Textdaten
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Autor: Sch.
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Titel: Der Schatzgräber von Troja
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 712–715
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe Autorenseite Heinrich Schliemann
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Der Schatzgräber von Troja.

Während die zur Herausgrabung verschütteter Kunstschätze und Culturdenkmäler des griechischen Alterthums vom deutschen Reiche ausgesendete wissenschaftliche Expedition ihre bisher mit glänzenden Erfolge gekrönte Thätigkeit auf dem Boden Olympia’s unermüdet fortsetzt, ist auch unser deutscher Landsmann Dr. Heinrich Schliemann, bekanntlich ein geborener Mecklenburger, wieder auf den classischen Stätten des alten Hellas erschienen, um seine einige Zeit hindurch unterbrochenen Entdeckungsarbeiten von Neuem aufzunehmen. Wie die Zeitungen melden, ist Schliemann am 18. September von Athen nach dem durch ihn so berühmt gewordenen Hügel Hissarlik abgegangen. Vorher hat er bereits elf Tage lang Ithaka durchforscht und soll dort unter furchtbarem Sonnenbrand und ganz ungewöhnlichen Terrainschwierigkeiten von der uralten und längst verschwundenen Hauptstadt dieser homerischen Insel 190 mehr oder weniger gut erhaltene Häuser cyclopischer Bauart gefunden und festgestellt haben. Die gelehrten und verdienstvollen Forscher in Olympia arbeiten unter dem Schutze und den hinlänglich gewährten Geldmitteln eines mächtigen Reiches; Schliemann betreibt sein schönes, der Cultur und Wissenschaft dienendes Werk ganz aus eigenem Antriebe und auf eigene Hand. Je seltener im Laufe aller Zeiten derartige Erscheinungen sind, um so mehr wird es den Lesern der „Gartenlaube“ willkommen sein, einmal einiges Näheres und Bestimmte über den Mann zu hören der in der kurzen Zeit von sechs oder sieben Jahren durch die beispiellosen Erfolge seiner Ausgrabungen auf dem Hügel Hissarlik und dem Burgfelsen Mykene das Interesse der civilisirten Welt auf sich gezogen hat.

Die ganzen Jahre her haben sowohl die Tagesblätter wie die wissenschaftlichen Journale sich immer und immer wieder in die Nothwendigkeit versetzt gesehen, von den überraschenden und zum Theil so merkwürdigen Funden zu sprechen, die Schliemann mit seinem rastlosen Eifer aus dem Schooße der hellenischen Erde geholt. In der That sah sich die Welt hier einem Phänomen gegenüber, das im höchste Grade die Neugierde erregte und mit allem Reize eines geheimnißvollen Zaubers auf die Geister und Gemüther wirkte. Wie ist es möglich – so mußte man sich fragen – daß ein einzelner Privatmann ohne jede Unterstützung fertig bringen konnte, was sonst nur Sache und Aufgabe ganzer Nationen ist? Allerdings blieb es nicht unbekannt, daß die Glücksgöttin erhebliche Reichthümer in seine Hände gelegt. Aber man erfuhr auch, daß sie ihm trotz seiner vorwiegend geistigen Neigungen den Weg einer regelmäßigen Schul- und Universitätsbildung versagt und ihn so von vornherein nicht in die Kreise sattelfester Zunft- und Fachgenossen der Alterthumswissenschaft gestellt hatte. Unter solchen Umständen, bei so günstiger Vermögenslage, hätte wohl jeder andere wohlhabende Mann an der Muße behaglichen Privatlebens, an den Freuden stillen und ungestörten Studiums vollauf sich genügen lassen. Warum hat Schliemann einer so friedlich-idyllischen Existenz, welche er leicht sich schaffen konnte, die aufreibend ruhelose und entbehrungsvolle, so vielen Stürmen und Angriffen ausgesetzte Bahn des Entdeckers vorgezogen? Und wie – so wird ferner gefragt – wie konnte er, der viele Jahre hindurch ein emsiger Kaufmann gewesen, es über sich gewinnen, so gewaltig tief in seinen Beutel zu greifen und alle großen Kosten seiner idealen Unternehmungen aus der eigenen Tasche zu bezahlen? Besonders dieser letztere Punkt ist es, der Aufmerksamkeit erregt, weil er für das Wesen des Mannes bezeichnend ist. Aus seinem eigenen Munde glauben wir vernommen zu haben, daß ihn z. B. seine Ausgrabungen in Troja viel über 100,000 Thaler gekostet. Obwohl ihm aber von Liebhabern der Sammlung bereits das Dreifache dieser Summe wiedergeboten worden ist, kommt es ihm doch nicht in den Sinn, die troische Sammlung bloßen Gewinnes halber an das erste beste Museum zu verkaufen, wie dies Andere in ähnlichen Fällen trotz ihres hohen Standes und Namens thun [713] und gethan haben. Sein liebster Gedanke ist es vielmehr, die Sammlung einst auf griechischem Boden lassen zu können, mit dessen Cultur- und Kunstgeschichte sie ja doch für alle Zeiten verknüpft ist. Die Klugheit jedoch gebietet ihm, seine Schätze nicht allzu früh aus der Hand zu geben, dieselben vielmehr einstweilen noch zur Förderung weiterer Zwecke und Ziele an sich zu halten. Auch könnte er wohl früher, als ihm dies lieb sein möchte, die schon von Alters her im Sprüchwort umgehende griechische Undankbarkeit erfahren.

Erwägen wir diese Thatsachen, und berücksichtigen wir ferner, daß Schliemann Alles, was er uns als Alterthumsforscher geleistet hat, in dem Alter von vierzig und fünfzig Jahren zu Stande gebracht hat, so werden wir uns nicht darüber wundern, wenn wir ihn schon in seinen Knabenjahren von dem Drange bestimmt sehen, der seinem späteren Mannesleben den Inhalt gegeben hat. In der That: während der gewöhnlichen Erfahrung zufolge die Menschen bei zunehmendem Alter auf ihre Jugendphantasien wie auf einen gänzlich verlassenen Standpunkt herabsehen, erleben wir bei Schliemann das gerade Gegentheil. Mit ungeminderter Wärme und Begeisterung hält er die ersten Neigungen seiner Seele bis zum gegenwärtigen Augenblicke fest.

Dasselbe Gutsdorf, in dessen altem Schlosse einst Johann Heinrich Voß die Leiden eines Hauslehrers zu ertragen hatte, sah unsern Schliemann ein halbes Jahrhundert später seine Kinderjahre im Pfarrhause verleben. Es war in Ankershagen bei dem Städtchen Penzlin, nahe an der Grenze von Mecklenburg-Strelitz. Der Aufenthalt in diesem Dorfe sollte für den Knaben zu einem Verhängniß werden, das seinem ganzen Dasein die Richtung gab. Als guter Mecklenburger fühlte sich nämlich der Vater geehrt, an demselben Orte Pfarrer zu sein, wo sein berühmter Landsmann Voß, der meisterhafte Uebersetzer des Homer, einst sein Kommen und Gehen gehabt hatte. So geschah es, daß er sich für den Homer stärker interessirte, als es sonst wohl der Fall gewesen sein würde, und darum machte er auch schon früh seine Kinder, und vor Allem seinen Sohn Heinrich, mit den troischen Sagen bekannt. Auch las er denselben zuweilen einzelne Stellen aus der „Odyssee“ und „Ilias“ vor. Das zündete in der Seele des Knaben, nur mochte dieser durchaus nichts davon hören, daß die großen Mauern der alten Stadt verschwunden sein sollten. Vielmehr pflegte er schon damals die Meinung zu äußern, die Mauern könnten wohl verschüttet, aber unmöglich ganz vom Erdboden vertilgt sein, ja er verstieg sich bereits zu dem Wunsche, daß sie durch ihn noch einmal wieder an’s Tageslicht gebracht werden möchten. Es steckte also schon früh die Idee eines Schatzgräbers in seinem unruhigen Kopfe. Uebrigens trug auch die nähere landschaftliche Umgebung wesentlich zu solchen und ähnlichen Phantasien bei. Schon frühe regten ihn die alten Thurmruinen im herrschaftlichen Schloßgarten, die steinernen Wendeltreppen, die langen Corridore und Gewölbe des Schlosses selber zur Versenkung in die geheimnißvolle Vergangenheit an. Aus einem benachbarten Hügel hätte er gern die goldene Wiege und auf dem Teiche hinter dem Pfarrgarten die silberne Schale geholt, welche die Sage darin verborgen sein ließ. Auch das große Grab eines bösen Schloßherrn längsvergangener Zeit auf dem Dorfkirchhofe beschäftigte seine Einbildungskraft.

Heinrich Schliemann.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Aber durch das Glück der Kinderzeit zog die rauhe Wirklichkeit ihre herben Striche. Früh starb ihm die Mutter. Außerdem änderten sich die häuslichen Verhältnisse in so ungünstiger Weise für ihn, daß er nur bis zum vierzehnten Lebensjahre auf der Schule bleiben konnte, und zwar auf keiner andern als auf der Realschule der benachbarten kleinen Residenz Strelitz. Hier aber vermochte er, zumal in damaligen Zeiten, nicht diejenige Nahrung zu finden, die ihm gut gethan hätte. So erduldete er es denn ohne Widerrede, daß er, vierzehn Jahre alt, nach seiner Confirmation in die Kaufmannslehre geschickt wurde. Fünf und ein halbes Jahr diente er in dem Kramladen einer benachbarten kleinen Stadt.

Allein eine Brustverletzung, die er sich beim Aufheben eines schweren Fasses zuzog, bestimmte ihn, die Laufbahn des Kaufmanns aufzugeben. Trieb ihn doch ohnehin ein unwiderstehlicher Drang in die ungewisse Ferne. Er ging nach Hamburg und wurde Schiffsjunge. Aber das erste Schiff, auf dem er ausfuhr, strandete am 12. December 1841 an der holländischen Insel Texel, und die Mannschaft rettete nichts als das nackte Leben. Der neunzehnjährige Schliemannn, von guten Leuten mit einem Almosen versehen, ging nach Amsterdam, fand hier nach mancher Noth und herber Erfahrung endlich eine Bureaudienerstelle, und das Glück wollte es, daß er allmählich in die Höhe kam und zuletzt im Hause B. H. Schröder und Comp. die Stelle eines Buchführers bekleidete. Zugleich gewann er die lang ersehnte Gelegenheit zu praktischen Sprachstudien. Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, zuletzt auch Russisch – eines kam nach dem andern an die Reihe. Wie er uns selber (in der Vorrede zu seinem Buche „Ithaka, der Peloponnes und Troja.“ Leipzig, 1869, bei Giesecke) erzählt, bestand seine Methode darin, viel mit lauter Stimme zu lesen, jeden Tag eine Stunde zu nehmen, nicht Uebersetzungen nach irgend einer Vorlage zu machen, wohl aber, sobald er dazu im Stande war, eigene kleine Ausarbeitungen über Dies und Jenes niederzuschreiben, letztere unter Aufsicht eines Lehrers zu verbessern und in der nächsten Lection mündlich frei herzusagen, was er in der vorhergehenden gelernt hatte. Diesen Uebungen, besonders dem lauten Lesen und Sprechen, lag er mit solchem Eifer ob, daß er wegen Störung der Stubennachbarn zweimal die Wohnung wechseln mußte.

Nachdem er es endlich in der russischen Sprache bis zu einer gewissen Fertigkeit gebracht hatte, sandten ihn seine Vorgesetzten – es war im Jahre 1846 – als Stellvertreter ihres Hauses nach Petersburg. Aber schon nach einem Jahre hatten sich hier seine Handelsbeziehungen der Art gestaltet, daß er die Gründung eines eigenen Geschäfts unternehmen konnte. Und nun begann für ihn eine Zeit der erfolgreichsten Geschäftsunternehmungen. Indigo, Salpeter, Blei, Blauholz und Baumwolle waren die Handelsgegenstände, mit denen er besonders während des Krimkrieges und nachher während des amerikanischen Bürgerkrieges seinen Reichthum begründete. Freilich aber gehörte er auch nicht [714] zu denjenigen, die nur Andere für sich arbeiten lassen; stets war er selbst vom Morgen bis zum Abend in seinen Speichern thätig und übertrug seinen jungen Leuten so wenig, wie irgend möglich. Auch verstand er mit besonderem Geschick, sich stets zahlungsfähig zu erhalten. Wenn Andere um keinen Preis Geld aufzutreiben vermochten, hatte er das nöthige immer zur Hand.

Die nächste Folge dieses emsigen Geschäftsbetriebes war, daß seine Sprachstudien liegen blieben. Erst nach achtjähriger Unterbrechung, im Jahre 1854 konnte er dieselben wieder aufnehmen. Was ihn jetzt beschäftigte, war das Schwedische, Polnische und Neugriechische; letzteres führte ihn endlich an der Hand tüchtiger Lehrer zum Altgriechischen und damit zum Studium des Homer. So hatte er endlich das in der Jugend so heiß erahnte Ziel auf langen und schweren Umwegen erreicht.

Die folgenden Jahre sahen ihn auf Reisen durch Schweden, Dänemark, Deutschland, Italien, Aegypten und Syrien, und im Sommer 1859 war er zum ersten Mal auf kurze Zeit in Athen. Zu einer schon damals nach der Insel Ithaka, dem Eilande seines geliebten Odysseus, projectirten Reise kam es nicht, weil ihn eine Krankheit zur Rückkehr nöthigte. Dafür machte er im Jahre 1864 eine Reise um die Welt, worüber er 1867 eine recht hübsche Beschreibung in französischer Sprache veröffentlichte, die unter dem Titel „La Chine et le Japon“ im Verlage der Pariser Librairie Centrale erschien.

Drei Jahre nach dieser Reise, im Jahre 1867, wurde es ihm endlich möglich, die classischen Stätten der homerischen Gesänge aufzusuchen und in aller Muße zu besichtigen. Das hierüber veröffentlichte Buch „Ithaque, le Peloponnèse, Troie, Paris 1869“ (in deutscher Uebersetzung bei Giesecke und Devrient in Leipzig) ist von Anderen mit Recht als eine Art Roman bezeichnet worden. Von Seite zu Seite merkt man es dem begeisterten Verfasser an, daß er das volle Glück der Verwirklichung eines seiner liebsten Jugendträume empfindet. Die homerische Dichtung galt ihm mit allen ihren Einzelheiten als eine so reine geschichtliche Wahrheit, wie dem Gläubigen die Bibel. Mag man da sich noch wundern oder gar einen Tadel darüber aussprechen wollen, daß er auf den vom göttlichen Sänger ihm gewiesenen Spuren fast Alles findet, was er sucht? Man vergegenwärtige sich in diesem Falle – und das ist der einzig richtige Standpunkt der Verurtheilung – stets den Autodidakten, der zwar Odyssee und Ilias beinahe auswendig weiß, aber die ganze Fülle kritischer Erforschung, das einem hoch angeschwollenen Strome vergleichbare gelehrte Rüstzeug der sogenannten homerischen Frage nicht kennen gelernt hat.

Von Ithaka, das ihm mit seiner biedern Landbevölkerung ganz an’s Herz gewachsen war, ging er zur troischen Ebene hinüber, seinen Homer wie ein Evangelium im Herzen tragend. Die größten Mühen und Beschwerden, Hunger und Durst, dazu Betrügerei von Seiten seiner Führer und Arbeiter, alle diese Uebelstände hielten ihn nicht ab, die Skamandroslandschaft zur Auffindung Troja’s so gründlich wie möglich zu untersuchen, um seine Ueberzeugungen zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen. Der Hügel Hissarlik mußte die Stadt des Priamos decken – das stand zuletzt bei ihm fest. Und mit dieser Gewißheit im Herzen begann er im April 1870 seine ersten Ausgrabungen, die er mit kleineren und größeren Unterbrechungen während der Sommermonate bis in den Juni 1872 fortsetzte.

Noch heute vergegenwärtigen wir uns den frischen Eindruck seiner zahlreichen und zum Theil wahrhaft glänzenden Entdeckungen. War es doch Jedem, der die ersten märchenhaften Berichte vernahm, als ob der Hügel eine Gold und Silber bergende, mit seltsamen Mauern und Thürmen verschlossene uralte Stadt in seinem geheimnißvollen Innern begraben hätte. Kein Wunder, daß der Entdecker selber, der mit der sichersten Ueberzeugung, nur hier könne die Stätte des alten Troja gefunden werden, an die Ausgrabung gegangen war, nicht im Mindesten daran zweifelte, daß die Bestätigung seiner Hypothese eine der allerglänzendsten sei, welche die archäologische Wissenschaft jemals erlebt habe. Kein Wunder, daß er in diesem berechtigten Gefühle höchsten Glückes eine Zurückführung seiner Funde auf die homerischen Schilderungen im Einzelnen versuchte und im Bewußtsein seiner Verdienste um die Wissenschaft dem Drange nicht länger widerstehen konnte, seine Lieblingsideen selbstständig zu verfechten. Man staunte und hörte nicht auf, nach den Wundern zu fragen; lange währte es, bis überall die Aufregung sich legte.

Da erschien im Jahre 1874 in Commission bei F. A. Brockhaus der große Atlas trojanischer Alterthümer, und mit ihm erschienen zugleich die in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ in langer Reihe hinter einander veröffentlichten Ausgrabungsberichte als ein stattlicher Band. Leider aber waren die photographischen Tafeln des Atlas zum großen Theile mißrathen und machten einen den gehegten Erwartungen durchaus nicht entsprechenden Eindruck. Obwohl der kundige Fachmann schon beim ersten Blicke die große Masse und Bedeutung dieses der Wissenschaft neu gelieferten Materials hinlänglich zu übersehen vermochte, konnte doch auch ein solcher trotz aller Vorurtheilslosigkeit sich einer gewissen Verstimmung über eine derartige Publication nicht ganz erwehren. Nur zu bald erlebte man es daher, daß sich in einer außerordentlichen Fluth von Recensionen und Kritiken der wissenschaftliche Verdruß zur Genüge, ja mehr als zur Genüge, Luft machte. An die Stelle des Lobes trat der Tadel. Wehe dem Deutschen, welchem der eigene Landsmann vom Katheder herunter Bescheid sagt! Er kann sicher sein, daß kein gutes Haar an ihm übrig bleibt, zumal dann, wenn er nicht mit zur Zunft gehört.

So geschah es Schliemann; man ging stellenweise geradezu unbarmherzig mit ihm um und vergaß ganz und gar die Art, wie dieser Mann, mit dem verschiedensten Ungemache kämpfend, unerschüttert auf dem Schlachtplane ausgehalten hatte; man sah nichts als Schwächen und Mängel, man verurtheilte nur und überließ es dem vereinzelt dastehenden Entdecker, sich mit Hand und Fuß dagegen zu wehren. Und damit der Verdruß des auf alle Art, auch mit Verleumdungen angefeindeten Mannes das höchste Maß erreiche, verwickelte ihn die türkische Regierung obendrein an einen Proceß, aus dem er sich zuletzt mit einem Trinkgelde von 50,000 Francs die völlige Unantastbarkeit des Besitzes seiner Sammlung erkaufen mußte.

Aber so unerquicklich und unbehaglich auch jene Sturmfluth ungünstiger Recensionen für ihn sein mochte; Schliemann ließ sich dadurch nicht beugen. Der feste Glaube an die geschehene Verwirklichung seiner Ideale half ihm durch die Brandung der Kritik, wie einst die Leukothea dem Odysseus durch die Wogen des Meeres. Er behielt den Kopf immerfort oben. Allerdings hatte er für den Augenblick in Folge seines Processes und der dadurch zwischen ihm und den griechischen Behörden entstandenen Differenzen die Lust verloren, auf hellenischem Grund und Boden, wie er anfänglich beabsichtigte, weitere Ausgrabungen zu veranstalten. Er ging einstweilen nach Italien hinüber, um dort ein ihm zusagendes Arbeitsfeld zu finden. Obwohl er aber auf der Insel Sicilien, wie auch an mehreren Stellen des italienischen Festlandes mit Ausgrabungen begann, fühlte er sich doch nirgends befriedigt und knüpfte schließlich am Ende des Jahres 1875 auf’s Neue und mit günstigem Erfolg Unterhandlungen mit der türkischen Regierung zur Wiederaufnahme der Ausgrabungen auf Hissarlik an. Allein die Intriguen des damaligen Dardanellen-Paschas hinderten ihn vorläufig an der Vollendung seiner Arbeiten. Man hat dies mit gutem Grunde beklagt, denn nichts ist wünschenswerther, als daß die bezüglich Hissarliks angeregten wissenschaftlichen Fragen durch weitere Ausgrabungen zum Abschluß gebracht werden; aber der Klage folgte ein rascher Trost; die Verzögerung gab Veranlassung zu den reichen Entdeckungen von Mykene. Dem Manne ist in der That ein merkwürdiges Glück beschieden: kaum stößt er den Spaten in die Erde, so öffnet sie ihm auch sofort ihre mehr als tausendjährigen Geheimnisse! Eine ausführliche Beschreibung aller jener Funde in Troja und Mykene an dieser Stelle zu geben, würde zu weit führen. Es mögen hier darum nur wenige Andeutungen genügen.

Die Funde der oberen Schichten des Hügels Hissarlik, unter diesen einige sehr werthvolle Inschriften und Marmorbildwerke, stammen von jener jüngeren Stadt her, die zur Zeit des Lyderkönigs Kroisos im siebenten Jahrhundert vor Christus von einer äolischen Colonie gegründet und mit dem alten Namen Ilion benannt worden ist. Diese Niederlassung hat, wie sich mit Sicherheit nachweisen läßt, bis in’s fünfte Jahrhundert nach Christo, vielleicht noch länger bestanden. Erst im Mittelalter – wann und wie, ist nicht aufgeklärt – muß sie zerstört worden sein. Aber erst unter diesen oberen Schichten beginnt die eigentliche Schliemann’sche Welt. Hier liegt eine – vielleicht sogar mehr als eine, was noch genauer zu ermitteln ist – mit trefflich gepflasterten Straßen, mit Mauern und Thürmen versehene uralte Niederlassung in der [715] Erde vergraben. Und hier allerdings weisen die merkwürdigen nach Tausenden zählenden Funde, Gefäße aller Art aus Terracotta, Waffen und Geräthe aus Stein und Bronze, aus Elfenbein und Knochen, Schmucksachen aus Silber, Gold und Elektron (einer Legirung von Silber und Gold) u. dergl. m., auf die vorhistorischen Zeiten, auf Zeiten hin, die weit vor derjenigen Culturperiode liegen müssen, welche uns aus den Gesängen Homer’s entgegentritt. Die bis jetzt angestellten Vergleiche dieser vorhistorischen Fundstücke mit andern führen uns auf eine uralte, theils von der See her durch die Phönicier, theils auch vom asiatischen Hinterlande her stark beeinflußte Cultur. Ihre Zeitgrenzen lassen sich freilich nicht genau bestimmen. Jedenfalls aber ist diese Cultur, deren Verzierungsweise als eine ausgebildete Linearornamentik erscheint, dem späteren gleichfalls von Vorderasien und Assyrien her wirkenden Einflüssen einer jüngeren, anders gearteten und höher entwickelten Cultur gewichen. Jene ältere vorhistorische Periode muß aus Gründen, welche die Untersuchung herausgestellt hat, als eine weit vor der Zeit der homerischen Gesänge liegende angesehen werden, da in diesen, besonders in den darin enthaltenen Kunstschilderungen, ein bereits auf jüngere assyrische Einflüsse zurückführender Standpunkt zu Tage tritt. Somit kann nicht daran gedacht werden, nur einen einzigen jener Schliemann’schen Funde in gesammter Weise als irgend einen der bei Homer beschriebenen Gegenstände, das heißt also gleichsam als bestätigende Illustration der homerischen Beschreibung erkennen zu wollen. Der Werth all dieser troischen Objecte liegt vielmehr, wie bereits angedeutet worden ist, in der Mehrung unserer Erkenntniß auf dem Gebiete der vorhistorischen Cultur; für diese sind die Schliemann’schen Funde ein noch oft zu benutzendes und als solches in hohem Grade werthvolles Vergleichungsmaterial.

Ob aber nicht dennoch in der Tiefe des Hügels Hissarlik jenes alte Ilion oder Troja gefunden ist, an welchem seit urältester Zeit die homerische Sage haftete, das konnte bisher weder verneint, noch auch mit Sicherheit bejaht werden. Aus der „Ilias“ Homer’s selber läßt sich, so Vieles auch im Einzelnen für den Hügel Hissarlik spricht, kein fester und unverrückbarer Punkt in der Gegend feststellen.

Erwägt man aber unter Anderem, daß auf dem Hügel seit dem siebenten Jahrhundert vor Christi Geburt unzweifelhaft eine Niederlassung mit dem alten Namen Ilion bestand, und erwägt man ferner, daß an einem Orte, wo sichtlich eine oder mehrere Stadtanlagen in alter Zeit vorhanden waren, auch trotz der Zerstörung und Ueberfluthung durch nachfolgende Völkerschaften der Name der alten Stätte so leicht nicht verloren zu gehen pflegt, so erscheint es viel weniger wahrscheinlich, daß die äolischen Colonisten im siebenten Jahrhundert vor Christo sich beliebig den Namen Ilion für ihre neue Stadt aus den homerischen Gesängen wählten, als daß sie dabei an eine vorhandene Tradition des Ortes anknüpften, die ihnen eben diesen Namen überlieferte. Was aber die schon im Alterthume geäußerten Zweifel betrifft, nach denen die Stätte des alten Ilion dreiviertel Meilen weiter landeinwärts anzusetzen sei, so ist dagegen zu bemerken, daß sich diese Ansicht nur auf die in topographischer Hinsicht durchaus nicht zuverlässige Dichtung Homer’s berufen kann. Wie man die Sache auch betrachten mag, es giebt vor der Hand keine stichhaltigen Gründe, die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung des alten homerischen Troja durch Schliemann zu bestreiten.

Was endlich die Funde in Mykene betrifft, den märchenhaft reichen Inhalt der in dieser uralten Residenz des Agamemnon von Schliemann entdeckten Königsgräber (der bloße Metallwerth wird auf 30,000 Mark geschätzt), so habe diese Herrlichkeiten aus grauer Vorzeit nicht blos das Staunen der Welt, die Verwunderung der Beschauer erregt, sondern auch die gelehrten Kreise in die lebhafteste Bewegung versetzt und zu den umfassendsten Untersuchungen und Erörterungen der Philologen, Archäologen und Kunstforscher Anlaß gegeben. Der Streit drehte sich auch hier um den künstlerischen und technischen Charakter der Gegenstände, sowie nun die Bestimmung der Culturperiode, der sie entsprossen sind. Das Richtige nach diesen Seiten hin scheint Professor Köhler, der Director des archäologischen Reichsinstituts in Athen, in einem jüngst erschienenen Aufsatze getroffen zu haben, es würde jedoch unmöglich sein, allen diesen noch fortwährend im Flusse befindlichen Untersuchungen hier folgen zu wollen, da mit allgemeineren Andeutungen und ohne genaues Eingehen auf die vielfältigen Specialitäten ein irgend klares Bild solcher wissenschaftlichen Vorgänge nicht zu gewinnen ist. Wer aber Weiteres über die Entdeckungen selber lesen und namentlich eine Ansicht der betreffenden Funde erlangen will, den verweisen wir auf das in ganz vortrefflicher Ausstattung (bei Brockhaus in Leipzig) kürzlich erschienene Werk Schliemann’s über Mykene, das neben zahlreichen Plänen und Ansichten der Gegend über siebenhundert ausgezeichnete Abbildungen der hervorragendsten Fundobjecte enthält.

Mag also auch in Bezug auf die Erklärung und Deutung der von Schliemann errungenen Resultate noch der Streit wogen, jedenfalls steht so viel fest: unser Schatzgräber aus den classischen Gefilden des Alterthums hat sich nicht nur durch seinen merkwürdigen Lebenslauf, durch die hohe Richtung seines Denkens und Thuns, durch Talent, Charakterenergie und begeisterte Hingebung an seine Zwecke als ein außerordentlicher Mensch bewährt, sein schweres, kampf- und sorgenreiches Mühen hat auch bereits herrliche Früchte zu Tage gefördert, die bleibend der fortschreitenden Erkenntniß zu Gute kommen und zur Lichtung des tiefen Dunkels beitragen, das so vielfach noch über der Vergangenheit unseres Geschlechts gebreitet liegt. Möge dem kühnen Forscher, den wir Deutsche mit Stolz den Unsern nennen, bei der jetzigen Wiederaufnahme seiner Thätigkeit von Neuem die Gunst eines guten Geschickes lenken, und möge er noch viele Jahre hindurch in heiterer und glücklicher Zufriedenheit der Ergebnisse seiner heißen Anstrengungen sich freuen können!

Sch.