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Titel: Der Laubfall
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 667–668
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[667] Der Laubfall. Warum fällt das Laub? Warum fällt es erst im Herbst? Diese Fragen sollen uns beschäftigen.

Um sie uns klar zu machen, müssen wir den Baum, denn von dessen Laubfall handelt es sich, mit seinen Blättern und Blüthen und Früchten richtig verstehen. Verhalten sich die genannten Theile zu ihrem Stamme und Zweigen etwa ähnlich wie die Gliedmaßen zu dem Leibesstamme eines Säugethieres? Nimmermehr. Es ist überhaupt sehr bedenklich, das Verständniß der Pflanze von einer Vergleichung mit dem Thiere zu entlehnen. Beide haben wohl in dem Wesen der innern Lebensvorgänge Vieles mit einander gemein, aber, um so zu sagen, im ganzen Plane beider liegt ein großer Unterschied. Wir sind geneigt, die Blätter und Blüthen für das Wesentliche des Baumes zu halten, und dennoch sterben dieselben alle Jahre ab, um sich auf dem Jahrhunderte dauernden und jährlich zunehmenden Stamme durch neue zu ersetzen. Eine ähnliche Erscheinung bilden zwar auch die Federn, Haare, Schuppen, Häute vieler Thiere. Aber es kann uns dennoch nicht einfallen, diese unwesentlichen Hautgebilde mit den Blättern und Blüthen zu vergleichen, wenn auch Virgilius die Blätter das Haar des Waldes nennt.

Vielleicht hilft uns die Fortpflanzungsweise eines Baumes zu einem richtigen, wenigstens für unsern Zweck brauchbaren Verständniß der Blätter und Blüthen. Schon oft hat man den Baum mit einem Staate verglichen. Der Stamm, der im nahrungsreichen Boden wurzelt, gleicht gewissermaßen dem vaterländischen Boden, auf welchem nicht in durchgreifenden Abschnitten, sondern in ewiger Verjüngung ein Geschlecht dem andern folgt, und die zunehmende Volkszahl theils durch bessere Bodenbenutzung, theils durch Erweiterung der Landesgrenzen sich Raum schafft. Etwas Aehnliches finden wir am Baume. Die Blätter, die Einwohner des Baumes, bereiten den Stoff, der den Umfang des Stammes vergrößert und [668] die neuen Triebe bildet. Jedes sterbende Blatt hinterläßt dicht neben der Stelle, wo es im Leben stand, eine Knospe, gewissermaßen seinen Nachkommen. Aus ihr entfaltet sich im kommenden Jahre ein neuer Trieb mit neuen Blättern. So lebt also der Baum nicht wie ein Thier als abgeschlossener Leib, der wohl an Masse größer wird, aber keine neuen Glieder gewinnt, sondern wie ein Staat voll wechselnden Lebens, erfüllt mit arbeitenden Bewohnern, wo stets der Neugeborene das Werk des Sterbenden fortsetzt. Ein Pferd erlangt nach einer gewissen Zeit seine Vollendung, wo ihm dann kein Glied mehr nachwächst, wo wir ihm aber auch keins nehmen können, ohne es zu verstümmeln. Wann können wir denn von einem Baume sagen, nun sei er fertig? Wachsen ihm nicht bis zu seinem Tode neue Triebe hinzu? Ebenso können wir einem Baum Aeste abschneiden, ohne ihn wesentlich zu verstümmeln.

Aber der Baumstaat lebt nicht nur als ein sich fort und fort verjüngender und vergrößernder Mutterstaat – er sendet auch Colonisten aus. Das sind die Samen. Sie trennen sich vom Mutterlande und gründen in der Fremde des gedeihenspendenden Erdbodens junge Staaten nach dem Muster des Mutterlandes.

Demnach kann man mit einigem Recht sagen, daß das Blatt gewissermaßen nur ein Bewohner des Baumes ist, auf ihm geboren wird und stirbt. Deshalb kann man auch eine Knospe, die Wiege eines jungen Blättervereins, durch Oculation von einer Stelle an eine andere versetzen, nicht blos von einem Baume auf einen andern seiner Art, sondern in vielen Fällen selbst auf einen blos verwandten, z. B. ein Auge des Apfelbaumes auf ein Quittenbäumchen. Ja man kann zehnerlei Apfelsorten durch Oculation auf Einem Baume vereinigen, die alsdann ihre Eigentümlichkeiten der Blatt- und Blüthenbildung, der Form und des Geschmackes der Früchte bewahren, obgleich ihnen allen mit einander mir dieselbe Art des Nahrungssaftes aus dem gemeinsamen Wohnstamme zuströmt.

Mit dieser Auffassung des Blattes als eines vorübergebenden Bewohners des mehrere Jahrtausende lebend überdauernden Stammes (ein so hohes Baumalter ist bekanntlich in einigen Fällen erwiesen) müssen wir es im Einklang finden, daß auch seine Anheftung am Zweige es sofort zu erkennen gibt, daß diese Verbindung auf eine baldige Trennung berechnet ist. Die Anheftungsstelle der Blätter finden wir bei allen Baumarten mehr oder weniger deutlich und scharf bezeichnet, und ist dann das Blatt abgefallen, so hinterläßt es am Zweige eine sehr bestimmt gestaltete Spur seines Standes, wie wir im Schnee oder auf weichem lehmigen Boden die Spuren unserer Fußsohlen zurücklassen. Bei den verschiedenen Baumarten sind diese Blattstielnarben, wie man diese Spuren nennt, verschieden und zuweilen sehr auffallend gestaltet, z. B. bei der Eiche, der Wallnuß, dem Ahorn, der Roßkastanie. Es ist also kein gewaltsames Abtrennen, etwa durch die berüchtigten Herbststürme, was den Laubfall verursacht, sondern die Blätter lösen sich freiwillig von ihrer Stelle, wie sich das Petschaft leicht von dem Lack löst, sobald diese- kalt und hart geworden ist.

Die meisten Blätter stehen mit einer besonderen, regelmäßig gestalteten Anschwellung des Blattstieles, welche am Kastanienblatt fast pferdehufähnlich ist, auf dem Zweige. So lange das Blatt noch frisch und kräftig ist, können wir es nur gewaltsam abreißen und es wird dann meist von der Rinde des Zweiges ein Stück mit abgerissen. Die Verbindung ist also innig und fest. Aber sie besteht nicht dadurch, daß sich die gestreckten Zellen und die sogenannten Gefäße des Zweiges durch die Verbindungsstelle hindurch bis in den Blattstiel verlängern, so wie sich die Holzzellen eines stärkeren Zweiges unmittelbar in die eines dünneren Seitenzweiges verlängern; sondern die Zellen des Zweiges enden in der Ebene der gewissermaßen vorausbedachten Ablösungsstelle, und fast Zelle um Zelle mit ihnen aneinandertreffend, beginnen im Blattstiele neue. Aber zwischen den Enden der Zweigzellen und den Anfängen der Blattstielzellen findet sich, gewissermaßen als ein verbindender Kitt, eine dünne Schicht eines zarten, kleinzelligen Zellgewebes, welches während des Blattlebens das Blatt fest an seine Stelle bindet. In dieser Zellenschicht müssen wir, da sie das Mittel der Verbindung ist, auch die Ursache des Abfallens suchen. Stoßen wir ein dem Abfallen ganz nahes Blatt von seiner Stelle, wozu im rechten Augenblicke die leiseste Berührung ausreicht, so bemerken wir mit dem Vergrößerungsglas an den nun beiderseits sichtbaren Berührungsflächen eine trockene Zellenschicht, welche am Triebe im folgenden Jahre sich rindenartig in eine dünne Korkschicht verwandelt. Ohne Zweifel ist dies die erwähnte zusammenkittende Schicht, die halb sitzen blieb, halb von dem abfallenden Blatte mitgenommen wurde. An beiden Flächen sehen wir einerseits die Enden, andererseits die Anfänge der Gefäße, die z. B. bei der Esche einem liegenden o gleichen und bei der Roßkastanie einen Halbkreis von fünf oder sieben runden Punkten bilden.

Wir haben also die Ursache des Laubfalles in einem Schwinden, in einem Vertrocknen dieser verbindenden Zellenschicht zu suchen, wodurch sie ihre zusammenkittende Kraft verliert. Mit dem Ende des Blattlebens erstirbt diese Schicht. Das Band löst sich freiwillig.

Aber so ganz einfach ist der Vorgang doch nicht. Büsche von Eichen und Hainbuchen, namentlich Hecken von letzterer Baumart, behalten ihr dürres Land meist bis zum kommenden Frühjahre, bis die dem Aufspringen ganz nahen Knospen es von sich stoßen. Hier mag eine noch unerforschte Ursache das bereits längst Erstorbene mumienartig an der Stelle des Lebens festhalten und der neueingetretene Saftstrom, der die Knospen schwellt, die endliche Beseitigung einleiten, und hier ist es vielleicht wirklich die beginnende Ausdehnung der Knospe, was die todten Blätter wegstößt, früher nahm man diesen Grund für den Laubfall überhaupt an. Allein dies war ein Irrthum. Denn die Knospen sind im Spätsommer meist schon lange vor dem Laubfalle fertig. Eben so irrig erwies sich die Annahme, daß das Abfallen des Blattes dadurch bedingt sei, daß der den Sommer über dicker werdende Trieb allmählich die Anheftungsstelle des Blattes ausdehne und dadurch zuletzt das Blatt losdrücke.

Alles bisher Gesagte gilt blos von unseren sommergrünen Laubholzbäumen und von dem einzigen sommergrünen Nadelholz, dem Lärchenbaume, denn bekanntlich fallen dessen Nadeln im Herbst sogar noch früher, als manches Laubholzbaumes Blätter. Die immer- oder wintergrünen Bäume: Fichte, Tanne, Kiefer, Taxus, Wachholder und die in manchen Gegenden Deutschlands gemeine Stechpalme oder Hülse, Ilex aquifolia, ein kleiner Laubholzbaum, sind zwar immer grün, aber sie verlieren dennoch ihre Nadeln und die letztere ihre Blätter, nur nicht in demselben Jahre, wo sie wuchsen; sie verlieren sie auf dieselbe Weise und aus demselben Grunde und an den Zweigen bleiben dieselben regelmäßigen Narben zurück. Im Durchschnitt fallen diese starren Blattgebilde erst im dritten, vierten oder fünften Jahre ab, was trotz der Feinheit derselben den Nadelhölzern doch die dichten Kronen verleibt. An den Laubbolzbäumen stehen die Blätter stets nur an den diesjährigen Trieben, an den Nadelhölzern die Nadeln an den ein-, zwei-, drei- bis vier- und fünfjährigen, ja an jungen Tannen findet man zuweilen noch sechs- und siebenjährige Nadeln.

Darin aber liegt noch ein fernerer erheblicher Unterschied zwischen den Blättern und den Nadeln, daß jedes Laubblatt uns in einer Knospe eine Gewähr der nächstjährigen Verjüngung hinterläßt, während die Kiefer streng nur an den Spitzen der Triebe, und Fichte und Tanne außer diesen Endknospen nur noch einige wenige Seitenknospen an den Trieben hervortreibt. Zum Theil aus diesem Grunde hat die völlige Entnadelung fast immer den unausbleiblichen Tod des Baumes zur Folge, während Entlaubung, etwa durch schädliche Insecten, nur in mehrmaliger Wiederholung den Tod bringt.