Der Sinai, das Katharinenkloster und seine Bibelhandschrift

Textdaten
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Autor: Constantin von Tischendorf
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Titel: Der Sinai, das Katharinenkloster und seine Bibelhandschrift
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 57–61
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Sinai, das Katharinenkloster und seine Bibelhandschrift.

Von Const. Tischendorf.


Unter einer Wüstenreise werden sich wenig Leser etwas Angenehmes denken können, noch weniger werden sie für ihre Person darnach Verlangen tragen. Und wollte der Verfasser dieser Zeilen versichern, daß ihm unter allen seinen Reiseerinnerungen, die einen Zeitraum von sieben Jahren und damit viele der herrlichsten Länder Europa’s und des Morgenlandes umfassen, keine lieber und theuerer sei, als die an seine drei Wüstenreisen nach dem Sinai, so würde er schwerlich bei Vielen Glauben finden. Von denen aber, die gleiche Wanderungen hinter sich haben, wird’s mehr als einer bestätigen, daß die Wüste einen eigenthümlichen fesselnden Zauber besitze, ohne daß man deshalb zu den braunen Kindern der Wüste, zu den Beduinen gehören müsse, denen das Herz nur dann frei und freudig schlägt, wenn sie mit ihren Kamelen den Sand der Heimath unter den Füßen fühlen.

Freilich sind die Wüstenreisen unter einander verschieden genug, und kaum wird eine andere des Reizenden so viel in sich vereinigen wie eine Reise nach dem Sinai. Daß sie jetzt nicht mehr wie ehedem auf dem langsamen Schiffe der Wüste, sondern auf dem beflügelten Dampfwagen angetreten wird, thut ihr keinen wahren Abbruch, denn die Strecke zwischen Cairo, der alten wunderreichen Kalifenstadt, und dem Hafenstädtchen Suez, dicht am Ufer des rothen Meeres, genießt sich in der That besser auf einer [58] sechsstündigen Fahrt im Coupé als bei viertägigem Ritte zu Kamel. Aber von Suez aus, hat man nur erst den schmalen Meeresarm in der Barke oder auch bei eingetretener Ebbe und nicht allzu ängstlichem Gemüthe zu Kamel überschritten, tritt die Wüste in ihre vollen Rechte ein, und mit ihr zugleich der Beduine und seine Kamele. Stehen einige dieser letzteren mit jeglicher Reisekost auf einige Wochen, wobei ein paar Fässer Trinkwasser nicht zu vergessen, sammt allem Küchen- und Tafelgeschirr, auch einem stattlichen Zelte ausgerüstet da, und überwacht dies alles ein zuverlässiger Reisemarschall, Dolmetsch und Koch, so läßt sich’s schon wagen, in die mit offenen, wenn auch leeren Armen harrende Wüste hineinzureiten.

Zur Rechten den tiefblauen Spiegel des rothen Meeres, begrenzt im Hintergrunde durch dunkelfarbige Bergeshöhen, zur Linken in stundenweiter Ferne ein weithin den Horizont beherrschendes weißröthliches Kalkgebirge, vor uns und hinter uns den lockeren bleichen Sand der Wüste, dessen weite Flächen nur hie und da von niedrigen Hügeln und Sträuchern unterbrochen werden, so haben wir, geschaukelt in eigener Person auf hohem Kamele, die auf sieben Tage sich ausdehnende Sinaitische Wüstenwanderung zu beginnen. Je weiter wir vorrücken, um so reicher und schöner wird unsere Landschaft. Sie wird dies nicht nur durch mannigfaltige Gruppen von Bergen, die mit ihren grotesken Felsgebilden einige Tagereisen später bis auf unseren eigenen Weg hereinragen, und zuerst aus weißlichen Lehm- und Kalkarten, dann aus röthlichem Sandgestein, endlich aus bräunlichen, nackten, schroff aufgethürmten Granitmassen bestehen, sondern auch durch die lieblichen Oasen, die mit ihren Tamariskenwäldchen, mit ihren Palmenhainen, belebt sogar durch einzelne Sänger, mitten in dieser Oede und Wildniß zauberhaft hervortreten, und von keinem Wanderer, von keiner Karawane ungenossen bleiben. Ich gedenke beispielsweise des Feiranthales, das von mehreren Beduinenfamilien in Lehmhütten, überdeckt mit Flechtwerk oder Palmenzweigen, bewohnt wird. Es darf die Perle der Sinaitischen Wüste genannt werden. Haben wir hier das kleine Zelt bei dem rauschenden Wasserbächlein, dem einzigen der ganzen Wüste, unter dem Schatten der Palmen aufgeschlagen, und ergehen uns, während der Koch Huhn und Reis zurecht macht, im Thale, das mit einem fast eine Stunde langen Walde von hohen, prächtigen Dattelpalmen prangt und nach drei Seiten von majestätisch empor ragenden Granitwänden wie von ewigen Mauern umgürtet ist, so wird Aug’ und Herz um eine unvergeßliche Stunde reicher.

Was diesen Genuß einer großartigen Natur noch wesentlich erhöht, das sind die großen Erinnerungen dieser Wüste, die bis in die dunklen Fernen heiliger Vorzeit zurückreichen. Ich meine vor allen anderen die Erinnerungen an Israels Wanderungen unter Moses, dem unerschrockenen Manne Gottes. Nicht leicht möchte sich einer anderen Begebenheit des grauen Alterthums noch heute so genau, fast Schritt für Schritt, nachgehen lassen, wie dem Zuge Israels nach dem Sinai, der viertehalbtausend Jahre hinter uns liegt. Da kommen wir von den sogenannten Mosisquellen, unweit vom Meeresufer, wo immerhin das aus den Fluthen und aus der Feinde Hand errettete Volk sein begeistertes Danklied angestimmt und sich mit einem Labetrank versehen haben mag, zu dem mit Murren empfangenen salzigen Bitterwasser, bald darauf aber auch zu dem lieblichen Elim, das mit seinen „zwölf Quellen und siebzig Palmenbäumen“ den Schmachtenden so fröhliche Erquickung geboten. Im weitern Verlaufe gelangen wir auch auf den Schauplatz der Kämpfe mit den Amalekitern, die längst vor Moses die süße Dattel des Feiranthales genossen haben mögen, sowie dahin, wo das Mannawunder geschah. Daß sich noch heute im Scheichthale, eine Tagereise vor dem Sinai, und zwar hier allein, ein eigenthümliches, Manna benanntes und mit seinem Honiggeschmack so sehr an die Mosaische Beschreibung erinnerndes Erzeugniß vorfindet, das ist von besonderer Merkwürdigkeit; was sich auch immer gegen die nähere Zusammenstellung beider sagen lassen mag, so bleibt doch dieses Tamariskenmanna ein theueres Erinnerungszeichen an die gerade an dieser Stätte genossene wunderbare Himmelsgabe.

Doch wir eilen von all den Erinnerungsstätten des israelitischen Wüstenwegs unserm Ziele zu, das uns gleichfalls mit Moses und Israel wieder zusammenführt. Nachdem wir der Berge und Thäler manche und zuletzt einen über zwei Stunden langen steilen Felsenpaß, auf dem das Kamel die Sicherheit seines Tritts zu erproben hat, glücklich überschritten haben, da öffnet sich vor uns eine weite ebene Sandfläche, an deren Enden jene majestätischen Granitberge hinein in’s Blau des Himmels ragen, auf denen noch heute, alten Ueberlieferungen getreu, Jude, Christ und Muhammedaner das Gedächtniß der Mosaischen Gesetzgebung feiern. Es ist schon hiermit angedeutet, daß der Sinai kein vereinzelter, frei aus der Ebene aufsteigender Berg ist, etwa wie der Thabor in der Ebene Esdrelon nahe bei Nazareth; er gehört vielmehr zu einer Gruppe granitner Berge, die einstmals gemeinsam den Namen Sinai getragen haben mögen. Zwischen einzelnen dieser mehrere tausend Fuß hohen Felsen ziehen sich bald engere, bald weitere, zum Theil durch einige Vegetation ausgezeichnete Thäler hin. In einem derselben, das den Namen Wadi Schueib trägt und von geringer Breite ist, liegt das Sinaikloster. Es liegt bereits zwischen 3 und 4,000 Fuß über dem Meeresspiegel, aber noch mehr als 2,500 Fuß unter den höchsten Spitzen des Sinaitischen Gebirgs, die sich gleich hinter ihm, im Westen, erheben und zwar so, daß der westliche Theil des Klosters schon auf erhöhtem Boden steht. Daß der eigentliche Mosisberg, d. h. derjenige Gipfel, auf welchem Moses bei der Scene der Gesetzesoffenbarung seinen Standpnnkt gehabt haben soll, vom Kloster aus nicht gesehen wird, und ebenso wenig von diesem Gipfel aus das Kloster: das ist ein Zeugniß gegen die Vermuthung, daß Mönchswillkür gerade diesen Gipfel verherrlicht haben möchte.

Das Ersteigen des Berges ist seit Kurzem bequemer geworden, als es früher war. Abbas Pascha, der Vorgänger des gegenwärtigen Vicekönigs von Aegypten, hatte nämlich in seiner schwärmerischen Vorliebe für die Wüste den kühnen Plan gefaßt, auf einem der Nachbarfelsen vom Mosisberge ein Sommerschloß anzulegen. Dazu ließ er einen Weg bauen, den ein Zweispänner befahren könnte. Gegen 2000 Fuß hoch dient nun dieser Weg zugleich den Wallfahrten zum Mosisgipfel. Uebrigens blieb der Schloßbau unvollendet; eine Vision schreckte den Vicekönig, als er einst von dem heiligen Berge herabfuhr, davon ab; den Bau aber, den er darauf unten, neben dem Kloster beginnen ließ, vereitelte der an ihm verübte Meuchelmord. Mehrere aus den vergangenen Jahrhunderten ehrwürdig gewordene Haltepunkte des früheren durch eine enge Schlucht steil aufwärts führenden Wegs sind durch diese Aenderung dem Gesichtskreise entrückt worden. Haben wir aber jene Höhe von fast 2000 Fuß über dem Kloster erreicht, so gelangen wir, gleichwie auch von dem früheren Wege aus, auf eine Bergebene, die durch grüne Strecken mit reichlichem Quellwasser und einer schlanken Cypresse, dem einzigen Baume des Sinai’s, eine überaus freundliche Oase in dieser hohen Felsenregion bildet. Von hier aus laufen, wie von einer gemeinschaftlichen Wurzel, gegen 1000 Fuß hoch die beiden Gipfel des Sinaitischen Gebirgs auf, von denen der nördliche als Horeb, der südliche als Dschebel Musa oder Mosisberg benannt zu werden pflegt; beide thürmen sich als nackte Granitmassen auf, röthlich und schwärzlich gesprenkelt auf hellgrauem Grunde.

Indem wir nach Süden weiter steigen, treffen wir nach etwa 15 Minuten von der Cypresse aus auf zwei niedrige Felskapellen, geweiht dem Andenken der Propheten Elias und Elisa, die vor 3000 Jahren hier eine Zufluchtsstätte gefunden. Eine halbe Stunde später haben wir die Höhe erreicht. Was hier den ringsum schweifenden Blick umgiebt, das wird kaum Seinesgleichen auf Erden haben. Es ist die erhabenste Felsenwildniß; viele Meilen weit und fast nach allen Seiten starren uns vielzerklüftete, wildgezackte Granitberge entgegen, ohne alle Vegetation, ohne jegliche Lebensspur. Es ist ein Bild voll Schroffheit und zugleich voll Hoheit; ein Bild voll erschütternden Ernstes. Hier also hat der Herr unter Donner und Blitz sein Gesetz verkündigt; es ist als ob das unerbittliche: „Du sollst“ und „Du sollst nicht“ noch immer in diese Felsen mit eisernem Griffel eingegraben wäre.

Man hat auf dem Sinaigipfel zwei Kapellen errichtet, eine christliche und eine muhammedanische, von denen wenigstens noch Ruinen stehen. Aber die Andacht bedarf hier dieser Hülfe kaum; der Berg selbst erscheint wie ein Altar, zu einem unvergänglichen Merkzeichen vom Finger des Ewigen aufgerichtet. – Nach Westen sah ich bei heiterem Himmel über alle die Felsmassen hinweg bis in die ferne weißlich schimmernde Sandebene, die gegen Suez ausläuft, während im Osten das Blau des Meerbusens von Akaba hervorglänzte. Der noch höhere Katharinenberg begrenzt den Blick nach Süden; aber von Süd nach Südost umgiebt unseren Gipfel [59] jenes Thal Sebahjeh, das in seiner amphitheatralischen Form völlig geeignet war, um das zur großen Stunde „aus dem Lager Gott entgegengeführte“ Volk in sich aufzunehmen. Schroff fällt in dieses Thal der Sinai ab; er wird gleichsam zu einer abgeschlossenen Persönlichkeit, die in der That, wie es der Ausdruck der Schrift verlangt, sich „anrühren“ läßt.

Aber wir sind der Sitte frommer Wanderer untreu geworden, indem wir den Sinai erstiegen, ehe wir in’s gastliche Kloster am Fuß des Berges eingetreten. Als ich am letzten Jänner des Jahres 1859 zum dritten Male vor dieser dem Frieden geweihten kleinen Festung mit meinen Kamelen hielt, wurde ich nicht wie die meisten Reisenden genöthigt, am Seile mit dem Querholze zu der gegen 30 Fuß hohen Thüröffnung mich hinaufwinden zu lassen, nur meinen Effecten und meinem Dragoman blieb diese Wanderung vorbehalten, während ich selber zu Ehren des mich geleitenden kaiserlichen Auftrags vom Oekonomen sogleich bewillkommnet und durch ein für Ankömmlinge selten geöffnetes Pförtchen in’s Kloster geführt wurde.

Die Großartigkeit der Anlage dieses ein längliches Viereck bildenden Gebäudes wird schon aus unserer bildlichen Darstellung ersichtlich sein. Seine 40 bis 50 Fuß hohen Mauern bestehen größtentheils aus massiven Granitblöcken. Das Innere ist in mehrere Höfe abgetheilt, um welche ringsum die Zellen, Kapellen, die Vorrathskammern, verschiedene Werkstätten, auch eine kleine Rüstkammer, die Fremdenzimmer und alle ähnlichen Baulichkeiten laufen, theils im Erdgeschoß, theils in den beiden Stockwerken. Die letztern, größtentheils mit hölzernen auf den Hofranm gerichteten Pfeilergängen versehen, sind jedoch von ungleicher Ausführung. In den Höfen befinden sich Anpflanzungen von Wein, einzelne Bäume, selbst Blumengärtchen, besonders aber zwei vortreffliche Brunnen; außerdem besitzt sein eigenes Wasser der große durch einen langen unterirdischen Gang mit dem Kloster an der Nordseite verbundene, in Terrassen angelegte Garten. Dieser letztere grüßt schon weit in die Ferne das Auge des Ankömmlings mit seinen herrlichen, dunkelgrünen Cypressen; seine üppigen Fruchtbäume aber liefern Orangen und Citronen, Mandeln und Feigen, Granaten, Aprikosen, Aepfel, Birnen und anderes Obst; auch mancherlei Gemüse wird darin gezogen.

Fremde kann das Kloster in großer Anzahl beherbergen; die vorzüglichsten Gastzimmer, die sich durch einen an drei Wänden fortgesetzten wohlgepolsterten Divan auszeichnen, befinden sich im oberen Stocke des westlichen Flügels, gegenüber demjenigen mit der hohen Thüröffnung. Tritt man aus diesen Zimmern auf die schon genannte Gallerie hinaus, so ruht der Blick unmittelbar auf einem etwa 1000 Fuß hohen Granitberge im Osten des Klosters, dessen Scheitel die Hand der Mönche mit mehreren Kreuzen geschmückt hat. Noch lieber jedoch genießt der Fremdling die noch freiere Fernsicht von der breiten nördlichen Klostermauer aus.

Von der größten Einfachheit sind die engen Mönchszellen, womit die strenge Lebensweise in Einklang steht, welche die vom Kloster befolgte Regel des heil. Basilius vorschreibt. Während der Genuß von Fleisch auf sehr wenige Festtage beschränkt ist und der bei weitem größere Theil des Jahres eine solche Fastenkost mit sich bringt, welcher Uneingeweihte schwerlich Geschmack abgewinnen, bietet ein aus Datteln bereiteter Liqueur den Brüdern die einzige regelmäßige Erquickung, die auch Wandersleute aus dem feiner schmeckenden Occident nicht verschmähen möchten, zumal wenn dazu ein Stück des aus zusammengepreßten Datteln und Mandeln bereiteten Sinaibrods, womit sich gleichfalls der Hausfleiß des Klosters befaßt, gereicht wird.

Daß gottesdienstliche Uebungen alltäglich und allnächtlich die Bewohner des Klosters vorzugsweise in Anspruch nehmen, verräth schon außer dem fleißigen, alle Räume feierlich durchklingenden Rufe zur Andacht die große Zahl der vorhandenen Kapellen, welcher die Zahl der Brüder selbst, gegen zwanzig, seit einiger Zeit nachzustehen pflegt. Von der Schmucklosigkeit der meisten dieser Kapellen unterscheidet sich wesentlich die in einem größeren Hofraume befindliche Hauptkirche. Ihr bleiernes Dach wird von einer doppelten Reihe Granitpfeiler getragen, zwischen denen die Chorstühle angebracht sind. Den marmornen Fußboden zieren musivische Arbeiten, desgleichen die Wände zahllose in Gold und bunte Farben gekleidete Heiligenbilder. In der Nische über dem Altare, der von vielen silbernen Lampen erleuchtet wird, ist die Scene der Verklärung des Herrn mit Moses und Elias in schöner Mosaik ausgeführt; ihr zu beiden Seiten stellen zwei Brustbilder die beiden Stifter des Klosters dar, den Kaiser Justinian und seine Gemahlin Theodora. Nach der Verklärung ist ursprünglich das Kloster selbst benannt gewesen; doch ist diese Ehre, wie es scheint, schon längst, auf die heilige Katharina übergegangen oder wenigstens mit ihr getheilt worden; denn ihr Name steht sogar auf den kleinen Abendmahlsbroden, dergleichen mir selbst verabreicht wurden. Die Gebeine dieser Heiligen sind nämlich in der Klosterkirche beigesetzt worden, und zwar befinden sich ihre hochverehrten Reliquien dicht unter dem Verklärungsbilde, so daß das letztere unerwünschter Weise von den häufigen den ersteren gewidmeten Räucherungen mit betroffen wird. Fast wäre dieselbe Kirche auch zur letzten Ruhestätte einer russischen Monarchin, der Kaiserin Anna, geworden; sie befindet sich wenigstens auf einem silbernen Sarkophag-Deckel lebensgroß dargestellt, obschon ihr Leichnam dem vorausgesandten Sarkophage nicht nachfolgte. Das größte Heiligthum der Kirche bildet aber die hinter dem Altar angelegte Kapelle des brennenden Busches. Nur mit unbeschuhtem Fuße darf sie betreten werden, in Erinnerung jenes Mahnwortes, das einst an Moses erging: „Zeuch Deine Schuhe aus von Deinen Füßen; denn der Ort, darauf Du stehest, ist ein heilig Land.“ Eben diesen heiligen Ort glaubt man in der Kapelle wieder gefunden zu haben.

Der Kirche gegenüber steht in demselben Hofraume, zu nicht geringer Ueberraschung der christlichen Pilger, eine ansehnliche Moschee, deren Halbmond dicht neben dem Kreuze über die Klostermauer emporsteigt, wie er auch auf unserm Bilde sichtbar ist. Aus welcher Zeit sie stamme, steht nicht ganz fest; daß sie erst im 16. Jahrhundert errichtet worden sei, um Sultan Selim zu beschwichtigen, als sein Liebling, ein junger griechischer Priester, statt der Genesung den Tod im Kloster gefunden hatte, wird durch sichere Beweise von ihrem Vorhandensein im 14. Jahrhundert widerlegt. Jedenfalls diente ihre Erbauung dazu, muhammedanische Bedrohungen vom Kloster abzuwenden. In neuester Zeit hat Abbas Pascha seine Gebete darin verrichtet. Außerdem steht aber das Kloster nicht nur in Beziehungen zu den alljährlichen Mekka-Karawanen, sondern auch in beständigem Verkehr mit den muhammedanischen Bewohnern der Wüste, besonders mit denjenigen Beduinenstämmen, die den Titel der Beschützer des Klosters führen. Dazu kommen mehrere Hunderte von Leibeigenen, deren frühesten Besitz das Kloster auf eine Schenkung des Kaisers Justinian zurückführt. Sie stehen überall im Dienste des Klosters, wie sie z. B. die verschiedenen ihm zugehörigen Gärten in der näheren und ferneren Umgegend des Sinai’s bebauen; auch werden sie von ihm unterhalten. Christen, was sie früher gewesen, sind aber merkwürdiger Weise die wenigsten unter ihnen geblieben.

Der Erwähnung dieser Leibeigenen füge ich noch bei, daß die Besitzthümer des Klosters oder der nach ihm benannten Brüderschaft überhaupt nicht unbeträchtlich sind. Filialklöster befinden sich zu Cairo, wo der Sitz der Superioren, zu Constantinopel, in der Walachei, selbst in Tiflis, und jedes derselben wird einträgliche Liegenschaften besitzen. Da die Brüderschaft unter ihrem eigenen Erzbischofe in einer gewissen Unabhängigkeit sogar von den mächtigen griechischen Patriarchen des Orients steht, so begreift sich’s leicht, daß sie, namentlich so oft es sich um ein neues der oberbischöflichen Weihe bedürftiges Oberhaupt handelt, der Eifersucht reichliche Nahrung bietet; wobei es leider geschieht, daß in den Zwistigkeiten christlicher Kirchenhäupter die Wahrung des Rechts der verrufenen türkischen Regierung verdankt wird.

Wodurch aber in neuester Zeit das Sinaikloster in so viele europäische Blätter gekommen, davon will ich an letzter Stelle den Lesern in Kürze erzählen. Das Kloster besitzt nämlich auch eine Bibliothek, worin sich gedruckte Bücher und Handschriften in griechischer und in verschiedenen orientalischen Sprachen befinden. Da die Stiftung des Klosters auf den Kaiser Iustinian in der Mitte des 6. Jahrh., und in gewissem Sinne sogar auf Kaiser Constantins berühmte Mutter Helena zurückreicht, insofern nämlich die letztere in der ersten Hälfte des 4. Jahrh, am Sinai eine Kirche anlegte, welche später das jetzige Sinaikloster in seine Mauern mit einschloß: so liegt die Möglichkeit vor, daß sich hier biblische Urkunden, die so sehr zur Ausstattung einer Kirche und eines Klosters gehörten, aus so früher Zeit erhalten haben, zumal da diese festen Mauern niemals von Feindeshand zerstört worden sind. Freilich müßte dabei jegliche Gunst der Umstände obgewaltet haben, da ja im Laufe von mehr als tausend Jahren so vielerlei den Untergang

[60]

Der Sinai und das Katharinenkloster.

[61] einer Handschrift herbeiführen konnte, und für die gesammte classische Literatur nur äußerst wenige handschriftliche Reste von so hohem Alterthum aufgefunden worden sind.

Aber in der That war ein so seltener glücklicher Fund unserer Zeit vorbehalten. Als ich im Mai des Jahres 1844 zum ersten Male den Sinai und sein Kloster besuchte, und unter der Gunst eines erfahrungsreichen, vortrefflichen der Bibliothek vorstehenden Mannes die Bibliothekräume durchsuchte, fand ich zur größten Ueberraschung in einem Korbe mit Resten von verschiedenen alten theilweise verdorbenen Handschriften, dergleichen schon zwei Körbe voll als unbrauchbar ins Feuer geworfen worden waren, mehrere Fragmente von einer griechischen Bibelhandschrift auf Pergament, in der ich vermöge meiner Vertrautheit mit den ältesten Urkunden, denen ich schon damals 4 Jahre lang in den europäischen Bibliotheken nachgegangen war, sogleich eine der ältesten, die es giebt, erkennen mußte. Es gelang mir leicht, die Abtretung eines Theils dieser alttestamentlichen Fragmente, die ihrem Untergange so nahe gekommen waren, zu veranlassen; die anderen umfänglichen Theile empfahl ich zu besserer Aufbewahrung, indem ich ihre Erwerbung, die zunächst nicht möglich war, späteren Schritten vorbehielt. Jenen ersteren Theil gab ich nach der Rückkehr in die Heimath, geschmückt mit dem Namen des Königs Friedrich August, des hohen Beschützers meiner Forschungen, lithographirt heraus. Da indessen meine Bemühungen um die im Kloster zurückgebliebenen Fragmente keinen Erfolg hatten, so gedachte ich sie aufs Genaueste abzuschreiben und aus der Abschrift herauszugeben, zu welchem Behuf ich eine zweite Reise, 1853, in den Orient unternahm. Bei meinem zweiten Aufenthalte im Sinaikloster wurde mir aber wahrscheinlich, daß der Schatz inzwischen bereits nach Europa gekommen sei, weshalb ich nach der Rückkehr dasjenige, was ich schon 1844 davon abgeschrieben hatte, einem größeren aus ähnlichen Funden hervorgegangenen Werke einverleibte und darin auf meinen Antheil an der Erhaltung jener anderen Ueberreste, wohin sie auch immer gekommen sein mochten, hinwies.

Nichtsdestoweniger drängte mich’s zu einer dritten orientalischen Reise, die es gelang im Auftrage der kaiserl. russischen Regierung und unter der besonderen Protection des Kaisers und der Kaiserin auszuführen. Als ich nun, wie schon oben erzählt, zum dritten Male das Katharinenkloster am Sinai besuchte, machte ich am 4. Febr., nachdem ich bereits für einen der nächsten Tage die Kamele zur Abreise bestellt hatte, mit dem Oekonomen des Klosters einen Spaziergang auf die Berge, wobei wir uns von der griechischen Uebersetzung des Alten Testaments unterhielten. Vom Spaziergang in der Abenddämmerung zurückgekehrt, sagte mir der Oekonom in seiner Zelle: „Hier habe auch ich ein Exemplar jener Uebersetzung,“ und legte es, in ein rothes Tuch eingeschlagen, vor sich auf den Tisch. Ich öffnete das Tuch und erkannte den längst gesuchten Schatz, und zwar noch auf das Ansehnlichste gegen den früheren Bestand vermehrt, da zu den Fragmenten des Alten Testaments sogar das ganze Neue Testament gekommen war.

Die lieben Freunde gestatteten mir, sofort die sämmtlichen 3451/2 Folioblätter, die keinen Einband hatten und auch sonst wenig Zusammenhalt, auf mein eigenes Zimmer zu tragen. Hier erst gab ich mich dem überwältigenden Eindruck dieser Erfahrung hin; der Herr hatte eine fast unvergleichliche Urkunde von der höchsten Bedeutung für christliche Wissenschaft und Kirche in meine Hand gelegt. Das war sogleich mir klar, daß ich nicht vom fremden Lande scheiden dürfte, ohne sie im Original oder in einer druckfertigen Abschrift nach der westlichen Heimath mitzunehmen. Zur größten Genugthuung gelang beides; denn Abschrift und Original begleiteten mich, als ich 8 Monate später Aegypten verließ.

Ohne Einzelnheiten hier wiederholen zu wollen, die unlängst in besonderer Schrift veröffentlicht wurden, füge ich nur noch einige Bemerkungen über die Handschrift selbst und über ihre Herausgabe bei. Die Handschrift enthält, außer einem großen Theile des griechischen Alten Testaments, das ganze Neue Testament nebst zwei anderen Schriften. Was giebt ihr nun einen so außerordentlichen Werth? Der Text unserer heiligen Schriften ist uns dadurch erhalten worden, daß fortwährend Abschriften auf Abschriften bis zur Erfindung des Bücherdrucks gefertigt wurden. Begreiflicher Weise müssen die ältesten dieser Abschriften die von den Aposteln geschriebenen Buchstaben genauer aufbewahrt haben als die späteren. Die Sinaitische Handschrift aber ist – nach meiner sorgfältigsten Prüfung – wohl ein Zeitgenosse jenes obengenannten ersten christlichen Kaisers; sie ist nachweisbar die älteste aller vorhandenen, und zugleich die einzige vollständige unter den wenigen von ähnlichem Alter, die wir besitzen. Sie eignet sich deshalb einzig zur bestbeglaubigten Grundlage für alle wissenschaftlichen Forschungen über den heiligen Text; es wird vermittels derselben, wo sie mit unseren üblichen Texten übereinstimmt, eine bedeutsame Bestätigung und Sicherheit für dieselben gewonnen werden; in manchen Fällen wird sie aber auch zur Berichtigung der letzteren beitragen; obschon dadurch, was gleichfalls von Wichtigkeit, kein Lehrsatz evangelischer Wahrheit beeinträchtigt wird. Außer dem Neuen Testamente, um hier von den Alttestamentlichen Büchern zu schweigen, enthält die Handschrift auch das bisher nur unvollständig oder sehr fehlerhaft bekannte, mit dem Hebräerbrief verwandte Lehrschreiben des Barnabas, das schon das zweite Jahrhundert geneigt war, zu den heiligen Büchern zu rechnen, und einen großen Theil einer ähnlichen, bis jetzt nur unsicher bekannten Schrift: beide Bestandtheile bereichern demnach wesentlich die christliche Literatur.

In gerechter Schätzung des hohen Werthes der Handschrift hat nun Kaiser Alexander II. die unverweilte Herausgabe derselben angeordnet und meinen Händen anvertraut. Sie wird demzufolge als ein wissenschaftliches Prachtwerk, das in 4 Foliobänden mit der größten Genauigkeit das Original wiedergiebt und erläutert, photographisch zu Petersburg (im kaiserl. Generalstabe), typographisch zu Leipzig (bei Giesecke und Devrient) ausgeführt, und ist bestimmt, wenn anders bis dahin die Bewältigung der großen Arbeit gelingt, in Petersburg 1862 zur Verherrlichung des tausendjährigen Reichsjubiläums ans Licht zu treten, um sodann überall, wo die christliche Welt eine Wissenschaft hat, als eine kaiserliche Gabe ihre Verbreitung zu finden.