Der Leipziger Buchhandel vor 1848

Textdaten
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Autor: A. C. W.
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Titel: Der Leipziger Buchhandel vor 1848
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 672
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[672] Der Leipziger Buchhandel vor 1848. Einer der interessantesten Abschnitte in der Geschichte des Leipziger Buchhandels ist ohne Frage der Zeitraum von 1830 bis zum Bewegungsjahre 1848. Jene Zeitperiode hat ihm ein ganz eigenartiges Gepräge aufgedrückt. Nachdem durch die endgültige Besiegung Napoleon’s des Ersten das Regierungssystem des Fürsten Metternich in Deutschland und Oesterreich, ja fast in ganz Europa wieder zur absoluten Alleinherrschaft gelangt, war in den dreißiger und vierziger Jahren der Leipziger Buchhandel der hervorragendste Vermittler, durch den die größten Geister der deutschen Nation zu dieser sprachen und für die in den langen Kriegsjahren dargebrachten Opfer von den deutschen Regierungen das Einschlagen einer liberalen Richtung und gleichzeitig die Gewährung einer Verfassung verlangten. In diesen Kämpfen hat der Leipziger Buchhandel als Dolmetsch des aufgeklärten, liberalen Deutschlands sich unleugbare Verdienste erworben.

Dabei ist es eigenthümlich, daß jene Bewegung und die massenhaft von gewissen Regierungen erlassenen Bücher- und Zeitschriftenverbote die materielle Lage des Leipziger Buchhandels durchaus nicht schädigten, sondern vielmehr für viele Firmen die directe Veranlassung zu einem raschen, gedeihlichen Aufschwunge wurden. Was speciell die Bücher- und Zeitschriftenverbote betrifft, so befand diesen gegenüber der damalige Leipziger Buchhandel sich im vollen Kriegszustande, der also naturgemäß für viele Verlagsbuchhandlungen eine ganze Reihe Kriegslisten im Gefolge hatte. Diese galten vor allem für den Verkehr mit dem damals gegen jeden freiheitlichen Hauch noch hermetisch verschlossenen Oesterreich. Ueberhaupt war in jener Zeit dem Fürsten Metternich und seinen Regierungsleuten ganz Leipzig eine Stadt des ketzerischen und politisch-demagogischen Gräuels; denn hier hatte sich an der Seite der für die religiöse und politische Befreiung Deutschlands thätigen Verlagsbuchhandlungen eine Reihe Schriftsteller und Publicisten niedergelassen, deren Namen kaum in Oesterreich genannt werden durften, geschweige denn ihre Werke und Schriften.

Von jenen Männern, die damals in Leipzig wirkten, nennen wir hier nur die Führer der deutsch-katholischen Bewegung Ronge und Czerski, die Schriftsteller E. M. Oettinger, Redacteur des „Charivari“, Herloßsohn, Redacteur des „Komet“, und Kuranda, Redacteur der „Grenzboten“. Wiewohl alle diese Namen und noch manche andere in Oesterreich überaus übel angeschrieben waren, so warf man dort noch einen ganz besonderen Haß auf E. M. Oettinger. Dieser trieb es nämlich in seinem „Charivari“ allzu boshaft. In jeder Nummer desselben war beispielsweise jahrelang unter den Notizen, die den Gesammttitel „Zapfenstreich“ führten, eine Wiener „Neuigkeit“ folgenden Inhalts zu lesen: „Graf Sedlnitzky ist noch immer Präsident der hiesigen Polizei- und Censur-Hofstelle.“ Diese Notiz allein wäre unter den damaligen Verhältnissen hinreichend gewesen, Oettinger, falls er österreichischen Boden betreten hätte, nach dem gefürchteten Spielberg zu liefern.

Aber wären auch sämmtliche in Leipzig erscheinende, der frei-religiösen und politisch-liberalen Richtung huldigende Bücher und Zeitschriften, unter welchen letzteren wir hier beiläufig nur Ernst Keil’s unerschrocken kämpfenden „Leuchtthurm“ nennen, in Oesterreich verboten gewesen, sie hätten dort dennoch reißenden Absatz gefunden. Wir haben vorher von einer Reihe von Kriegslisten gesprochen, deren sich die Leipziger Verlagshandlungen bedient, um ihren in Oesterreich verbotenen Werken und Schriften Eingang zu verschaffen. Selbstverständlich bezogen sich jene Kriegslisten vor Allem auf die Art, wie die Bücherballen mit ihrem verbotenen Inhalte versendet, beziehungsweise über die österreichische Grenze gebracht wurden.

Da gab es gar mancherlei erfindungsreiche und nicht selten auch lustige Auskunftsmittel. Galt es z. B. ein verbotenes Buch in vielen Exemplaren nach Oesterreich zu bringen, so versah man jenes häufig mit einem anderen Umschlage und Titelblatt, worauf nicht eine Leipziger Buchhandlung, sondern eine befreundete, zuverlässige Firma in Baiern, Westfalen oder in den Rheinlanden als Verleger angegeben war, gegen welche Länder man, weil sie katholisch, in Oesterreich weniger Mißtrauen hegte, als gegen das „ketzerisch-demagogische“ Leipzig. So führte oftmals ein in Oesterreich streng verbotenes Buch auf seiner Reise dahin die salbungsvollsten Titel: „Stunden der Andacht für katholische Christen“, „Ausgewählte inbrünstige Gebete zur heiligen Jungfrau Maria“ und ähnliches mehr. Zur größeren Sicherheit entsprach auch noch der Inhalt der ersten Seiten des betreffenden Buches dem frommen Titel, wodurch die österreichischen Censoren, die unmöglich alle aus Deutschland[WS 1] angelangten Bücher vom Anfange bis zu Ende zu lesen vermochten, jahrelang getäuscht wurden.

Ueberdies war noch an der sächsisch-böhmischen Grenze eine geheime Buchhändlerpost organisirt, welche ganz geschäftsmäßig die Versendung von verbotenen Büchern und Zeitschriften nach Oesterreich besorgte. Nur in seltenen Fällen ward seitens der österreichischen Censur eine oder die andere dieser Kriegslisten entdeckt, was aber für den geheimen Bücherexport niemals von lange störenden Folgen begleitet war.

Zu der eben beschriebenen Versendungsweise mußte auch wieder während der Reactionsperiode zurückgegriffen werden, die in Oesterreich, nach der Märzbewegung, im October 1848 eingetreten war. Zu den damals in Oesterreich und Ungarn ganz besonders verfolgten, aber dennoch überaus verbreiteten Zeitschriften zählte in erster Linie Ernst Keil’s „Leuchtthurm“, der bekanntlich ein Vorläufer der „Gartenlaube“ war. Da der „Leuchtthurm“ den österreichisch-ungarischen Zuständen und Vorgängen eine eigene, von zahlreichen, tüchtigen Mitarbeitern unterstützte Rubrik gewidmet hatte, so war das, wir möchten sagen, öffentlich-geheime Interesse an jener Zeitschrift in fortwährender Zunahme begriffen. Der „Leuchtthurm“ ward nicht allein in vielen tausend Familien gelesen, sondern war auch, trotz des Verbotes, in jedem besseren Café Wiens, Pests und der größeren Provinzstädte zu finden. Freilich lag das Blatt nicht öffentlich auf dem Zeitungstische aus, aber ein Wink eines bekannten Gastes an den Oberkellner des betreffenden Cafés genügte, um von jenem, gegen ein gern gewährten Trinkgeld, den „Leuchtthurm“ zu erhalten, der alsdann in einer einsamen Saalecke, hinter irgend einem „gutgesinnten“ Reactionsorgane verborgen, aufmerksam gelesen ward. Mit einem Worte: je strenger ein Zeitschriften- oder Bücherverbot in Oesterreich lautete, desto größer war dahin der Absatz der betreffenden Schrift. Wenn man noch erwägt, daß in Oesterreich für ein verbotenes Buch oder eine verbotene Zeitschrift in der Regel das Dreifache, ja Vierfache des in Leipzig oder Deutschland geltenden Preises bezahlt wurde, so darf man wohl zu dem Schlusse gelangen, daß gerade durch solche Bücherverbote viele Leipziger Verleger glänzende Geschäfte machten. – Jene Zeit bildet also einen überaus interessanten culturhistorischen Abschnitt des Leipziger Buchhandels.

A. C. W.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Deutschand