit ist da nicht mehr g’holfen. Bist du denn auch im Besitz der erforderlichen Mittel?“ erwiderte der Adjunkt, während sich ein Kreis von Neugierigen um die beiden sammelte.

„Vielleicht langt’s,“ klopfte der Romedi auf seine Brusttasche. „Kaiserlich’s G’schloß darf’s freilich kein’s kosten. Dös kann so a armer Stoandlnarr nit erschwingen!“

Der Kramer Luis hatte sich jetzt ebenfalls ganz in die Nähe der Unterhandelnden gewagt und schoß tückische Blicke nach dem Romedi. Der Adjunkt nannte die Summe der Hypothek.

„Sakra! Sakra!“ kratzte sich der Romedi hinter den Ohren „da wird’s völlig nit langen! Jatz müßt’s schon a bisserl Geduld haben, Herr Grichtsherr,“ wandte er sich wieder an den Adjunkten, „bis i mein Gersterl gezählt hab’.“ Er brachte umständlich eine große lederne Brieftasche zum Vorschein entnahm ihr einen stattlichen Pack Banknoten und ein abgegriffenes Sparkassabuch und reichte beides dem Adjunkten hin. Dieser nahm eilig Einsicht in den Besitzstand des Romedi, meinte jedoch bedauernd „Zur Deckung der ganzen Hypothek reicht das freilich nicht. Aber vielleicht läßt der Gläubiger den Rest noch auf dem Hof stehen?“

„Nix lass’ i stehen, gar nix! Alles muß auszahlt werden!“ zeterte der Luis, der gleich den übrigen, die sich um den Tisch geschart hatten mit wachsendem Erstaunen die erhebliche Summe betrachtete, die der Romedi dem Gerichtsbeamten übergeben hatte.

Der Romedi erwiderte auf den Einwurf des Kramers kein Wort. Nur einen kurzen Pfiff ließ er hören, nahm seine Banknoten und das Buch wieder in Empfang, steckte beides in die Brieftasche, band die Schnur darum fest, legte die Brieftasche auf den Tisch und setzte sich selbst breitspurig auf sein Eigentum, die Füße von der Tischkante baumeln lassend und dem ganzen wohllöblichen Gericht den Rücken zukehrend.

Eine Weile herrschte Schweigen. Der Romedi musterte seine Umgebung, übersah jedoch den Luis absichtlich, der ihn ängstlich beobachtete, als wenn er nichts Gutes ahnen würde.

„Lass’ mich amal trinken, bevor i red’!“ kehrte sich der Romedi auf dem Tisch mit einer halben Wendung nach dem Amtsdiener um, der ihm bereitwillig ein Glas voll Wein bot.

„Gar kein übler Tropfen!“ meinte der Bursch, indem er den Wein gleichmütig austrank und sich dann wieder zu den Bauern wandte, die ihn, neugierig auf das, was nun kommen werde, umstanden. „Jatz frag’ i enk g’rad’“, meinte dann der Romedi mit der größten Seelenruhe, „ob unter enk alle, wie’s da seid’s, kein einziger ehrlicher Mensch mehr z’finden is! Daß der da“ – er deutete mit dem Daumen der rechten Hand auf den Luis – „a Haderlump is, den der Teufel auf der Wanderschaft verloren hat, weiß i. Daß ös aber noch dem Lumpen helft’s, hätt’ i mir nit im Traum einfallen lassen!“ Er kam in Eifer. „A Schand’ is ’s und a Schmach! I kenn’ nit nur ein’ unter enk, dem, wie’s ihm knapp gangen is, der alte Praxmarer auf die Füß’ g’holfen hat mit Geld und Gutsteh’n! Und iatz hat’s ja völlig ’s Herschauen, als ob’s ös alle miteinander es nit erwarten könnt’s, daß die leibliche Tochter von demselben Praxmarer mit’m Bettelsack auf’m Buckl außi zieht von demselben Hof, wo so mancher von unserm Dorf a Sackl voll Geld außi tragen und damit seine Schulden zahlt hat! Schamt’s enk alle miteinander! Pfui Teufel!“

Ein Murmeln ließ sich unter den Umstehenden vernehmen. Es war eher für den Romedi als gegen ihn. Er war durch den „Tschüppel“ Banknoten, den er hatte sehen lassen, offenbar in der Achtung der Bauern bedeutend gestiegen.

„Recht hat der Romedi eigentlich schon und brav g’red’t hat er auch!“ ließ sich jetzt der Zirmer Jörg, ein Kleinhäusler vom Berg droben, vernehmen, den der Kramer schon einmal wegen einer kleinen Schuld hatte auspfänden lassen. „Aber unsereinem darf man’s nit für übel haben, Romedi, wann er sich nit rührt. I hab’ die Stuben voll Kinder und nix als die klare Not. Und was von derer noch übrig bleibt, mußt dem Steuerboten geben. Da is ’s g’hupft wie g’sprungen. Z’ Neujahr is halt dann der Geldbeutel wieder ak’rat so leer wie der Magen!“

„Von dir verlangt’s auch niemand!“ erwiderte der Romedi. „Aber von mir kann’s auch unmögli wer verlangen, daß i um a paar Tausender mehr ausbrüt’, wenn i noch länger da auf meiner Brieftaschen hock’!“

„Hol’ mich der und der!“ ließ sich da auf einmal die Stimme eines alten Bauern vernehmen, der bisher im Hintergrund verweilt hatte und sich jetzt zu dem Tisch durchdrängte. Es war der Hochlechner, Altvorsteher und gegenwärtig noch Kirchpropst, einer der angesehensten Bauern im Dorf. Jetzt stand er vor dem Romedi und schüttelte ihm kräftig die Hand. „Du bist a braver Mensch!“ meinte er. „Bei Gott und die vierzehn Nothelfer, i laß’ es nit g’schehen, daß sich der alte Praxmarer vor Kummer noch im Grab umdrehen muß! Wenn dir mit dei’m Antrag Ernst is, Romedi, so komm’ i für'n Rest auf – und guat is ’s, daß ’s wahr is!“ Dabei hieb der alte Hochlechner mit der geballten Rechten zur Bekräftigung seiner Worte derart auf den Tisch, daß die Tinte aus dem Geschirr und der Wein aus den Gläsern spritzte.

Der Romedi war vom Tisch heruntergerutscht und steckte seine Brieftasche wieder ein, während der Kramer Luis den Altvorsteher krampfhaft am Aermel zerrte. „Aber Hochlechner, du wirst doch nit dein gutes Geld in den über und über verschuldeten Hof stecken!“

Der Bauer riß sich mit einem unwilligen Ruck von dem Zudringlichen los und meinte spöttisch: „Is ’s etwa nit mein Geld? Oder bin i dir vielleicht auch was schuldi, daß dir so an mei’m Geld liegt?“

„Beileib’ nit!“ versicherte der Luis eifrig. „Aber dös hätt’ i mir nie denkt, daß du auf deine alten Tag’ noch leichtsinnig wirst!“

„Besser leichtsinnig als so a zacher Höllenbraten wie du!“ erwiderte der Bauer. „Uebrigens liegt mir jetzt mein Geld beim Praxmarerhof sicher g’nug, seitdem i eing’sehen hab’, daß du das ganze Anwesen nur aus elendiger Bosheit hast auf die Gant bringen wollen. Oder war’s vielleicht koa Bosheit nit, daß du dich mit dem Anbot vom Romedi nit hast z’frieden geben wollen? A jeder von uns wär auf dös bare Geld drauf tappt. Ang’sehen hat’s dich freilich. Dös hat man schon aus deine Augen kennt, aus denen der Geizteufel außi schaut. Aber die Bosheit hat dich nit lassen! Und siehst, Kramer, derer Bosheit dreh’ i jatz justament ’s G’nack um! Justament!“

„Thua’s nit! Thua’s nit!“ eiferte der Luis, dem der helle Angstschweiß auf die Stirn trat, da er sein Beginnen vereitelt sah. „Schau’, Altvorsteher i mein’ dir's gut!“

„Du und gut meinen!“ lachte der Bauer verbissen. „Weißt was, Kramer, den besten rauch’ i ohne dem schon lang’ nimmer gegen dich. Wenn du mir jatz aber noch ein einziges Wörtel sagst, nur noch ein einziges Wörtel, dann -,“ der Hochlechner holte mit der Rechten aus, während sich der Kramer furchtsam einige Schritte zurückzog.

Der Romedi schlug dem Altvorsteher auf die Schulter, daß es nur so „krachte“, und rief: „Hochlechner, heut’ bist du mir der liebste Mensch im ganzen Tiroler Land. Gern hab’ i dich alleweil g’habt, weil i g’wußt hab’, daß d’ a Herz im Leib hast. Siehst, und heit’ versprech’ i dir was! Paß’ gut auf: Wenn’s einen von uns zwei amal in’n Himmel treffen sollt’ und den andern noch auf a paar Jahrlen ins Fegfeu’r – und i wär der eine, der a bequem’s Platzerl im Himmel erwischt hat, meiner Seel’, i machet dir glei’ Platz, Altvorsteher, und ging’ für dich ins Fegfeu’r, deine Zeit drunten aberhocken!“

Die Umstehenden lachten. Der Altvorsteher meinte gemütlich: „Hoffentlich laßt uns der Peterl beide eini, bald wir amal daher tscholdern.“

Wenige hatten während der letzten Unterhandlungen auf die Emerenz acht gegeben. Sie war von ihrem Posten an der Thüre nicht gewichen – sie hatte alles mit angehört. Ihr Atem flog, und sie bebte am ganzen Körper, da sich ihr Schicksal jeden Augenblick entscheiden sollte. Es drängte sie mehrmals, dem Romedi zu Füßen zu stürzen. Dann schämte sie sich wieder, es hier vor allen Leuten zu thun. Wie würde er sie wohl aufnehmen? Wenn er sie hart zurückstieß? – Doch jetzt war ihr Schicksal entschieden. Sie brauchte nicht mehr hinaus ins Elend. Es litt sie nicht mehr länger an ihrem Platz. Mit wankenden Knieen ging sie auf ihren Retter zu. [888]Romedi!“ ließ sich die Emerenz mit leiser, halb erstickter Stimme vernehmen, indem sie versuchte, die Hand des Burschen zu ergreifen. „Was thust du an mir, Romedi!“

Er entzog ihr hastig seine Hand und meinte, während sie scheu einen Schritt zurückwich: „Beim Altvorsteher mußt dich bedanken, Emerenz. I hätt’ ja allein doch nix ausg’richtet!“

Sie hatte eine Entgegnung auf der Zunge, wagte jedoch kein Wort mehr, sondern ergriff beide Hände des alten Bauern, die sie lautlos drückte, während ihr die hellen Thränen übers Gesicht liefen. Der Hochlechner geleitete sie auf eine Bank beim Haus und sprach freundlich auf sie ein.

Die Leute begannen sich allmählich „zu verlieren“. Auch der Hochlechner ging, nachdem er von der Emerenz Abschied genommen und mit dem Romedi einen kurzen Gruß ausgetauscht hatte.

Der Luis ballte dem Altvorsteher die Faust nach. „Es kommt schon noch a Tag!“ würgte er wütend hervor.

„Freilich kommt a Tag!“ höhnte der Romedi. „Da sagst mir gar nix Neues. Is alleweil noch a Tag kommen, sobald die Nacht vorbei war. Und du wirst wahrscheinlich koa andere Weltordnung aufbringen. Jatz schaust aber’, daß du schleunig aus dem Anger außi kommst! Du hast da herein gar nix mehr z’ suchen! Und wenn d’ nit glei’ schaust, daß du Füß’ kriegst, dann mach’ i dir welche! Oder Flügel auch, wenn d’ willst! Kannst dir ’s g’rad’ aussuchen! Mir kommt’s nit drauf an. Wenn d’ nit durch die Thür durchgehn willst, wo der Zimmermann ’s Loch g’macht hat, dann wirf i dich übern Dachstuhl außi, daß d’ bis zum jüngsten Tag in der Luft droben hangen bleibst, du Gaudieb, du elendiger!“ Der Romedi krempelte sich mit nicht zu verkennender Absicht die Hemdärmel auf, so daß es der Kramer für angezeigt fand, eilig das Weite zu suchen. Schallendes Gelächter der Anwesenden folgte ihm.

So mancher drückte dem Romedi zum Abschied die Hand, der früher an ihm vorübergegangen war und ihn kaum gegrüßt hatte. Der Anger war bald von den Leuten geleert. Der Romedi merkte es gar nicht, als er zuletzt allein war. Er stand wie verloren da und starrte an dem alten Nußbaum hinauf. Plötzlich spürte er auf seiner Hand etwas Feuchtes. Er schreckte zusammen und wandte sich jäh um.

Die Emerenz lag vor ihm auf den Knieen im Grase und bedeckte seine Hand mit Küssen. Er riß sich los. „Was thust da! Steh’ auf! Man kniet nur vor unserem Herrgott!“

„Nit, bevor du mir verziehen hast!“ entgegnete das junge Weib mit leiser, thränenerstickter Stimme. „I mein, i muß mi ja vor Scham vor dir in die Erd’ eini verkriechen, wenn i an alles z’ruck denk’!“

„So denk’ halt nit z’ruck!“ erwiderte der Romedi rauh. „I denk’ auch lieber nit z’ruck!“

Das junge Weib erhob sich mühsam vom Boden. Die beiden waren allein auf dem weiten Anger. Den Romedi schien seine abweisende Antwort zu reuen. Er fuhr mit milderer Stimme fort. „Was i than hab’, Emerenz, dös hab’ i darum than, damit dem Schuften sein Plan nit aufgeht und weil i wirklich mit ganzem Herzen an dem Hof da g’hangen bin.“

„I kann dir’s nie vergelten,“ erwiderte die Emerenz. „I hab’s ja nit verdient um dich. Recht wär’ mir g’schehen, wenn sie mich von Haus und Hof g’jagt hätten!“

„Verdient oder nit verdient,“ entgegnete der Romedi, „darum handelt’s sich jetzt nit. Und Vergeltung brauch’ i auch keine! Am besten kannst mir’s vergelten, wenn du nimmer davon red’st!“

„Hast recht,“ sagte sie dumpf. „I bin’s ja gar nimmer wert, daß du an Dank von mir annimmst, was d’ sonst von an jeden Bettler auf der Straßen annehmen kannst.“

„So hab’ i ’s nit g’meint,“ beschwichtigte sie der Romedi.

„Reden wir von allem nimmer. I werd’s morgen am G’richt schon ordnen, und alles, was weiter is, kannst ja dann auf’m G’richt erfragen. Wir brauchen deswegen einander nit im Weg umz’gehen. Mein Geld is mir sicher g’nug auf dem Hof da. Und Kramer Luis bin i auch keiner. Und wenn’d was brauchst, schickst mir a Brieferl aufi in Berg. Was G’schrieben’s gilt heutzutag’ bei den meisten Leuten mehr als a einfach’s Wort allein!“

Sie schien den bewußten oder unbewußten Vorwurf, der in der letzten Rede des Romedi lag, zu fühlen und zuckte schmerzlich unter demselben zusammen.

„Romedi!“ stammelte sie und sah mit angsterfüllten Augen zu ihm auf. Doch er wich ihr aus und ging mit einem flüchtigen Gruß durch das offen stehende Hofthor, das vom Anger auf den Kirchenweg führte, davon.

Als der Romedi am späten Nachmittag in seine Werkstätte hoch droben im Gebirg heimkam, betrachtete er mit einem gewissen Galgenhumor eine auffallende leere Lücke in einem der Balken, die früher das geheime Schubfach enthalten hatte.

„Möchtest es nit meinen,“ sprach er vor sich hin, „daß in dem klein Lückerl da a ganzer Hof Platz hat!“ Daß er seinen ganzen Stolz, die mühselige Arbeit von Jahren geopfert hatte, um die Tochter seines ehemaligen Dienstgebers vor dem Bettelstab zu retten, das hatte der Romedi im Dorf drunten freilich verschwiegen. „Macht nix,“ tröstete er sich selbst, „der Herrgott laßt alleweil wieder neue Stoaner wachsen!“ …

Im Praxmarerhof brannte in der Kammer der Emerenz noch lange nach Mitternacht das Licht. Drinnen wälzte sich das junge Weib schlaflos auf den Kissen und schluchzte herzbrechend. „Heilige Mutter Anna, laß’ mich nit so hart büßen für mein Sünd’! Und es hätt’ alles anders kommen können! Jetzt is aber alles aus, alles verloren! Laß’ mich lieber sterben, heilige Mutter Anna!“ – – – –

November war’s worden. Ein rauher Winter war ins Land gezogen. Der Sturmwind heulte über die Jöcher, im Thale lag fußhoher Schnee, und noch immer wirbelte es in den Höhen in wildem Tanze. Um die Bergspitzen schien die tolle Jagd selber los zu sein. Man sah nur noch – wenn sich das Wetter überhaupt lichtete – die grauweißen breiten [890] und schmäleren Striche, die sogenannten Schneebesen, die der Sturm dort oben in unwirtlicher Höhe zusammenpeitschte. Das kleine Haus des Romedi hatte es fast eingeschneit. Er mußte mit seinem Bruder in den letzten Tagen immerwährend Schnee aufschaufeln, damit ihm die weißen Massen nicht bis über die Fenster hinaufwuchsen.

Heute war es am ärgsten. Draußen pfiff und tobte es, daß es manchmal tönte wie gewaltige Orgelmusik, dann wieder wie mächtiges Läuten, das die ganze Welt erfüllte. Es ging schon gegen Mitternacht. Der Romedi war noch wach, während sich sein Bruder schon längst in die Federn begeben hatte. Der „Stoandlnarr“ lag in der kleinen Stube, in der er sich spät am Abend noch einmal bacherlwarm eingeheizt hatte, auf der Ofenbank. Neben sich auf einen Stuhl hatte er die kleine Petroleumlampe mit dem grünen Schirm gestellt und las eifrig im „Landboten“, einem Wochenblatt und zugleich der einzigen Zeitung, die sich der Romedi hielt. Nach seiner Ansicht kam das Blatt ohnedies viel zu oft heraus. „Alle Monat hätt’ sich’s auch than. Guat’s steht ja nie in a Zeitung drein. Und das Schlechte erfragt man früh g’nua. Und wenn der Papst oder der Kaiser stirbt, erfragt man’s ganz glei, da braucht man nachher überhaupt koa Zeitung!“

Deswegen war der Romedi aber doch neugierig, was in der Welt passierte. Da er seit einer Woche des schlechten Weges halber nicht mehr ins Dorf gekommen war, um sich seine Zeitung beim Posthalter abzuholen, las er mit einer gewissen Andacht den „Landboten“ von voriger Woche noch einmal durch, obwohl er ohnedies das Meiste schon auswendig wußte.

Bei dieser Beschäftigung begann er allmählich „einzuludeln“. Im Halbschlaf kam ihm das Gelesene alles durcheinander … die landwirtschaftliche Ausstellung und das beste Mittel zum Fleckputzen, eine Reise des Statthalters und ein Brand im Oberinnthal, Waldaufforstung und Tiroler Landstube. Zuletzt saß er mit dem Statthalter selbst beim Sternwirt drunten im Dorf und machte einen „damischen Perlagger“ (ein Kartenspiel), gewann dem „Erlenzherrn“ den letzten Knopf Geld ab und kaufte sich darauf beim Kramer Luis um zehn Kreuzer „Boxhörndeln“, wie die Tiroler statt Johannisbrot sagen. Plötzlich schreckte der Schläfer empor. War das nicht ein Schrei gewesen? Träumte er noch oder war es Wirklichkeit? Er richtete sich auf und lauschte angestrengt. Jetzt wieder ein vom Sturm halbverwehter Schrei! Der Romedi sprang mit beiden Füßen zugleich auf den Stubenboden. Nun war er vollkommen munter. Der Sturm machte eine kleine Pause. Er konnte ganz deutlich ein Wimmern vor seinem Hause vernehmen.

Ein Mensch befand sich in Not. Da galt es rasch hinaus! Er ergriff die Lampe, eilte durch den Hausflur zur Thür, schob den Balken zurück. Es gelang ihm nur mit Anstrengung zu öffnen. Hatte ihm das „Malefizwetter“ jetzt gar die Thür auch noch zugeschneit!

Mit einem kräftigen Ruck stieß er sie endlich auf. Ein schwerer Körper, der vor derselben gelegen hatte, rutschte dadurch in die Schneemassen vor der Hausthür zurück. Mit einem Satz war der Romedi im Freien. Er griff nach dem starren Körper. Ein Weib!

Und als er ihr ins Gesicht leuchtete, wollte ihm die Lampe schier aus den Händen fallen. Er umfaßte dieselbe krampfhaft. Im nächsten Augenblick verlöschte ein Windstoß das Licht. Der Romedi stellte die Lampe in den Schnee, hob das ohnmächtige Weib mit kräftigen Armen empor und trug es im Finstern in die Stube. Dann holte er die Lampe, schloß den Riegel vor der Thür, trat wieder in die Stube und machte Licht. Er zitterte so, daß er mehrere Schwefelhölzer anbrennen mußte, bis er den Docht der Lampe fand.

Er hatte das junge Weib in der ersten Bestürzung auf die Ofenbank gebettet. Jetzt schlich er auf den Zehen zu ihr und leuchtete ihr wieder ins Gesicht. Sie war es – die Emerenz! Die Augen hatte sie geschlossen. Ein schwaches Atmen hob ihre Brust. Ihre langen Zöpfe, die losgegangen waren, fielen von der Bank bis zum Boden nieder. Ihr Gesicht erschien in dem grünen Schimmer der Lampe nur noch bleicher.

Eine unsägliche Angst überkam den Romedi. unwillkürlich erfaßte ihn das dumpfe Gefühl, daß er an dem allen schuld sei. Und wenn sie jetzt sterben sollte, dann wäre er ihr Mörder!

Wieder und wieder hatte er seit jenem Tag an sie gedacht, als sie im Anger beim Praxmarerhof voneinander schieden. Und immer milder und versöhnlicher waren seine Gedanken geworden. Immer mehr hatte die Erinnerung an die wenigen schönen und lieben Stunden, die er mit ihr verlebt, die Einsamkeit und Verbitterung der nachfolgenden Jahre verscheucht. Oefter ertappte er sich bei der geheimen Absicht, die Emerenz doch wieder einmal aufzusuchen und zu fragen, wie es ihr gehe. Aber sie würde ihm ja schreiben, wenn sie etwas brauchte. Gespannt wartete er auf das erste Lebenszeichen von ihr – sie schrieb nicht. Da war noch einmal wilder Trotz über den Romedi gekommen. Was er für sie gethan, hatte sie vielleicht nur als etwas Selbstverständliches von dem ehemaligen Knechte hingenommen! Vielleicht lachte sie den „guat’n Lapp’n“ hinter seinem Rücken noch dazu aus!

Jetzt, als er auf das bleiche Weib vor sich niedersah, schämte er sich solcher Gedanken. Da war kein Hochmut mehr! Das war das Elend, gebrochen, niedergedrückt, mit einer stummen Bitte in den Zügen! Doch was stand er da, statt zu helfen! Ein Fieberschauer ging durch den Körper des jungen Weibes. Der Romedi rannte in die nebenliegende Kammer und brachte Bettzeug, in das er die zitternde Gestalt hüllte. Unter den Kopf schob er ihr ein Kissen. Er holte die Flasche mit dem Enzian aus dem Wandkasten, goß sich davon in die hohle Hand und rieb der Ohnmächtigen damit die Schläfen. Der scharfe Geruch mochte die Lebensgeister wieder anfachen. Das junge Weib that einige tiefe Atemzüge und schlug dann die Augen langsam auf. Erstaunt sah sie um sich. Sie schien sich erst langsam zurecht zu finden. Als sie den Romedi erblickte, flog eine jähe Röte über ihr Gesicht.

„Du bist da, Romedi?“ murmelte sie mit kaum hörbarer Stimme und versuchte ihren Kopf zu heben, ließ ihn aber gleich wieder kraftlos auf das Kissen sinken.

„Emerenz!“ sagte er, „mein armes Hascherl!“

Ein glückliches Lächeln verklärte ihre Miene. Daß er so gut zu ihr sprach, schien sie mehr zu stärken als alles andere.

Sie faltete langsam ihre Hände über der Brust und sah ihn geraume Zeit still und selig an. Er wagte nicht, zu sprechen. Es war, als ob auf leisen Sohlen ein Engel durch die niedere Stube schwebte, um den zwei hartgeprüften Menschenkindern himmlischen Frieden zu bringen!

„Bist mir nit bös, Romedi?“ fragte sie endlich scheu und kindlich.

„Warum soll i dir bös sein?“ entgegnete er, indem er ihre kalten Hände ergriff und sie in den seinen wärmte. Er fühlte es, wie sein Herz pochte, als ob etliche Hammerschmiede darin ihr Handwerk betrieben. „Wie kommst denn eigentlich bei dem Wetter da aufer?“ frug er.

Sie schwieg eine Weile, als ob sie sich’s erst überlegen müßte, wie alles zugegangen war. Dann antwortete sie mit fester Stimme. „Weißt, Romedi, mein Willen is ’s nit g’wes’n. I hab’ dir wahrhaftig meiner Lebtag nimmer unter die Augen kommen wollen. I kann wirklich nix dafür.“

„Ja, wo hast denn nachher hin wollen?“ fragte er.

„Das weiß i selber nit!“ bekannte sie. „Fort, in die Welt außi, nur fort von da! Weil’s mich nimmer g’litten hat mit all meiner Schand’ in deiner Näh’. I will dir nit lang’ lästig fallen“, meinte sie mit einem müden Lächeln. „Es geht schon wieder besser. I werd’ mich bald ausg’rastet haben, und dann mach’ i mich wieder auf’n Weg.“

„Also fort hast wollen?“ entgegnete er gedrückt.

„Ja!“ versicherte das junge Weib mit einer eigentümlichen Festigkeit. „I wär’ iatz schon über alle Berg’ aus, wenn i mich nit verirrt hätt’ und vom Weg abkommen wär’!“ Sie hatte sich von der Bank erhoben und stützte sich mit einer Hand an den Fensterbalken. „I weiß nur mehr, daß i nix mehr g’sehen hab’ vor lauter G’stöber und Sturm, daß i Reu’ und Leid erweckt hab’, weil i glaubt hab’, mein letztes End’ sei kommen. Dann hat sich alles um mich dreht, der Himmel, der Wald und die ganze Welt! I werd’ wohl hing’fallen sein im Schnee, weil i mich nimmer hab’ auf die Füß’ halten können – und z’letzt bin i da bei dir aufg’wacht. Eine flüchtige Röte flog über ihr Gesicht.

„Na, g’scheiter is ‘s doch, du bist da aufg’wacht, als du wärst draußen gar nimmer aufg’wacht!“ meinte der Romedi mit einem Anflug von Humor.

[891] „I weiß nit, ob’s nit besser g’west wär,“ entgegnete sie halblaut.

„Laß dich nit auslachen! Dös is a dummes G’red’ und a sündhaftig’s G’red’ auch noch dazu!“ sprach sich der Romedi in völligen Eifer hinein. „Und a Narretei is ’s, daß du in so ei’m Wetter in Berg aufi rennst. Hättest ja den Tod davon haben können! Und was hätt’ denn nachher i ang’fangt?“

„Du?“ fragte sie aufhorchend.

„Ja, i!“ rief er. „Oder bin i vielleicht der Niemand auf der Welt? Hätt’ i vielleicht noch a ruhige Stund’ haben können, wenn du mir da draußen verfroren wärst? Daß i ’s g’rad’ außer sag’, Emerenz, oft g’nuag hat’s mich trieben, amal nachz’schauen, wie ’s dir geht! Aber der Eigensinn hat mich nit lassen. Doch wenn du mir heut’ z’ Grund gangen warst und i wär’ die Schuld dran g’wesn, i weiß nit, was mit mir geschehen wär!“

Er schöpfte tief Atem. Sie hatte sich weit vorgebeugt und lauschte in atemloser Spannung seinen Worten. Sie glaubte zu träumen. So sprach nicht jemand, der sie verachtete, der ihr noch etwas nachtrug. Hatte er ihr verziehen? Der Romedi maß einigemal mit hastigen Schritten die Stube. Er rang offenbar nach den richtigen Worten und fand sie doch nicht. Endlich trat er auf das junge Weib zu, faßte sie an beiden Händen und zog sie langsam an sich: „Außer muß es! Zu was sollen wir uns noch lang verstecken. Schau’, i weiß es, Emerenz, daß du dein Hochmut schwer g’nuag büßen hast müssen, daß du neben dei’m Mann nit z’frieden warst. Und i hab’ dich nimmer vergessen können. Der Herrgott hat uns beide in a harte Schul’ g’nommen. Lass’n wir’s jatz guat sein! Vergessen hast mich auch nit, Emerenz, das merk’ i! Und wie i dich eben g’funden hab’, draußen im Schnee, da is mir a Stich durchs Herz gangen, und g’schworen hab’ i mir’s, mein mußt sein, wenn d’ noch amal lebendig wirst! Und davonlaufen hast du wollen? G’rad’ so mir nix dir nix davonlaufen?“ meinte er lachend und drückte das junge Weib an sich. „Davonlaufen über alle Berg’! So was! Lauf’ jatz davon, wenn d’ kannst!“

Sie lehnte ihren Kopf wie betäubt an seine Schulter. „I verdien ’s ja nit, Romedi!“ sagte sie kaum hörbar.

Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und drückte ihr einen Kuß auf die Lippen. „Gelt, wir bleiben beisammen, Emerenz? Es giebt kein Auseinandergehen mehr zwischen uns beiden?“

Sie schüttelte leise mit dem Kopf. Sie schien es noch immer nicht recht glauben zu wollen.

Da ging die Stubenthür auf. Der Bruder des Romedi trottete mit der Stall-Laterne herein. „Sein der Viech in der Stall gans wild,“ tutto furioso von der Wetter. Aber ick mussen bissel nachsau –“ Erst jetzt bemerkte der „Krautwallische“ die Emerenz, die ihre Arme um den Hals des Romedi geschlungeu hatte. Er ließ ein verblüfftes: „Ostia! Madonna!“ hören und wollte wieder zur Thür hinaus, als ihm der Romedi zurief: „Bleib’ nur da. Bist grad’ recht kommen, daß du deine zukünftige Schwägerin kennen lernst!“

Der Bruder stellte die Laterne eilig auf eine Bank, wischte sich die rechte Hand umständlich an seiner Schürze ab, ging dann auf die Emerenz zu, der das Glück aus den Augen strahlte, und schüttelte ihr kräftig die Hand. Die Thränen liefen dem ehrlichen Burschen vor lauter Freude über das Gesicht. „Dio mondo!“ rief er aus. „Du sein wollen Swagerin? Va ben’! Du sein eine brave Weibele. Iste nix mehr gewest mit die Romedi! Sein gewest die ganse Tak gans traurik! Aber nix mehr wollen fress’, nix mehr wollen trink’. Aber ik immer sak, sempre, sempre – du, aber ik sak, Romedi, stecken dir der Wittiben drunten in deine Goff! – Drum aben du niente Unger, niente Durst und gehen erum tutt’ il giorno – die ganse Tak – wie einer Kuh, der aben perdutto – verlor’ – Kalbel. Sein besser du heirat’- dann du wieder könn’ trink’ und fress’ und tanz’ und spring’. Warum du nit heirat’ der Wittiben? Nun sein gut! Du werden Swagerin! Sein eine gute Kerl, meine fratello, die Romedi!

Emerenz mußte trotz der Aufregung der letzten Minuten über das Kauderwelsch des sonst wortkargen Burschen herzlich lachen.

„Da siehst es, wie man dasteht, wenn alles aus’plauscht wird!“ meinte nun auch der Romedi lachend, indem er der Emerenz vor seinem Bruder einen lauten Schmatz gab. „Das wird a Aufsehen geben drunten im Dorf, wenn der ,Stoandlnarr’ Hochzeit halt’t! – Weißt, Emerenz, daß du mir eigentlich den Namen aufbracht hast, wie i damals alleweil mit dö Stadtherrn umanand’ g’stackelt bin? In seinen Augen blitzte es schalkhaft. Ein fröhlicher Uebermut war über ihn gekommen. „Es thät’ mir so viel gut g’fallen, wenn i den Nam’ justament iatz von dir wieder hören könnte.“

Sie sah ihn einen Augenblick wie verdutzt an. Dann meinte sie mit einem hellen Lachen: „Das kannst ja hören, du, du – Stoandlnarr!“ Dabei war sie ihm mit den Händen in die buschigen Haare gefahren, bedeckte seinen Mund mit Küssen und rief ein über das andere Mal wie ein mutwilliges Kind: „Stoandlnarr! Stoandlnarr!“

„Jatz hab’ i mein Diandl wieder, wie ’s war!“ jubelte der Romedi und tanzte mit ihr durch die Stube, daß der Boden zitterte. Der „Wallische“ aber hatte eine Mundharmonika aus der Leibeltasche gezogen, blies dazu auf und stampfte mit den Füßen den Takt. Er glänzte im ganzen Gesicht vor Freude, weil er den Bruder glücklich sah und er sicher sein konnte, daß er wieder anfangen werde, zu „freß’ und trink“.

Schlafen gegangen wurde in dieser Nacht nicht mehr, da es ja gar nicht der Mühe wert gewesen wäre. Der Romedi heizte selber noch in dem Kachelofen tüchtig ein. Alle drei blieben in der heitersten Stimmung in der Stube beisammen, bis es Tag ward. Die Emerenz hatte Kaffee gekocht, obwohl der Romedi behauptete, das könne er selber auch. Sie ließ es aber nicht gelten.

Das Wetter hatte über Nacht seine ärgste Gewalt ausgetobt, der Sturm legte sich fast gänzlich. Ein herrlicher Wintermorgen war angebrochen. Trotzdem hatte der Weg ins Dorf immer noch seine großen Beschwerlichkeiten. So lud der Romedi das junge Weib auf einen leichten Holzschlitten. Und er und sein Bruder zogen sie thalab, teilweise auch, wo der Schnee mehr Halt gewährte, in rasendem Fluge über diese und jene Böschung abfahrend.

Einige Holzhauer, die sich des günstigen Wetters halber schon zeitig in der Frühe auf den Weg gemacht hatten, schauten ganz verdutzt, als sie dem seltsamen Fuhrwerk begegneten, an dessen Spitze der Romedi einem jeden zujuchzte. Wenn sie schon früher an dem Verstand des „Stoandlnarr“ gezweifelt hatten, so waren sie nunmehr der festen Ueberzeugung, daß ihm heute das letzte Radl auch noch abgelaufen sei.

Und dennoch hatte der Romedi heute seinen gescheitesten Tag. Das bewies er damit, daß er seine Last direkt vor dem Pfarrhause ablud, kräftig an der Glocke zog und sich dem alten Herrn Pfarrer gleich darauf als einen vorstellte, der baldmöglichst in den heiligen Ehestand treten wolle.

Der „Wallische“, der heute gesprächig geworden war wie noch nie zuvor, versicherte dem geistlichen Herrn zu wiederholten Malen, was für „eine gute Kerl seine fratello sei und wie es absolut notwendig sei, daß „die Romedi eiraten!“ - - -

Der alte Nußbaum im Anger beim Praxmarer sollte noch vergnügte Tage zu sehen bekommen, da im Laufe der Jahre eine ganze Schar von kleinen Buab’n und Diandln unter ihm spielte und sich um die Nüsse rauften, die er auf den grünen Rasen warf, manchmal auch einem allzu Lauten auf den Kopf. So ein alter Baum hat auch seine „Mucken“.

Der Hochlechner aber und das Weib des Altvorstehers haben bei allen Kindern Pate gestanden. Zu heiligen Zeiten schleppte dann die alte Hochlechnerin stets eigenhändig einen großen Korb voll „Godelzeug“ – Patengeschenken, Backwerk und Spielzeug, für die Patenkinder nach dem Praxmarerhof. Und der Altvorsteher selbst kam gewöhnlich noch mit einem neuen „Goaselstiel“ (Peitschenstiel) für den ältesten Sprößling des Romedi und mit einem halben Dutzend hölzerner Kühe und Schafe für die jüngeren hinterdrein.

Sein Geschäft hatte der Romedi keineswegs aufgegeben, wenn er sich auch mehr der Bauernarbeit widmete und die „Stoaner“ zum größten Teil seinem Bruder überließ, der das einsiedlerische Leben schon so gewöhnt war, daß er aus der Behausung am Berg gar nicht mehr heraus wollte. Er machte sich des Titels „Stoandlnarr“, der von Romedi allmählich auf ihn überzugehen begann, in vollstem Maße würdig.

Der Kramer Luis ist bald nach der Hochzeit des Romedi und der Emerenz gestorben. „Den hat die Gall umbracht!“ meinten die Leute.



  1. Brillen und Ferngläser.
  2. Steinchen.