Textdaten
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Autor: Max Haushofer
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Titel: Der Schutzpatron
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 199,200
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Schutzpatron.
Nach dem Oelgemälde von Mathias Schmid.

[199]

Der Schutzpatron.

(Mit Illustration Seite 197.)

Draußen weht Frühlingsluft, daß der Schnee von den Bergen des Eisackthals schmilzt und am Waldsaume die Schlüsselblumen sprießen. Drinnen aber in der geräumigen Vorhalle des Pfarrhofs steht die schlanke Häuserin und denkt weder an den Frühling noch an die Waldblumen, sondern wirthschaftet mit emsigen Händen im Hausgeräthe umher. Denn es geht auf Ostern; da muß, wie alljährlich, der ganze Pfarrhof von unterst zu oberst geräumt, da muß gefegt und gewaschen werden, bis das letzte Spinngewebe aus den dämmernden Ecken, der letzte Flecken vom Metallbeschlage der Thüren und Kästen verschwunden ist, bis die Vorhänge wieder schneeweiß und die Fenster spiegelblank sind.

Harte Arbeit ist’s; den der Pfarrhof ist gut seine dreihundert Jahre alt und hat Winkel und Räume genug, die durchstöbert werden müssen. Dazu ist der hochwürdige Herr leider auch noch ein Liebhaber von Alterthümern und hat bei den Bauern und in alten Schlössern mancherlei Gerümpel zusammengekauft, damit es der Staub und die Spinnweben ja hübsch heimlich haben möchten.

Jetzt geht’s an die Bilder. Alle sind sie heruntergewandert von den ungeheuren Eisennägeln, an welchen sie hingen. Tüchtige Nägel in die Wand – das ist auch eine Liebhaberei des hochwürdigen Herrn und das kleinste seiner Bilder hängt an einem Eisenstifte, welcher würdig wäre, einem Ostindienfahrer die Planken anzuheften.

Hübsch braun und schwarz sind die Bilder geworden, seit sie nicht mehr von diesen Nägeln herunter gekommen sind, und so voll Spinnweb! Aber die blonde Burgel denkt sich: wartet nur, ich will euch schon weißwaschen! Es ist ein Glück, daß keine Aquarelle darunter sind; denen erginge es schlimm. Solide alte Oelbilder können ein bißchen Striegeln schon vertragen.

Ehe die fleißige Burgel zu striegeln anfängt, muß sie aber die Bilder alle aufmerksam betrachten. Sie kennt ja dieselben bis jetzt nur von Weitem, weil sie erst seit einem halben Jahre den Dienst im Pfarrhofe hat. Früher war sie an einem ganz anderen, viel unheiligeren, aber ach – viel lustigeren Platze gewesen; als Kellnerin in einem der lobenswerthesten Posthäuser von ganz Tirol. Ihre alte Base, welche die Fürsorge über das Waisenkind ausübte, hatte sie aus jenem Posthause entfernt, weil es dort gar so lustig und so weltlich zuging: so viel Fremdenzug, und lustige Jäger und Maler; so feuriger rother Terlaner, so fröhliche Zillerthaler Jodler! Darum war die Burgel als Häuserin zu dem hochwürdigen alten Herrn gebracht worden, damit ihr das allzu viele Lachen und Jodeln aus dem Sinn käme und das ewige Singen:

„Zillerthal, du bist mein’ Freud’!“

Ganz war ihr das Singen aber doch nicht vergangen. Und auch jetzt, wie sie die Bilder, eins nach dem anderen, vornimmt, summt es leis von ihren blühenden Lippen, wie ein träumerischer Nachklang jener Zillerthaler Jodler. Die Heiligen, die sie da anschaut und abstaubt, verzeihen es ihr schon.

Es sind in der That lauter Heiligenbilder, was die blonde Burgel sieht und mit ihrem ganzen Kunstinteresse prüft. Eins davon aber, obwohl künstlerisch auf tiefster Stufe stehend, erregt ihre höchste Aufmerksamkeit. Denn wie sie den dicken Staub, der darauf gelastet hatte, weggewischt hat, entdeckt sie aus den leserlich gewordenen Buchstaben, daß es der leibhaftige [200] heilige Antonius sei, den sie da in Händen hält. Das Summen auf ihrer Lippe verstummt, und ein heiteres Lächeln zieht über ihr bildhübsches Gesicht.

Der heilige Antonius! Man muß wissen, was er in Tirol bedeutet. Von den Grenzen Graubündens bis dahin, wo der Großglockner in die Thäler Kärnthens schaut, gilt der heilige Antonius als besonderer Schutzpatron der Heirathslustigen, als gnadenspendender Ehevermittler. Was ihm zu diesem fröhlichen Gnadenamt verholfen hat, ist unbekannt. Die Burgel frägt auch nicht darnach. Sie weiß nichts davon, daß es mehrere Heilige dieses Namens gab, und daß derjenige, der da vor ihr abgebildet ist, als Franziskanermönch zu Padua in jungen Jahren starb. Wenn sie ihren Pfarrer fragen wollte, könnte sie vielleicht noch manches erfahren, sie könnte erfahren, wie der begeisterte Mönch zu Rimini den Fischen predigte, daß sie entzückt die Köpfe aus dem Wasser steckten, und viele andere Legenden, mit welchen das Mittelalter die Person des gefeierten Franziskanermönchs umgeben hat. Außerdem ist derselbe besonderer Schutzpatron für verlorene Sachen.

Von all dem weiß die Burgel nichts. Sie weiß nur das Eine, daß man in Tirol zum heiligen Antonius betet, wenn man gern heirathen möchte. Und wenn man verheirathet ist und es fehlt noch irgend Etwas, oder eine Gefahr droht: dann hilft auch wieder der heilige Antonius! Weil er selbst niemals verheirathet war und das Glück der Liebe nicht kannte, ist es ihm vergönnt, jetzt noch, Jahrhunderte nach seinem Ende, Beschützer der Liebenden zu sein. Sind es Erinnerungen aus uralter Heidenzeit, welche im Volke fortleben und, weil es keinen Gott Hymen oder Freyr mehr giebt, an die jugendliche Gestalt des Franziskanermönchs anknüpfen?

Auch darum kümmert sich die Burgel nicht. Sie hält sich nur an die glückverheißende Thatsache, daß sie das Bild des segenspendenden Heiligen in den Händen hat. Und das ist wichtig genug für sie.

Denn – um eine kleine Indiskretion zu begehen – die Burgel gehört auch zu den Heirathslustigen. Sie weiß auch halb und halb schon wem ungefähr der heilige Antonius seine besondere Sorgfalt zuwenden sollte, wenn er möchte. Draußen im sonnigen Unterinnthal, in der Laube des Postwirthshauses sitzt er einsam, der junge Forstwart, trinkt seinen rothen Terlaner und weiß nicht recht, weßhalb der Wein nicht mehr so gut ist, als dazumal, wie ihn die lustige Burgel noch kredenzte. Ihm hatte sie den Wein auch immer mit besonderem Wohlgefallen kredenzt. Und gerade das war der alten Base, welche an der Burgel Mutterstelle vertrat, nicht recht gewesen; gerade darum war das Mädchen aus dem fröhlichen Unterinnthal fortgeschickt und in die finstre Eisackschlucht verbannt worden. Die alte Base, sonst eine gute, fromme und wohlhabende Person, mochte wohl irgend einen besonderen Grund zu dieser Hartherzigkeit gehabt haben, irgend einen alten Familiengroll gegen den Vater des Forstwarts. Wenigstens hatte man der Burgel im Postwirthshause Aehnliches erzählt, als sie weinend dort Abschied genommen hatte, um ins Eisackthal zu dem alten Pfarrer zu reisen. Damals hatte ihr die gutherzige Postmeisterin gesagt: „Burgel, bet’ halt zum heiligen Antoni! Schau’, ich hab’ mein’ Postmeister auch von ihm kriegt; er wird wohl auch ein’ Forstwart für Dich z’wegen bringen!“

Das hatte dem armen weinenden Mädchen unsäglich wohl gethan, daran erinnert sie sich jetzt, da sie das Bild des Heiligen in Händen hält; und darum fliegt über ihr Gesicht jenes sonnige Lächeln, sonnig wie ihre Heimath ist draußen am Innstrom, und durch ihre Erinnerung klingt es, als sänge Jemand mit ihr zusammen wieder:
 „Zillerthal, Du bist mein’ Freud’!“

Ob er wohl helfen wird, der heilige Antonius?
Max Haushofer.