Der Königsstuhl bei Rehnse im Schnee

Textdaten
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Autor: H. E.
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Titel: Der Königsstuhl bei Rehnse im Schnee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 69, 77, 84
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[69]

Die Wenzelskapelle bei Oberlahnstein und der Königsstuhl bei Rhense.
Originalzeichnung von R. Püttner.

[77]

Am Rheinufer zu Rhense.
Originalzeichnung von R. Püttner.

[84] Der Königsstuhl bei Rhense im Schnee. (Mit Abbildungen S. 69 und 77.) Es gewährt einen eigenthümlichen Reiz, an Stätten, die um ihrer landschaftlichen Schönheit willen im Sommer von einem rauschenden Fremdenstrom überfluthet zu werden pflegen in stiller Winterszeit zu pilgern. Das ganze Leben ist gleichsam zurückgeschraubt auf einfachere Verhältnisse, der pomphafte Apparat der „Saison“ ist verschwunden, und die großen Gasthöfe mit ihren langen Reihen geschlossener Fensterläden könnten uns wie verwunschene Schlösser anmuthen, wenn ihr Aussehen nicht meist allzusehr der Romantik entbehrte. Der Wanderer ist mehr sich selbst und seiner Stimmung überlassen, er wird nicht auf Schritt und Tritt daran erinnert, daß er nur dazu da ist, an sich Geld verdienen zu lassen.

Das empfand ich recht, als ich kürzlich eine kleine winterliche Wanderung rheinahwärts unternahm. Wie still, wie traumhaft lagen die Städtchen und Dörfer da, wie weltabgeschieden ragten die Schlösser und Ruinen aus dem einförmigen Weiß der dichten Schneehülle! Nur der Strom schien geräuschvoller seines Weges zu ziehen – das machten die treibenden Eisschollen, die mit leisem Knistern an den Eisansätzen des Uferrandes sich rieben.

Eine Stimmung, wie geschaffen zum Sinnen und Erinnern.

Und da lenkte ich meine Schritte unterhalb des Dorfes Rhense mit seinen uralten Mauerresten auch dem Königsstuhl zu, dem schlichten Spitzbogengebäude, das ich bis dahin nur einigemale beim Vorüberfahren mit dem Dampfboot flüchtig aus seinem Obstbaumversteck hatte hervorlugen sehen. Jetzt trat ich in seine Halle und schaute von ihr aus hinüber über den Strom nach den beschneiten Dächern von Oberlahnstein und weiter stromauf nach einer kleinen Kapelle, die sonst auch hinter üppigem Grün sich verbarg. Und da hatte ich ja schon ein ganzes Stück Geschichte vor mir. Hier im Königsstuhl ein Denkmal kurfürstlichen Machtstrebens, das seine Spitze gegen den Kaiser, aher auch gegen das tiefgesunkene Papstthum zu Avignon richtete, und drühen die Wenzelskapelle, wo der traurige König Wenzel diese Macht zu fühlen bekam – in seiner Absetzung.

Rhense hatte um den Anfang des 14. Jahrhunderts eine politisch nicht unwichtige Lage. Die Gebietstheile von vier Kurfürsten stießen hier zusammen, und so kam es, daß es wiederholt als Versammlungsort für die damaligen thatsächlichen Lenker der deutschen Geschicke gewählt wurde. Schon die Wahl Kaiser Heinrichs VII. im Jahre 1308 geschah auf Grund einer zu Rhense getroffenen Vereinbarung, und 1338 erfolgte hier die Gründung des „Kurvereins zu Rhense“, an welchem alle Kurfürsten mit Ausnahme des Königs von Böhmen theilnahmen. In diesem „Kurverein“ verkörperte sich die Verwahrung der deutschen Fürsten gegen den unwürdigen Zustand, daß Kaiser und Reich der Spielball des französischen Königs und des von ihm ahhängigen Papstthums sein sollten. Er gab die Losung aus, daß der durch die Mehrheit der Kurfürsten gewählte römische König einer Bestätigung seitens des päpstlichen Stuhls nicht hedürfe – was freilich nicht ausschloß, daß sich die Kurfürsten ihre Stimme von den Männern ihrer Wahl mit allerhand Vergünstigungen und Machterweiterungen recht theuer bezahlen ließen. Noch drei Reichsoberhäupter wurden in Rhense gewählt, Karl IV. (1346), Wenzel (1376) und Ruprecht von der Pfalz (1400); aber erst 1376 erhielten die Rhenser durch Kaiser Karl IV. den Befehl, gegen Verleihung von Zollfreiheit „hier ein Gestühle zu machen und das allewege zu bewahren und zu halten ewiglich“. Und so erstand denn der Königsstuhl, „von Quadersteinen in der Ründe gebaut mit sieben Schwibbogen, stand auf neun steinernen Säulen, deren eine in der Mitte, war sonst ganz offen und darüber gewölbet; hinauf stieg man achtzehn Staffeln, die Ründe betrug etwa vierzig Ellen im Umkreis, die Höhe acht, und sieben Umsitze waren für die sieben Kurfürsten gemacht, und wenn man in die Trompete stieß, hat jeder der vier rheinischen Kurfürsten auf seinem Schloß (Mainz auf Lahneck, Trier auf Stolzenfels, Köln in Rhense, Pfalz auf Marksburg) es hören können“.

So beschreibt Winckelmann den alten Königsstuhl, und wir müssen uns damit begnügen – denn was wir heute schauen, ist nicht mehr der alte Bau, Die Franzosen haben ihn 1795 zerstört, und erst 1843 ließ eine Anzahl vaterländisch gesinnter Männer auf der geschichtlichen Stätte ein neues, dem früheren ähnliches Bauwerk aufführen. Nur die Grundmauern und das Kapitäl des Mittelpfeilers sind alt.

Es waren keine erfreulichen Bilder aus der Geschichte unseres deutschen Volkes, die so auf der denkwürdigen Stätte vor mir aufstiegen. Und noch weniger waren es die, welche die Wenzelskapelle wachrief. König Wenzel, ein roher und dabei schwacher Fürst in einer rohen und wirren Zeit! Und als Abschluß seiner gewaltthätigen und doch schlaffen Regierung der Richterspruch seiner empörten Vasallen in der kleinen Marienkapelle! „20. August 1400“ meldet eine Inschrift. Das war der Tag, an welchem Wenzel seines Thrones entsetzt wurde; und alsbald traten die Kurfürsten drüben auf dem Königsstuhl zusammen, dem Heiligen Römischen Reich einen neuen Herrn zu setzen in einem aus ihrer Mitte, dem Pfalzgrafen Ruprecht. Vorsorglich hatten sie sich vorher der Zustimmnug des Papstes versichert – eine schmerzliche Ironie des Schicksals, wenn man daran denkt, daß auf derselben Stätte kaum ein Menschenalter vorher jene feierliche Verwahrung gegen jede päpstliche Einmischung in die deutsche Königswahl ausgesprochen worden war. H. E.