Der Königsstein und der Lilienstein bei Dresden in der sächsischen Schweiz

CLXVIII. Die Bidassoa: Eintritt in Spanien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXIX. Der Königsstein und der Lilienstein bei Dresden in der sächsischen Schweiz
CLXX. Chateau Chillon am Genfersee
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KOENIGSTEIN und LILIENSTEIN
bei Dresden

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CLXIX. Der Königsstein und der Lilienstein bei Dresden
in der sächsischen Schweiz.




Die Natur zeugt und gebiert stumm an jedem Tage neue Welten; aber wie Geburten und Wiedergeburten der Völker gemeiniglich ein Sturm begleitet und ihnen Mars als Wehemutter dient, so hat auch die Natur ihre Zeuge- und Wehetage, wo sie laut wird; die Tage, da sie die Erdvesten ausbessert, oder neugestaltet, und bevor sie schaffen kann, erst zertrümmern muß.

Von einem solchen Kampftage, an dem sie die Elemente gegen einander in den Streit führte, trägt das Sandsteingebirge, welches von Pirna aus zu beiden Seiten der Elbe hinauf sich majestätisch emporhebt bis zur Pforte Böhmens, die es einst schloß, die sichtbaren Zeichen: unzählige Narben und Wunden. Zerrissen, zermalmt und zerspalten, wie es ist, könnte man es einem Schlachtfelde vergleichen, oder der ungeheuern Brandstätte einer Stadt von Pallästen und Tempeln, die bei aller Verworrenheit und Zertrümmerung noch den Stempel der Pracht und Erhabenheit an sich tragen. Oft auch glaubt man sich zwischen die Mauern eines Irrgartens versetzt, von Giganten zusammengethürmt, und Giganten würden sich darin verlieren, wenn alle die hin- und herlaufenden Einschnitte, die Schluchten und Thäler, in welche das Gebirge zerklüftet ist, durch Quereinschnitte wieder verbunden wären, so daß man unmittelbar in der Tiefe aus einem in’s andere gelangen könnte.

Aus dieser Bergtrümmerwelt, die der gemeinschaftliche Name „die Sächsische Schweiz“ zusammenfaßt, ragen die Felskolosse: der Königstein und der Lilienstein, gleichsam wie Feldherren über ein verworren durcheinander stehendes Heer. Vier Stunden von Dresden, nahe bei Pirna, stromaufwärts, erheben sie sich aus dem weitesten, prächtigsten Thale, das die Elbe durchwogt, einander gegenüber und fast 2000 Fuß hoch. Ihre Form ist die eines Zuckerhuts mit abgeschlagener Spitze. Auf dem Königsstein, der das linke Elbufer bewacht, prangt das Wunderwerk der Festung Königsstein, zu derem Fuße, unten am Bergrand, das Städtchen gleichen Namens liegt, armselig, wie ein Schwarm schlechter Sperlinge, über welche ein Adler in den Lüften kreist. Der Bau jener Bergfestung, deren Unüberwindlichkeit sonst sprüchwörtlich war, und welche, so lange als der Besatzung Muth und Proviant nicht ausgehen, nicht bestritten werden mag, begann gegen Ende des 16ten Jahrhunderts und er währte bis zum Jahre 1731, freilich nicht ohne Unterbrechung, fort. Unermeßliche Summen hat er gekostet, mehr, sagt man, als das ganze Sachsenland reich sey. [90] Sie hat einen einzigen, furchtbar verwahrten und durch Gewalt nicht einzunehmenden Zugang. Für Kriegs- und Mundvorräthe, zu zehnjährigem Bedarf, sind bombenfeste Magazine da und schußdichte Wohnungen für eine Besatzung von 600 Mann. Bei der Festung, auf dem eine halbe Stunde im Umfang großen, unzugänglichen Plateau des Felsens, befinden sich Holzungen und ausgedehnte Getreidefelder, welche im äußersten Nothfall ein paar hundert Vertheidigern, nach dem Verbrauch aller Vorräthe, Jahr aus Jahr ein das Leben fristen können. Der Brunnen, fast 1200 Fuß tief durch den Felsen getrieben, ist ein Wunderwerk für sich; er kostete zu bauen über eine Million Thaler und 56 Jahre Arbeit. – Die neuere Kriegskunst hat den Werth kleiner Bergfesten tief herabgesetzt, und schon Friedrich der Zweite bewies es, daß solch ein unüberwindlich Bollwerk zur Vertheidigung eines Landes nichts nütze. König August der Dritte mußte, im siebenjährigen Kriege, sein fast unter den Kanonen der Veste gelagertes, schönes Heer gefangen wegführen sehen. Jetzt benutzt man den Königsstein hauptsächlich zur Aufbewahrung der wichtigsten Landes-Archive und der Dresdener Kunstschätze in kriegerischen, unsichern Zeiten und als ein Gefängniß für große Verbrecher und Staatsgefangene. Auch in neuester Zeit hat er die traurige Bestimmung erhalten, den in dem zweiten Dresdener Aufstande compromittirten Personen zum Kerker zu dienen. In eines Fürsten Brust, in welcher der Gnadenbogen des Friedens mit Gott und den Menschen ruht, in eines Fürsten Rath, wo ein Mann redet, dessen großer Geist den Weltraum mißt und unter Sternen wandelt; ein Mann, der, umstrahlt von der Doppelglorie des Gelehrten und des Staatsmanns, zugleich als Vertreter des Volkes um Bürgerkronen wirbt, – sollte da das Wort Amnestie noch lange ein ungehörtes bleiben können? –

Der Lilienstein ist der erhabenere der beiden Riesen, und ein Obelisk auf seiner Spitze, welcher sich von unten wie eine Nadelbüchse ausnimmt, scheint nur hingestellt zu seyn, um den Unterschied zwischen Menschenwerken und Gotteswerken recht augenfällig zu zeigen. Der Aufgang ist steil und sehr beschwerlich; aber die Aussicht, köstlich über alle Beschreibung, lohnt reichlich dafür.