Der Leipziger Buchhandel

Textdaten
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Autor: H. F.
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Titel: Der Leipziger Buchhandel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 422–424
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Leipziger Buchhandel.

Bei der großen und tiefeingreifenden Bedeutung, welche Leipzig nicht allein für den deutschen, sondern für den Buchhandel aller Länder der Erde gewonnen hat, wird es unseren Lesern gewiß nicht unwillkommen sein, wenn wir vor seinen Augen ein anschauliches Bild von dem Leben und Treiben entrollen, welches in der Metropole des Buchhandels herrscht. Wir werden versuchen, dasselbe mit kurzen, aus dem Leben gegriffenen Zügen zu schildern, und wünschen dadurch manchen unklaren Begriffen entgegenzutreten, welche bei Vielen über den Buchhandel und das, was mit ihm zusammenhängt, verbreitet sind.

Wir haben zunächst darauf hinzuweisen, daß der Anfang von Leipzigs Bedeutung für den Buchhandel namentlich vom Jahre 1765 datirt. In diesem Jahre war es, wo die deutschen Buchhändler durch die immer mehr überhandnehmenden Beschränkungen und Bedrückungen von Frankfurt a. M., dem damaligen Centralpunkt des Buchhandels, verdrängt und namentlich durch die Bemühungen eines Nicolai, Reich u. A. nach Leipzig gezogen wurden. Der Grund zu einem deutschen Buchhändlerverein wurde in demselben Jahre gelegt, und hatte derselbe auch mit vielerlei Schwankungen und Unterbrechungen zu kämpfen, so war er doch die Basis, auf welcher sich 1825 der noch jetzt bestehende Börsenverein der deutschen Buchhändler mit 108 Mitgliedern constituirte. Welche segensreiche Früchte er trug, das wird ein Blick auf das 1836 geschaffene Gebäude „die deutsche Buchhändlerbörse“ lehren, und das wird die Angabe bestätigen, daß der mit 108 Mitgliedern entstandene Verein jetzt gegen 1000 Mitglieder umfaßt.

Und für alle diese Mitglieder bildet Leipzig den Vorort, den Mittel- und Schwerpunkt, um den die buchhändlerische Thätigkeit kreist. An seinen Commissionair in Leipzig schickt der Verleger seine Verlagswerke, damit sie dort in seinem Namen verschickt und nach den einlaufenden Bestellungen expedirt werden. Nach Leipzig schickt der Sortimentshändler alle bei ihm eingehenden Bestellungen auf Bücher, gleichviel ob sie in Deutschland oder im Ausland erschienen sind, damit sie dort für ihn gesammelt und ihm vereint zugesandt werden. Der Commissionair ist es, welcher zur Ostermesse alle Zahlungen für seine Committenten leistet oder in Empfang nimmt, und geben wir hierdurch eine kurze Andeutung über das Wesen des Commissionairs, dieses wichtigen Factors des gesammten Buchhandels, so mögen einige Zahlen sprechen, um die Ausdehnung dieses Geschäftszweiges zu erläutern. Leipzig, welches freilich theilweise nur als Uebergangspunkt, theilweise auch selbst erzeugend, in Betracht gezogen werden muß, versendete 1867 gegen 130,000 Centner Bücher, welches Gewicht im Jahre 1868 wohl ziemlich erheblich überschritten worden sein wird; bedenkt man, daß ein vielleicht ziemlich gleiches Quantum nach Leipzig einwandert, erwägt man ferner, wie oft ein einziger Bücherballen hunderte von Beischlüssen von verschiedenen Buchhändlern aus allen Weltgegenden enthält und wie dabei natürlich alles bis auf das Kleinste sorgsam pro und contra notirt und gebucht werden muß, so wird man einen Begriff von der umfassenden Thätigkeit des Commissionairs erhalten.

Haben wir den Blick zunächst über das Commissionsgeschäft, welches den Verhältnissen gemäß das bedeutendste Deutschlands ist, streifen lassen, so wenden wir uns jetzt zu dem Verlagsgeschäft und haben die Freude, auch auf diesem Zweige Leipzig als Stern ersten Ranges leuchten zu sehen. Der uns zugemessene Raum gestattet nicht, specieller auf Entstehung, Fortgang und die eigenthümlichen Verhältnisse desselben einzugehen, und es mögen deshalb auch hier wieder Zahlen sprechen, um die vorstehende Behauptung zu rechtfertigen. Nach Schürmann’s sehr empfehlenswerther Schrift „Leipzig als Centralpunkt des deutschen Buchhandels“ (Leipzig, G. Reusche), erschienen an Büchern aller Art:

  1789        1859
In Deutschland insgesammt         2115 9095
Davon in Leipzig 355 1582
Davon in Berlin 261 1299

Aehnliche Verhältnisse walten auch heute noch ob[1] und wir ersehen daraus, daß Leipzig seit langer Zeit ein Sechstel und Berlin ein Achtel der deutschen Gesammtproduction vertritt. Berücksichtigen wir dabei, daß eine Weltstadt, wie Berlin, eine große Anzahl speciell für dort berechneter Schriften, Eintagsfliegen und für den Massenabsatz berechneter Schriften hervorbringt, was hier in viel geringerem Grade der Fall ist, so steigt Leipzigs Bedeutung in hohem Grade und beweist zur Genüge, daß es auch in dieser Beziehung den ersten Platz in Deutschland einnimmt. In Bezug auf die Zahl von Zeitungen und Zeitschriften, welche in Leipzig und Berlin erscheinen, figurirt Leipzig zwar erst in zweiter Reihe (hier erscheinen etwa 128, in Berlin 194 Zeitungen und Zeitschriften); man muß aber dabei die nicht geringe Anzahl solcher Blätter in Erwägung ziehen, welche in Berlin Organ der vielen dortigen Behörden sind und in der Regel nichts als amtliche Verordnungen enthalten.

Wir können es an dieser Stelle nicht unterlassen, einen Blick auf die Ausdehnung des Zeitungswesens überhaupt zu werfen, und bitten unsere Leser, uns einen Augenblick nach der Zeitungsexpedition des Leipziger Postamts zu folgen. Treten wir hier am Hauptversandtag (am Freitag) ein, so sind wir gewiß über die kolossalen Massen der heranströmenden Wochen- und Tageblätter erstaunt. Zwölf Ober- und zwölf Unterbeamte sind fast ununterbrochen und heute namentlich bis tief in die Nacht hinein damit beschäftigt, die Zeitungen in die nach Speditionsgruppen geordneten Sortirfächer zu vertheilen, und mehr als 2000 Pakete führen sodann dem leselustigen Publicum nach allen Himmelsgegenden hin den ersehnten neuen Stoff zu. So steht das Leipziger Postamt in so fern einzig in Europa da, als es neben den vielen anderen Blättern von einer Zeitschrift (Gartenlaube) allein eine Auflage von mehr als 28,000 Exemplaren in wenigen Stunden zu expediren hat. Die angestrengteste Thätigkeit erheischt aber der Quartalwechsel, wo während eines kurzen Zeitraumes mehr als 10,000 Bestellzettel aus allen Ecken und Enden Deutschlands einlaufen und in kürzester Zeit expedirt werden müssen.

Doch kehren wir zum Leipziger Verlagsbuchhandel zurück; konnten wir die Zustände und Erfolge desselben als sehr erfreuliche bezeichnen, so mag es uns gestattet sein, hier noch einiger Unternehmungen zu gedenken, welche mit Rücksicht auf die jüngste Vergangenheit der Erwähnung verdienen.

Wir meinen das Erscheinen des funfzigsten Bandes der allgemein bekannten und geschätzten Illustrirten Zeitung von J. J. Weber und das Erscheinen des tausendsten Bandes der Tauchnitz collection of British authors. Wir meinen ferner ein periodisches Unternehmen, welches in seinen Erfolgen bis jetzt unerreicht dasteht, nämlich die von E. Keil herausgegebene „Gartenlaube“, welche jetzt in einer Auflage von 270,000 Exemplaren gedruckt und in allen Theilen der Erde verbreitet und gelesen wird. Nur nebenbei sei hier bemerkt, daß sich der Papierbedarf dieses einzigen Blattes auf 600 Ballen oder 30 Millionen Bogen im Gewicht von 14,100 Centner und einem Geldbetrage von über 200,000 Thaler jährlich beläuft und daß die Druckerei, welche vermittelst Dampfbetriebes 15 Schnellpressen größten Formats, sowie 6 Satinirmaschinen Tag und Nacht nur allein für dieses Unternehmen beschäftigt, mit der Herstellung und dem Druck einer einzigen Nummer über vierzehn Tage zu thun hat.

Nicht zufällig, sondern bezeichnend für Leipzigs literarische Bedeutung ist es wohl auch, daß fast alle bibliographischen Hülfsmittel, die der gesammte Buchhandel täglich benutzt, hier am Orte erschienen sind. Wir zählen dahin außer dem alten Georgi’schen Lexicon und den wohlbekannten Meßkatalogen die großen Bücherlexica von Heinsius und Kayser, die halb- und vierteljährlichen Hinrichs’schen Bücherverzeichnisse, die fünfjährigen von Kirchhoff begründeten allgemeinen Kataloge, sowie namentlich auch die vortrefflichen Engelmann’schen Specialkataloge über fast alle Theile der Literatur. Ebenso bildet das hier erscheinende Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, abgesehen von seinen praktischen Zwecken, den geistigen Tummelplatz für alle den gesammten Buchhandel betreffenden oder zu ihm in engerer oder weiterer Beziehung stehenden Fragen.

Wir können vom Verlagsbuchhandel nicht Abschied nehmen, ohne einen flüchtigen Blick auf diejenigen Gewerbe zu werfen, [423] welche mit ihm in naher Verbindung stehen und ein weiteres Schlaglicht auf die Kräfte werfen, welche er in Bewegung setzt. Vielleicht wäre hier der Ort, vor Allem der Autoren, der Gelehrten, der Schriftsteller[WS 1], Journalisten, der Künstler etc. vom buchhändlerischen Standpunkte aus zu gedenken, doch würde dies zu weit führen und den uns zugestandenen Raum allein mehr als ausfüllen. Wir gehen deshalb zunächst auf Leipzigs Buchdruckereien über, welche sich in dem letzten Jahrzehent zu einer überraschenden Blüthe emporgearbeitet haben. Leipzig nimmt, was Geschmack, Solidität, Eleganz und Schnelligkeit der Arbeit betrifft, den höchsten Platz in Deutschland ein, und mit Freude constatiren wir die Thatsache, daß dies das Ausland wohl zu würdigen weiß; es kommt immer häufiger vor, daß hiesige Druckereien von England, Frankreich, Rußland etc. aus beschäftigt werden, und es muß sich das Ausland um so mehr und um so häufiger hierher wenden, als sich die Preise für Satz und Druck um 25 bis 40 Procent billiger stellen, als in London und Paris. Auch die großen Auflagen mancher deutschen Journale, z. B. der in Berlin erscheinende Bazar, werden hier gedruckt, weil die Leistungsfähigkeit unserer Druckereien die aller anderen Städte überragt.

Wir zählen gegenwärtig in Leipzig und seinen sogen. Vorstadt-Dörfern 47 Buchdruckereien, von denen 28 der Leipziger Genossenschaft der Buchdrucker angehören. Diese 47 Buchdruckereien besitzen 98 Handpressen (von denen 50 im Gange), 214 einfache Maschinen (wovon 166 im Gange) und 4 große Doppelmaschinen. Beschäftigt werden dabei 1000 Gehülfen, 300 Lehrlinge und – da es nicht gut ist, daß der Mann allein sei – eine Amazonenschaar von 450 Jungfrauen.

Auch bei den Buchbindereien Leipzigs hat sich ein gewaltiger Fortschritt bemerkbar gemacht. Während sich noch vor kaum einem Decennium die hiesigen Verleger großentheils nach Berlin wendeten, um ganze Auflagen binden zu lassen, ist jetzt der umgekehrte Fall eingetreten: Berliner und andere auswärtige Verleger lassen jetzt großentheils in Leipzig arbeiten.

Die Leipziger Buchbinderinnung zählte 1830 32 Meister mit 70 Gehülfen, 1867 aber 125 Principale mit 400 Gehülfen, 145 Lehrlingen, 47 Laufburschen und 86 Mädchen, und dabei waren 82 Vergoldepressen, 78 Beschneidemaschinen, 36 Walzen, 11 Schräge- und 11 Einsägemaschinen im Gange. Diese Maschinen, die sich seitdem wohl nicht unerheblich vermehrt haben dürften, repräsentirten damals schon ein Capital von 100,000 Thalern.

In zwei hiesigen Buchbindereien, die zum Theil schon Dampfkraft benutzen, werden je hundert Menschen beschäftigt, und um einen kleinen Beweis für die sich wellenförmig erweiternde Heranziehung anderer Gewerbe zu geben, sei hier nur noch erwähnt, daß von jenen zwei Buchbindereien nur für das zum Vergolden der Einbände nöthige sogenannte Blattgold allein jährlich gegen 30,000 Thaler verausgabt werden.

Es würde zu weit führen, wenn wir ähnliche Notizen über alle übrigen den Buchhandel mehr oder weniger berührende Geschäftszweige bringen wollten. Ein ganz bedeutendes Contingent von Arbeitskräften stellen die Schriftgießer, die Xylographen, Lithographen, Photographen, die Stahl- und Kupferstecher und Drucker, die galvanoplastischen Anstalten, die Papierfabrikanten und Händler, die Maler, Coloristen, Holz- und Metallarbeiter, und endlich die Erbauer der für die Vorgenannten erforderlichen Maschinen. – Unsere vorstehenden Mittheilungen werden genügen, um einen Einblick in das so viel treibende und schaffende Element des Buchhandels zu gewinnen und seine gewaltige und weittragende Einwirkung auf andere Geschäftszweige darzuthun.

Auch der Sortimentsbuchhandel steht in Leipzig auf einer blühenden Stufe; liegt es auch in den Verhältnissen, daß sich hier nur wenige Handlungen ausschließlich mit demselben beschäftigen, so sind doch die Verbindungen derselben ausgedehnter Natur und ihr Absatz ist ziemlich bedeutend; derselbe würde ein weit größerer sein, wenn nicht, durch die Verhältnisse veranlaßt, fast jeder Verleger oder Commissionair sich mehr oder weniger mit der Lieferung von Sortiment befaßte. Man findet vielfach, namentlich bei auswärtigen Gelehrten oder Literaturfreunden, irrige Ansichten über den Leipziger Sortimentsbuchhandel verbreitet; dem Rufe unserer Vaterstadt entsprechend, glaubt man hier die großartigsten Lager der Welt vorfinden zu müssen und hofft, jedes beliebige Buch aus alter oder neuer Zeit auf denselben sofort vorräthig zu sehen. Dies ist aber nicht der Fall; abgesehen von der ein solches Ansinnen durchaus nicht rechtfertigenden Nachfrage sind die Miethen zu theuer, um größere Localitäten für diesen Zweck bereit zu halten; außerdem macht aber der Umstand, daß man den größten Theil der Bücher vom hiesigen Lager auswärtiger Verleger in kurzer Zeit haben kann, solche Lager, wie wir sie in anderen großen Städten finden, gänzlich überflüssig.

Daß der Musikalienhandel in unserem musikalischen Leipzig eine große Rolle spielt, ist leicht erklärlich. In der That hat es sich auch hierin den ersten Platz nicht blos in Deutschland, sondern in der ganzen musikalischen Welt erobert. Liegen uns auch keine statistischen Notizen, wie beim Buchhandel, vor, so glauben wir nach dem Urtheile Sachverständiger behaupten zu können, daß in Leipzig etwa ein Drittel aller in Deutschland erscheinenden Musikalien producirt wird. An der Spitze der hier bestehenden 29 Musikalienhandlungen steht das weltberühmte Haus der Herren Breitkopf und Härtel, das vor Kurzem sein hundertfünfzigjähriges Bestehen gefeiert hat. Der gegen 12,000 Nummern umfassende musikalische Verlag dieses Geschäfts repräsentirt eine wahre Geschichte der Musik des vorigen und laufenden Jahrhunderts, und dieses eine Geschäft hat in seinen verschiedenen Branchen ein Personal von 300 Personen aufzuweisen. Mehrere weit bekannte und geachtete Handlungen stehen der oben genannten würdig zur Seite, und als Schlußstein dieses Capitels möge die größte Notenstecherei Deutschlands – die Röder’sche Officin – Erwähnung finden. Dieselbe beschäftigt 140 Personen und stellt damit jährlich 24,000 Notenplatten her. Das jährlich verarbeitete Metall beträgt gegen 36,000 Pfund und der Papierverbrauch 400 Ballen oder 4 Millionen Musikbogen.

Es mag uns vergönnt sein, eine weitere Branche des Buchhandels, nämlich das Leipziger Antiquariatsgeschäft und das damit mehr oder weniger verbundene Auctionswesen zu besprechen. Während bis vor fünfundzwanzig Jahren fast nur eine Handlung (T. O. Weigel) das Monopol hatte, auf den Namen eines Antiquars im besseren Sinne Anspruch zu machen, hat sich seit jener Zeit dieser Geschäftszweig hier in einer außerordentlichen Weise ausgedehnt und es durch solide Geschäftsprincipien und Kenntniß verstanden, Leipzig auch in dieser Beziehung auf die höchste Stufe zu heben. Der größte Theil aller in Deutschland und vieler im Auslande bestehender Bibliotheken wandert, wenn die Verwerthung derselben beschlossen ist, nach Leipzig, und geht hier entweder in den Besitz eines Antiquariats über oder wird in den hiesigen Bücherauctionen für Rechnung der Besitzer versteigert.

Außer den im Leipziger Adreßbuch aufgeführten neunzehn Antiquaren, zählen wir hier jetzt sechs größere Antiquariatsgeschäfte, deren Namen weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt und geachtet sind. Jedes derselben unterhält ein bedeutendes antiquarisches Lager, und die Zahl der auf denselben befindlichen Werke dürfte sich annähernd auf eine Million Bände belaufen. Jedes derselben veröffentlicht im Laufe des Jahres eine größere oder geringere Anzahl von Katalogen, welche, streng systematisch nach Wissenschaften geordnet, ihren Lauf durch die ganze Welt nehmen und auch auf diesem Gebiete des Buchhandels ein reges Leben hervorrufen. Der Umsatz, der allein durch die Kataloge dieser 6 Handlungen erzielt wird, dürfte sich auf etwa 140,000 Thaler jährlich beziffern lassen.

Das Bücherauctionsgeschäft wird durch vier Firmen repräsentirt, welche im Jahr 1868 zwölf Auctionen abgehalten haben. In denselben wurden die Bibliotheken vieler verstorbener namhafter Gelehrten und Bücherfreunde, sowie vielfache Beiträge von Antiquaren und Verlegern versteigert. Die Summe der auf diese Weise 1868 auf den Markt gebrachten Werke beträgt 54,200 welche wir bei den vielen mehr- oder vielbändigen Werken wohl auf 200,000 Bände mit einem Erlös von etwa 50,000 Thaler veranschlagen dürfen. Gewiß eine ganz respectable Anzahl, welche den Beweis liefert, daß auch auf diesem Gebiet ein rühriges Leben herrscht.

Blieb auch auf diesem Felde das Gesammtresultat des vergangenen Jahres etwas gegen frühere Jahre zurück, so müssen wir ergänzend hinzufügen, daß schon die ersten Wochen des Jahres 1869 drei sehr bedeutende Bücherauctionen brachten, unter denen die durch die Buchhandlung von List und Francke angekaufte und im Januar versteigerte Bibliothek des Kaisers Maximilian von Mexico obenansteht. Der Name des früheren Besitzers und sein tragisches Ende waren, abgesehen vom hohen Werth der Bibliothek [424] selbst, allein geeignet, ein ungewöhnliches Interesse für diese Versteigerung hervorzurufen. Engländer und Franzosen, ja sogar ein Amerikaner (ein Abgesandter der Congreß-Library in Washington) erschienen, um sich die seltenen Schätze streitig zu machen, und so konnte es nicht fehlen, daß dabei ganz außerordentliche Preise erzielt wurden.

Wir können dieses Capitel nicht verlassen, ohne der beiden Auctions-Institute für Kunstgegenstände (Drugulin und Rudolph Weigel) zu gedenken. Dieselben haben sich längst als die bedeutendsten dieser Art in Deutschland bewährt und sind auch über seine Grenzen hinaus allgemein bekannt und geachtet.

Ueberblicken wir nun noch einmal diese Zeilen, so freuen wir uns, aus jeder derselben zu erkennen, welcher Bienenfleiß, welche Rührigkeit und Thätigkeit auf allen Gebieten des Buchhandels herrscht und mit welcher Intelligenz derselbe in Leipzig betrieben wird. Leipzig zählt jetzt ungefähr 258 buchhändlerische Firmen, welche zugleich die eingehendste Vertretung von circa 3,500 auswärtigen Geschäften übernehmen. Um die damit verbundene Arbeit zu bewältigen, sind außer den Principalen gegen 270 Gehülfen, 110 Lehrlinge und mehrere hundert Markthelfer thätig, so daß man den Personalbestand des Leipziger Buchhandels auf etwa 800–900 Köpfe angeben kann.

Und nun mögen uns unsere freundlichen Leser noch einige Augenblicke nach der deutschen Buchhändlerbörse, welche namentlich zur Ostermesse ein lebhaftes Bild bietet, folgen. War es früher Sitte, daß der größte Theil der auswärtigen Buchhändler zur Ostermesse nach Leipzig kam, um in Person die vorige Jahresrechnung mit seinen Collegen zu revidiren und etwaige Differenzen auszugleichen, so geschieht dies zeitraubende Geschäft jetzt von Haus aus, und während der Messe, die jetzt eigentlich nur vom Sonntag Cantate bis zur Mittwoch darnach währt, werden alle Zahlungen durch die hiesigen Commissionäre geleistet. Der auswärtige Buchhändler, der zur Messe kommt, gewinnt dadurch Zeit, andere Geschäftsangelegenheiten zu erledigen, und der größere Theil entschließt sich zur Reise, um sich einige Tage im Kreise vieler Collegen zu erholen, alte Bekanntschaften zu erneuern, oder neue anzuknüpfen. Die vorige Ostermesse (1868) war von etwa 320 auswärtigen Buchhändlern besucht, deren Aufenthalt sich meist auf vier bis sechs Tage beschränkte und deren Hauptvereinigungspunkt der große Saal der Buchhändlerbörse war. Die Zahlungen, welche die Leipziger Commissionäre in dieser Ostermesse pro und contra geleistet haben, belaufen sich auf drei und eine halbe Million Thaler; zieht man hierbei den täglichen Baarverkehr, die Zahlungen, die an dem in jeder Woche einmal festgesetzten Börsentage geleistet, sowie die Saldo-Rückstände, welche in der Michaelismesse erledigt werden, in Betracht, so kann man wohl eine ähnliche Summe dafür in Anschlag bringen und demnach den buchhändlerischen Geldumsatz des Leipziger Platzes, der natürlich nur einen Bruchtheil des Gesammtumsatzes repräsentirt, auf etwa sieben Millionen Thaler jährlich berechnen.

Wir können aber die deutsche Buchhändlerbörse nicht verlassen, ohne noch einiger Institute zu erwähnen, welche in derselben eine Stätte gefunden haben. Es ist die Lehranstalt für Buchhändlerlehrlinge, welche vergangenes Jahr von 79 Schülern besucht wurde. Dieselbe ist bestimmt, die jungen Männer, welche sich dem Buchhandel widmen, wissenschaftlich fortzubilden und ihnen die für ihren Stand nöthigen theoretischen Kenntnisse beizubringen. Sie steht jetzt unter der Leitung des Herrn Dr. Bräutigam und verdankt ihm, so wie dem ihm beigegebenen Lehrerpersonale viele segensreiche und erfreuliche Resultate. Gedenken wir aber auch an dieser Stelle zweier Männer, welche sich für diese Anstalt bleibende Verdienste für alle Zeiten erworben haben. Der Erste ist der verstorbene Buchhändler Friedrich Fleischer, dessen unausgesetzter Bemühung die Anstalt großentheils ihr Entstehen verdankt, und der Zweite ist der zuerst berufene Dirigent dieser Anstalt, der nachmalige Director der hiesigen ersten Bürgerschule, Herr Dr. Paul Möbius, seit Kurzem Schulrath in Gotha, welcher die Einrichtung und erste Leitung derselben mit dankenswerthem Eifer und Erfolge übernahm. Die andere Anstalt, welche wir zu erwähnen haben, ist in praktischer Hinsicht von größter Wichtigkeit. Wir meinen die Bestellanstalt oder Geschäftspost des Leipziger Buchhandels. Dieser Anstalt übergiebt jeder Leipziger Buchhändler seine eigenen Correspondenzen, so wie die seiner Committenten und empfängt dagegen von ihr drei bis vier Mal täglich alle für ihn und seine Geschäftsfreunde bestimmten Geschäftspapiere. Da sich die Zahl derselben täglich auf durchschnittlich 60–65,000 beläuft, so kann man sich leicht einen Begriff von der daselbst herrschenden Thätigkeit machen und sich leicht vorstellen, welchen Nutzen diese außerordentlich praktische Einrichtung dem Leipziger Buchhandel gewährt.

Während in früheren Zeiten der Verleger mit seinen Novitäten zur Messe zog und sie dort an seine Collegen zu verkaufen oder zu vertauschen suchte, so finden wir jetzt im kleinen Saale der Buchhändlerbörse während der Ostermesse eine geschmackvoll arrangirte Ausstellung, auf welcher sich die wichtigsten und hervorragendsten Erscheinungen der letzten Zeit oder Proben von demnächst zu erwartenden vereinigt finden. Die Ausstellung gewährt einen interessanten Ueberblick über die deutsche und fremde Literatur der Neuzeit und wird eben so fleißig von den Buchhändlern als von dem Publicum besucht und benutzt.

Hiermit schließen wir unsere kleine Skizze über den Leipziger Buchhandel. Ist es uns gelungen, dem Leser ein zwar flüchtiges, aber doch anschauliches Bild von seinem Thun und Treiben zu entwerfen, so möge er mit uns in den Wunsch einstimmen, daß Leipzigs Buchhandel fort und fort zum Segen aller ihm Angehörenden oder ihm Nahestehenden blühen und gedeihen möge!

H. F.




  1. 1868 wurden in Deutschland gegen 12,000 Werke, in England in demselben Jahre nur 4300 publicirt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schrifsteller