Die Bidassoa: Eintritt in Spanien

CLXVII. Sevilla: der goldene Thurm Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXVIII. Die Bidassoa: Eintritt in Spanien
CLXIX. Der Königsstein und der Lilienstein bei Dresden in der sächsischen Schweiz
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IRUN und die BRÜCKE über die BIDASSOA

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CLXVIII. Die Bidassoa: Eintritt in Spanien.




Die hohe Gebirgskette der Pyrenäen, welche Frankreich von Spanien trennt, dacht sich an ihrem äußersten, nördlichen Ende als eine Hügellandschaft von geringer Breite ab, in deren Thälern die Bidassoa mit ihren Nebenflüssen nach kurzem Laufe dem Meere zueilt. Es bildet der mäßiggroße Bergstrom hier die Grenze zwischen den beiden Reichen, und die über denselben führende, von St. Jean de Luz herkommende Straße ist die einzige nördliche, welche den Hochrücken der Pyrenäen meidet. Sie ist zugleich die bestgebahnte. Die übrigen Straßen über die Nordpyrenäen, zum Theil Werke Napoleons, sind auf spanischer Seite sehr verfallen, und werden jetzt fast nur von Schleichhändlern benutzt.

[88] Je näher man dem spanischen Gebiete kömmt, desto verlassener und öder wird die Landschaft, desto seltner werden die Wohnungen. Struppiges Buschwerk bekleidet die Hügel, und schon einige Stunden von der Grenze wird der Volkstypus ganz verändert. In Anoa, dem letzten Dorfe von den Staaten Ludwig Philipp’s, spricht Niemand französisch, als der Maire.

Von der Höhe hinter diesem Ort fällt der Blick in das freundliche Thal der Bidassoa, jenseits derselben auf biskaische Hügel und damit zuerst auf spanische Landschaft. Malerisch liegt Irun am Abhange des Gebirgs, und seitwärts, im Hintergrunde, zieht sich die lange Brücke über den Strom, schon öfters der Rubikon, dessen Uebergang das Schicksal von Monarchen und Reichen entschied. Auch der Mann des Jahrhunderts hat das erfahren, und an der Bidassoa begann, was sich in den Flammen Moskau’s entschied, und bei Leipzig und Waterloo vollendete.

Aber noch tiefer als diese, der Vergangenheit angehörenden Betrachtungen, bewegt die Gegenwart des Schauenden Gemüth. Irun, jene erste Stadt auf spanischem Boden, deren weiße Wände so freundlich zu uns herüber blinken, – sie ist nur noch das Gerippe einer Stadt, und jene Mauern verbergen Schutthaufen, getränkt mit Blut. Des Stromes einst blühende, mit freundlichen Wohnungen geschmückte Ufer sind auf spanischer Seite verlassen und gänzlich verwildert! Aschenhaufen traten an die Stelle der Häuser, und statt der Schalmey der Hirten und dem Blöcken der Heerden, dröhnt der Donner des Geschützes und das Geprassel der Musketen aus den höhern Thälern – Zeichen des seit 4 Jahren hier nie rastenden Bürgerkriegs. Auch auf französischer Seite hat sich die Bevölkerung zurückgezogen, die Weiler sind in Kasernen verwandelt, und von Strecke zu Strecke erheben sich Schanzen mit der dreifarbigen Flagge, aus deren Schießscharten die ehernen Würgengel des Kriegs ihre Rachen drohend nach dem unglücklichen Jenseits richten. Hüben hie und da eine Vedette; drüben dann und wann die unheimliche Gestalt eines Schmugglers, oder eine malerische Gruppe von Christinos, oder Carlisten, je nachdem gerade diese oder jene Faktion im Besitz der Gegend ist.

Armes Spanien! Wie ein Gespenst der Mitternacht rasest du über die Bühne des Tags; ringest nach Hülfe; aber deine Schreckengestalt hält jeden rettenden Arm zurück. Fortwirbelst du dem Abgrund entgegen, du sinkest, stürzest, endigst, zerstiebst, und der Niederschlag deiner Auflösung ist Todtenschädel und Blut. Stirbst du allein? oder wie? bist du vielleicht nur ein Anfang von Völkersterben im Welttheil?

Jede aufgehende Sonne setzt eine niedergegangene voraus; im Tode keimt das Leben, und wenn die Völker untersinken, steigt die Menschheit. Drum – wäre auch die Antwort auf jene Frage eine bejahende – doch nicht verzagt! sondern vertraut auf Den, der hinter der Ewigkeit thront, und nicht gezweifelt, wenn er nach andern Gesetzen die Geschicke seiner Schöpfungen lenkt, als unser sterbliches Auge ermißt.