Der Schnapshandel auf der Nordsee

Textdaten
<<< >>>
Autor: August Lammers
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Schnapshandel auf der Nordsee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 164
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Der Vertrag von 1887 wurde 1894 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht: Internationaler Vertrag zur Unterdrückung des Branntweinhandels unter den Nordseefischern auf hoher See.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[153]

Schnapshandel auf freier Nordsee.
Originalzeichnung von Hans Petersen

[164] Der Schnapshandel auf der Nordsee. (Mit Illustration S. 153.) Ungefähr solange wie in Deutschland durch öffentliche Rede und Schrift wieder planmäßig an der Einschränkung des verderblichen Mißbrauchs Gift enthaltender geistiger Getränke gearbeitet wird, richten auch die verschiedenen an der südlichen Nordsee betheiligten Regierungen, von Frankreich bis nach Dänemark, ihr besorgtes Auge auf solche schwimmenden Schnapsläden, wie unser Bild von Hans Petersen einen zeigt. Schon im Bau der beiden auf und nieder schwankenden Seefahrzeuge glauben wir zu gewahren, daß sie nicht demselben Zwecke nachgehen: das eine jagt auf die lebendige Beute des Meeres, das andere hat es auf das Geld oder, wofern solches noch fehlt, auf die gefangenen Fische und selbst auf Geräth und Werkzeug der Fischerboote abgesehen, zum Austausch gegen den nur allzu beliebten starken Trunk, der in der eben angebotenen und hinübergereichten Kruke fluthet. Der Schnapsverkäufer ist der überwiegend wahrscheinlichen Vermuthung nach ein Holländer, und Engländer sind meist die Nehmer. In England, dem Lande der lebhaften und kräftigen Enthaltsamkeitsbewegung, ist deshalb auch der erste anklagende Ruf wider diese Wirthschaft auf offener See laut geworden. Holland aber hat sich durch die Rücksicht auf seine bekannten großen Geneverbrennereien in Schiedam nicht abhalten lassen, zur Unterdrückung des Uebels die Hand zu bieten; und als sich zeigte, daß in dem grenzenlosen Element die zwei Staaten allein des Schadens nicht Herr zu werden vermochten, weil sich die Unterthanen der anderen Uferstaaten ihrer Kontrolle entzogen, so vereinigten sich die beiden mit der deutschen, belgischen, französischen und dänischen Regierung, und am 16. November 1887 wurde im Haag ein internationaler Schutzvertrag zur Unterdrückung des Branntweinhandels unter den Nordseefischern auf hoher See abgeschlossen. Der deutsche Reichstag genehmigte in seiner Sitzung vom 4. Februar 1889 diesen Vertrag.

Während schon die Staatsgewalten anfingen, auf diese Versorgung der Fischerflotten mit Trinkbranntwein zu achten, scheint dieselbe noch gewaltig zugenommen zu haben. Von den zehn oder mehr holländischen Schnapsbooten – man pflegt sie in der gemeinschaftlichen Nordseesprache Bumboats oder Coopers zu nennen – setzte ein Boot aus Maassluis im Jahre 1880 überhaupt 1649 Liter Spirituosen ab, in den ersten acht Monaten von 1881 allein aber 2247 Liter! Da der Verkauf auf hoher See dem holländischen Steuererheber als Absatz im Auslande gilt, so zahlt der Staat dem Seeschnapshändler die ausgelegte Accise darauf zurück, und es wird hiernach angenommen, daß der Seeverkauf im kleinen das gewinnbringendste aller solcher Geschäfte ist, 400 bis 600 Prozent ungefähr auf den Einkaufspreis im großen.

So etwas lockt, selbst wenn es in Wind und Wogen hinausgeht! Zwei, drei Tage lang, so erzählt der englische Admiral Gordon Douglas nach den Berichten des aufsichtführenden Kreuzers, liegt so ein Schnapsboot zwischen den Fischerbooten und trollt sich nicht eher weg, als bis es deren Bemannung das letzte Geldstück, Mengen von Fischen und auch noch manches werthvolle Geräth von Bord geholt und so lange von dem seinigen noch irgend welche Spirituosen zu verkaufen sind. Nicht allein grobe Vertrauensbrüche gegen die Reeder gehen hieraus ohne Unterlaß hervor, sondern in der erweckten Leidenschaft auch Gewaltthaten, Raub, Schmuggel, Mord und Todtschlag. Ein amtlicher Bericht wendet fünf Seiten an die Aufzählung von Unglücks- und Verbrechensfällen aus dem einzigen Jahre 1884, welche man dem Schnapsgenuß zuzuschreiben hatte. Zusammenstöße der Schiffe, Schlägereien herüber und hinüber, Fälle, daß ein Mann im Rausche über Bord stürzt und ertrinkt, nur weil die anderen ebenfalls betrunken sind, die ihn sonst leicht hätten retten können; alle solche Vorgänge mußten die Verantwortlichkeit der Staatsgewalten wachrufen, daß sie ihre volle Macht dagegen aufboten.

Es soll nun im ganzen allgemeinen Fischereigebiet der Nordsee bis zur Doggerbank (55° n. Br.) und darüber hinaus verboten sein, destillirte Getränke von fünf Prozent Alkohol oder mehr – also nicht etwa auch Bier schlechthin – an Leute von Fischerfahrzeugen zu verkaufen oder zu vertauschen, und ebenso wird diesen selbst solcher Kauf oder Tausch verboten. Boote, die mit Mundvorrath und ähnlichem auf der Nordsee Handel treiben wollen, bedürfen dazu fortan obrigkeitlicher Genehmigung und dürfen nicht mehr Spirituosen mit sich führen, als zu ihrem eigenen Verbrauch an Bord nöthig ist. Ein besonderes, gleichmäßiges Abzeichen wird für sie vereinbart.

Schon vor dieser Uebereinkunft hatte eine englische Missionsgesellschaft sich der Sache ernstlich angenommen. Sie schickte ein eigenes Schiff mit Männern und Frauen an Bord unter die Fischerflotten, welches ein Marketenderschiff ohne Schnaps vorstellte und außer der leiblichen Kräftigung auch durch Druck und Rede auf die Gemüther der der Versuchung ausgesetzten Seeleute einzuwirken suchte. Aber daß sie ohne die Gewalt des Staats nicht ans Ziel zu gelangen vermocht hätte, gestehen ihre Leiter selbst ein. Die Frage ist jetzt nur, ob die Befugnisse, welche der Haager Vertrag den aufsichtführenden Kreuzern beilegt, weit genug gehen. Immerhin ist er ein hoffnungsvoller Anfang und setzt dem geschilderten Unwesen auf freier See wenigstens Schranken. August Lammers.