Textdaten
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Autor: B. B.
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Titel: Der Haarschneider
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 593, 599
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[593]

Der Haarschneider.
Originalzeichnung von Professor N. Gysis.

[599] Der Haarschneider. (Mit Illustration S. 593.) Auch eine Kunst, das Haarschneiden, und keine, die man so aus dem Aermel schüttelt. Ich hab’ es versucht, wahrhaftig, ich hab’ es versucht, und es ist mir schlecht bekommen. Es war der complicirteste Treppenbau geworden, den man sich vorstellen kann, denn außer den Hauptstufen gab es noch die verzwicktesten Nebenstufen von einer zur andern. Man konnte auch an Cascaden dabei denken, in denen ein Bergwasser über Steingerölle herunter purzelt. Was war zu thun? Mein armer Bruder mußte zum „Künstler“, und dieser schor ihn bürstenkahl, denn der „Schnitt war gänzlich verhunzt “. Erst wieder wachsen, und dann Façon hinein bringen.

Kein Zweifel, es ist eine Kunst. Man muß die Technik weghaben, und man muß ein Ideal haben, das man verwirklicht. Die einfachste Technik besteht darin, daß man dem Opfer eine Mütze aufsetzt und rund um den Rand alles kahl schneidet. Etwas genialer ist die eines berühmten Freundes, welcher seinen Lockenkopf in drei Theile theilt. Erst das Hinterhaupthaar zusammen genommen: erster Schnitt. Dann das Haar um das rechte Ohr: zweiter Schnitt. Nun um das linke: dritter Schnitt. Welch ein weiter Weg führt von diesen primitiven Verfahren zu jenen Höhen der Kunst, wie sie auf dem alljährlich in der Reichshauptstadt veranstalteten Wettschneiden mit vollendeter Sicherheit erstiegen werden!

In der That, wer daran denkt, wird sich von der Kunst des alten Herrn mit der Riesenbrille und der Zipfelmütze auf unserem Bilde nicht viel versprechen. Kürzer wird das Haar des Lockenkopfes, der sich zum Opfer seiner Scheere hingab; aber wie?

Ein verzweifeltes Gefühl, wenn die dumpfe Scheere oder die unsichere Hand da über unserem Haupte arbeitet und jeder Augenblick mit Raufen droht! Ein noch verzweifelteres, ja ein Martyrium, wenn es da zwickend in unserem Nacken herumgleitet. Zwick – zwack – jetzt eine Spur weiter, dann ging es in die Haut. O, jeder Nerv prickelt. Man hat ein Gefühl, als ob die Scheere auf einer ausgeprägten Gänsehaut herum führe.

Nun – was den Buben auf unserem Bilde betrifft, so ist anzunehmen, daß er ohne Blutvergießen wohl nicht davonkommen, und daß der Schmerz, den er mit zugekniffenem Auge erwartet, mit ziemlicher Sicherheit eintreffen wird, denn der alte Herr da wird wohl nicht so ganz genau die Spitzen seiner Scheere in der Gewalt haben.

Immerhin, solch eine Schramme heilt wohl bald, aber es ist leichter gesagt als gethan: „Still zu sein, wie ein Lamm vor seinem Scheerer.“ V. B.