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Autor: Sigmund Kolisch
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Titel: Der Schutzgeist des Hauses
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32–34, S. 369–372, 381–384, 393–396
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[369]
Der Schutzgeist des Hauses.
Ein Bild aus der Wirklichkeit von Sigmund Kolisch.
I.

Durch die Güte eines Freundes in die Familie Duberville zu Paris eingeführt, lernte ich im Jahre 1853 ein Stillleben kennen, das mir durch sein besonderes Gepräge sowohl, als durch den Gegensatz mit den häufig vorkommenden zerrissenen Häuslichkeiten in der französischen Hauptstadt auffiel. –

Herr Alfred Duberville war zur Zeit meiner Bekanntschaft mit ihm ein Mann von ungefähr 35 Jahren, von hoher Gestalt, einnehmend eben so durch sein Aeußeres, wie durch seinen gebildeten, anmuthigen Geist, durch sein zartes Benehmen und sein rücksichtsvolles Auftreten. Madame Delphine Duberville mochte um fünf bis sechs Jahre jünger als ihre stärkere Ehehälfte sein, sie war kaum mittelmäßiger Größe, aber zierlich gebaut, von anziehender Gesichtsbildung, eine holde Erscheinung, sanft, ungekünstelt, kindlich unbefangen, weiblich – eine seltene Eigenschaft bei Französinnen. Sprache und Klang der Stimme so mild und wohlthuend, daß man sich freute, sie sprechen zu hören. –

Än den drei Kindern, zwei Knaben und einem Mädchen, mit welchen diese Ehe gesegnet war, fand ich reizende zuthunliche Geschöpfe, liebevoll gehegt, eine glückliche Mischung von Milde und Lebhaftigkeit.

Arnold Granier, Delphinen’s Bruder, von regelmäßigen, aber harten Zügen, von mittlerer Größe, aber von stämmigem Körperbau. In Blick, Wort und Geberde den Ausdruck der Entschiedenheit, ein Mann von Welt, Erfahrung und allerlei Kenntnissen, besonnen, ohne Kälte und zurückstoßende Selbstsucht.

Adele Blaireau muß nothwendig zur Familie gezählt werden, obgleich sie durch keine Bande des Blutes an dieselbe geknüpft ist. Sie hatte bereits die Dreißig überschritten, ohne jemals vermählt gewesen zu sein, und gehörte somit zu dem arg verschrienen Geschlechte der alten Jungfern. Die trockene gelbliche Hautfarbe, die sichtlichen Spuren des Hinwelkens, man möchte fast sagen, des Verdorrens, die sich im Gesichte, am Halse, an den Händen, an allen Linien des Körpers deutlich genug kundgaben, verriethen diesen unglückseligen Stand. Aber Adele schlug aus der Art. Weit entfernt von der grämlichen Bitterkeit, von der krittelnden Empfindlichkeit, die Mädchen ihres Alters eigen, war sie im Gegentheil freundlich, schonend, voll warmer Theilnahme, die Duldsamkeit selbst. Auch im Benehmen gegen sie zeigte sich ein auffallender Unterschied, im Vergleich zu den gewöhnlichen Fällen dieser Art. Anstatt jene spöttische Geringschätzung ertragen zu müssen, mit der aller Orte und Lande Geschöpfe ihrer Gattung behandelt zu werden pflegen, wurde sie in dem Hause von Allen verehrt und hoch gehalten wie eine Autorität. Alfred Duberville begegnete ihr stets mit der zartesten Rücksicht und Theilnahme. Er ließ es Adelen gegenüber auch nicht einen Augenblick an jener Zuvorkommenheit fehlen, die man füglich die Höflichkeit des Herzens nennen kann.

Arnold, der ernste Mann, erwies sich bei jeder Gelegenheit als ihr Ritter, stets mit ihr und um sie beschäftigt. Er leistete ihr jene kleinen Dienste, durch welche man eine Frau auszeichnet. In Gesellschaft war er stets an ihrer Seite und suchte sie zu unterhalten. Auf Bällen war er ihr Tänzer, auf Landparthieen ihr Führer, oft mit Hintansetzung junger, vornehmer Damen, welche auf diesen Vorzug Anspruch machten. Er war so beflissen mit seinen Diensten und Huldigungen, als hätte er dieses Herz erobern wollen, von dem er doch wissen mußte, daß es unneinnehmbar. Hat es doch die Zeit gelehrt.

Für Madame Duberville ist Adele mehr denn eine Freundin; sie ist eine Schwester, Vertraute, Rathgeberin. Madame Duberville unternimmt so zu sagen gar nichts, ohne sich früher mit Adele besprochen zü haben, und diese weiß aber auch über Alles so trefflich Bescheid, wie Dies und Jenes einzurichten, wie Manches im Hause am Zweckmäßigsten anzuordnen sei, wo man am Billigsten diesen, wo jenen Bedarf kaufen kann, wie man die Wäsche vor Schaden bewahrt, wie man die Blumen pflegen muß, damit sie nicht zu früh verwelken, wie man das Pelzwerk im Sommer versorgt, damit es nicht verderbe. Auf dies Alles verstand sie sich vermöge ihres praktischen Sinns. Gab es Zwist zwischen Mann und Frau, dessen sich wohl kaum ein Haushalt erwehrt, oder sonst Etwas, so war sie es, welche versöhnte und ausglich. War Delphine von Eifersucht gequält, was nicht selten vorkam, half Adele dem Uebel dadurch ab, daß sie Alfred veranlaßte, diese oder jene Gesellschaft, dieses oder jenes Haus zu meiden. Und das gelang ihr immer, denn Alfred hatte keinen Widerspruch für das Mädchen.

Als einmal der kleine Louis schwer erkrankte, war es Adele, welche bei ihm ganze Nächte hindurch wachte und sein wartete, denn Madame Duberville war außer sich gerathen und es fehlte ihr die Kraft und die Fassung, dem Kinde die nöthige Hülfe zu leisten. Auch die andern Hausgenossen waren nicht anstellig genug zu dem Geschäfte. Adele mußte sie Alle ermuthigen. Man nannte sie seit der Zeit den „Schutzgeist des Hauses.“

Die Kinder verließen, wenn sie kam, Spielzeug und volle Teller, und stürzten ihr jauchzend entgegen. Und ließ sie sich zwei Tage nicht sehen, fehlte sie allen im Hause. Die Kleinen wollten zu ihr geführt sein, man ging oder schickte zum Mindesten in ihre Wohnung, um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Freilich [370] brachte Adele ihren kleinen Freunden die interessantesten Geschenke mit, bald einen Vogel, bald einen kleinen Hund, bald ein possierliches Spielzeug, einen wackeligen Juden, eine schreiende Puppe, einen nähenden Schuster, der bei dem Geschäfte die widerlichsten Gesichter schneidet. Es war aber noch mehr ihr Walten unter ihnen, das ihr die Kinder gewann. Niemand wußte wie sie die blonden Köpfchen zu beschwichtigen, Niemand sich mit ihnen so zu unterhalten und die kleinen Streitigkeiten unter ihnen zu schlichten. –

Auch ich fühlte mich hingezogen zu dem Wesen voll Liebe und Hingebung, das so lauter und klar in Wort und That, wie ich mir sagte, nie durch ein unerbittliches Schicksal gezwungen werden konnte, die Bestimmung des Weibes zu verfehlen. Sie war noch schön diese Blume im Verblühen. Die hohe Gestalt, die weichen und doch bestimmt ausgeprägten Züge erinnerten an das Bildniß der Charlotte Corday. Ist es möglich, daß sich kein Herz gefunden haben sollte für dieses reine, volle, pochende Herz? frug ich mich. Das schien mir nicht denkbar. Was konnte also dieses holde Weib bestimmt haben, die schönsten Gefühle der Jugend ungenützt verkümmern zu lassen? Ich ahnte eine Leidensgeschichte. Sie wurde mir erzählt, da ich in der Familie Duberville ganz heimisch und als ein Hausfreund betrachtet wurde. Wie ich vorausgesetzt, hat diese Geschichte ihre rührenden, erschütternden Momente.

Alfred Duberville und Arnold Granier waren Schulkameraden gewesen und wurden später im ungewöhnlichen Sinne des Wortes Freunde. Die jungen Leute hatten ihre nähere Beziehung zu einander von ihren Vätern geerbt, die in den letzten Kriegen des Kaiserreichs Waffenbrüder, nach der Wiederkehr der Bourbons im Jahre 1815 aus der Armee traten und in Vereinigung mittelst eines Kapitals, das Jeder von ihnen besaß, Handelsgeschäfte unternahmen. Die in Kaufleute umgewandelten Soldaten verheiratheten sich im Jahre 1816, erwarben ein beträchtliches Vermögen und starben, wie um ihre Anhänglichkeit an einander zu beweisen, im selben Jahre (1840). Sie ließen ihre Kinder wohlversorgt und in der Lage zurück, ihr Leben nach Gutdünken und Geschmack einzurichten.

Arnold war ein klar denkender Mensch, fast ohne Illusionen, den kein Ereigniß, keine Person und kein Verhältniß so leicht durch äußern Glanz zu täuschen vermochte. Er war nie fanatisch, sondern zugestehend; mit Ernst und Festigkeit anerkennend, jedoch mit Bedacht. Er war ein echter Bürger, ein Mann des Maßes. Er haßte die unnütze Verschwendung, gleichviel, ob es sich um Geld, Lob, Zeit oder Neigung handelte. Mit Enthusiasmus sparte er bis zum Geiz. Wie seine Kapitalien hielt er darauf, seine Gefühle gut zu placiren. An seiner Mutter hatte er mit frommer Verehrung gehangen. Seine Schwester Delphine liebte er aufs Zärtlichste; er war ihr nach dem Tode des Vaters ein sorgender, schützender Vater.

Seinem Freund Alfred, an welchem er den geraden Sinn und das offene Wesen, das unverfälschte Gemüth schätzte, war er von ganzer Seele ergeben.

Alfred, ganz verwaist, ohne Aeltern und Geschwister, fand Alles in seinem Freund und in Delphinen, die auch er wie eine Schwester betrachtete und behandelte.

Sie lebten alle Drei recht vergnügt mit einander, theils in großer, glänzender Gesellschaft, theils im engen Kreise, sich wechselseitig durch Antheil und Neigung das Leben erheiternd, durch Mittheilung und Gemeinsamkeit sich wechselseitig anregend und die Genüsse erhöhend. Dieser freundliche Verkehr, in den sich gar keine Leidenschaft mischte, dauerte ohne Störung zwei Jahre nach dem Tode der beiden Väter.

Eines Tages, im September des Jahres 1841, als Alfred auf den Boulevard des Italiens sich erging, ward er von Theophile Lamon, einer Salonberühmtheit von großer Eleganz, mit viel Renten, wenig Herz und etwas Geist angehalten.

„Sie ganz allein, ohne obligate Begleitung, Castor ohne Pollux; das muß was Außerordentliches zu bedeuten haben“, sagte heiter und sichtlich zufrieden mit seinen Einfällen Herr Lamon.

„Es bedeutet sehr einfach“, versetzte Alfred, „daß Arnold für einige Tage in einer Geschäftsangelegenheit nach Orleans gereist ist.“

„War irgend eine Tante so gefällig zu sterben und ihm eine Erbschaft zu hinterlassen?“

„Beim Himmel, Sie haben es errathen“, erwiederte Alfred mit beifälligem Lächeln.

„Die Freunde des Herrn Granier werden nun nicht wissen, ob sie ihm Glück wünschen oder Beileid bezeugen sollen.“

„Was Sie betrifft, können Sie unmöglich zweifelhaft sein, da Sie sich bereits selbst in diesem Conflict der Gefühle befanden.“

„Man muß sich sehr anstrengen, traurig zu sein“, sagte der Geck, „in dem Augenblicke, als man der Eigenthümer von vierzigtausend Franken Renten wird.“

„Ich möchte diese Annahme nicht im Allgemeinen gelten lassen“, versetzte mit Ernst Alfred.

„Sie leben in Paris und glauben also nicht, daß ich der einzige so Verworfene bin, daß mich der mir zufallende Besitz von vierzigtausend Franken Renten den Tod eines Anverwandten vergessen machen kann. Doch wir wollen uns lieber von andern Dingen, als von dergleichen Gewissenssachen unterhalten. – Ich habe etwas vor und da Sie eben verwittwet sind, macht es Ihnen vielleicht Spaß, Theil an meinem Project zu nehmen.“

„Wenn es angenehm oder nützlich ist – und Eins von Beiden ist es gewiß, womit Sie sich befassen – bin ich mit dabei.“

„Sie haben wohl von der schönen Lectionengeberin in der rue Mazagran gehört?“

„Neulich war von ihr in dem Salon bei B… die Rede, und es ward zum Verdrusse der Frauen nicht nur die Schönheit, sondern auch der gute Lebenswandel der jungen Professorin gerühmt. Sie ist ganz ungewöhnlich schön, ein ganz seltenes Exemplar von einer Brünette“, behauptete Lamon.

„Ihnen also schon bekannt?“ frug Alfred.

„Bis jetzt nur durch Ueberlieferung. Wissen Sie, wer sie besucht hat?“

„Ich errathe nicht.“

„Prénot! Und Sie werden nicht bestreiten, daß der über Frauenschönheit ein Urtheil hat. Und dieser, von den Blasirtesten Einer, der über die rasche Entzündbarkeit der Jugend längst hinaus ist, bewundert. Es kann keine bessere Empfehlung mehr geben. Wie er sagt, sind Gestalt, Augen, Zähne, Haare tadellos. Fuß und Hand Modelle. Ueberdies sind bisher alle Bekannten streng zurückgewiesen worden, sobald sie aus der Rolle der Schüler herauszutreten sich beikommen ließen. Die schöne Meisterin macht also in Tugend, eine Waare, die immer ihren Werth hat, wenn sie auch nicht echt ist.“ !

„Worin ertheilt die Prénot’sche Schönheit denn Unterricht?“ frug Alfred.

„In Musik, Sprachen und Kalligraphie.“

„Sie ist also sehr vielseitig gebildet?“

„Spricht außer französisch, deutsch, englisch, spanisch und italienisch mit der größten Sicherheit und Geläufigkeit. Eben im Begriffe, mich zur schönen Meisterin zu begeben und mit ihr wegen einiger Lectionen zu unterhandeln, mache ich Ihnen den Vorschlag, mich zu begleiten.“

„Nichts kann mir erwünschter kommen. Da ich nächstes Jahr die „Niobe der Städte“ und die andern Wunder Italiens anzustaunen gedenke, wird mir einige Uebung in der Sprache dieses Landes von Nutzen sein.“

Ohne Aufschub schritten die beiden jungen Leute die Boulevards aufwärts, an dem Gymnase vorüber, um sich in die rue Mazagran und in die Wohnung der Mademoiselle Adele Blaireau zu begeben. Sie wurden von einer dienstthuenden Magd in einen kleinen Salon gewiesen, an welchen eine Art Unterrichtszimmer stieß, wo die beiden jungen Leute, als die Verbindungsthüre aufging, mehrere junge Mädchen um einen runden Tisch sitzen und schreiben sehen konnten.

Alfred war zunächst von der Ordnung, Stille und Reinlichkeit, die ihn umgaben, überrascht. Das Empfangszimmer, sehr einfach, aber geschmackvoll eingerichtet, war höchst anziehend und Jeder mochte sich gerne dort aufhalten. Die Kupferstiche an den Wänden, in goldenen Rahmen, Nachbildungen der idyllischen Scenen von Robert und anderer berühmter Bilder, dann die kleinen Gypsbüsten berühmter Künstler, das Alles war so ansprechend an einander gereiht, so sinnig vertheilt, daß es einen wohlthuenden Eindruck machte. Das Sopha, die Lehnstühle, die Vorhänge von blauem Stoff, sahen so frisch aus. Nirgends war eine Spur der Verletzung oder Abnützung zu gewahren. Die Bronze-Uhr auf dem Kamin zeigte auf’s Genaueste die Stunde. Nach einigen Minuten trat Adele ein, um ihre Gäste zu empfangen. Sie war einfach, aber elegant gekleidet und wirklich so schön, wie sie Herr Prénot geschildert hatte. Sie mochte zwanzig Jahre zählen und [371] Alfred mußte die Sicherheit, Unbefangenheit und natürliche Würde bewundern, mit welcher sie sich darstellte. Auf die ungezwungenste Weise grüßte sie und bot sie den jungen Männern Plätze an.

„Womit kann ich dienen?“ frug sie mit einer vollklingenden Stimme.

Alfred blieb im Anschauen der holden Erscheinung versunken, so daß er gar nicht daran dachte, irgend etwas zu sagen. Sein Gefährte jedoch begann mit geläufiger Zunge: „Wir haben von Ihren Talenten und Ihrer Schönheit gehört, mein Fräulein, und wir hegen den lebhaften Wunsch, unter Ihre Jünger aufgenommen zu werden, damit auch wir Ihren Ruhm verbreiten helfen. Und wenn die Verehrung für den Meister auf den Schüler wirken muß, so – –“

„Ich ertheile Unterricht in Sprachen, Musik und Kalligraphie“, unterbrach mit kaum merklicher Schärfe Adele zur nicht geringen Verlegenheit des jungen Weltmannes, der, wie es Alfred vorkam, erröthete. Nach dieser zurechtweisenden Erklärung schwieg das Mädchen, als erwartete sie nun eine einfachere Andeutung von den beiden Herren über den Zweck ihres Besuches. Und Alfred sagte bescheiden mit gedämpfter Stimme: „Wollen Sie so gütig sein, mein Fräulein, mir in der italienischen Sprache nachhelfen?“

„Und mir, worin Sie selber wollen, Fräulein; ich lasse Ihnen vollkommen die Wahl. Was Sie mich auch lehren, es kann für mich nur vortheilhaft sein“, sagte Theophile Lamon in einem einschmeichelnden Tone, nachdem er sich von seiner Betroffenheit erholt.

„Ich habe noch zwei Stunden der Woche frei“, versetzte die Meisterin zu Alfred gewendet, „und die stehen Ihnen zur Verfügung. Was die Bedingungen betrifft, finden Sie dieselben auf diesem kleinen Programme angegeben.“ Bei diesen Worten überreichte sie Alfred ein Blättchen gedruckten Papiers.

„Und mich lassen Sie leer ausgehen? Nicht doch, mein Fräulein“, bat Lamon und glaubte sich unwiderstehlich. „Sie glauben gar nicht, wie mir eine Verbesserung der Handschrift nach der neuen Methode Noth thut. Alle Welt beklagt sich über die Unleserlichkeit meiner Briefe.“

„Es thut mir recht leid“, entschuldigte höflich Adele; „es sind für den Augenblick all meine Stunden besetzt. Und nun verzeihen Sie, meine Herren“, setzte sie lächelnd hinzu, „die kleinen Wißbegierigen da drinnen fordern meine Gegenwart.“ Sie grüßte anmuthig, wie etwa eine Königin, die sich aus ihrem Rath zurückzieht, und verschwand in dem anstoßenden Gemach.

„Zum Entzücken ist dieses Weib; doch es will mich fast bedünken, daß sie wirklich tugendhaft ist“, ließ sich Theophile vernehmen. Alfred sagte nichts. Die beiden jungen Männer verließen die Wohnung der Lectionsgeberin.


II.

Von Orleans zurückgekehrt, erhielt Arnold aus dem Munde des Freundes eine so lebhafte Schilderung der schönen Lehrmeisterin, daß sie der Besonnene, wie natürlich, übertrieben schalt.

„Uebertrieben“, versetzte Alfred, „sind die Vorzüge dieses Mädchens, aber keineswegs die Darstellung derselben.“ Und es gab für ihn nun zwei Festtage jede Woche: Dienstag und Freitag, ohne Unterschied des Kalenders, oder eigentlich zwei Feststunden an diesen Tagen, wenn er Unterricht in der italienischen Sprache nahm. Und wie gelehrig war er. Alles, was die Meisterin während der Stunden sagte, selbst was keinen Bezug auf die Sprachwissenschaft hatte, behielt sein Gedächtniß fest. Wie konnte es da fehlen, daß die Meisterin mit dem lernbegierigen Schüler zufrieden war! Und es geschah wahrscheinlich, um ihn für Fleiß und Aufmerksamkeit zu belohnen, daß sie ihm einen Abriß ihres Lebens erzählte. „Ich bin die Tochter eines redlichen Kaufmannes zu Paris, und von beiden Aeltern verwaist“, erzählte sie. „Die Mutter verlor ich als ein Kind von zehn Jahren. Ich war alt genug, um aufs Tiefste den Verlust zu fühlen. Ich ward in eine Pension gethan, da mein Vater, von seinem Geschäft in Anspruch genommen, keine Zeit übrig behielt, um sich mit meiner Pflege und Erziehung zu befassen. Uebrigens liebte mich der treffliche Mann aufs Zärtlichste und that nach seinen Kräften Alles, was meinem Bruder Thomas und mir Nutzen oder Vergnügen gewähren konnte. Vor zwei Jahren folgte er, durch ein Nervenfieber hinweggerafft, der Mutter in’s Grab, und hinterließ uns ein mäßiges Vermögen und ein Geschäft, das gut im Gange war, und das mein Bruder weiter führen sollte. Thomas, durch das pariser Leben zu unbegrenzter Habgier gespornt, verfiel dem Börsenspiel, ließ das Geschäft zu Grunde gehen, verlor sein Vermögen und wußte mir, der ich dieser Dinge ganz unkundig war, auch das Meinige zu entlocken, um es ebenfalls in den finstern Schlund der Börse zu werfen. Was wußte er mir Alles vorzuspiegeln von glänzenden Aussichten und gewinnbringenden Spekulationen. Bald hatte er sich in eine große industrielle Unternehmung eingelassen, bei welcher sich der goldene Ertrag mit mathematischer Gewißheit erwarten ließ. Bald hatte er durch Bankerotte mit ihm in Geschäftsverbindung stehender Häuser Verluste erlitten, und ich sollte aushelfen. Kurz, es gelang ihm, das Vermögen der Unerfahrenen durchzuschlagen. Ich lebte während dieser Stürme bald bei meiner Tante in Montpellier, bald bei meinem Bruder in Paris, je nach den unglücklichen oder glücklichen Schwankungen des Spiels.

„Was war Thomas früher ein guter, hübscher Junge, und wie hat ihn das unselige Gewerbe physisch und moralisch zerstört! Bald konnte er sich vor Glück und bald vor Unglück nicht fassen. Er ist nur um fünf Jahre älter als ich und schon ein Greis mit Runzeln und grauen Haaren. Wenn er mich nun besucht, um sich Geld für seinen Unterhalt zu holen, und mich arbeiten sieht, weint er wie ein Kind und ich muß ihn noch trösten, ob er gleich selbst die Schuld an unserer Verarmung trägt. Als er mir vor fünf Monaten nach Montpellier schrieb, daß er nicht nur das Letzte verloren, sondern nach einer großen Bewegung auf der Börse – das erste Mal gestand er die Laufbahn, welche er eingeschlagen, auch die Differenzen, wie sie das heißen, nicht bezahlen könne, und daß ihm nichts Anderes übrig bleibe, als sich in die Seine zu stürzen, um der Schande und dem Hunger zu entgehen, eilte ich nach Paris, um ihn zu retten, und ich entschloß mich zu der Thätigkeit, von welcher Sie mich in Anspruch genommen sehen, und die mehr als hinreichend ist, uns Beide zu versorgen.“

Ist es nöthig zu bemerken, daß Alfred ganz glücklich durch das Vertrauen war, welches die Meisterin durch die Erzählung ihrer Geschichte ihm schenkte?

Es dauerte nicht gar lange, so kam er auch außer den Unterrichtsstunden, die übrigens diesen Namen zu verdienen aufgehört, zum Besuch in die Wohnung Adele’s und er durfte sich schmeicheln, denn es war zu sehen, daß er stets willkommen war, und daß er von den jungen Männern, mit denen die Meisterin durch ihren Beruf in Berührung kam, am Meisten begünstigt war. Ein einziger Mann, der ebenfalls mit Adelen im nähern Verkehr stand und zu ihrem Umgang gehörte, mochte hie und da die Eifersucht Alfred’s erregen. Dieser Mann war ein russischer Graf, Namens Worsakoff, der Schwester von dem Bruder vorgestellt und sehr angelegentlichst empfohlen. Der Russe war ein Mann in den Dreißigern, viel gereist, von feinem Benehmen und männlicher Haltung, der, wie sich aus seiner Art zu leben schließen ließ, über große Reichthümer verfügte.

Arnold erfuhr von dem Freunde Alles, was diesen erfreute oder beunruhigte; doch entschlüpfte ihm niemals ein Urtheil, weder ein tadelndes noch ein billigendes über diese Angelegenheit, wahrscheinlich, weil er diese Bekanntschaft zu denen zählte, die man eben so rasch abbricht, als man sie angeknüpft. Als ihn aber Alfred eines Tages von seinen ernsten Absichten in Bezug auf die Lehrmeisterin Eröffnungen machte, da glaubte der besonnene Mann seine Ansicht über den Gegenstand nicht länger zurückhalten zu dürfen und erhob Einwendungen gewichtiger Art.

„Mein Freund“, sprach er, „Du willst dem Irrlicht Deiner aufflackernden Leidenschaft folgen und denkst nicht daran, daß dergleichen Gestirne in den Sumpf, aber niemals an ein erwünschtes Ziel führen. Wer ist Mamsell Adele? Ist sie eine passende Lebensgefährtin für Alfred Duberville? Du kennst sie ja gar nicht. Und was von ihr bekannt, ist für eine dauernde Verbindung wahrlich nicht empfehlend.“

„Wir haben unsere Herzen einander geöffnet, wir haben unsere Gefühle einander bekannt. Ich habe tief in ihr Innerstes geschaut“, versetzte Alfred mit Begeisterung.

„Das Herz ist ein schlechtes Auskunftsbureau, mein Lieber“, gab Arnold zurück, „und die Gefühle sprechen häufig, was man ihnen dictirt. Und es handelt sich auch nicht um das allein. Ruf, [372] Charakter, Stellung wollen auch und zunächst berücksichtigt sein. Passen die Verhältnisse Deiner Lehrmeisterin zu dem Rang, den Du in der Gesellschaft einnimmst? Der Ruf dieser Dame ist jedenfalls, mit Recht oder Unrecht, zweideutig. Man weiß, daß sie jungen Leuten der großen Welt Unterricht ertheilt, die gewiß nicht Wissensdrang zu den Cursen der schönen Meisterin treibt. Was berechtigt Dich zu glauben, daß Mamsell Adele nicht dasselbe Spiel wie mit Dir, auch mit Andern treibt, und nicht auch noch andere vorgezogene Schüler hat? Ueberhaupt eine Stundengeberin, die allein dasteht, ohne einen andern Schutz, als den eines liederlichen Bruders, eines herabgekommenen Börsenspielers, der seiner schönen Schwester russische Grafen zuführt, um sie ausbeuten zu können und mit dem es eines schönen Tages zu einer rührenden Erkennungsscene in der Morgue kommen mag. Das sind keine Elemente, aus denen sich ein Mann von Ehre seine Häuslichkeit bauen darf. Lieben kann man wie und wen man will. Die Gesellschaft hat keinen Grund und kein Recht, sich in diese Angelegenheit zu mischen. Die Ehe aber gehört ihr und sie muß sich ihren Gesetzen und Forderungen unterziehen. Wer die Gesellschaft bei dieser Gelegenheit nur halb befriedigt, muß die schuldig gebliebene Hälfte theuer bezahlen. Sie ist und bleibt eine furchtbare Macht, die ein Genie wie Byron hat, sein Auflehnen gegen sie durch den Verlust des Vaterlandes und tausend andere Qualen gebüßt. Was wollen wir gewöhnliche Menschen gegen sie anfangen?“

„Es ist wohl besser, man legt ihr gleich ohne Widerstand das ganze Lebensglück zu Füßen“, sagte Alfred, der mit düsterem Sinnen den Worten des Freundes gefolgt war.

„Daß Du doch gleich einen leisen Hang, der Dich überkommt, zu Deinem Herrn und Gebieter erhebst, welcher über Tod und Leben entscheidet. Nimm doch nicht eine Seifenblase für einen Berg. Bedenke, daß sie im nächsten Augenblick zerplatzt, daß aber doch geopfert bleibt, was Du in Deiner Verblendung geopfert.“

Es erfolgte keine Antwort mehr. Die Freunde trennten sich in kühler Spannung.

Alfred war ein Zögling des pariser Lebens, wo die Illusion wie ein verirrtes Kind einherläuft und keine Stelle findet, um sich zu bergen, und wo sie ohne Obdach und Nahrung gelassen, elendiglich zu Grunde geht. Von Natur heißblütig und schwärmerisch, hatte Alfred zu oft Gelegenheit, die trostlose Wirklichkeit zu erkennen, um nicht mißtrauisch gegen seinen Glauben, gegen jede Sprache an sein Gefühl zu werden. Die Erfahrung hatte Blei an die Flügel seiner Seele gehängt. Er wollte es so, er mußte es so wollen, um nicht betrogen und verlacht zu werden in der Welt, die ihn umgab. Dazu kam, daß ihn sein bedächtiger Freund schon oft von übel angebrachtem Vertrauen, von Verführungen durch falschen Schimmer zurückgehalten. Wie konnte daher diese neue Warnung ihre Wirkung auf den jungen feurigen Mann verfehlen! Sie schreckte ihn aus seiner Unbefangenheit empor, in die er vermöge seiner Natur zurückgefallen war. Sie erregten um so mehr seinen Argwohn, als er wieder einmal seiner Begeisterung blind vertraut, als er ohne Prüfung dem Drang des Herzens gefolgt war. Der russische Graf, Adele’s Bruder, ihr vielfacher Verkehr mit Leuten ohne Gewissen, ohne andere Gottheit als die Selbstsucht, stellten sich ihm nun als verunzierende Attribute des Bildes dar, das ihn so mächtig angezogen.

Und mit andern Gedanken, andern Blicken kam er nach der Unterredung mit dem Freund zu der schönen Lehrmeisterin. Früher ein argloses Kind, war er jetzt ein grübelnder Forscher, der an Alles, was das Mädchen sprach oder that, im Stillen die Frage richtete, woher es komme und wohin es gehe? Früher ein Glücklicher im Paradiese jener Liebe, stellte er sich wie als Wächter vor den Eingang in dasselbe, um sich selbst zurückzuweisen.

Adele hätte kein Weib sein müssen, um die Veränderung des Freundes, der ihr so werth geworden nicht zu bemerken, die zu plötzlich, ohne Uebergang gekommen war, um sich nicht deutlich genug zu geben. Sie frug, wenn sie den Mann oft tiefsinnig und düster sah, der sonst so froh und spielend gewesen, was ihn denn überkommen? Allein er hielt vor ihr den Zustand seiner Seele verborgen und schützte Gründe vor, die ihr kaum annehmbar erscheinen mochten. So wurden Beide einander räthselhaft, fühlten sich Beide beunruhigt und gequält. Aber sie suchten sich um so gieriger, fühlten sich um so heftiger aneinander gedrängt, als eine Vermittelung, eine Lösung des unklaren Zerwürfnisses Noth that.

Oft wartete Alfred stundenlang in dem kleinen Salon neben dem Lehrzimmer, während Adele Kinder und Erwachsene aus dem Quell ihres Wissens schöpfen ließ. Es war ihm eine Erleichterung in der Nähe des Mädchens zu sein, das in ihm eine Neigung erweckt, welcher er sich nicht erwehren konnte, wie leicht auch sein Freund die Sache nahm. Er sehnte sich nach Adelen, wenn er von ihr fern war, doch bei ihr trat eine Bitterkeit in sein Herz und auf seine Lippen, die dem armen Mädchen nicht selten Thränen kostete. Jeden Tag frug sie nach dem Grund seiner Verstimmung. „Wenn Ihnen etwas nicht recht ist an mir, so sprechen Sie. Ich will ja jeder Ihrer Weisungen folgen,“ setzte sie hinzu. Allein selbst diese Willfährigkeit, die so rührend klang, stieß auf Mißdeutungen bei dem mißtrauisch gewordenen jungen Mann.


III.

Also in Anspruch genommen und zugleich verstimmt mied Alfred die große bunte theilnahmlose Welt. Ja selbst Delphine und Arnold bekamen ihn nur auf Augenblicke zu sehen. Die Schwester des Freundes, gewohnt von ihm fast jeden Tag kleine Aufmerksamkeiten zarter Freundschaft zu erfahren, sah sich mit einem Mal vernachlässigt. Sie hatte die Gewohnheit, mit ihm mehr als mit ihrem Bruder, da er empfänglicher war, die kleinen weiblichen Angelegenheiten zu berathen, wie die Einrichtung einer Stube, Wahl eines Musikstückes, um es auf dem Flügel einzustudiren, Anordnung und Einrahmung ihrer Kupferstiche, deren sie eine schöne Sammlung zusammengebracht. Damit war es nun ebenfalls aus; denn wenn er kam, erkundigte er sich flüchtig nach ihrem Befinden, sprach sonst fast nichts, hörte kaum zu, wenn sie was erzählte und ging gleich wieder. Anfangs rieth und deutete sie im Stillen diese Veränderung Alfred’s. Später aber konnte sie sich nicht mehr enthalten ihren Bruder zu fragen, ob dem Freund ein Unglück zugestoßen, daß er so angegriffen und niedergeschlagen aussieht und sich so seltsam benimmt.

„Es ist nichts,“ antwortete Arnold. „Irgend ein Frauenzimmer hat ihm den Kopf verrückt. Mach Dir also keinen Kummer aus dieser Blässe auf seinen Wangen. Das Uebel ist nicht gefährlich.“

So wie sie diese Auskunft erhalten, ging Delphine aus dem Zimmer, ohne ein Wort zu sagen. Den Tag nach dieser Enthüllung zeigte Arnold der Schwester an, daß Alfred die Einladung zum Essen nicht angenommen habe, wie auch daß er an der Landparthie nach Meudon, die für nächsten Sonntag verabredet war, nicht theilnehmen werde.

„Er verläßt uns ja ganz,“ sagte Delphine mit erzwungenem Lächeln. Hätte sie Arnold aufmerksam betrachtet, so würde er ein leises Zittern ihrer Lippen bemerkt haben.

„Die Leidenschaft sitzt ihm vielleicht tiefer als ich gedacht,“ versetzte Arnold.

„Wer ist die Glückliche?“ frug Delphine immer lächelnd weiter.

„Eine Stundengeberin.“

„Ist sie schön?“ frug Delphine nicht ohne Anstrengung, die schon ein wenig ihrem Bruder auffiel.

„Sie gilt dafür.“

„Und auch für liebenswürdig?“

„Das mag sie wohl auch sein.“

„Du hast sie nie gesehen?“

„Niemals.“

„Er ist wohl immer bei ihr?“ warf Delphine so leicht hin, als sie es nur fertig bringen konnte.

„Es fehlt ihm wie es scheint, die Kraft sie zu meiden.“

„Wer weiß, ob er das will?“

„Das wäre allerdings nicht nöthig, wenn er nur an keine ernste Verbindung weiter denkt.“

„Das ist sehr nöthig,“ rief Delphine, überwältigt von einem Schmerz, der sie selber überraschte. Und es klang wie ein Angstschrei, der ihrem Herzen entfuhr. Arnold erschrack.

„Was ist Dir, Delphine, Du armes Kind?“ frug er zart besorgt.

Delphine bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und weinte.

[381] Arnold, der sich diesen Anfall erklärte, näherte sich seiner Schwester, zog ihre Hände vom Gesichte und trocknete ihre Thränen, indem er sprach: „Weine doch nicht, liebe Schwester. Ich kenne nun den Wunsch Deines Herzens und Du darfst auf dessen Erfüllung zählen. Ein Mädchen wie Du ist doch ganz was Anderes, denke ich, als so eine hergelaufene Person, die Niemand angehört, und die schön sein muß, um ihr Brot zu gewinnen. Entweder wird der Rausch bei Alfred wie ein anderer vorübergehen, oder ich werde diese Schlingen zu zerreißen wissen, in denen sich sein Herz verfangen. Dafür bürge ich Dir mit meinem Kopfe. Ich hasse dieses Weib, das eine Störung in unsern friedlichen Kreis gebracht, damit die Schwester und den Freund leiden macht. Es muß mit dieser Geschichte ein Ende gemacht werden“, setzte er kaum hörbar hinzu.

Seit dieser Scene arbeiteten die Gedanken Arnold’s an einem Plane, wie Alfred von Adele loszureißen und mit seiner Schwester zu verbinden sei, wodurch nach seiner Ueberzeugung Beiden der erheblichste Dienst geleistet würde. Und bald schritt er zur Anwendung eines Mittels, das er ersonnen, um diesen Zweck zu erreichen.

Der wohlmeinende Freund Alfred’s begab sich zu Delphine’s Bruder, Herrn Thomas Flaireau, rue des bons enfants Nr. 11. Er fand einen jungen verlebten Mann „mit Runzeln und grauen Haaren“, mit verloschenen blauen Augen, die wüst aus tiefen Höhlen hervorblickten, von blasser Gesichtsfarbe, die in’s Graue spielte, in einen Schlafrock gehüllt, der nichts als schwache Erinnerungen an glänzende Zeiten bewahrt, am Kamine sitzend, mit nichts weiter beschäftigt, als ein lebhaftes Feuer zu unterhalten, sich zu wärmen und Rauchwolken, die er aus einer Cigarre zog, von sich zu blasen.

„Herr Flaireau?“ sprach Arnold, als er in die Stube trat.

„Der bin ich!“ antwortete eine tonlose Stimme.

„Ich habe mit Ihnen über eine Angelegenheit zu sprechen.“

„Sie sehen mich zu Ihren Diensten. Belieben Sie Platz zu nehmen.“

Arnold, nachdem er dieser Einladung gefolgt, sieht einen Moment den Bewohner der Stube prüfend in’s Gesicht.

„Sie haben Unglück auf der Börse gehabt“, begann er hierauf.

„Politische Ereignisse“, gab der Andere zurück, „die sich unmöglich vorhersehen ließen, haben mich zu Grunde gerichtet. Das beweist aber nichts gegen mich, eben so wenig als bewiesen ist, daß Napoleon kein großer Feldherr war, weil er die Schlacht bei Waterloo verloren, wo Blücher eintraf, anstatt daß Grouchy hätte eintreffen sollen. Wenn Sie also Kapitalien haben, die Sie durch geschickte Operationen verdoppeln, verdreifachen wollen, können Sie sich keines geeigneteren Mannes, als ich bin, bedienen.“

„Es handelt sich um ein Geschäft, Monsieur Flaireau, das seinen Nutzen sicherer abwirft, als eine Börsenspekulation“, sagte lächelnd Arnold.

„Ich bin zu jeder Unternehmung bereit, bei der was heraussieht“, versetzte hierauf Thomas. „Man muß vielseitig sein, will man es heutzutage zu etwas bringen. Findet man einen Weg verrammelt, so daß man nicht weiter kann, ist es natürlich, daß man einen andern einschlägt. Der Mensch kann dies vom ersten besten Strome lernen.“

„Ich glaube, daß wir uns verständigen werden“, sagte lächelnd Arnold.

„Lassen Sie gefälligst hören, um was es sich handelt.“

„Sie kennen den Grafen Worsakof?“

„Ich habe die Ehre.“

„Der Mann ist außerordentlich reich?“ frug Arnold. „Aber nicht unternehmend“, erwiederte Thomas. „Auch kein Mann von Genie; er begnügt sich mit dem, was er hat. Und dieses beweist immer eine Beschränkung des Geistes; mag nun das, womit man sich begnügt, eine Million oder fünftausend Franken sein. Ein bedeutender Mann ist und hat nie genug. Das ist mein Grundsatz.“

Arnold lächelte wieder als er sagte: „Sie sind sehr ehrgeizig, Monsieur Flaireau. Doch um wieder auf den Grafen Worsakof zu kommen. Ihre Schwester gefällt ihm?“

„Auch das wissen Sie?“ frug der Börsenspieler, indem er seinen Besuch mit großen Augen ansah.

„Wie kommt es“, fuhr Arnold fort, ohne diese Frage aufzunehmen, „daß Sie hier wohnen in der kleinen Stube der rue des bons enfants?“

„Das kommt daher“, versetzte mit einiger Heftigkeit Thomas, „weil meine Schwester das eigensinnigste Geschöpf ist, welches jemals einen Weiberrock getragen. Glauben Sie, ich kann von ihr erlangen, daß sie dem russischen Nabob nur Hoffnung macht? Unmöglich, ob dieses gleich vollkommen hinreichend wäre, nur einen großen Einfluß auf den Grafen zu gewinnen, was von unberechenbarem Nutzen werden könnte.“

„So!“ sagte Arnold überrascht. „Wie ist es aber zu erklären“, setzte er hinzu, „daß sich Ihre Schwester so hartnäckig erweist?“

„Du lieber Himmel, Launen, nichts als Launen! Sie wissen doch, wie die Weiber sind, und daß kein Philosoph und kein Schafskopf aus ihnen klug werden kann. Bald sind sie verschwenderisch, [382] bald geizig, bald großmüthig und bald grausam, bald nachgiebig und bald unbeugsam. Sie können den Gang der Kometen, aber nicht die Gedanken eines Weibes berechnen. Für mich ist meine eigene Schwester ein Räthsel, das –“

„Uebermorgen ist der neunzehnte März und der Geburtstag Ihrer Schwester“, fiel Arnold ein, um den Betrachtungen des Spielers ein Ende zu machen.

Morbleu, Sie sind ja in unsere Familienangelegenheiten so gut eingeweiht, wie ein Concierge aus der Nachbarschaft. Es hat ganz den Anschein, als wären Sie ein verkippter Onkel aus Amerika, der uns prüfen will, bevor er uns seine Millionen an den Hals wirft“, scherzte Thomas.

„Würde Ihre Schwester ein kostbares Geschenk, das ihr der Graf zu diesem Festtag machte, annehmen?“

„Warum denn nicht. So weit geht ihre Tollheit nicht, dem Kosaken eine Auslage ersparen zu wollen, die er gar nicht spürt. Doch glauben Sie, daß dieser auch nur daran denkt, meiner Schwester etwas Werthvolles anzubieten? Ueber einen Blumenstrauß um zehn Franken erhebt sich seine Freigebigkeit nicht.“

„Wie wäre es“, meinte Arnold, „wenn Sie den Grafen auf den Vortheil einer solchen Zuvorkommenheit und auf den Fortschritt, den er auf diese Weise in dem Herzen Ihrer Schwester machen werde, hinwiesen?“

„Dadurch würde ich mir bei ihm Alles verderben“, erwiederte Thomas. „Sie glauben gar nicht, wie schwer der Barbar zu fassen ist und welche Vorsicht man anwenden muß, um von ihm nicht durchschaut zu werden. Glauben Sie mir, ich habe meine Proben.“

Nachdem sich Arnold einige Augenblicke besonnen, sagte er: „Wenn es so nicht geht, könnten Sie doch jedenfalls im Namen des Grafen Ihrer Schwester ein Geschenk überreichen.“

„Wie ist das ? Ich im Namen des Grafen?“ frug Thomas, indem er sich den Sinn dieser Worte klar zu machen suchte.

„Die Sache, dächte ich, sei ganz einfach“, erklärte Arnold. „Ich übergebe Ihnen ein Geschmeide, ein Halsband oder Ohrringe oder sonst was. Ist Ihnen noch daran gelegen, daß Ihre Schwester freundlich sei, so übergeben Sie es als eine Sendung des Grafen und bemerken, daß zwar der Geber unerrathen bleiben will, daß Sie aber diesen schönen Zug des Russen nicht ungekannt lassen wollen.“

Ueber das fahle Gesicht des ehemaligen Spekulanten blitzte ein Ausdruck der Zufriedenheit, so wie ihm dieser Antrag verständlich wurde. Doch war dieser Ausdruck verschwunden, als er an seinen Besuch die Frage richtete: „Und welcher Vortheil erwächst mir aus dem Dienst, den Sie verlangen?“

„Ihnen kann es doch nur erwünscht sein, wenn der Graf Ihrer Schwester näher rückt“, versetzte Arnold.

„Woraus schließen Sie, daß mir dieses erwünscht sei?“ warf Thomas mit der größten Gleichgültigkeit hin.

„Das vermuthe ich blos. Doch außerdem erhalten Sie fünfhundert Franken für die Arbeit, wenn sie gut gethan ist“, gab Arnold halb spöttisch, halb verächtlich zurück.

„Meine Bürgschaft?“

„Ich könnte Ihnen diese Frage mit mehr Fug zurückgeben, da Sie doch einen kostbaren Schmuck in die Hände bekommen, allein ich schenke Ihnen alles Vertrauen. Hier eine Tratte auf Fould und Oppenheim, zahlbar vier Tage nach Sicht. Erfüllen Sie die angenommenen Bedingungen nicht, so komme ich, um Schmuck und Tratte zurückzufordern.“

„Eingeschlagen!“ versetzte Thomas, besah prüfend das ihm eingehändigte Papier, faltete es zusammen und legte es in ein Portefeuille, das er aus dem Fach eines Schreibpultes nahm.

„Noch Eins“, sagte Arnold, „und dieses gehört zu den Hauptbedingungen des Honorars: Sie müssen dafür sorgen, daß Mademoiselle Adele an ihrem Geburtstage mit dem betreffenden Juwel geschmückt ihre Besuche empfange.“

„Ich verpflichte mich, dieses durchzusetzen. – Nun, bevor Sie gehen, erlauben Sie mir aber zwei Fragen, die Sie gewiß nicht indiskret nennen werden: Wer sind Sie und was kann es Ihnen verschlagen, ob sich meine Schwester an ihrem Geburtstage mit oder ohne Schmuck sehen läßt?“

„Davon ein ander Mal“, versetzte Arnold. „Morgen bin ich bei Ihnen mit dem Geschmeide. Adieu, Herr Flaireau. Auf Wiedersehen!“ Und er ging.

Allein gelassen, sann und grübelte der Börsenspieler, um für das seltsame Benehmen des fremden Mannes einen Grund zu finden. Da er nichts Stichhaltiges auffinden konnte, nahm er, wie um seinen Gedanken nachzuhelfen, die Tratte aus dem Pult, und las noch einmal auf der Kehrseite: „Zahlen Sie an die Ordre des Herrn Thomas Flaireau die Summe von fünfhundert Franken. Paris, 17. März 1842. Arnold Granier.“

Doch auch das Dokument gewährte dem Forschen des Spielers weiter keinen Anhaltepunkt.


IV.
Am Tage nach dieser Unterredung erhielt Alfred einen Brief von unbekannter Hand ohne Namensunterschrift, folgenden Inhalts:
„Mein guter Herr!
„Haben Sie schon die Einkäufe für den Geburtstag Ihrer herrlichen Adele gemacht? Nehmen Sie sich wohl zusammen, denn Sie haben einen reichen und freigebigen Rivalen zu überbieten. Mit Blumen, wie es die Liebe schenkt, dürfte es in vorliegendem Falle kaum abgethan sein. Wenn Sie morgen Ihren Besuch bei Adelen machen, werden Sie Gelegenheit haben, die blinkenden Edelsteine an einem Halsband zu bewundern und zu erfahren, wie reichlich ein russischer Graf beschenkt. Wofür? Wer beantwortet diese Frage. Im Falle, daß Sie ein Kenner von Juwelen sind, können Sie dem Mädchen Ihrer Leidenschaft einen Dienst erweisen, indem sie ihr den Werth des Schmuckes und zugleich auch den des Grafen genau abschätzen; denn es ist doch immer gut, zu wissen, was man besitzt.
N. N.

„Paris, 18. März 1842.

Alfred las und las wieder und fand dieses Schreiben jedes Mal entsetzlicher. Hatte er sich lange genug gequält, sagte er sich zwar zu seiner Beruhigung, daß man Unrecht habe, auf ein anonymes Schreiben irgend ein Gewicht zu legen, da hinter demselben stets entweder ein Verrath oder im besten Falle eine Feigheit steckt; allein die Wirkung dieser Trostgründe war jedoch nur gering und vorübergehend.

„Wer mag das geschrieben haben?“ dachte er. „Irgend eine Neiderin etwa? Wen aber beneidet die Neiderin?“ Hier stieß er wieder auf eine Vorstellung, an der sich alle Beschwichtigung zerschlug. – „Sollte etwa Lamon, der um meine Begünstigung weiß und sich ärgert, daß er so schlimm abgewiesen wurde, diese kleinliche Rache suchen? – Oder hofft vielleicht Jemand, der den Grafen oder mich haßt, durch dieses Mittel einen Kampf auf Tod und Leben zwischen ihm und mir herbeizuführen? Der hätte sich jedenfalls verrechnet. Ich bin wahrlich nicht der Thor um ein Weib zu kämpfen, das nicht einen Tropfen Blutes, geschweige denn ein Menschenleben werth ist. – Wenn es aber irgend ein redliches Gemüth wäre, von dem dieser Brief herrührt, und der keine andere Bestimmung hätte, als mich aufzuklären, zu warnen? Warum aber sich mit so löblicher Absicht in Dunkel hüllen? Was braucht ein gutes Werk das Licht zu scheuen?“ – Er wollte nicht weiter daran denken und dachte immer und immer daran. Er wollte nicht weiter rathen, da er doch den nächsten Tag Gewißheit erlangen würde und hörte doch nicht auf, sich mit Vermuthungen zu erschöpfen. Er verfiel, wenn er sich ihnen auf Augenblicke entzogen, auf’s Neue den Zweifeln, den quälendsten Vorstellungen. Es blieb dem jungen Mann nichts weiter übrig, als bis zum nächsten Tage zu warten, um sich von der martervollen Ungewißheit zu befreien.

Er brachte eine schlaflose Nacht hin, und auch der Morgen brachte keine Erheiterung, keine Erquickung. Es trieb ihn zu dem Besuch bei der Meisterin, allein er hatte noch genug Ueberlegung behalten, um sich zu sagen, daß der Zweck desselben verfehlt wäre, wenn er zu früh käme, bevor sich Adele in vollen Staat versetzt. Er mußte noch einige Stunden voll banger Ungeduld warten.

Es war um Mittag, als er in der heftigsten Bewegung an die Thüre des kleinen Salons in der rue Mazagran klopfte, in welchem sich nach der Angabe der Magd Adele befand. Mit dem Gefühle eines Menschen, der auf Tod und Leben angeklagt, den Richterspruch erwartet, der frei spricht oder verurtheilt, öffnete er schwankend zwischen Hast und Zaudern und trat ein. Er findet Adelen in der Gesellschaft des Grafen Worsakof, der ihre beiden [383] Hände in den seinigen hält, und ihr in der herzlichsten Weise Glück, wünscht. Zugleich blitzen ihm die Edelsteine von dem Geschmeide am Halse des Mädchens, die Augen blendend, entgegen. Er bleibt, angewurzelt wie eine Bildsäule stehen und starrt, ohne zu grüßen, ohne ein Wort zu sprechen, den Schmuck an. Adele, die Hände des Grafen verlassend, nähert sich ihm, heißt ihn auf’s Freundlichste willkommen, reicht ihm die Hand, bittet ihn lächelnd, die Thüre zu verlassen; er aber hört nicht und bleibt unbeweglich, den Blick unverwandt auf den Schmuck gerichtet. Endlich besinnt er sich und stürzt fort, als wäre er von Furien verfolgt. Im Herzen Marter, auf den Lippen Fluch.

Auf der Straße angekommen, hält er an, um seine Gedanken zu sammeln, denn er weiß nicht, was er beginnen, wohin er die Schritte lenken soll; da klopft ihn Jemand auf die Schulter. Er wendet sich und Arnold steht vor ihm. Erwünschte Begegnung! Rath und Hülfe verlangend, schüttet der in seinem tiefsten Innern Verwundete das überfüllte Herz in die Seele des Freundes aus. Arnold macht sich alsdald mit warmer Theilnahme zum geistigen Krankenwärter des Leidenden; er richtet dessen Muth auf, tröstet ihn und sucht allerlei Balsam für die brennende Wunde. Wem thut eine sorgsame Pflege nicht wohl! Er kam fast gar nicht von der Seite des Freundes und suchte auf jede mögliche Weise ihn zu zerstreuen, ein Geschäft, bei welchem ihm Delphine sehr behülflich ist. Man las, man musizirte, man machte Spaziergänge. Was sich ausfindig machen ließ, das wurde gegen die Schwermuth Alfred’s in Anwendung gebracht. Wenn man sie auch nicht so schnell zu heilen vermochte, zu ihrer Milderung trugen die Geschwister jedenfalls sehr viel bei. Nach einigen Tagen schlägt Arnold dem Freund als das beste Mittel der Genesung die Ehe vor.

„Du nimmst ein gutes frommes Weib“, sagt er zu ihm, „das Dir treu ergeben, das Dich durch seine Hingebung rührt, das Dich mit ihren Sorgen umgiebt, das an Deinem Glück und Wohlergehen still geschäftig arbeitet, das Deine Dankbarkeit erwirbt, Dein Herz beschäftigt, und am Ende Deine Liebe gewinnt. Glaube mir, der Bemühung eines so edlen aufopfernden Wesens widersteht Dein Schmerz nicht lange. An so einem vollen, treuen Herzen wirst Du genesen und vergessen.“

Alfred griff mit Hast nach dem Gedanken, den der Freund in ihm angeregt, und dessen Verwirklichung nach mehreren Richtungen hin Befriedigung versprach. Er glaubte Adelen nicht besser als durch diesen Schritt zu beweisen, wie rasch und ganz er sich, von ihr losgerissen, und er fand in ihm die einzig mögliche Genugthuung, eine Art von Rache. Dieser Bruch mit der Möglichkeit einer Wiedervereinigung entsprach vollkommen seinem Sinn, seiner Verfassung.

„Wo aber finden ein frommes Herz, ein Herz, in welchem keine giftige Schlange nistet?“ frug er mit hämischer Bitterkeit.

„Delphine!“ warf Arnold hin.

Der Klang dieses Namens verlieh dem Vorschlag des Freundes ein neues Gewicht. Eine Verbindung mit diesem Mädchen, das er kannte, das er ehrte, versprach mehr als die Befriedigung seiner verletzten Eitelkeit, die er für den Augenblick suchte; an diesen Namen mochte der im „Innersten Verwundete“ die Hoffnung auf eine glückliche heitere Zukunft knüpfen. An seiner Einwilligung konnte es da nicht fehlen; eine Bedenklichkeit anderer Natur jedoch drang sich ihm auf. „Wie“, lautete sein Einwurf, „wird das liebe Mädchen die undankbare Rolle des Arztes übernehmen? Wird sie Alles bieten wollen, um nichts zu empfangen? Wird sie den perlenden Labetrank ihrer Jugend zur Arzenei eines kranken Herzens mißbrauchen lassen? Dürfen wir ein solches Opfer von ihr verlangen?“

„Sie liebt Dich, wie edle Seelen lieben. Das Glück, welches sie Dir bereitet, schlägt in ihr eigen Herz zurück. Sie wird aufjubeln bei dem Gedanken Dir zu gehören. Du magst sie selber fragen.“ So lautete die Antwort Arnolds.

Delphine, welche von all’ dem, was seit ihrem indirekten Geständniß vorgegangen, nicht das Geringste erfahren, jubelte in der That auf, wie es Arnold vorhersagte, als sich ihr Alfred mit seinem Antrag näherte. Er erzählte ihr seine Geschichte nur als er sie frug, ob sie es denn wagen wollte, mit ihm, dem Unvollkommenen, dem Zerrütteten, durch das Leben zu gehen, und ihr feierlich versprach, daß er sich nach Kräften herstellen und bemüht sein wolle, ihr das Leben zu schmücken und zu versüßen, da weinte sie Thränen der Freude, und sprach das einzige Wort: „Ich gehöre ja Ihnen.“ Und Alfred empfand es tief, daß ihm aus dieser Verbindung viel des Heilsamen entspringen würde. Er segnete den Freund und segnete die Freundin, welche ihm, wie er sagte, das Leben gerettet.

Wenige Tage nach der gegebenen Einwilligung Delphine’s ward ohne alles Geräusch die Hochzeit gefeiert und gleich nach der Feierlichkeit reiste das junge Ehepaar in den Süden von Frankreich, um daselbst den Rest des Frühlings und den Sommer zuzubringen.

Am 7. April schrieb Delphine Folgendes an ihren Bruder zu Paris:
„Nimes 7. April 1842. 
„Mein lieber Arnold!

„Unsere Wohnung ist wunderschön, am Abhang eines Hügels gelegen; der Frühling, welcher hier bereits in vollster Entwickelung begriffen ist, lacht uns zu den Fenstern herein. Wir haben das Rauschen des Waldes, das Singen der Vögel, den Duft der Blumen von erster Hand. Zu dem Häuschen, das wir gemiethet, gehört auch ein kleiner Garten mit einer dichten schattigen Laube, wo wir bei schönem Wetter unser Frühstück einnehmen. Trotz der schwermüthigen Stimmung in meinem jungen Haushalt, bin ich glücklich. Es ist Alles so friedlich, so feierlich um mich her. Alfred sucht und findet Trost bei mir. Er liebt mich nicht, doch er will mich lieben. Könnte man einem Herzen befehlen, das Seinige gehörte mir ganz. Sein guter Wille dünkt mir schon viel, besonders da ich weiß, wie er mir freundschaftlich zugethan ist. Unsere Ehe gehört gewiß nicht zu den alltäglichen. Sie enthält mehr Spannung und Thätigkeit, als jede, die ich bisher gesehen. Alfred giebt meiner Liebe so viel zu schaffen, zu beobachten, entgegenzukommen, zu beschwichtigen, zu opfern, kurz zu beweisen, wie viel sie werth ist, wie viel Beisatz von Selbstverläugnung sie enthält. Es giebt Augenblicke, wo ich eifersüchtig auf diese Unbekannte bin, die auf Alfred eine solche Wirkung hervorgebracht. Doch geht das bald vorüber und ich denke lediglich der Aufgabe, meinem Manne einen Ersatz für den Verlust zu bieten. Nach diesem Ziel arbeite ich hin. Ich vergesse mich und er ist mir Alles. Was meinen Alfred betrifft, fühlt er das Kleinste, was ich aus Rücksicht für ihn thue oder unterlasse, so klar und lebhaft, und ist so erkenntlich, daß ich stets dafür belohnt bin. Ich suche seine geheimsten Wünsche zu erlauschen und zu erfüllen und das wirkt wohlthuend auf sein Gemüth, wie auf seinen Geist. Ich bin voll Muth und Hoffnung.“

Ein Schreiben Delphine’s an ihren Bruder vom 19. April enthielt folgende Zeilen.

„Ich mache täglich mehr Fortschritte in seinem Herzen. Gestern sagte er mir, daß ich ihm wie Luft und Licht zum Dasein unentbehrlich sei, daß es sein tobendes Blut besänftigt, wenn ich mit meiner sanften Stimme zu ihm spreche, und daß es sein erhitztes Gehirn abkühlt, wenn ich mit meiner weichen Hand die Wolken von seiner Stirn wische. In den ersten Tagen unseres Aufenthaltes hier vertiefte er sich oft für ganze Stunden allein in den angrenzenden Wald. Jetzt will er mich immer um sich haben; ich sei ihm lieber als die Einsamkeit, sagt er; denn ich sei nicht zudringlicher, nicht unbequemer als diese und habe vor ihr Theilnahme und Mitgefühl voraus. Ich weine oft, wenn ich denke, was der arme Mensch gelitten haben muß, ja noch leidet, und bin dann stolz auf mich selbst, wenn ich mir sagen kann, daß es meiner Sorgfalt gelungen, seinem Schmerz den Stachel abzubrechen. Welches Weib kann sich noch eines solchen Sieges, eines solchen Triumphes rühmen!“

In einem Schreiben der Schwester an den Bruder vom 27. April kam diese Stelle vor:

„Alfred ist gegen mich mindestens von eben so viel Zuvorkommenheit, wie ich gegen ihn. Was mir nur irgend angenehm sein kann, wird durch ihn um jeden Preis herbeigeschafft. Er studirt meine Wünsche und Liebhabereien, wie ich die Seinigen. Bald finde ich Lilien gepflanzt in unserem Garten, weil er weiß, daß die Lilie meine Lieblingsblume, bald kommen Arbeiter, ohne daß ich sie erwartet und richten ein Zelt vor dem Hause auf, von dem ich im Vorbeigehen gesprochen; bald finde ich in meinem Zimmer ein Meubel, das zur Zierde oder Bequemlichkeit dient. Und da ich bemerke, daß es ihm eine gewisse Genugthuung gewährt, mir Freude zu machen, gebe ich ihm dazu häufig Gelegenheit. Ich äußere den Wunsch bald nach einem Buch, bald nach einem Bilde, [384] bald nach einem Musikstück, einem Kleiderstoff, nach einem Ausflug in der Gegend. Und ich sehe es deutlich, welches Vergnügen es ihm macht, mir gefällig zu sein. Wie sollte ich nicht zufrieden mit meiner Lage sein! Alfred ist eine der edelsten, zartesten Naturen und ich begreife gar nicht, wie ich Jemanden lieben sollte, wenn nicht ihn.“

Am 2. Mai schreibt Delphine:

„Was war das gestern für ein schöner ungetrübter erster Mai. Alfred und ich, wir Beide zusammen nahmen Theil an dem Blüthenfest der Natur. Unsere Herzen freuten sich mit den Kindern, welche auf den Wiesen Kränze flochten und sich dann, die frischen Kronen auf den blonden Köpfchen, lachend und singend umhertrieben mit den Mailüftchen um die Wette. Ich kann es nicht aussprechen, welche Stimmung uns Beide überkam inmitten dieser Auferstehungsfreuden der neubelebten Welt. Wir sagten uns nichts, allein wir fühlten Jeder, was der Andere sagen wollte und nicht konnte. So zärtlich war Alfred noch niemals mit mir gewesen, wie an diesem Tage. Er sah leidend aus, es drang wohl durch die glänzende Feier der Natur und der Geschöpfe manche böse Erinnerung auf ihn ein, die er abzuwehren hatte. Der stille lautere Abend, welcher dem rauschenden sonnigen Tage folgte, stimmte Alfred schwärmerisch. Wir saßen in dem Zelt vor dem Hause. Die Sonne war hinter die Berge gesunken und die Nacht zog sich wie ein schwarzer Flor hin über den Wald; sie gebot ringsumher Schweigen und Ruhe. Die Blumen schloßen ihre Kelche, die Vögel gewannen ihre Nester, die Käfer suchten ihr Nachtquartier. Nur die Nachtigall wachte und sang. Alfred schmiegte sich an mich, ergriff meine Hand und schwur, daß er mir nie den frommen Dienst in dem Heiligthum seines Herzens, nie mein inniges Walten um ihn her vergessen werde. Es war so tief gefühlt, was er sprach, daß ich bis zu Thränen gerührt ward. Was konnte ich erwiedern auf so gute, liebe Worte? Ich schwieg.“

Ein Brief Delphine’s vom 5. Juni:

„Wenn Alfred mich traurig sieht, weiß er gar nicht genug Mittel aufzubieten, um mich heiter zu stimmen. Wie liebenswürdig ist er mit dieser Beflissenheit und was macht es mir für Freude, ihn so bekümmert und ängstlich um mich zu sehen. Wie oft wünsche ich mir traurig zu sein, wenn ich es nicht bin, nur um Alfred um mich besorgt zu sehen. Und doch ist mir nicht möglich, ihm diese Comödie vorzuspielen. Jedem andern Manne gegenüber hätte ich mir wahrscheinlich aus diesem weiblichen Kunstgriff kein Gewissen gemacht. Wie aber könnte ich Alfred, in welcher Art es auch sei, hintergehen! Ihn, der so offen und aufrichtig ist wie ein Kind.

„Vor einigen Tagen wurde ich von einem geringen Unwohlsein befallen, da hättest Du seine Unruhe, seine Geschäftigkeit und Sorgfalt sehen sollen, mit welcher er meiner wartete. Wie hätte ich da nicht genesen sollen. Ich habe im Stillen die Krankheit gesegnet. Kann es eine herrlichere Ehe geben, als die unserige? Wie viel des Glückes gewährt sie, und wie viel läßt sie noch hoffen. Sie ist sparsam, sie verpraßt nicht in einigen Tagen ihren ganzen Reichthum, aber sie ist nicht geizig. Nicht einen Augenblick ist mein Herz unbeschäftigt oder auch nur ohne Bewegung. Die Tage enteilen mir wie Stunden; ich frage mich, wo sie dann hingekommen. Ich habe den Begriff von Langerweile verloren und doch wende ich kein äußeres Mittel der Zerstreuung an. Die Bücher, welche ich hier habe, bleiben ungelesen; auch Musik treibe ich wenig und ich spiele nur, wenn Alfred seine Lieblingsstücke verlangt. Wo soll ich Zeit für solche Nebendinge hernehmen?

Am 21. Juli schrieb Alfred an Arnold:
Mein bester Freund!

„Mir fehlte bisher die Stimmung Dir zu schreiben. Ich schämte mich meines schwankenden Zustandes Deinem sichern festen Wesen gegenüber. Nun da ich wieder einen Willen und ein Streben gewonnen, kann ich mich mit Dir über Gegenwart und Zukunft unterhalten. Wie gut hast Du mir gerathen! Ich bin durch den traulichen Verkehr mit meiner Delphine ein neuer würdigerer Mensch geworden. Meine Bekümmernisse, Wünsche und Hoffnungen erheben, erweitern mich und meinen Charakter. Ich lebe ganz und gar in der heiligen Umgrenzung der Familie und finde das Gebiet so weit, so schön, so fruchtbar; es ist mein Paradies, das Alles Wilde in mir zähmt und besänftigt. Wie entsetzlich, wenn eine zürnende Gottheit mich aus demselben verjagte. Was ist Deine Schwester für ein Weib, wie werth jedes Vorzugs, einsichtsvoll und zart, freigebig und genügsam; mild und unerschütterlich. Und doch glaube ich ihrer würdig zu sein. Habe ich nicht Alles gewonnen? Du wirst mit mir zufrieden sein, Arnold. Wie steht es mit Deiner Unternehmung, die Dich in Paris zurückhält? Wird sie Dich nicht auf einige Tage frei lassen, damit Du uns besuchen kannst? Du würdest Dich sehr wohl bei uns, mit uns fühlen und wir wären Dir für das Vergnügen Deiner Gegenwart dankbar. Trachte doch den kurzen Besuch möglich zu machen.

„Deine Schwester erwartet Dich so wie Dein Bruder
Alfred.“

Arnold konnte, von seinen Geschäften zurückgehalten, Paris nicht verlassen und sein Briefwechsel mit den Neuvermählten, von welchem wir nur einen Theil als zu dieser Geschichte gehörig mitgetheilt, dauerte bis Anfangs Dezember fort, da diese wieder aus ihrem Stillleben in das große lärmende Paris zurückkehrten.

[393]
V.

Das junge Ehepaar hatte übereinstimmend beschlossen, in der großen Stadt eben so sich selbst und dem häuslichen Glücke, wie in dem kleinen Städtchen des Südens zu leben. Arnold war ersucht worden, eine geeignete Wohnung jenseits der Seine aufzunehmen, und seine Wahl fiel auf ein Haus in der rue Jacob, welches all die gesuchten Vortheile der Zurückgezogenhcit, Bequemlichkeit und Reinlichkeit bot. Er hatte auch, so weit dies einem Manne zuzumuthen ist, die Einrichtung besorgt, die Ergänzung derselben der Umsicht der jungen Hausfrau vorbehaltend, welche sich nun bei ihrer Rückkehr vollauf mit Einkauf und Anordnung alles Dessen zu schaffen machte, was zur Behaglichkeit und Anmuth des Aufenthaltes beitragen konnte. Noch war nicht Alles in dem erwünschten Stand, noch hatte man sich mit der pariser Welt gar nicht in Verbindung gesetzt, als sich eines Morgens ein Besuch einfand, der Herrn Duberville galt. Zwar hatte die Dienerschaft die Weisung erhalten, jeden vorzeitigen Gast abzuweisen, allein in dem vorliegenden Falle blieb die Maßregel fruchtlos, da der Angekommene, vorgebend, daß er mit Herrn Duberville in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen habe, nicht zum Weichen gebracht werden konnte.

„Wen soll ich melden?“ frug endlich der ermüdete Diener, als er sah, daß der Fremde auf die Unterredung bestand.

„Herrn Flaireau“, lautete die Antwort.

Alfred verfärbte sich, als ihm dieser Name genannt wurde.

„Lassen Sie ihn eintreten“, sprach er nach kurzem Besinnen, und bald darauf sah er die magere Gestalt des Börsenspielers im Gemach erscheinen.

„Guten Tag, Herr Duberville“, sagte dieser mit einer widrigen Freundlichkeit. – „Wie geht es Ihnen? Sie haben für mehrere Monate Paris im Stiche gelassen. Jeder, der es thun kann, hat Recht, wenn er den Sommer auf dem Lande in frischer Luft zubringt.“

„Gewiß, gewiß“, warf Alfred hin, um etwas zu sagen.

„Befinden Sie sich nicht ganz wohl?“

„Ganz wohl. Ich danke.“

„Sie sehen ein wenig angegriffen aus.“

„Die pariser Luft ist Schuld daran, Herr Flaireau.“

„So schnell wirkt die auf Sie?“

„Es scheint.“

„Es ist mir ein Vergnügen, Sie wieder zu sehen, Herr Duberville. Uebrigens aber hat mein Besuch seinen bestimmten Zweck.“

„Womit kann ich Ihnen dienen?“

„Ich komme im Auftrag meiner Schwester.“

Alfred wurde blass bis auf die Lippen und sagte nichts.

„Meine arme Schwester läßt Sie um eine kurze Unterredung bitten“, fuhr Thomas fort.

„Wozu das?“ frug Alfred mit gepreßter Stimme.

„Gleichviel, wozu?“ versetzte Thomas. „Als ein Mann von Herz und Bildung können Sie diese Bitte einem unglücklichen Geschöpf, wie meine Schwester ist, unmöglich abschlagen.“

„Unglücklich?“ sagte Alfred in einem Tone, den selbst der Börsenspieler ein wenig verletzend finden mußte. „Findet ihre Kunst keinen Absatz mehr? Geht es so schlecht mit den Geschäften? Wenn ich nicht irre, bin ich Honorar schuldig geblieben.“ Bei diesen Worten öffnete Alfred seinen Sekretär, um Geld herauszunehmen.

„Meine Schwester hat ihre Talente, Herr Duberville“, entgegnen Thomas fast entrüstet, „und braucht Ihre Almosen nicht. Sie will mit Ihnen sprechen, aber nichts, gar nichts von Ihnen haben, verstehen Sie wohl. Mich können Sie beleidigen, so viel Sie wollen: ich bin ein elender Mensch, das weiß ich und verdiene es nicht besser; was aber meine Schwester betrifft, die Sie nicht kennen, oder wenigstens nicht verstehen, so behaupte ich, daß sie viel, viel mehr werth ist, als wir Beide. – Und nun, wenn Sie wollen, jagen Sie mich aus Ihrem Hause, oder lassen Sie mich von Ihren Dienern die Treppe hinunter werfen. Gesagt und wahr ist und bleibt es doch.“

Das warme Lob aus diesem Munde machte offenbar einen ungünstigen Eindruck auf Alfred. Und er erwiederte mit einem verächtlichen Blick auf den Lobredner: „Es gereicht Ihrer Schwester sehr zur Ehre, von Ihnen so hoch geschätzt zu sein.“

„Lassen Sie sich jetzt in Ihrer Ironie gehen, wie Sie wollen. Wir sprechen uns aber ein ander Mal.“

„Soll dies eine Drohung bedeuten?“ versetzte Alfred mit einer raschen Wendung des Kopfes nach seinem Besuche.

„Nicht wie Sie es meinen“, sagte Thomas. „Ich mache kein Hehl daraus, daß ich mich vor einer ungeladenen Pistole fürchte. Wenn ich also sage: Wir sprechen uns ein ander Mal, heißt dieses: wenn Sie meine Schwester gesehen haben. – Wann also beliebt es Ihnen, zu kommen?“

„Ihre Schwester soll nicht denken, daß ich ihren Anblick fürchte“, versetzte Alfred. „Sie mag mich in einer Stunde erwarten.“

„Ein Mann, ein Wort, Herr Duberville.“

[394] „Ganz recht, Herr Flaireau“, erwiederte Alfred mit Hohn, und der Börsenspieler entfernte sich, um Adelen von seiner Sendung und deren Ergebniß Rechenschaft abzulegen.

Alfred dachte einen Augenblick daran, seine Frau von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, besann sich aber eines Bessern und beschloß, die Sache für sich allein abzumachen, um Delphinen und wäre es auch nur einen Schatten von Unruhe zu ersparen.

Gerüstet mit seinem Stolze und seiner Verachtung, trat er zur festgesetzten Stunde in den bekannten Salon seiner ehemaligen Meisterin. Adele empfing ihn mit Würde und Höflichkeit. Sie war sichtlich ergriffen und begann nach einer kleinen Pause, während welcher sie sich zu fassen suchte, mit gedämpfter, zitternder Stimme: „Ich muß mich bei Ihnen dafür bedanken, Herr Duberville, daß Sie gekommen sind.“

„Nichts als Komödie und Verstellung“, dachte Alfred bei sich und er versetzte mit gezwungener Schärfe: „Ich bin begierig zu erfahren, was es zwischen uns noch zu besprechen geben kann.“

„Kommt es Ihnen denn wirklich gar nicht in den Sinn“, sagte Adele vorwurfsvoll, „daß Sie ungerecht sein können?“

„Was sollen diese unnützen Erörterungen, mein Fräulein?

Ich bitte, lassen wir das Todte ruhen. Wenn Sie nichts Anderes mit mir als über diese Dinge zu sprechen haben, dann erlauben Sie mir, daß ich mich zurückziehe.“

„Was ich Ihnen zu sagen habe“, versetzte Adele mit großer Anstrengung, „wird Ihnen wenig Zeit rauben. Ich würde ganz schweigen, doch frei gestanden, es schmerzt mich und ich kann es nicht ertragen, daß Sie Uebles von mir zu denken sich berechtigt glauben. Hören Sie“, fuhr sie heftiger und hastiger fort, als fürchtete sie, Zeit zu verlieren, „hören Sie in Kürze, was vorgefallen ist: Ihr Freund, Herr Granier, hat am Tage vor meinem Geburtstag meinem Bruder einen Schmuck übergeben und ihn durch Ueberredung und Bestechung veranlaßt, denselben mir als eine Sendung des Grafen Worsakof zu überbringen, der aus Zartheit nicht als Geber erscheinen wolle. Da sich mir der Graf stets als warmer, gänzlich uneigennütziger Freund erwiesen, nahm ich das Geschenk ohne Anstand an, das für mich, die gänzlich Unerfahrene, keinen andern Werth, als den seines Ursprungs hatte, und das mir so verderblich werden sollte.“

„Wie sagen Sie?“ rief Alfred, jedenfalls berührt von dieser Mittheilung, „von Arnold rührte das Halsband her, mit welchem Sie sich an Ihrem Geburtstag geschmückt?“

„Von Ihrem Freunde Arnold Granier“, wiederholte Adele.

„Gut ausgesonnen, mein Fräulein“, sagte lächelnd Alfred.

„Nur Schade, daß man eben auf all diese Schachzüge vorbereitet ist.“

Adele mußte, als sie diese Worte vernahm, eine heftige Gemüthsbewegung zu bemeistern suchen.

„Ihr Freund that dies“, wiederholte sie mit Nachdruck.

„Unmöglich!“ rief Alfred.

„Und dennoch wahr“, gab Adele zurück. „Mein unglückseliger Bruder hat die Geschichte, da er sich den Schmuck, nach welchem seine Habgier Verlangen trug, zueignen wollte, vor ungefähr vierzehn Tagen bekannt.“

„Unmöglich, unmöglich!“ gab Alfred wiederholt zurück.

„Gehen Sie sogleich, um Ihren Freund zu befragen“, befahl Adele heftig mit einer raschen Bewegung der Hand und zornsprühenden Blicken. Und Alfred gehorchte. Ohne ein Wort zu sagen verließ er den Salon.

Er wollte, er konnte es nicht glauben, daß Arnold mit ihm dieses Spiel gespielt, und eilte daher in dessen Wohnung, um sich zu überzeugen, daß Adele dieses Märchen in der Hoffnung, sich seines leichtgläubigen Herzens wieder zu bemächtigen, erfunden. Er fand den Freund nicht zu Hause, und nachdem er eine volle Stunde auf ihn gewartet, nahm er einen Wagen und fuhr nach Hause, in der Voraussetzung, daß Arnold bei Delphine zu treffen sein würde. Bruder und Schwester saßen in der That in einem der Gemächer plaudernd und guter Dinge beisammen. Als Alfred eintrat, kamen ihm Beide mit freundlichen Grüßen entgegen, die er nicht ohne einigen Zwang in gleicher Weise erwiederte. Auf den ersten Blick erkannte Delphine mit der Späherkraft einer liebenden Frau die innere Bewegung ihres Gatten, wie sehr dieser sie zu verbergen sich bemühte. Allein dergleichen Anfälle bei ihm gewohnt, vermied sie jede Frage und jede Bemerkung, die leicht unsanft berühren konnten. Arnold setzte sich in einen Lehnstuhl und wartete mit Ungeduld auf die Gelegenheit, Arnold allein sprechen zu können. Durch das ausdrückliche Verlangen einer geheimen Unterredung mit Arnold fürchtete er, Delphine zu erschrecken, an der sich ohnehin Zeichen von Unruhe bemerkbar machten. Als Arnold zu gehen sich anschickte, wahrscheinlich um seiner Schwester die Herstellung der guten Laune ihres Mannes zu überlassen, stand auch Delphine auf, um sich zu entfernen, als ahnte sie, daß es zwischen den Freunden eine ernste Angelegenheit zu besprechen gebe. Nun war es an Alfred, seinen Schwager zum Bleiben aufzufordern, was er denn auch that. Kaum sah sich Alfred ohne Zeugen mit dem Freund, als er sogleich begann:

„Ich habe Dich etwas zu fragen, und bitte Dich um eine kurze, aufrichtige Antwort, denn ich werde ihr glauben.“

„Frage!“ gab Arnold zurück.

„Hast Du dem Thomas Flaireau, dem Bruder Adelen’s, am 18. März einen Schmuck zugestellt?“

„Ja“, antwortete Arnold ruhig und mit Nachdruck.

„Ja?“ schrie Alfred schmerzlich auf, als hätte ihn ein Pfeil getroffen. „Auch hast Du“, fuhr er mit Zittern zu fragen fort, „den elenden Menschen bewogen, diesen Schmuck seiner Schwester im Namen des Grafen Worsakof als Geschenk zu überreichen?“

„So that ich“, bejahte Arnold wieder.

„Du schriebst mir wohl auch mit verstellter Handschrift einen Brief, in welchem Du die Sache zum Nachtheil, nein, zur Schande Adelen’s darstelltest?“

„So ist es.“

„Alles wahr denn! So hast Du mich und mein Glück verrathen. Du bist nicht mein Freund und warst es nie gewesen“, zürnte Alfred.

„Weil ich Dein Freund bin und es immer gewesen“ erwiederte ruhig Arnold, „verfuhr ich auf diese Weise, darum nehme ich auch Deinen Vorwurf ohne Erbitterung hin.“

„Habe ich Dich zum Lenker meines Schicksals gemacht?“ ließ Alfred den Freund an. „Und wenn ich es hätte, durftest Du List und Trug anwenden, um mich selig werden zu lassen?“

„Ich wollte Dich nicht in einen Abgrund stürzen sehen, der Dich anzog; ich hielt es für meine Pflicht, Dich, selbst gegen Deinen Willen zu retten, und ich bereue es wahrlich nicht.“

„Solcher Liebesdienst ist Tyrannei und ich weise ihn mit Verachtung und Widerwillen zurück. Einem die Augen öffnen, damit er den rechten Weg suche, ist freundschaftlich. Einem die Augen verbinden, damit er sich leiten lasse, ist ein Uebergriff, ein frecher Betrug und durch nichts zu rechtfertigen. Verhaßt sind mir jede Lüge und Unredlichkeit, gleichviel an welches Ziel sie auch führen. Du hast mich hintergangen und beschimpft zugleich, Du hast es gewagt, mir Dein Urtheil aufzudrängen und selbst Dein Zweck wird mir verdächtig. Welche Früchte wird Deine edle Handlung nun, da sie an’s Licht tritt, tragen? Glaubst Du, daß ich dieses Wesen, das Du so geschickt verläumdet und dem ich, durch Deinen Kunstgriff irre geführt, so schreiend Unrecht gethan, ohne Genugthuung lassen werde? Du hast mein Leben in die gräulichste Verwirrung gebracht. Du hast mein Gewissen in ein Labyrinth gezogen, aus dem kein Faden leitet. Du, kluger Mann hast in Deiner Eigenschaft als Vorsehung herzlich schlecht gerechnet. Alle, Alle haben wir verloren. Mir fehlt Deine kühle Ueberlegenheit, um ein Herz, das auf all meine Rücksicht ein Recht hat, das ich bis in’s Innerste verwundet, verbluten zu lassen; das magst Du wissen und Du magst verantworten, was geschieht.“

„Hüte Dich vor Uebereilung, Alfred“, ermähnte Arnold; „es gilt ein Wesen zu schonen, das Dir theuer geworden sein muß.“

„Du fängst mich in dieser Schlinge nicht, Diplomat!“ rief Alfred, und seinem Gedankengange folgend, setzte er hinzu: „Hat etwa Deine Schwester mit zu dieser menschenfreundlichen Maßregel beigetragen?“

„Laß Delphine aus dem Spiel. Sie ist wie ein schlafendes Kind, so unwissend, so sorglos.“

„Dann beklage ich, daß sie durch Deine Schuld in eine Zerrüttung gerathen ist, aus der sie kaum ohne Verlust zu retten sein wird. Hier hast Du das Werk Deiner tiefen Einsicht und Du magst Dich dessen rühmen. Hier hast Du das erfreuliche Ergebniß Deiner anmaßenden Freundschaft.“

[395] „Alfred, ich rufe es Dir zu, wie ich es oft gethan, ohne daß mich Deine Anklagen irre machen:.Sei ein Mann, laß Dich vom heißen Blut nicht zur Ungerechtigkeit, nicht zur Uebertretung strenger, heiliger Gesetze hinreißen.“

„Mir dünkt es mehr als vermessen“, gab Alfred zurück, „daß Du mit Moral auftrittst, und ich meine, daß Du besser thätest, sie für Dich zu behalten, der ihrer wahrlich bedarf. Ich aber weise sie zurück, schon deshalb, weil sie aus Deinem Munde kommt.“

„Kein Zweiter auf dieser Erde dürfte wagen, so mit mir zu sprechen!“ rief Arnold, endlich in Heftigkeit versetzt.

„Nur weiter so“, forderte Alfred heraus. „Nur nicht auf halbem Wege stehen geblieben! Von Niemanden auf dieser Erde darf man sich so behandeln lassen, ich gesteh’s selbst, wenn man es zehnmal verdient.“

„Ich werde mich mit Dir nicht schlagen“, versetzte, wieder ruhiger geworden, Arnold. „Ein einzig Wort will ich Dir sagen.“

„Was kannst Du vorbringen, das Dich entschuldigt?“ entgegnete Alfred.

„Es handelt sich nicht um mich. Du siehst, wie ich Hartes von Dir zu erdulden weiß. – Was bedeutet Dein Lächeln? Habe ich es nicht bewiesen, daß ich keine Kugel fürchte? Doch auch diesen Schimpf nehme ich hin. Gut also, mich laß Deinen ganzen Zorn erfahren. Wenn ich Unrecht gethan, so gebührt mir allein die ganze Strafe, da ich keinen Mitschuldigen gehabt. Doch schone meine Schwester, laß sie das schlafende Kind bleiben, über dessen Haupt das Gewitter ungehört hinzieht.“

„Jede Verantwortung dessen, was geschehen wird, wälze ich auf Dich. An allem Unheilvollen, das aus dieser Verwickelung entsteht, trägst Du die Schuld. Offenheit aber bin ich Delphinen schuldig. Die arme Frau muß wissen, wie die Sachen stehen, damit nichts sie unvorbereitet treffe. Es läßt sich auch nichts mehr verschweigen.“

Nachdem Alfred dieses erklärt hatte, stürmte er aus dem Gemache, den Schwager in tiefster Besorgniß zurücklassend. Und es dauerte nicht lange, so kam Delphine zu ihrem Bruder mit nassen Augen. Sie wußte Alles.

„Wo ist er?“ frug Arnold.

„Fort!“ antwortete die blasse Frau und sank ihrem tief erschütterten Bruder leblos in die Arme, der alle Mittel anwendete, das geliebte Wesen aus dem vorübergehenden Tod zu wecken.

„O, hättest Du mich in dem Zustand der Bewußtlosigkeit gelassen“, sagte Delphine, als sie wieder fühlte und sprechen konnte, „da war mein Leiden mit mir entschlafen. Nun ist es wieder erwacht, und ich weiß nicht, wie ich es ertragen soll.“

Was hätte Arnold sagen sollen, um den Muth der armen Frau zu erheben. Er selbst war verzweifelt, denn er wußte keinen Weg, der zu einer Lösung, zu einer Ausgleichung führte; er wußte kein Mittel, durch welches die drohende Gefahr abzuwenden sei. Sie saßen still und traurig beisammen, Bruder und Schwester. Delphine war, den Kopf auf beide Hände gestützt, in düsteres Brüten versunken.

Plötzlich aber, wie von einem glücklichen Gedanken, von einer Hoffnung berührt, hob sie das Haupt empor und sagte zu ihrem Bruder: „Du mußt mich zu der Unbekannten führen, in ihren Händen ist mein Schicksal.“

Arnold, erfreut, seine Schwester ein wenig aufgerichtet zu sehen, erklärte sich bereit, ihren Wunsch zu erfüllen, obgleich er sich in seinem Innern nicht den geringsten Erfolg von diesem Schritte versprach.


VI.

Alfred, nach der Scene mit dem Freund, nachdem er seine Frau von Allem was vorgefallen in Kenntniß gesetzt, jagte fort; er empfand Reue und Beschämung darüber, daß er ohne Prüfung verurtheilt, daß er in knabenhafter Uebereilung ein edles argloses Weib durch Argwohn und gemeinen Verdacht beleidigt, daß er thöricht auf sein eigen Herz getreten. Er fühlte das Bedürfniß, Adelen zu sehen und von ihr Ablaß für sein Verbrechen zu erhalten; dennoch zauderten öfters seine Schritte auf dem Gange nach der rue Mazagran und er kam sich selbst wie ein Kind vor, das sich einen Fehler zu Schulden kommen ließ und vor das strenge Antlitz des Meisters treten soll. Er kam sich so klein, so gewöhnlich vor, daß er sich eher hätte verbergen wollen vor dem Weibe, unter das er sich so tief gestellt durch seine unverzeihliche Roheit. Wen darf ich anklagen als mich selbst, waren seine Gedanken. Hat Arnold sie gekannt, wie ich sie kannte? Verdiente ich nicht irre geleitet zu werden, da ich mich von einem andern Einfluß leiten ließ, als dem dieser klaren, lautern Natur? Was soll ich sagen, wie mich entschuldigen, wie nun vor sie hintreten, die ich anzuklagen mich vermaß und die nun meine Richterin, geworden? Er kehrte auf seinem Wege mehrere Male sogar um, mit der Absicht, das von ihm mißhandelte Weib nie wieder zu sehen, die er entweiht durch seinen Umgang und durch den Maßstab, den er an die edle Erscheinung gelegt; doch so wie er sich um einige Schritte von seinem Ziel entfernte, war es ihm wieder, als wäre er auf einer frommen Wallfahrt begriffen, von der er umkehren wollte und die doch zur Beruhigung seines Gewissens unerläßlich. – Darauf setzte er die Wanderung schleuniger fort.

Bescheiden und scheu, den Blick gesenkt, trat er diesmal in das Gemach, das ihn so oft und in so verschiedenen Stimmungen aufgenommen. Adele empfing ihn mit Ernst und Würde.

„Denken Sie nun besser von mir?’ frug sie sanft, ohne Vorwurf in Ton und Geberde.

„Was habe ich zu denken?“ erwiederte Alfred in einer völligen Zerknirschung. „Sie haben zu richten, zu begnadigen oder zu verdammen. Ihr Platz ist aber da, wo man Götterbilder hinstellt, der meinige im Staube vor Ihnen.“

„Ich verzeihe Ihnen,’ sagte Adele voll Milde, „ob ich gleich viel gelitten durch Sie.“

„Nun wird Alles wieder gut,“ rief Alfred hoch erfreut.

„Verlangen Sie von mir, was Sie wollen. Es sei erfüllt, Was es auch koste, ohne Prüfung, ohne Bedenken. Nur seien Sie mir wieder, was Sie mir gewesen, lassen Sie die Stunden wiederkehren, die traulichen, die blühenden, die reichen, die ich im Wahnsinne aufgegeben.“

„Nichts davon, mein Alfred,“ versetzte das Mädchen. „Ich habe das Glück der Jugend geträumt; der Traum ist verflogen auf immer. Nichts weiter davon.“

„Haben wir uns das Glück nicht selber geschaffen?“ warf Alfred lebhaft ein. „Können wir es nicht neu beleben mit seinem Schmuck und seinem Zauber?“

„Nein. Es muß dahin sein.“

„Wer will uns hindern auferstehen zu machen, was nicht todt ist? Welche Macht gebietet über den Drang der Herzen?“

„Die Pflicht!“ erwiederte Adele mit männlicher Kraft.

„So habe ich Sie verloren, Adele?“ rief Alfred.

„Sie werden mir immer sehr viel gelten; mein Herz bleibt Ihnen so lange ich lebe in Freundschaft zugewendet, doch das Band, welches Sie an eine Andere bindet, ist und bleibt mir heilig, so wie es Ihnen heilig sein und bleiben muß. Leben Sie glücklich in der Familie,“ setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. „Sie haben eine junge liebenswerthe Frau, die Schwester Ihres Freundes, die Ihnen ergeben ist, der Sie sich freiwillig durch einen Schwur auf immer verbunden. Ich habe mich nach der Glücklichern als ich bin, erkundigt, da ich von Ihrer Vermählung gehört und mich so unendlich elend fühlte. Die Leidenschaft, den brennenden Schmerz in der Seele, wünschte ich zunächst Ungünstiges von der Frau Ihrer Wahl zu hören, das hätte meinen Groll befriedigt, das hätte mir eine Art Genugthuung gewährt. Nachdem ich aber einen schweren Kampf mit mir selbst bestanden, nachdem ich die Bitterkeit, den Haß, die sich meiner bemächtigten, überwunden, waren mir die Vorzüge Ihrer Gattin, die ich rühmen hörte, ein Trost, denn ich sagte mir, daß doch von uns Beiden wenigstens Sie glücklich sind.“

„O, unaussprechlich fromme Seele! Gewiß, Sie sind eine Heilige des Himmels!“ rief Alfred mit bewegter Stimme.

Und Adele fuhr mit matter Stimme fort: „Wie es ist, so muß es äuch bleiben, Alfred. Wem käme es zu Gute, wenn Sie ein Verhältniß brächen, das unantastbar sein muß? Das wäre keine Abhülfe, sondern Vervielfältigung des Verderblichen. Sie machten sich eines neuen Verrathes an meinem Herzen schuldig, das Ihnen keinen Anlaß zum Abfall gegeben und das sein Heil von Ihnen erwartet, von Ihnen zu fordern berechtigt ist. Noch ein Mal: Leben Sie glücklich ein angemessen heiteres Leben in Ihrer Familie, das ist die einzige Sühne, welche ich verlange.“

[396] „Was aber soll aus Ihnen werden, Sie erhabenes Herz?“ frug Alfred.

„Mir bleibt,“ versetzte Adele, „Ihr Glück, Ihr Frieden, Schmerz und Lust der Entsagung und die schimmernde Erinnerung an einige schöne vorüberrauschende Stunden.“ Sie wendete sich bei diesen Worten ab und wischte verstohlen eine zudringliche Thräne aus ihrem Auge.

„Arnold! Arnold! Wie kann ich Dir je verzeihen, was Du an der Trefflichsten aller Frauen verbrochen!“ rief Alfred hingerissen von seinem Unwillen.

„Zürnen Sie um meinetwillen nicht dem Freund, denn er hat es gut gemeint. Freilich hätte er, wenn auch nicht mein Gefühl, doch meine Ehre schonen sollen, er dachte nur an Sie.“

„Es giebt für ihn nur eine Entschuldigung,“ sagte Alfred, „daß er Sie nie gesehen, Sie nie sprechen gehört.“

„Versprechen Sie mir Ausgleichung des erfolgten Zwiespalts, damit sich Alles was geschieden, wieder zusammen finde und zum Gedeihen füge,“ forderte Adele.

„Alles was Sie wollen, will ich thun. Sie sind mein Orakel, mein Gewissen. Ihre Stimme gilt mir wie Götterruf,“ erwiederte Alfred, erfüllt von Bewunderung des seltsamen Wesens. „So viel ich vermag, will ich mich Ihrer würdig erweisen. Ich will redlich meine Pflicht erfüllen. Und ich fange mit der Bitte an, die Sie beherzigen mögen, theure Freundin! Lassen Sie Ihr Leben nicht unter Entsagungen und Aufopferungen dahin gehen. Es wird sich wohl ein Mann finden, der Ihren Werth besser zu schätzen weiß als ich, er werde beglückt, dieser begünstigte Sterbliche, sei überschüttet von den königlichen Schätzen, welche Sie in sich tragen. Ihnen, der übermenschlich Starken, der Entschlossenen, wird es wohl möglich sein, sich auch eine Häuslichkeit zu gründen, in der Sie schaffen und walten und sich mit stillen Freuden umgeben können.“

„Damit ist es wohl vorbei,“ sagte Adele so entschieden, daß an der Festigkeit des Entschlusses kein Zweifel übrig blieb.

So wie dieses an Trauer so inhaltreiche Wort ausgesprochen war, klopfte es an die Thüre des Salons und bevor noch der übliche Ruf erfolgte, traten zur nicht gelinden Ueberraschung Alfred’s, Delphine und Arnold herein. Sie hatten, wie das in der Komödie häufig vorzukommen pflegt, Alles gehört, nur daß es sich in dem vorliegenden Falle ganz natürlich ergeben.

Es kam so: Die Geschwister waren kurz nach Alfred gekommen, da Delphine, von Ungeduld und Unruhe getrieben, mit der Ausführung des gefaßten Planes nicht zu warten über sich gewonnen. Die Magd, welche bei Adelen Dienste that, im Begriffe fortzugehen, um mancherlei Einkäufe für die Küche zu besorgen, schloß eben die Thüre der Flur, als der Besuch ankam. Auf das Begehren der beiden Gäste, mit der Meisterin zu sprechen, öffnete sie die schon geschlossene Thüre, zeigte das Gemach, wo die Gebieterin sich aufhielt und entfernte sich, um ihrem Geschäfte obzuliegen. Die Geschwister näherten sich der bezeichneten Thüre und waren eben im Begriffe anzuklopfen, als sie laut sprechen hörten und die Stimme Alfred’s erkannten. Ohne zu wollen, blieben sie wie festgebannt stehen. Delphinen’ versagte die Kraft auch nur ein Glied zu rühren und sie mußte sich auf ihren Bruder stützen, um nicht umzusinken. Sie verfolgte das Gespräch in einem Zustand krampfhafter Aufregung, kaum athmend vor Erwartung des Ausganges. Und erst als die Worte Adele’s ausgleichend wurden und die Versicherung einer friedlichen, glücklichen Lösung der Dinge versprachen, löste sich der lähmende Druck von dem Herzen der beängstigten Frau und hingerissen von dem hohen edeln Sinn der Rivalin, klopfte sie an, riß die Thür auf und trat ein, um zu den Füßen ihrer Retterin den heißgefühlten Dank auszusprechen. – Und in der That sank sie vor Adelen auf die Knie, faßte ihre Hand, auf die sie das Haupt neigte und weinte Thränen des Dankes, da sie nicht sprechen konnte. – Eine Ahnung, wer die Frau zu ihren Füßen sei, flog durch die Seele Adele’s. Ein kalter Schauer faßte an ihr Herz, daß sie für einen Augenblick erstarrte. – Doch nicht lange, so gewann sie Kraft über sich selbst, berührte mit der flachen Hand das Haupt der knienden Frau und zog es zärtlich an sich.

„Dank, tausend Dank!“ sagte schluchzend Delphine, daß es die Gemüther der Anwesenden erschütterte.

„Delphine!“ rief Alfred und das einzige Wort mochte für eine ganze Rede gelten.

Als Adele die Kniende vom Boden erheben wollte, sprach diese: „Nein, nicht eher stehe ich auf, große Seele, als bis Sie mir versprochen, meine Freundin, meine Schwester zu sein.“

„Ich will es sein,“ sagte Adele feierlich, half der Frau vom Boden auf, erhob sich, nahm deren Hand und legte sie, eine Priesterin der Vereinigung, in die Hand Alfred’s, dann sprach sie mit sichtbarer Ueberwindung: „Seid einig, seid glücklich, seid tausendfach gesegnet,“ worauf sie blaß und zitternd, wie nach einer ungeheuern Anstrengung auf den Stuhl zurücksank.

Auch Arnold fühlte seine Augen naß. Er stand abseits das Haupt gesenkt, tief ergriffen von der Scene vor seinen Augen, sich anklagend, daß er das edelste Geschöpf verkannt und durch seine Beurtheilung in den Staub gezogen.

„Komm näher, Arnold,“ sagte ihm Alfred, als er dessen Thränen sah. „In der Nähe dieses Engels kann kein Groll, kein Haß bestehen; Dir ist von ihr und mir vergeben.“

Hier endet die Geschichte. Von da an bildete sich das schöne Familienleben, dessen Stifterin und Seele Adele war und blieb. Es ist nur noch zu erwähnen, daß Arnold, dem die Tugend noch nie so deutlich, so hoch und groß erschienen war, wie in Adelen, von diesem Weibe, wie nie früher von einem andern angezogen und festgehalten wurde. Zur zweifachen Genugthuung Alfred’s warb er um ihr Herz und um ihre Hand, jedoch ohne Erfolg. Der Vorsatz Adele’s, keinem Mann anzugehören, blieb unerschütterlich. Doch ließ sich Arnold durch die Zurückweisung nicht hindern, dem verehrten Weibe unausgesetzt seine Huldigungen darzubringen. Er setzte auf die zarteste Weise seine Bewerbungen fort und liebte kein anderes Weib. Noch sei bemerkt, daß Delphine, wiewohl sehr zur Eifersucht geneigt, niemals eifersüchtig auf Adelen war; sie freuete sich sogar aller Auszeichnungen, welche ihrer Schwester von Alfred zu Theil wurden.