Der Hundekönig und sein Reich
[504] Der Hundekönig und sein Reich. Die spanischen Provinzen in Südamerika hatten sich erhoben, um das Joch des Mutterlandes abzuwerfen und kämpften um ihre Freiheit. Ein Creole von Cuba, Juan mit Namen, stand in dem Heere der Patrioten von Peru, zeichnete sich durch großen Muth und eben so großes Glück aus, und brachte es zu einer ziemlich hohen Stelle. Nach dem Kriege hatte Peru sehr viel Freiheit, aber sehr wenig Geld und konnte seine Helden nicht bezahlen. Unser Creole erklärte, sich mit Land abfinden zu lassen; darauf ging man ein und sagte ihm, er möge sich eine Insel von den Encantadas aussuchen, bekanntlich einer Gruppe Felsen unter der heißen Sonne des Aequators, die zu Peru gerechnet wird. Der Creole schiffte sofort dahin, besah sich die Inseln genau und erklärte bei seiner Rückkunft, er habe die Certos-Insel gewählt und wolle sie annehmen, wenn man sie ihm als alleiniges Eigenthum und völlig unabhängig von Peru überlasse, auch ihm ein Document in aller Form darüber ausstelle. Dies geschah und Juan ward einer der Souveraine, obgleich er nie im Gothaischen Kalender gestanden hat.
Das Nächste, was der neue Inselkönig that, war, daß er eine Proklamation erließ, in welcher er unter glänzenden Versprechungen Unterthanen für sein völlig unbewohntes Reich suchte. Es fanden sich etwa achtzig Seelen, Männer und Weiber. Diese versorgte er mit dem Nothwendigsten, mit Werkzeug, auch einigen Rindern und Ziegen, und dann miethete er ein Schiff, das Alle nach dem gelobten Lande bringen sollte. Zuletzt, kurz vor dem Absegeln, erschien der neue König selbst und zwar unerwarteter Weise mit einer Leibwache, einer Anzahl großer grimmiger Hunde, die sich die ganze Fahrt über aristokratisch von den gemeinen Unterthanen ihres Herrn abgesondert hielten und nur diesem sich anschlossen.
Sobald König und Unterthanen an der Insel glücklich angekommen waren, welche etwa acht Meilen im Umfange hat, begannen sie die Hauptstadt zu bauen, und einige wenige Hütten, die sie von Lavablöcken aufführten, während die Rinder in den am Wenigsten unzugänglichen Schluchten einige Gräser suchten, die Ziegen aber, geborne Abenteurer, Entdeckungsreisen in das Innere des Landes antraten, die Menschen dagegen von Fischen und Schildkröten lebten, welche letztere sich in zahllosen Mengen da aufhalten.
Bei allen neuen Ansiedelungen kommen Streitigkeiten und Kämpfe vor, und sie blieben hier um so weniger aus, als die meisten Colonisten Auswürflinge der verschiedensten Nationen waren. Se. Majestät sah sich endlich genöthigt, sein ganzes Reich in Belagerungszustand zu erklären, persönlich Jagd auf die rebellischen Unterthanen zu machen, welche in das Innere des Landes sich geflüchtet hatten und in der Nacht in gar nicht zweifelhafter Absicht in den Lavapalast hineinschlichen, und mit hoher eigener Hand die niederzuschießen, welche er erreichen konnte. Die Zuverlässigsten seiner andern Unterthanen hatte er überdies zu einer Leibgarde gebildet, die neben der Hundegarde sein Leben schützen sollte. Trotzdem aber, daß Alle, die nicht zu dieser Garde gehörten, Uebelthäter und Verräther waren, wurde die Todesstrafe stillschweigend bald wieder abgeschafft, denn der König berechnete, daß er in kurzer Zeit alle seine Unterthanen erschießen müßte, wenn er nach strengem Recht verfahren wollte. Er entließ denn auch seine Garde, welche die Weisung erhielt, Kartoffeln zu bauen, und die bewaffnete Macht bestand nun wieder allein aus dem Hunde-Regimente, der König selbst aber wagte sich nur bis an die Zähne bewaffnet und umgeben von seinen getreuen grimmen Hunden zwei Schritte vor die Thür.
Der Belagerungszustand hatte zahlreiche Opfer gekostet, der Ehesegen aber war sehr gering im Lande und so nahm die Bevölkerung ab statt zu. Das bekümmerte den König sehr und er sann auf Mittel, die Zahl seiner Unterthanen in anderer Weise zu vermehren. Da seine Insel einiges Wasser hatte und unter den übrigen Felsen umher noch am Einladendsten aussah, so wurde sie gelegentlich von Wallfischfahrern besucht. Se. Majestät erhob von denselben Hafen- und andere Abgaben und allmälig fing er an, Matrosen zur Desertion zu verleiten, was ihm häufig gelang, da er es an Versprechungen nie fehlen ließ.
Obwohl er nun diese Deserteure als Günstlinge behandelte, sollten sie doch seinen Sturz herbeiführen. Sie verbanden sich zunächst mit den Unzufriedenen, gewannen endlich auch die ehemalige Leibgarde und dann brach ein allgemeiner Aufstand aus. Der Inselgebieter rückt mit allen seinen Hunden gegen die Aufrührer und an der obersten Stelle der Küste kam es zum Kampfe, zur blutigen Schlacht. Sie währte drei Stunden; die Hunde kämpften mit Wuth und Todesverachtung, die Empörer aber unterstützte die Ueberlegenheit. Drei Mann und dreizehn Hunde blieben todt auf dem Platze, Verwundete gab es auf beiden Seiten viel mehr und der König mußte endlich mit dem Reste seiner Hunde-Armee fliehen. Der Feind verfolgte ihn hartnäckig und trieb ihn mit Steinwürfen in das wilde Innere der Insel. Dann kehrten die Sieger in die Hauptstadt zurück, zapften die Rumfässer an und proklamirten die Republik. Die Gefallenen wurden dann mit allen Kriegsehren begraben, die todten Hunde aber schimpflich in’s Meer geworfen. Der Hunger trieb auch den geschlagenen flüchtigen König bald wieder aus den Bergen heraus, und er machte Friedensanträge, aber die Rebellen wollten durchaus mit ihm nicht anders Frieden schließen, als unter der Bedingung, daß er die Insel auf immer verlasse. Er mußte sich fügen, und so nahm das nächste Schiff den Exkönig mit nach Peru.
Lange privatisirte er da und wartete jeden Tag auf Nachricht von seinem Reiche, auf die Reue der Rebellen, auf seine Zurückberufung und auf den Sturz der Republik, aber vergebens; seine aufrührerischen Unterthanen blieben bei einander ohne alle Regierung, ohne alles Gesetz als das des Stärkeren. Ihre Zahl wuchs mehr und mehr, denn alle entlaufenen Matrosen waren ihnen willkommen und sie lieferten keinen aus; in Jedem sahen sie einen Märtyrer der Freiheit, und ihre Insel nannten sie „Zuflucht der Unterdrückten aller Nationen.“ Wenn sie Gelegenheit fanden, beraubten sie auch wohl ein Schiff, das an ihrer Küste anlegte, und auch vor Mord scheuten sie sich nicht. So kam es, daß endlich kein Schiff mehr an der Insel anlegen durfte. Das Gesindel auf derselben war somit geächtet, und Viele suchten endlich wieder hinwegzukommen; sie wagten sich in Böten in das Meer hinaus oder auf benachbarte Inseln, und gaben sich für Schiffbrüchige aus, um von vorüberkommenden Schiffen aufgenommen zu werden.
In unsern Tagen noch hausen Einige auf der geächteten Insel, und sie versuchen oftmals, namentlich in der Nacht, durch aufgesteckte Lichter, Schiffe an ihre Küste zu locken, aber erfahrene Seeleute scheuen diese Irrlichter mehr als Stürme und Klippen. – Der Hundekönig soll vor wenigen Jahren in Verzweiflung gestorben sein.