Der Nestor der deutschen Rosengärtnerei
Ein Lebensbild.
Am frühen Morgen des 25. October vergangenen Jahres wurde in dem allbekannten Orte Köstritz in Thüringen unter einem außerordentlich zahlreichen Trauergeleite ein Mann zu Grabe getragen, der in mehr als einer Hinsicht als eine seltene Erscheinung zu bezeichnen ist. Es war der Nestor der deutschen Rosengärtnerei, Dr. Johann Ernst Herger, derselbe, nach welchem die Franzosen neue Rosen getauft und dem mehrfach deutsche Gartenschriftsteller in dankbarer Anerkennung ihre Werke gewidmet haben. Der Wirkungskreis und die ganze Persönlichkeit dieses Mannes waren so bedeutend, dazu sein Entwickelungsgang so eigentümlich und interessant, daß ein kurzes Lebensbild desselben hier wohl am Platze ist.
Johann Ernst Herger wurde am 19. April 1812 zu Köstritz, der freundlichen Residenz des Fürsten Reuß-Köstritz, geboren. Sein Vater, Johann Gottlieb Herger, ein ehrenfester Mann, besaß daselbst ein Haus nebst Garten und einigen Feldgrundstücken und betrieb einen kleinen Materialwaarenhandel. Ernst war das dritte von fünf Geschwistern und wurde wie diese in die Dorfschule geschickt, wo er sehr bald durch seinen lebhaften Geist und seine vorzügliche Begabung die besondere Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich zog, welche meinten, das Gescheidteste sei, den aufgeweckten Jungen „studiren zu lassen“. Seine Eltern waren indeß mit diesem Rathe wenig einverstanden; denn zu solchem Unternehmen fehlten ihnen die Mittel. Aber auch der Junge selber hatte durchaus keine Neigung zu derartigem Studium; zog er es doch vor, die Unterrichtsstunden im Lateinischen, die ihm, wie noch einigen anderen Knaben, der damalige Pfarrer des Ortes, der Pastor Schottin, unentgeltlich ertheilte, zum großen Leidwesen des liebenswürdigen Herrn zu schwänzen und dafür im Freien umherzustreifen. Der eigensinnige Knabe hatte sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt, er müsse ein Gärtner werden. Und so geschah es auch. Nach dem Verlassen der Dorfschule, in seinem vierzehnten Jahren wurde er zu dem damaligen Hofgärtner Mulisch in Köstritz in die Lehre gethan, und dort erlernte er die Gärtnerei drei Jahre lang.
Alsdann kam er auf Empfehlung seines Lehrmeisters Mulisch als Gehülfe in den Garten des königlichen, sogenannten japanischen Palais in Dresden. Hier ging plötzlich eine neue Welt für ihn auf: die große Stadt mit all ihrem Leben und ihren mannigfachen Reizen. Im Besonderen waren es die reichen Kunstschätze Dresdens, die auf Herger den nachhaltigsten Eindruck übten.
Aber nicht eben lange war er in Dresden, wo er mit jugendlichen Architekten und Malern in nahe Beziehungen trat, als ihn ein heftiges Unwohlsein, das sich schon während seiner Lehrzeit fühlbar gemacht hatte, aus seiner Laufbahn riß. Durch den Aufenthalt in der feuchten Luft des in unmittelbarer Nähe der Elbe gelegenen Palaisgartens hatte sich Herger das kalte Fieber zugezogen, und nachdem er endlich dank der sorgsamen Pflege, die er im königlichen Krankenhause genossen, von dieser schweren Krankheit genesen war, mußte er seine Stellung und die schöne Stadt auf den Rath der Aerzte verlassen, um sich in der reineren Luft seiner Thüringer Heimath allmählich völlig zu erholen.
Hier, im lieblichen Köstritz, lebte und wirkte damals als Arzt der in weitem Umkreise berühmte fürstliche Hofrath Dr. Schottin, der Bruder des bereits erwähnten Pfarrers, ein seltener Herr, der sich neben viel feiner weltmännischer Art ein weiches, menschenfreundliches Gemüth und trotz der ländlichen Einsamkeit, in der er wohnte, und unter allen Mühen seines praktisch-ärztlichen Berufes ein warmes Interesse auch für die theoretische Seite seiner Wissenschaft, also die Physiologie, nicht minder aber auch für reine Physik bewahrt hatte.
An diesen geist- und liebevollen Mann, der im ganzen Fürstenthum Reuß als ein Magus von naturwissenschaftlicher Weisheit galt, wandte sich auch unser Reconvalescent alsbald nach seiner Rückkehr aus Dresden mit vollem Vertrauen, und wahrhaftig, was er von diesem empfing, war mehr als ärztlicher Rath. Die Lebhaftigkeit von Herger’s Geist, sein scharfer Verstand, verbunden mit einer außerordentlich lebendigen Phantasie, und sein Sinn für wissenschaftliche Fragen jeglicher Art erregten und fesselten sehr rasch des Alten tieferes Interesse, und so führten die anfänglich blos ärztlichen Besuche sehr bald zu einem regen geistigen Verkehre, welcher dadurch, daß sich der Aeltere nicht scheute, über Wissenschaft und Leben sich offen mitzutheilen, den Jüngeren zugleich erhob und zu selbstständigem Nachdenken anfeuerte. Es war ein seltsamer Freundschaftsbund, der so entstand, ein Bund, dem nicht nur der geistige Boden, auf dem er erwuchs, sondern namentlich auch die uneigennützige, werkthätige Fürsorge, die der Aeltere dem Jüngeren fortdauernd bewies, einen wahrhaft idealen Charakter verlieh.
Freilich der gärtnerischen Ausbildung Herger’s war dieser Verkehr nicht sonderlich förderlich; vielmehr lenkte ihn derselbe für eine Reihe von Jahren in ganz fremde Bahnen und führte ihn zuletzt sogar an einen Punkt, von wo nur ein richtiger Instinct und kräftiger Entschluß ihn zur endlichen Rückkehr leiteten.
Der Verkehr mit Schottin war ein wesentlich wissenschaftlicher, und zwar blieb es nicht bei wissenschaftlicher Unterhaltung im Gespräche; bald fingen sie auch gemeinschaftlich zu arbeiten, experimentell zu forschen an, und hierzu bot ein eiserner Mörser die nächste Veranlassung, der durch einen Blitzschlag, der ihn getroffen, zum bleibenden Magneten geworden und an Schottin aus einem oberreußischen Städtchen zur näheren Untersuchung gesandt worden war. Es wäre überflüssig, hier aus einander zu setzen, ob und was bei der Untersuchung jenes Mörsers gefunden ward; genug, daß sich Herger von jener Zeit ab mit wahrhaft erstaunlicher Ausdauer der Erforschung der sogenannten magnetischen Curven hingab, einer Arbeit, die er als neunzehnjähriger Jüngling begann und die er endlich nach fünfzehn Jahren als prächtig vollendetes Werk der Welt vorlegte.
Es war, wie er später oft versicherte, die glücklichste Zeit seines Lebens, damals, als er vom frühesten Morgen bis zum späten Abend einsam in einem Oberstübchen des kleinen väterlichen Hauses, und zwar meist hinter verschlossener Thür, mit Magnetnadel und Reißzeug hantirte; dort zählte er Schwingungen und maß Winkel, bis sich dann allmählich die Resultate seiner mühsamen Zählungen und Messungen in Gestalt von schönen und zu regelmäßigen Systemen vereinigten Curven anschaulich vor dem Auge entfalteten.
Bot so schon das bloße Forschen und Experimentiren Hergern den höchsten, weil reinsten, Genuß, so wurden ihm diese physikalischen Untersuchungen auch noch zu einer Quelle ganz neuer Freuden. Durch sie wurde er mit den berühmtesten Naturforschern, besonders Physikern und Mathematikern damaliger Zeit bekannt, und noch zeugen die Briefe, die er von Fries in Jena, von Wilhelm Weber, von dem Weltreisenden Adolf Erman und von Humboldt erhielt, ja selbst ein. Schreiben von dem größten Mathematiker Gauß, ebenso sehr von dem aufmunternden Wohlwollen, das diese großen Männer dem jungen Forscher entgegenbrachten, wie von der hohen Anerkennung, die sie seinem Fleiße, seiner Experimentirkunst und seinen Erfolgen zollten. Den Glanzpunkt aber in seiner damaligen Lebensperiode und einen steten Glanzpunkt in seiner späteren Erinnerung bildete der auf Schottin’s dringendes Anrathen unternommene Besuch der Naturforscherversammlung zu Jena im Jahre 1836, wo er, vom alten Fries freundlich empfangen, in einer Sitzung der physikalischen Section, der unter Anderem Humboldt und Wilhelm Weber beiwohnten, die erste Reihe seiner prächtigen Tafeln vorlegte und dann durch allseitigen Ausdruck freudiger Bewunderung belohnt ward.
Schottin’s steter Wunsch und geheime Hoffnung gingen dahin, sein junger Freund möge der Gärtnerei ein für alle Male entsagen und ganz die wissenschaftliche Laufbahn ergreifen. Auch Adolf Erman, den Herger ein Jahr nach der Jenaer Naturforscherversammlung in Berlin persönlich kennen lernte, wünschte sehr, ihn ganz für die physikalischen Wissenschaften zu gewinnen; unter Anderem machte er Hergern den verlockenden Vorschlag, er selbst wolle ihn in kürzester Zeit so weit mit den nöthigen Beobachtungsmethoden vertraut machen, daß er an der damals eben bevorstehenden französischen Erdumsegelung unter Dumont d’Urville als physikalischer Beobachter Theil nehmen könne. Dieser Versuchung hat Herger indeß widerstanden. Bedenken sehr ernster Art, vor Allem solche, die ihm durch das Fehlen der nöthigen materiellen Mittel, sowie durch den gänzlichen Mangel einer geeigneten Vorbildung nahe gelegt wurden, gewiß aber auch sein unbändiger Trieb nach [781] persönlicher Unabhängigkeit, bewahrten ihn glücklich vor dem gefährlichen Versuche, den sicheren Boden des einmal erlernten Gewerbes für immer zu verlassen. Zwar mit der Gärtnerei hatte er sich seit seiner Rückkehr aus Dresden nie mehr beschäftigt. Alsbald nach seiner Ankunft in Köstritz hatte er vielmehr unter der Leitung eines verwandten und befreundeten Malers das Landschaftszeichnen und Malen erlernt; mit Porcellanmalen erwarb er sich den Lebensunterhalt, während sein eigentliches Sinnen und Trachten physikalischen Studien gewidmet war.
Allein fünf Jahre nach Schottin’s Tode, im Jahre 1843, als er selbst eben einunddreißig zählte und noch ehe der Druck seines großen Tafelwerkes über die magnetischen Curven beendet war, keimte in ihm der Plan, ein Handelsgärtner zu werden, wobei er allerdings mit der bestimmten Aussicht rechnen konnte, für den ersten Anfang ein
Fleckchen des kleinen väterlichen Gartengrundstückes ohne Zinszahlung benutzen zu dürfen. Nun fiel denn auch den braven Eltern ein schwerer Stein vom Herzen. Lange genug hatten sie mit bangem Kopfschütteln den sonderbaren Bestrebungen ihres Sohnes zugeschaut, und nur die Autorität und innige Theilnahme des verehrten Hofrath Schottin hatte in früherer Zeit den öfteren Ausbruch sehr ernster Scenen verhütet.
Ernst Herger dachte zunächst an die gleichzeitige Pflege von Rosen und Nelken. Aber rasch, sobald der Entschluß erst einmal gefaßt war, ging er auch an’s Werk: für einen Thaler erwarb er sich in Dresden einige Moosrosenreiser und begründete mit solchem Anlagekapital sein später so weit ausgedehntes Rosengeschäft. Gleichzeitig pflanzte er ein kleines Beet mit Nelken an. – Doch wie sich nun bekannt machen, wie seine Zöglinge vertreiben, an wen sie verkaufen? Zu diesem Zwecke sandte er im nächstfolgenden Jahre Boten mit Mustern aus; die mußten in den Dörfern und Städtchen der Umgegend zuerst Aufträge auf Nelkensenker sammeln, und siehe: es gingen deren zum ersten Mal auf sechsundzwanzig Dutzend ein. Und ein Jahr später schickte er, einen Mann mit einem Rosenbäumchen aus, um nun auch Aufträge auf solche heimzubringen, und wieder war der Erfolg ein günstiger: es kamen Aufträge auf vierundzwanzig Stück zu je einem Thaler. Dies war der Anfang des später so großartigen Handelsgeschäfts.
Es war eine eigenthümliche energische Thätigkeit, die Herger in jenen Tagen zu entwickeln wußte. In Leipzig wurden eben die prachtvollen Tafeln zu seinen magnetischen Untersuchungen gestochen, und diese schwierige Aufgabe verlangte sehr häufig seine Gegenwart in der entfernten Stadt. Da machte er sich meist des Nachts auf den Weg und legte die vierzehnstündige Strecke von Köstritz bis dorthin zu Fuße zurück, und kaum war dann in Leipzig sein Geschäft beendet, so wendete er unverzüglich seine Schritte wieder der Heimath zu, wo nothwendige Gartenarbeit seiner harrte.
Seine Thätigkeit kannte kaum noch Grenzen. Zur Cultur hochstämmiger Rosenbäume brauchte er langaufgeschossene Rosenwildlinge. Zu ungeduldig, um lange zu warten, bis die von ihm ausgesandten Leute – meist Tagediebe, die gern vagirten – ihm solche brächten, machte er sich lieber sogleich selber an die Arbeit, und nun sah man den Mann, der noch vor Kurzem die Schwingungen der Magnetnadel gezählt, den Zeichenstift und Malerpinsel geführt hatte, mit einer schweren Hacke auf dem Rücken, die Wälder der Umgegend durchstreifen und auf die dornigen Ruthen fahnden, von deren Werth damals noch Niemand etwas ahnte. So viel ist gewiß: hatte Herger irgendwo vom Standorte eines prächtigen Rosenwildlings erfahren, und wäre dies der gepflegte Gartenzaun irgend eines grimmigen Hofbauern gewesen: der Wildling mußte heraus und sein eigen werden.[1]
Von nun an – das heißt von der Mitte der Vierziger Jahre an – gedieh die Herger’sche Rosenzucht und der Herger’sche Rosenverkauf zusehends. Schon nach zwei Jahren war das Fleckchen elterlichen Gartens, mit dessen Anbau er ursprünglich begonnen, für die erweiterten Bedürfnisse zu enge; es mußte mehr Raum geschaffen, neues Land erworben werden. Zuerst wurde nun von einem Nachbar ein schmales Streifchen für 140 Thaler erhandelt; von da ab aber, innerhalb fünfzehn Jahren, wuchs der Garten durch immer neuen Landankauf zu der beträchtlichen Größe von zwölf Morgen Grundfläche an, die er im Wesentlichen heute, wo er längst in andere Hände übergegangen, noch immer besitzt. Die Zahl der hochstämmigen Rosenbäume, die, veredelt und in sauberen und wohlgeordneten Schulen an einander gereiht, auf diesem Grundstücke standen, betrug längere Jahre hindurch mehr denn 70,000, und daneben wieder waren mehrere andere Morgen Landes mit wurzelechten Strauchexemplaren bepflanzt, sodaß dort zur Zeit der Blüthe ein wahrhaftes Meer von Rosen zu schauen war.
Wenn man fragt, durch welche Mittel denn die Rosenzucht Herger’s zu so rascher und glänzender Blüthe gelangte oder wie es kam, daß sich seine Rosen schon binnen weniger Jahre einen wahren Weltruf erwarben, so läßt sich dieser Erfolg, abgesehen von der damaligen Zeit, die vielleicht dem ganzen Unternehmen von vornherein günstig war, im Wesentlichen auf die tüchtige Art und die besondere Begabung des Mannes selbst zurückführen. Zunächst war Herger nicht etwa nur bestrebt, von allen namentlich in Frankreich und Belgien gezüchteten Rosen stets nur die neuesten in Deutschland einzubürgern; mit sicherem Blicke erkannte und wählte er hierzu vielmehr die tüchtigsten, besonders für deutsches Klima geeigneten. Er verschwendete nicht lange Zeit, Mühe und Geld vergebens an Sorten, die nun einmal in seinem Garten nicht gedeihen wollten; er vermehrte dauernd nur solche, die seine sorgfältigste Prüfung bestanden, und ließ, wie ein Vergleich seiner verschiedenen Kataloge erkennen läßt, mit Entschiedenheit fallen, was sich nicht als genügend kräftig bewährt hatte. Alsdann aber waren es auch hier wieder Herger’s erfinderischer Geist und sein bedeutendes Geschick im Experimentiren, wodurch das ganze Unternehmen von Anfang an sehr mächtig [782] gefördert ward. So ist z. B. allen Sachverständigen bekannt, welche sinnreiche Vorrichtungen er erdachte, um junge, auf Wildlinge oculirte Augen vor den schädlichen Einflüssen ebenso des grellen Sonnenlichtes wie der rauheren Winde zu bewahren, und allgemein wenden jetzt die Köstritzer Gärtner ein von ihm ersonnenes Verfahren an, um veredelte Kronenbäumchen zur Zucht wurzelechter Buschrosen zu verwerthen.
Aber bei seinem energischen Triebe nach immer erneuter Thätigkeit genügte Hergern die Zucht der Rosen zuletzt nicht mehr allein. Als begeisterter Freund der Landschaftsgärtnerei begann er im Jahre 1870 noch außerdem die Pflege von Ziergehölzen und besonders von buntblätterigen Eichen; binnen wenigen Jahren durfte er sich sagen, den Cultus auch dieser Gartenzierden in Deutschland, wenn nicht geschaffen, so doch am raschesten gefördert zu haben; denn schon im Jahre 1875, wo sein Verzeichniß dieser Zöglinge erschien, wanderten mit den Rosen auch bereits Tausende Herger’scher Eichen in alle Lande.
Endlich, im Jahre 1877, verkaufte er im Gefühle geschwächter Gesundheit den größten Theil des Gartens und des Geschäfts[2] aber durchaus nicht, um von nun ab träge und bequem der Ruhe des Alters zu genießen. Zwar pflegte er gern, wenn er jetzt langsamer dahinschreiten mußte, in seiner gemüthvollen Weise die Worte aus „Faust“ zu sprechen:
„Nun aber geht es weise, geht bedächtig –“
aber noch immer fühlte er „Kraft zu kühnem Fleiß“ und Drang zu neuem Schaffen. Er folgte diesem Drange, indem er auf einem Grundstücke, das er erst 1877 neu erworben und das halbinselartig auf zwei Seiten strömende Flüsse umgaben, eine kleine parkartige Anlage schuf, deren steter Erweiterung und Verschönerung nunmehr der Rest seines Lebens gewidmet war. Hier stand er an der Spitze einer kleinen Schaar rüstiger Erdarbeiter und kämpfte zunächst gegen die reißenden Fluthen. In der That, wie der gealterte Faust in noch einmal aufflammender Thatenlust seine letzte Lebensaufgabe darin sucht,
„Das herrische Meer vom Ufer auszuschließen,
Der feuchten Breite Grenzen zu verengen
Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen“,
in gleichem Sinne, nur in kleinerem Kreise, schaffte Herger in seinem Alter. „Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!“ rief er oftmals wie jener, und stolz und zufrieden sah er noch kurz vor seinem Tode auf den bezwungenen Elsterfluß.
Noch zweierlei Freuden seltener Art waren ihm in rüstigem Alter zu genießen vergönnt. Die erste wurde ihm durch eine späte wissenschaftliche Auszeichnung bereitet, welche ihm für seine Forschungen über magnetische Curven im Jahre 1877 zu Theil ward; es war die Belohnung mit dem Doctorgrade honoris causa von Seiten der naturwissenschaftlichen Facultät in Tübingen, bei Gelegenheit der Feier des vierhundertjährigen Jubiläums der Universität. Den zweiten, einen von ihm längst ersehnten Genuß empfand er aber noch wenige Wochen vor seinem Tode, und zwar, im Anschauen jener ewig klassischen Stätten und herrlichen Himmelsstriche Roms und des glücklichen Campaniens.
Nach längerem, wenn auch nur leichtem Unwohlsein lebte er noch einmal dort auf. Energisch wies er noch jede Unterstützung zurück, als es nach vollbrachtem Aufstieg mit der Drahtseilbahn die letzte Spitze des Vesuv in tiefer vulkanischer Asche mit eigenen Füßen zu erklimmen galt, und wenn gleich auf’s Aeußerste erschöpft, war er doch überglücklich, als er dann oben die große Erscheinung, unmittelbar vor sich sah. Vom Krater des Vesuv, wie von den Meerklippen des Sireneneilands Capri, wo er vier heitere Tage verlebte, brachte er eine Anzahl von ihm selbst gezeichneter Skizzen zurück, in der Absicht, dieselben während der nordischen Wintertage in vergnügter Erinnerung an den sonnigen Süden sorgfältig auszuführen, allein diesen Wunsch zu erfüllen war ihm nicht mehr gestattet.
Schon während der Heimreise, in Rom, erkrankte er, raffte sich indeß noch einmal empor und erreichte, scheinbar gesund, gegen Mitte October die thüringische Heimath. Hier aber befiel ihn nach wenigen Tagen eine schwere Krankheit, welcher er dann sehr bald erlag. Er starb am 21. October, nach vergeblichem Kampfe, am erneuten Anfalle eines chronischen Brustleidens, das er sich schon längst als Folge gärtnerischen Schaffens in Wind und Wetter zugezogen, im Alter von achtundsechszig Jahren.
Es hat etwas Tragisches, dieses rasche Ende eines mit energischer Thätigkeit erfüllten Lebens gerade zum Beschlusse einer Reise, auf welcher ein lebenslang sehnsüchtig gehegter Wunsch – der, jene schönsten Gegenden der Welt mit eigenen Augen zu schauen – noch endlich in Erfüllung gegangen, aber zugleich liegt doch auch in der Art, wie hier der Tod den Zeitpunkt seiner Heimsuchung gewählt hat, etwas Tröstliches: Herger starb, nachdem er sein Tagewerk im Großen und Ganzen vollendet, und nicht nur dies – er starb erst, nachdem er vorher noch den höchsten Genuß, der ihm beschieden war, voll empfunden; vom gebrechlichen Alter mit all seinen Leiden und bitteren Täuschungen ist er verschont geblieben.
Herger war eine energische, aber zugleich eine ideale Natur. Er besaß neben rastlosem Schaffenstrieb, neben hohem persönlichem Muth und einem stolzen Unabhängigkeitsgefühl ein weiches, poetisch gestimmtes Gemüth. Das haben nicht nur seine Angehörigen und nächsten Freunde, auch Fernerstehende haben es oft wohlthuend erfahren. Trockene geschäftliche Correspondenz füllte sein vielseitiges Interesse nicht aus; in seinen Briefen verbreitete er sich gern noch über andere als nur gärtnerische Fragen, und so erwuchs allmählich aus manchem anfangs blos geschäftlichen Verkehre mit Männern, die er nie gesehen, ein dauernder, inniger Freundschaftsbund. In der Sammlung interessanter und ihm theurer Briefe, die er wohlgeordnet hinterlassen, finden sich solche von ausgezeichneten Geschäftsfreunden, von Fürsten, Gelehrten und Dichtern, von hohen geistlichen Würdenträgern und Mönchen, vor allen aber fesseln darin neben den bedeutsamen Schreiben von Gauß und Weber zwei rührend freundschaftliche Briefchen, die er von Friedrich Rückert empfangen.
In der persönlichen Unterhaltung war Herger äußerst lebhaft; er sprudelte von harmlosem, gutmüthigem Humor und liebte es, wissenschaftliche Fragen aufzuwerfen; bei solcher Gelegenheit entwickelte er meist eine Fülle von Phantasien und eigenen Ideen.
Erst in seinem siebenundvierzigsten Jahre hat er sich verheiratet, aber seine Ehe war kinderlos. In der bewegten Mitte unseres Jahrhunderts hatte er auch am politischen Leben thätigeren Antheil genommen, und jederzeit war und blieb er ein warmer Verfechter freiheitlicher Institutionen.
Und nun zum Schlusse nochmals ein Wort über Herger’s Verhältnis zur Wissenschaft.
Man hat es oftmals bedauert, daß er sich nicht völlig der Wissenschaft und namentlich der Physik gewidmet, und kein Geringerer als Wilhelm Weber in Göttingen schrieb an Herger: „Bei dem von Ihnen bewiesenen großen experimentellen Talente wünschte ich von Herzen, daß Sie recht bald eine Stellung erhielten, die Sie nicht allein für Ihre großen Anstrengungen und Aufopferungen belohnte, sondern Ihnen auch die Freiheit verschaffte, Ihr Talent zum Besten der Wissenschaft ferner zu nützen. Es würde Ihnen gewiß nicht fehlen, einen neuen Gegenstand zu finden, der Sie befriedigte, wenn auch in einem anderen Gebiete der Physik, wo noch weniger vorgearbeitet und dadurch noch mehr die Möglichkeit gegeben wäre, durch genaue Erforschung der Thatsachen neue Bahnen zu brechen.“
Indeß, wer den Verstorbenen genauer gekannt, beklagt es nicht, daß derselbe dem praktischen Leben erhalten geblieben. Herger war eine durchaus künstlerisch und zugleich zum Schaffen im Großen angelegte Natur und nicht dazu veranlagt, als trockener wissenschaftlicher Arbeiter still dahin zu leben; er war erfinderisch und besaß viel schöpferische Einbildungskraft, aber er war nichts weniger als ein mathematischer Kopf. Herger genügte nicht – wessen sich ja, wie man sagt, gewisse Mathematiker so gerne rühmen – die bloße Gleichung des Kreises oder der Ellipse; er wollte den Anblick der schönen geometrischen Figur. Er war ein Mann der Anschauung, und weil dies der Fall und nur weil dies der Fall, fesselten ihn so lange jene Forschungen über magnetische Curven. Herger hatte nicht allein Freude am Gesetz, sondern auch an dessen schöner Form; im Gesetz, verlangte er, sollte sich immer zugleich etwas Schönes offenbaren; etwas Anderes, äußerte er oft, „genügte ihm nicht“.
Diese künstlerische Auffassung der Dinge machte sich auch in seinem gärtnerischen Schaffen entschieden bemerkbar. Wer von einer der zahlreichen angebrachten Lauben aus Herger’s Garten übersah, den berührte es wohlthuend, wie bald die leuchtenden Kirchthürme entfernter Dörfer, bald stattliche Baumexemplare auf den Wiesen im Thale als Visirpunkte gedient und die Anlage bestimmt hatten. Das Zufällige und Planlose war Herger’s Natur so zuwider wie das Ungraziöse und Unschöne, aber [783] ebenso haßte er auch das Unfertige, das Unvollendete. Er war darin nicht strenger gegen seine Arbeiter, wie gegen sich selbst. Es dauerte lange, bis er sich und den Anforderungen, die er an eigene Schöpfungen stellte, völlig Genüge gethan. Dafür liefert die Entstehung seines großen Tafelwerkes das beredteste Zeugniß; denn nachdem man ihn schon zur Publication desselben aufgefordert, arbeitete und feilte er noch acht Jahre daran, ehe er es der Welt vollendet vorzulegen wagte.
Wohl durfte man mit Wilhelm Weber zuversichtlich erwarten, daß ein so geschickter und findiger Experimentator, wie Herger, wenn ganz der Wissenschaft ergeben, noch vielerlei in der Physik erforschen, manch neuen Erscheinungen auf die Spur kommen werde, allein, ob Herger’s ausgesprochener Trieb, das Neugefundene nun auch allemal künstlerisch darzustellen, bei der wesentlich mathematischen Richtung der heutigen Physiker die verdiente Würdigung gefunden hätte, ist mehr denn zweifelhaft.
Mit Recht hat sich Herger dem freien Berufe eines Gärtners zugewandt, und anstatt dies zu beklagen, sollte man sich darüber vielmehr freuen; denn daß er hier, im freien Reiche des lebendig Schönen, für neuschaffende Thätigkeit, wie für künstlerisches Walten einen geeigneten Schauplatz gefunden, das hat ja die Folge bewiesen.
- ↑ Als später der Bedarf von starken Rosenwildlingen immer bedeutender wurde, reichte die nähere Umgebung zu deren Production bald nicht mehr aus, und einzelne vagirende Lieferanten Herger’s erstreckten nun ihre Streifzüge weit hinein in die Thüringischen Wälder, ja sogar bis in den nördlichen Harz, in die tiefen Waldschluchten am Fuße der Harzburg.
- ↑ Sein Nachfolger ist Herr Conrad von Borgsdorff, als Gärtner ausgebildet in den berühmten Gärtnereien zu Muskau.