Der Kursaal in Kissingen

CCLXXXXIX. Der heilige Kreuzberg der Rhön Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCC. Der Kursaal in Kissingen
CCCI. Hamburg
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DER KURSAAL
in Kissingen

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CCC. Der Kursaal in Kissingen.




Sechs Meilen von Würzburg, vom Bade Brückenau und von Schweinfurt drei, von Meiningen fünf Meilen entfernt, an der Nordgrenze Franken’s, liegt Kissingen, gegenwärtig einer der berühmtesten Kurorte Deutschlands.

Freundlich ist Kissingens Umgebung und die ganze Gegend malerisch und fruchtbar, ohne gerade ausgezeichnet schön zu seyn. Ein fetter, blumiger Wiesengrund, von der fränkischen Saale durchschlängelt, fruchtbare Saatfelder, sanftansteigende Höhen, deren sonnige Gelände mit Weinreben bepflanzt sind, setzen eine recht hübsche Landschaft zusammen, welche nordwärts die blaue Kette der Rhön einrahmt.

Schon zur Römerzeit wurde, ist die Tradition wahr, die hiesige Salzquelle benutzt. Im 9. Jahrhundert tritt Kissingen als Städtchen auf, wohlhabend durch den Schatz, der ihm aus der Erde sprudelte. Es gehörte damals den weithin mächtigen Grafen von Henneberg.

Als Bad lernen wir den Ort in einer viel spätern Zeit kennen, und Ruf erhielt er in dieser Beziehung erst seit 20 Jahren. Wer Kissingen zu Anfang des Jahrhunderts besucht hat und es jetzt sieht, kennt es nicht mehr. Alles ist seitdem umgewandelt; die Stadt, die Promenaden, die ganze Gegend. Das äußere Gewand schon verkündigt einen Kurort vom ersten Range, dem jährlich 2000 bis 3000 Gäste aus allen Theilen der Erde zuströmen. – Medizinisch benutzt und gefaßt sind drei Quellen: der Maximilians-, der Kur- oder Ragotzibrunnen und der Badebrunnen oder Pandur. Alle gehören zur Gattung der eisenhaltigen Kochsalzquellen. Reich an Kohlensäure, verbinden sie mit einem sehr beträchtlichen Gehalte an Alkali und Neutralsalzen eine ansehnliche Menge von kohlensaurem Eisen. Dieses macht des Wassers wirksamsten Bestandtheil aus.

Seiner Zusammensetzung gemäß hat das Kissinger Wasser eine kräftige, auflösende Wirkung. Es reizt und befördert mächtig die Absonderung auf dem Abdominalwege, ohne, selbst bei sehr lang fortgesetztem Gebrauche, Schwäche in den Gedärmen oder den übrigen Unterleibsorganen zu hinterlassen.

Der Maximilians- oder Sauerbrunnen liegt etwa 150 Schritte außerhalb der Stadt gegen Süden, dem Kurhause gegenüber. Er wirkt am gelindesten und ist in einer Reihe von Leiden da ein Heilmittel, wo der energische Ragotzi und der noch kräftigere Pandur nicht angewendet werden darf. Sein Geschmad ist angenehm und dem des Selterser Wassers ähnlich. Seine Heilkraft wird in den verschiedenen Krankheiten der Lunge und Respirationsorgane [59] gerühmt, und selbst bei weit vorgeschrittenen Leiden, wo eigentliche Heilung nicht mehr erwartet werden kann, gewährt es in der Regel fühlbare Linderung und dient zur längern Lebensfristung. Bei Skrofeln oder Krankheiten der Harnwerkzeuge leistet es ausgezeichnete Dienste.

Von viel durchgreifenderer Wirkung ist der Ragotzi oder Kurbrunnen, Kissingens Stolz und die Quelle seines Wohlstandes. Im Allgemeinen findet die Anwendung dieses berühmten Wassers immer nur bei chronischen Uebeln und Gebrechen statt, besonders bei denen der Unterleibsorgane mit ihren furchtbaren Verzweigungen, gegen welche es sich als eines der mächtigsten aller bekannten Heilmittel erweist. – Beide vorerwähnten Quellen werden als Trinkwasser benutzt, und der Ragotzi namentlich als solches durch die ganze Welt verfahren. Dagegen braucht man die dritte Quelle, den Pandur, fast nur als Bad. Er ist, wie der Ragotzi, schön gefaßt und mit steinernen Ballustraden umgeben, von welchen vier Treppen zu den Quellen hinableiten.

Die Krankheitsformen, in welchen sich der Pandur besonders heilsam zeigt, sind Gicht und eingewurzelte rheumatische Uebel. Man badet entweder im Kurhause, oder in den Privathäusern, die sämmtlich bequem dazu ein gerichtet sind. In’s Kurhaus fließt das Mineralwasser unmittelbar von der Quelle in verdeckten Röhren; in die Privatwohnungen wird es in Bütten oder Tonnen gefahren, oder getragen. Für Kranke, welchen das Bad aus reinem Pandur zu angreifend ist, kann es mit den gelinder wirkenden Brunnen versetzt werden. Man badet warm, gewöhnlich in den Frühstunden; das Trinken geschieht am sehr frühen Morgen, und schon um 4 Uhr sieht man Gäste an den Quellen. Für alle andern Gattungen von Bädern, als Douche- und Schwefeldampfbäder etc. etc., sind die nöthigen Einrichtungen vorhanden. Während des Trinkens und nach demselben sind Bewegungen im Freien sehr zuträglich. Von der Kur unzertrennlich ist eine passende Diät. Sehr fette, saure, reizende und blähende Speisen, z. B. Käse, fettes Backwerk, Hülsenfrüchte, fettes, geräuchertes Fleisch, Oel, saure Salate und frisches Obst dürfen nicht genossen werden. Am zuträglichsten sind gute, kräftige, aber magere Boullion-Suppen, die zärtern Gemüßsorten, magere Braten, Wildpret, Geflügel und Fische, mit Ausnahme der fettern Gattungen. Des Abends essen die Kurgaste wenig und nur leicht verdauliche Speisen. Das Badeleben in Kissingen, obschon es früher, bei geringerer Frequenz des Kurorts, billiger war, ist doch, im Vergleich gegen andere Heilquellen vom ersten Range, auch jetzt noch nicht theuer zu nennen. Mit den Mitteln zu Vergnügen und zur Unterhaltung, wie man sie in einem großen Bade erwartet, ist Kissingen hinlänglich ausgestattet und sie werden von Jahr zu Jahr vermehrt. Spaziergänger und Solche, die weitere Ausflüge lieben, finden in den parkähnlich ausgelegten Waldgehägen und Thalgründen reichlichen Genuß. Lieblingspunkte sind: der Hirschheim’sche Garten, die Oelmühle und das in einer Waldecke der östlichen Berge ganz versteckte Jägerhaus bei Winkels. Manchmal vereinigt sich die ganze Kurgesellschaft zu einem Ausfluge nach diesem stillen, schattigen Plätzchen. Man lagert sich dort in kleineren oder größeren Kreisen unter den Bäumen und labt [60] sich an dem, was die einfache Wirthschaft bietet: an einem Glase Wein oder Bier, an kühlender Milch, oder an einer Tasse Kaffee, den die Försterin vortrefflich bereitet. Auch die Revierförster-Wohnung Klaushof, eine Stunde nordwestlich von Kissingen, und Hausen, sind Lieblingsorte der Kissinger Badegäste. Nicht minder Euerdorf Garitz und der Seehof und die Ruinen Bodenlauben und Trimberg nebst den schönen Anlagen des Altenbergs. Größere Ausflüge gehen nach den benachbarten Städten Neustadt, Münnerstadt, Hammelburg und Schweinfurt; dem prächtigen Schloß Werneck mit seinem Garten; Bad Bocklet und zum Riesen der Rhön, dem heiligen Kreuzberg.

Der Stahlstich zeigt und die schönste Parthie bes berühmten Badeorts, das neue Kurhaus, mit seinem von breiten Wegen durchschnittenen und mit Blumen und exotischen Sträuchern bepflanzten Garten. Von zwei Seiten umgeben ihn Säulengänge, zum Schutz für die Lustwandelnden bei kalter und unfreundlicher Witterung. Dicht dabei sind die Quellen, und schon bei Sonnenaufgang strömt alles, was die Kur gebraucht, dem Garten zu, wo eine vortrefflich besetzte Harmoniemusik jeden jungen Tag in ein Festgewand kleidet.