Der Momentphotograph auf dem Manöverfelde

Textdaten
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Autor: H. E.
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Titel: Der Momentphotograph auf dem Manöverfelde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 635-638
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Momentphotograph auf dem Manöverfelde.

Aus den Papieren eines Nichtphotographen.

Sie photographieren doch auch?“

„Nein!“

„Was? Nicht? Wie merkwürdig!“

Da hatte ich sonach mein Urtheil weg. Ich gehörte also in die Klasse der merkwürdigen Leute, weil ich nicht photographierte, in eine Klasse mit den höheren Töchtern, die nicht Klavier, den Engländern, welche nicht Lawn-Tennis spielen, den Tertianern, die keine Briefmarken sammeln. und den Rezensenten, welche die Bücher ganz lesen, über welche sie schreiben. Es ist ja keine schlechte Gesellschaft. in der ich mich da befinde, aber – wir sind eben doch merkwürdige Leute.

Wenn es nicht zu meinen Grundsätzen gehörte: „Leben und leben lassen!“ so konnte ich eigentlich einen gelinden Ingrimm empfinden gegen die nicht merkwürdigen Leute, welche photographieren. Sie verfolgen einen wie die Melodie eines Gassenhauers, die man nicht loswerden kann. Da steige ich hinauf auf die höchsten Zinnen des Gebirgs – und was keucht vor mir her? Ein Träger ist’s, welcher im Schweiße seines Angesichts einen photographischen Apparat über Eis und Schnee 3000 und mehr Meter hoch hinaufschleppt. Ich bummle am Gestade des Meeres und finde es garniert von einer Plänklerkette von Liebhaberphotographen. Ich lausche den Klängen irgend einer Kurmusik, und plötzlich sehe ich aus einem unheimlichen lederbezogenen Kästchen ein großes schwarzes Auge mich anstieren. Ich suche einen berühmten Aussichtspunkt auf, und was mir von weitem schon das Ziel verräth, ist ein Stativ, dessen dürre Beine sich am Horizont abzeichnen. Nicht Mensch, nicht Thier, keine Welle und keine Felszacke, kein Baum und kein Bach, kein Wirthshaus und kein Kirchhof ist mehr sicher vor dem Photographiertwerden. Kein „Luftkurort“, der nicht seine öffentliche Dunkelkammer gegen mehr oder minder mäßiges Entgelt den „Herren Amateurs“ zur Benutzung anböte, keine Abendgesellschaft, die nicht durch die vorgelegten Aufnahmen des Hausherrn oder der Hausfrau, durch Gespräche über Gelatineplatten, Fixierbäder und andere chemische Geheimnisse gewürzt würde. Obwohl auf mich noch nie ein Attentat verübt wurde, so kann ich doch mit Bismarck fühlen, der sich schon darüber beklagte, wenn er spazierengehe, so knacken rechts und links in den Büschen die Momentverschlüsse, daß er nie wisse, ob er erschossen oder photographiert werden solle. Und wenn ich mich wieder nach einer Sommerfrische umsehe, so werde ich ein Inserat in den gelesensten Zeitungen des In- und Auslandes erlassen des Inhalts: „Gesucht wird ein stiller Ort, wo nicht photographiert wird.“ Ob ich ihn finden werde? –

Wer will es mir verdenken, daß ich meinem mich merkwürdig findenden Gefährten, mit dem ich an einem Septemberabend im Wirthshaus des von Einquartierung wimmelnden Landstädtchens zusammensaß, als Erwiderung auf sein vernichtendes Urtheil meinen Groll gegen die Photographierseuche – ich will zugeben, stärker, als ich ihn eben selbst empfand – ins Gesicht warf. Ich mußte freilich bald bemerken, daß ich bei ihm ganz an den Unrechten gekommen war. Er war von der neuen Krankheit schon so sehr angefressen, daß meine Verschnupfung über das Ueberhandnehmen der „Landplage“ auch nicht den geringsten Eindruck auf ihn machte. Er ließ mich reden und grollen und fragte mich am Schlusse meiner längeren Auseinandersetzung statt jeder Antwort einfach:

„Kommen Sie morgen mit?“

„Ich? Wohin?“

„Dem Manöver nach. Ich photographiere.“

Da hatte ich denn den Erfolg meiner Brandrede! Statt zerknirscht zu Kreuze zu kriechen, lud er mich zu einem photographischen Schlachtenbummel ein! Und ich, was wollte ich machen? Der Manövertaumel hatte ohnedies die ganze Gegend angesteckt, meine Besorgungen, die mich hier herausgeführt hatten, konnte ich unter sothanen Umständen doch nicht erledigen, an Gesellschaft mangelte es mir gänzlich, und so schluckte ich in Gottes Namen meinen Widerwillen gegen die photographierende [636] Menschheit hinunter und sagte zu, mit dem geheimen Vorbehalt, mich um den nach Aufnahmen jagenden Genossen möglichst wenig zu kümmern und lediglich meinem eigenen Vergnügen an dem militärischen Schauspiel zu leben.

Damit hatte ich nun freilich wieder die Rechnung ohne den Wirth oder vielmehr ohne den Photographen gemacht. Als ich am andern Morgen in dämmernder Frühe aus dem Winkel von Gelaß hervorkroch, in welchem ich bei der Ueberfüllung der – Ortschaft noch Unterkunft gefunden hatte, da hielt vor der Thür des Wirthshauses ein leichtes Federwägelchen, und mein Widerpart von gestern abend lud mich mit der ritterlichsten Höflichkeit ein, darauf Platz zu nehmen. Das ging denn auch für meine Person ganz gut, denn neben dem Kutscher war noch ein Sitz frei. Der Wagenkasten hingegen war vollständig ausgeräumt und wies auch nicht die geringste Spur einer Sitzgelegenheit auf.

Batterie im Feuer.

„Aber wo sitzen denn Sie?“ konnte ich nicht unterlassen, rücksichtsvoll zu fragen.

„Hier!“ lautete frischweg die Antwort. Damit schwang er mit geübter Hand seinen ansehnlichen Apparat hinten in den Wagenkasten, das Stativ nach, und mit einem eleganten Ruck war er selbst oben und machte es sich auf dem Boden des Wägelchens bequem, alsbald damit beschäftigt, das Stativ aus seiner Wachstuchumhüllung zu befreien. und zum Aufstellen fertig zu machen.

Unser Kutscher, ein Reservist der Kavallerie, wußte natürlich, dank seiner kaum abgeschlossenen militärischen Vergangenheit, genau Bescheid. Bald hatte er uns denn auch eine sanfte Anhöhe hinaufbugsiert, auf der eben eine Batterie auffuhr, um mit einigen wohlgezielten Manöverkartuschen dem bösen „Feind“ den ersten Morgengruß zu senden; Auch mein Lichtbildner hinten machte alles „klar zum Gefecht“. Ich muß gestehen, daß ich in Erwartung des ersten Schusses einige Sorge um die Seelenruhe unseres noch ganz kräftig ausschauenden Braunen vor dem Wagen empfand; und treu dem christlichen Gebot der Feindesliebe stieg ich rasch hinten in den Kasten, um im Nothfall von den photographischen Kostbarkeiten retten zu helfen, was zu retten war. Mein Freund – ich will ihn Thomas nennen – schien dies kaum zu bemerken.

Vormarsch in Kompagniekolonnen.

Er lächelte nur geheimnißvoll, das Auge starr auf die auffahrende Batterie gerichtet und – in den Donner des ersten Schusses machte sich nahe an meinem Ohre ein kurzes Klappen. Der Braune stand wie eine Mauer, Thomas aber zog gelassen die Kassette mit der benutzten Platte aus dem Apparat, drehte sie herum, schob sie wieder hinein und notierte mit ruhiger Hand in sein Taschenbuch: „Kassette I., 1. Batterie im Feuer.“ Die nachfolgenden Schüsse betrachtete er sich lediglich als gemüthlicher Zuschauer – er war augenscheinlich seiner Sache sicher.

Ich muß sagen, diese Feldherrnruhe imponierte mir nicht wenig, und in die Abneigung gegen die Hantierung an sich machte sich doch eine gewisse Hochachtung vor der Persönlichkeit, welche dieselbe mit solcher Virtuosität ausübte. Diese letztere Empfindung mag es denn auch bewirkt haben, daß ich, als wir den vorrückenden Truppen nach langsam weiter fuhren, nicht auf den Kutscherbock zurückkehrte, sondern mit Thomas und seinem Stativ den Raum im Wagenkasten theilte, so gut es eben ging. Als wir einen Augenblick hielten, um ein paar Kompagniekolonnen von hinten aufzunehmen, [637] welche sich vor uns an einer Geländewelle hinaufschoben, da habe ich mich angeblich sogar durch kleine Handlangerdienste nützlich gemacht. Worin sie bestanden haben könnten, weiß ich nicht mehr. Aber es muß wohl so etwas vorgekommen sein, Thomas behauptete es wenigstens hinterher.

Befehlsausgabe.

Das Manöver nahm seinen Verlauf. Näher und näher rückten sich die kämpfenden Theile, vom rechten Flügel herüber hörte man schon die kurzen Sturmschläge der Tamboure, da – ein Signal: „Das Ganze halt!“ und gleich darauf das zweite, den fechtenden Truppen bis hinauf zum Zugführer noch ungleich willkommenere: „Offiziersruf“. Das gab ein bewegliches Leben als Einleitung zur hocherwünschten Ruhepause.„Setzt die Gewehre zusammen!“ – „Gepäck ab!“ – „Vizefeldwebel Bohle, kommandieren Sie zwölf Mann zum Wasserfassen!“ – so tönten rings um uns die Befehle durcheinander, während auf einem das Gelände beherrschenden Hügel der leitende Korpskommandeur die höheren Offiziere mit ihren Adjutanten und die Führer bis herab zu den Herren Kompagniechefs um sich versammelte zur Kritik. Sie dauerte lange, und der Herr Kommandierende muß viel zu bemerken gehabt haben, vielleicht nicht immer Schmeichelhaftes – wir von unserem Standpunkt aus konnten nur hie und da eine Hand an den Helmrand fahren sehen und daraus entnehmen: „Aha, von Dir ist jetzt die Rede!“ Nach geraumer Zeit löst sich aus der dichten Schar eine Anzahl Adjutanten, von weitem an ihren breiten von der rechten Schulter zur linken Hüfte laufenden Schärpen erkennbar; sie sitzen ab und bilden abseits eine gesonderte Gruppe; als ob sie irgend etwas Geheimnißvolles miteinander zu bereden hätten. Einer spricht, die andern schreiben eifrig: es sind die Befehle für die Fortführung der Uebung, die ein Adjutant des Generalkommandos diktiert.

Vielleicht war es nur ein Anflug von Langerweile, die mich meinen Freund Thomas auf diese Gruppe aufmerksam machen ließ mit der – übrigens im Tone eines gänzlich Unbetheiligten hingeworfenen – Frage, ob er die nicht photographisch festnageln wolle. Und er that es lächelnd, mit einem größeren Vergnügen, als es der Vorgang an sich zu rechtfertigen schien.

Biwak.

Da – eine Bewegung auf dem Hügel der Mächtigen. Der Haufen löst sich. In rascherem oder schnellerem Tempo, je nach der zurückzulegenden Entfernung, traben, galoppieren die Führer den ihnen unterstellten Truppentheilen zu. Die Lieutenants recken die Köpfe, die verschlafenen Mannschaften reiben sich die Augen, und schon aus weiter Ferne ruft ihnen der heraneilende Kompagniechef das Kommando zu: „An die Gewehre!“. Abgeschüttelt ist mit einem Mal alle Schläfrigkeit, hurtig das Gepäck um, die Gewehre in die Hand, damit das Signal „Das Ganze marsch!“ alles bereit findet. Und weiter wogt die unblutige Schlacht, weiter schleppt auch uns unser Brauner zu ferneren Thaten der Lichtbildkunst.

Es dauert nicht mehr lange, da merkt unser doch auch einigermaßen militärisch geschultes Auge, daß es sich nur noch um ein kriegsmäßiges Abbrechen des Gefechtes handelt: Dank einer ausgebreiteten Personalkenntniß hatte unser getreuer Anton auf dem Bocke längst in Erfahrung gebracht, wo die Vorposten ihre Biwaks beziehen würden, und dahin ging auch unsere Fahrt. Ein Biwak, diesen – wohlgemerkt, bei gutem Wetter! – romantischsten Einschlag im romantischen Manöverleben, das wollte auch ich recht gern wieder einmal aus der Nähe besehen. Gehörte es doch zu den vergnüglichsten Punkten in meinen eigenen Manövererinnerungen, die nun doch schon immerhin ihre zwanzig Jahre zurücklagen. Also, treuer Anton, auf nach dem Biwak!

In gemächlichem Trabe trottete unser kanonensicherer Brauner auf dem Landsträßchen dahin, das wohl schon lange nicht mehr [638] so viele Menschen auf sich hatte herumtreten sehen. Denn selbstverständlich hatte sich allmählich die gesamte Einwohnerschaft von zehn Meilen in der Umgegend gesammelt, um das Kriegsschauspiel und die mitwirkenden Kräfte – und wären es auch nur Statisten – sich anzusehen. Der Nachmittag war geradezu prachtvoll, warm und doch nicht drückend, die Sonne schon stark gegen Westen geneigt. Endlich, von einer Anhöhe, über welche die Straße sich hinüberzog, fiel unser Blick seitwärts auf eine flache Mulde, und da lag es vor uns, das lustige Bild militärischer Häuslichkeit im Freien, das Stückchen Zigeunerleben mit seinen wirbelnden Kochfeuern, seinen Planwagen, seinen geschäftig hin und her eilenden oder bei irgend einer Arbeit zusammenkauernden Staffagefiguren. Ich war so entzückt von dem überaus freundlichen Anblick, daß ich in diesem Augenblick die größte Dummheit meines Lebens beging. Ich faßte Thomas, den fatalen Photographen, beim Arm und schrie ihn mit fast aufgeregter Stimme an: „Sie, lassen Sie halten, das müssen wir photographieren!“

Jetzt lachte Thomas wirklich, und zwar hellauf.

„Sie sind nicht unverbesserlich,“ meinte er. „Wenn Sie sich demnächst auch ,so einen‘ anschaffen wollen, so kann ich Ihnen die Firma hier empfehlen.“ Und er wies auf ein schmales Perlmutterplättchen an der fein polierten Außenseite seines Apparats, auf dem mit zierlichen Buchstaben eine Adresse eingegraben stand.

Ich aber, ich kam mir jetzt selbst merkwürdig vor! H. E.