Der Leichenzug des Gideon Hosenstoß

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Titel: Der Leichenzug des Gideon Hosenstoß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 56
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[56] Der Leichenzug des Gideon Hosenstoß. Man schreibt uns aus Herisau in der Schweiz (Canton Appenzell): Alljährlich am Aschermittwoch findet in unserem Wohnorte der Leichenzug des „Gideon Hosenstoß“ statt, ein Gebrauch, wie er in gleicher origineller Form wohl nirgends sonst gefunden werden dürfte. – Unsere gesammte Schuljugend wird durch dieses Ereigniß stets in große Aufregung versetzt; denn schon am Morgen des betreffenden Tages laden Knaben im Alter von 12–14 Jahren, die jeweiligen Festordner, die jüngeren Kinder ein, recht zahlreich zum Leichengebete des „Gideon“ zu erscheinen, und kaum sind Abends 4 Uhr die Schulen geschlossen, so strömen fast alle Kinder des Ortes nach der Stelle, an welcher der Umzug seinen Anfang nimmt. Derselbe wird durch Knaben eröffnet, die als alte Weiber verkleidet und mit brennenden Laternen und langen Geißeln versehen sind. Sie eilen in grotesken Sprüngen dem Zuge voraus, um ihm den Weg frei zu machen. Ihnen folgt dann ein flacher Handwagen, auf welchem der Gideon, eine lebensgroß aus Stroh und alten Kleidern hergestellte Puppe, liegt; zwei Knaben besprengen dieselbe und die miteilenden Kinder mit Wasser, während Andere mit Pfannendeckeln, Trommeln und Pfeifen einen ohrzerreißenden Spektakel machen. Kleinere Knaben, meist verkleidet, figuriren als Leidtragende, und ihnen schließt sich ein langer Zug kleiner Mädchen an, welche, mit rothen, weißen und gelben Tüchern, bunten Bändern und Schleiern wunderlich aufgeputzt, die Pflicht haben, in die vorgehaltenen Hände zu weinen und möglichst laut zu klagen und zu jammern. Wer dies verabsäumt oder sich untersteht, die geordneten Reihen zu verlassen, wird von den hin- und hereilenden Zugführern mit Geißelhieben zum Gehorsam gebracht; alle unverkleideten Kinder aber werden mit drohendem Geschrei und geschwungenen Stöcken von der Theilnahme am Zuge abgehalten. So bewegt sich derselbe unter unaussprechlichem Lärm durch sämmtliche Straßen des Ortes, um schließlich zu seinem Ausgangspunkte zurückzukehren. Dort besteigt ein Knabe eine erhöhte Stelle und hält eine je nach der Begabung des Redners mehr oder minder witzige Ansprache; er giebt zuerst eine Lebensbeschreibung des Gideon Hosenstoß, wobei alle möglichen lächerlichen Untugenden und Situationen erwähnt werden; sodann folgt ein Verzeichniß seiner Hinterlassenschaft, in welcher papiernes Kochgeschirr, Gabeln und Kämme ohne Zinken und dergleichen Unsinn eine große Rolle spielen. –

Nach Schluß der Rede verläuft sich das Publicum, der Gideon aber wird in irgend einem Holzstall verwahrt bis zum nächsten Sonntag, wo er in einem der auf allen Höhen leuchtenden „Funken“ oder Freudenfeuer den Flammentod findet.

Dieses Zugrabetragen des Faschings – denn so kann der Umzug wohl gedeutet werden – ist vermuthlich nur die veränderte Form einer alten heidnischen Feier, und da die Appenzeller als ein zäh am Althergebrachten, Gewohnten festhaltendes Volk bekannt sind, hat sich das Fest jedenfalls in ziemlich ursprünglicher Weise erhalten.