Textdaten
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Autor: Karl Gotthard Graß
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Titel: Der Rheinfall
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aus: Neue Thalia. 1792–93. 1792, Erster Band, S. 276–280
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[276]
V.
Der Rheinfall
von einem jungen Mahler.


Wo dich mein Aug zuerst empfand,
Helvetien – wo aus der Felsenwiege
ein stolzer Strom zum Woogenkriege
sich stürzt von hoher Felsen Rand,

5
wo nie gefühltes Wonnefeuer

die Brust durchdrang, die Seele freyer
zu neuen Welten sich entschwang,
wo jeder Ton auf ihren Saiten
harmonischer zum andern klang,

10
dahin soll mich des Liedes Flug begleiten,

auf Laufens jähen Felsenhang.

     Hinweg von dieser Zauberstelle
ihr Loutherburge, Hackerte,
ihr Schütze und ihr Rheinhardte[1]

15
ihr mahlt die Scene nicht. Ihr Könige

hervor aus eurer Marmorzelle,
zu schaun die Woogenpracht des Königes der Fälle!

[277]

Wie sich in silberlichtes Helle,
vom Glanz des Wassergotts umstrahlt,

20
(versuchts, wer dieses Bild euch mahlt!)

von ihrer hohen Felsenschwelle
herabstürzt diese Wasserhölle!

     Umsonst! des Künstlers Hand erbebt,
dem kühnern Dichter sinkt die Leyer.

25
Er sieht ein Heer von Kräften hier belebt,

sieht Leben und Verderben eng verwebt,
er sieht aus grauem Nebelschleyer,
wie wallend Fluth aus Fluth sich hebt,
wie, tausendmal im Augenblicke,

30
sich bauet eine Wasserbrücke,

und in den Abgrund sich begräbt.
Er sieht ein schäumend Ungeheuer,
das sich zersprengt und wieder schlürft,
und aus dem Schlund im Sternenfeuer

35
ein Heer von Strahlenlichtern wirft,

wie wenn am Fels sich Blitze splittern.
Er sieht, wie Masse Masse schnellt,
sieht einen Silberberg von Furien erschüttern,
daß aufgelöst in eine Tropfenwelt

40
er aufspringt und zusammenfällt.


     Welch ein Getös! Welch weit verworrnes Sausen!
gleich Eichen, die der Sturmwind trillt,

[278]

gleich der Orkane wildem Brausen,
das fern den Wanderer mit Grausen,

45
und nah ihn mit Entsetzen füllt.

Lauteilendes Verderben brüllt
aus seinem weiten Woogenrachen
des Bernhards eisgebohrner Sohn,
bang flüchten sich erschrockne Nachen,

50
vor seines Zornes wildem Drohn.

Die Ufer dröhnen rings davon,
zerrißne Felsenreste zittern
vor des Zermalmers Donnerton,
wie wenn auf seinem Wolkenthron,

55
geführt von rollenden Gewittern

der Weltgebiether furchtbar naht,
wie wenn des Zeitenstromes Rad,
vom Sturz der Jahre umgeschwungen,
hier wälzte und mit tausend Zungen

60
des Lebens Eile predigte.


     Ihr Pilger eilt zu heiligen Altären?
Zertrümmert Marmor und Granit!
Sie können sich nicht neu gebähren,
und ihrer Lampen Oehl verglüht.

65
Hier, wo ein ewges Feuer sprüht,

hier lernt den Unbekannten ehren,
hier ist ein heiliges Gebieth.

[279]

     Der Abend ist herab gesunken,
an dieses Lichtquells hohem Rand,

70
am Felsen lieg ich feuertrunken,

seh Berge knien im Nachtgewand,
und seh sie tiefer hingesunken,
zu tragen diese Silberwand.
Ringsum ist Ruh der Kräfte, Stille

75
im sanftgekrümmten Felsenthal,

das Leben schlummert überal
aus seiner dunkeln Wolkenhülle
blickt einsam nur der Nächte Strahl.
Doch rastlos tönet fort des Rheines starke Stimme,

80
es wälzt sich immer neu die nie erschöpfte Fluth.

Ob auch von seinem wilden Grimme
des Sturmwinds müder Fittig ruht,
erlahmen nicht der Wellenhydra Flügel.
Ermatten ist der Kräfte Loos,

85
nur dieses Bild, der Gottheit Spiegel,

lebt immer, wirket immer groß.
Nie brach das stolze Wasserschloß,
ob schneller auch als Pfeilgeschoß
die Zeit mit unverhängtem Zügel

90
ein Wassermeer durch diese Felsen goß,

ob in Jahrhunderten, die hier vorüber wallten,
auch tausend Stimmen durch einander schallten,
ward ihrer keine athemlos.

     Was für ein Bild ergreift die bange Seele!

95
Des Grabes aufgerißne Höhle,
[280]

worinn die Vorwelt sich verlor,
schwebt meinem düstern Blicke vor.
Erbauen seh ich und zerstören,
Geschlechter immer neu entstehn,

100
einander drängen und vergehn,

und fortgehn ohne Wiederkehren.
Nicht Heldenruhm, nicht Würdenglanz
nicht des Verdienstes Siegeskranz
entriß sie dem gewissen Falle,

105
im Sturz der Zeiten sanken alle!

Bleibst du allein in ewig gleichem Gleis,
du weißgelockter Wellengreis?
Ob Felsen unter dir zerbrechen,
fühlst du doch nicht des Alters Schwächen,

110
und badest deine Stirn in Eis.

Es hörten deine Woogensprache
schon Völker, als noch keine Wache
auf Felsen keine Hochwacht stand,
und spät noch lauscht vom steilen Rand

115
die Traubensichel in der Hand,

der Schweitzer deinen Wellenchören,
hört ferner Waffen dumpfen Klang,
wie Rauschen von Burgunderspeeren,
und ihn ergreifet Thatendrang.


Anmerkung

  1. Vier vortreffliche Landschaftmahler.