Der Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige
Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige.
Vor zwei Jahren hat der Botaniker und Afrikareisende Schweinfurth den Lesern der „Gartenlaube“ (Nr. 38, 1884) interessante Mittheilungen über den Blumenschmuck ägyptischer Mumien gemacht. Er hatte solchen an den Leichen fürstlicher Männer und Frauen gefunden, welche aus einem Versteck über dem berühmten Terrassentempel von Der el-bahri im westlichen Theben zu Tage gefördert worden waren.
Die Entdeckung der sterblichen Reste so vieler Beherrscher des Nilthales, unter denen sich die größten aller Pharaonen befanden, wurde von dem genannten Gelehrten mit Recht als der denkwürdigste von allen Funden aus dem Alterthume bezeichnet, und so wollte es dem Herausgeber der „Gartenlaube“ wünschenswerth erscheinen, den Lesern seines Blattes durch den Verfasser etwas Näheres über denselben mittheilen zu lassen, zumal bei Gelegenheit der Auswickelung gewisser Mumien im Museum von Bulak in jüngster Zeit wieder viel auf diesen Fund hingewiesen worden ist.
Je interessanter uns nun die gestellte Aufgabe erscheint, desto williger gehen wir an ihre Lösung, desto lieber wollen wir auf den folgenden Blättern die Todtenstadt von Theben, welche wir in der Ueberschrift mit Recht einen „Friedhof ohne Gleichen“ nannten, beschreiben und dann erzählen, welchen Platz Der el-bahri in demselben einnahm, wie es kam, daß die wunderbare Entdeckung, um die es sich hier handelt, gemacht wurde, welche Gegenstände sie umfaßt, und wie es geschehen konnte, daß die Leichen so vieler Fürsten, unter denen mehrere eigene große Grüfte, die längst entdeckt worden sind, besaßen, an einer einzigen Stelle beisammen gefunden werden konnten. Man denke, wie erstaunt unsere Nachkommen sein würden, wenn sie Friedrich Wilhelm’s III. von Preußen Mausoleum in Charlottenburg und Friedrich Wilhelm’s IV. Grab in Potsdam entdeckten und später die Leichen dieser Könige an einer dritten Stelle beisammen fänden.
Die Todtenstadt nahm das westliche oder linke Nilufer des hundertthorigen Theben ein und darf als ein weit ausgedehnter Friedhof von höchst absonderlichem und wechselvollem Aussehen bezeichnet werden. – Während sich auf dem rechten (östlichen) Nilufer die Wohnstadt der Bürger von Theben mit Straßen und Plätzen, Magazinen und Palästen, mit der viele Quadratkilometer bedeckenden Tempelstadt, welche die gewaltigen Reichsheiligthümer umfaßte, sowie mit den Arsenalen und Sitzen für die öffentlichen Behörden erhob, war das ganze ziemlich breite Flachland auf der anderen Seite des Stromes sammt dem nackten libyschen Kalkgebirge, das es im Westen wie eine Mauer abschloß, ganz und gar dem Tode, den Verstorbenen und solchen Dingen und Bestrebungen gewidmet, die nicht von dieser Welt sind.
In der Ebene der Nekropole reihte sich ein Flecken an den anderen, und diese bestanden sämmtlich aus einem Heiligthume, um welches sich die Häuser der Priester, der Tempeldiener sowie der Handwerker, Gärtner, Landleute, Lebensmittel- und Opferverkäufer scharten, welche dem betreffenden Tempel vorstanden, zu ihm gehörten oder ihm als Fröhner dienstbar waren.
Als Stiftungen, welche sich an mehrere Heiligthümer auf dem Gebiet der Nekropole schlossen, gab es auch Lehranstalten, in denen weit ab von dem Treiben der Residenz junge Aegypter aus allen Ständen in der Ruhe der Todtenstadt erzogen und unterrichtet wurden.
Die berühmteste war das sogenannte „Haus des Ramses“, dessen Trümmer unter dem Namen des Ramesseums bekannt sind. Als ihre Vorgängerin ist das „Setihaus“ zu betrachten, der heutige Tempel von Qurna, welcher unter Ramses II. und seinem Sohne Menephtah von dem Ramseshause weit überflügelt werden sollte. An dieses schloß sich auch eine berühmte Bibliothek, welche den Namen der „Heilanstalt der Seele“ führte, und einige der besten Stücke der ägyptischen Litteratur, welche ein glückliches Ungefähr gerettet und bis auf uns gebracht hat, sind von Gelehrten dieser Hochschule verfaßt oder doch abgeschrieben worden. Sie stand sammt ihren Hörsälen, Schreibstuben, Sternwarten, Gerichtsstätten und Alumnaten in nächster Verbindung mit einem herrlichen Tempel, der von Ramses II. als Votivbau errichtet worden war, nachdem ihn in der Schlacht bei Kadesch die Truppen der Cheta, des mächtigsten Volkes im damaligen Vorderasien, umzingelt hatten und er, verlassen von all seinen Mannen, „allein geblieben war unter Tausenden“.
Die Aegypter nannten diese Stiftungen in der Nekropole mennu, das heißt Erinnerungsmale oder Denkstätten, und sobald nach der Eroberung des Nilthales durch Alexander den Großen die Griechen nach Theben gekommen waren und die Monumente gesehen hatten, brachte sie ihr beweglicher Geist mit eigenen Erinnerungen und den Mythen ihres Volkes in Beziehung. Da stand vor den Pylonen der Denkstätte des Königs Amenophis III. in der Nekropolis ein Paar von Kolossen, welche die Gestalt dieses Pharao in riesigem Maßstabe zur Darstellung brachten, und als nun ein Erdbeben die nördlicher aufgestellte Statue verstümmelt und sich die Kunde verbreitet hatte, daß sie beim Aufgang der Sonne einen Klang von sich gebe, erklärten die Hellenen sogleich das von den Aegyptern mennu genannte Bildwerk für die Statue des Homerischen Helden Memnon, welcher „der herrliche Sohn der leuchtenden Eos“ genannt wird, und der den Antilochos, Nestors Sohn, in der Feldschlacht getödtet. –
Dieser Memnon, das Kind der Morgenröthe, wurde bald von den Griechen in einen äthiopischen Heros verwandelt, und sie umflochten das Andenken an ihn mit einem schönen Mythenkranze. Wenn Eos, so hieß es nun, in der Frühe den östlichen Horizont rosenroth färbe, solle sein Standbild der Mutter einen Gruß entgegentönen, sie aber Thränen der Rührung, den Morgenthau, auf den geliebten Sohn niederweinen.
Wie der Koloß des Amenophis den Namen der Memnonssäule, so haben alle der Erinnerung geweihten Baudenkmäler in der Nekropole, welche auf Aegyptisch „mennu“ heißen, durch die Griechen den Namen „Memnonien“ erhalten, und die ganze Todtenstadt wurde bald die Memnonienseite von Theben genannt.
Von den frühesten Zeiten an waren hier die Leichen nicht nur der Könige, sondern auch der Bürger bestattet worden, und es haben sich auf diesem Riesenfriedhofe die Gräber schon von Pharaonen aus der elften Herrscherreihe, deren Regierungszeit in der Mitte des dritten Jahrtausends vor Chr. endete, gefunden. Diese Fürsten ließen sich, anknüpfend an die Sitte ihrer Vorfahren, kleine Pyramiden am Fuße des libyschen Gebirges erbauen und im Anschluß an sie Grabkammern in den Felsen meißeln. Fürsten und Große aus jener und der ihr folgenden Zeit haben sich Grüfte in den Boden des Flachlandes der Todtenstadt ausgraben und sie zum Theil überwölben lassen: nachdem aber die Eindringlinge, welche unter dem Namen der Hyksos bekannt sind, Aegypten vier Jahrhunderte lang geknechtet hatten und endlich wieder aus dem Lande vertrieben worden waren, suchten die ersten Befreier, welche für den verzweifelten Entscheiduugskampf aller Männerarme so dringend bedurften, daß sie dieselben nicht für die Herstellung ihrer Gruft aufrufen konnten, durch die künstlichste Ausschmückung der Mumien das gut zu machen, was ihren Grabstätten im Qurnet Murrai am östlichen Fuße des libyschen Gebirges an Größe und Schönheit abging.
Ihre Nachfolger in der achtzehnten Dynastie, denen es dann gelungen war, ihre semitischen Nachbarn zu unterwerfen und sich einen großen Theil von Vorderasien tributpflichtig zu machen, gaben die alte Sitte des Pyramidenbaues auf, und nachdem einige von ihnen noch im nördlichen Theile der Nekropole bestattet worden waren, legten sie einen neuen Friedhof an und ließen sich Felsengrüfte in das Gestein eines westlichen Querthales des libyschen Gebirges hauen.
[749] Ihrem Vorgange folgten die Pharaonen der neunzehnten und zwanzigsten Dynastie, indem sie die große Schlucht hinter dem sogenannten Sargberge, welcher das Flachland des Memnonienviertels nach Westen zu abschließt, benutzten, um sich ewige Ruhestätten in derselben auszuhöhlen.
Im alten Reiche war es den Pharaonen Ehrensache gewesen, sich bei ihrer Residenz Memphis eine möglichst hohe Pyramide zu erbauen; von der achtzehnten Dynastie an boten die Könige bei der Herstellung ihrer Ruhestätten Alles auf, um möglichst tief in die Felsen zu dringen. Ein mächtiger Herrscher, wie Seti I., und ein reicher Fürst, wie Ramses III., stellten Grüfte für ihre Leichen her, welche eine Längenausdehnung von wenigstens 60 Meter besaßen und dabei über und über mit schön ausgemalten Skulpturen und Inschriften bedeckt waren.
In diesen Theil der Nekropole, welcher heute Biban el-Muluk oder Pforten der Könige genannt wird, und in dem ausschließlich gekrönte Häupter bestattet werden durften, führten zwei Wege: eine Fahrstraße in der Ebene und ein Fußweg, welcher den Berg überschreitet, an den sich das Memnonium von Der el-bahri lehnt.
Die Großen und Reichen aus der Zeit, welche der Vertreibung der Hyksos folgte, ließen sich wie die Könige, denen sie dienten, in Felsengrüften bestatten; diese finden sich aber weitab von den Fürstengräbern im östlichen Abhänge des Sargberges, und ihre Pforten öffnen sich nach dem Flachlande der Todtenstadt hin. Ihre Zahl ist groß, und wenn man, etwa vom Ramesseum aus, nach dem libyschen Gebirge hinschaut, so gewährt dies an vielen Stellen den Anblick einer Honigwabe oder der Rinde des Korkbaumes; denn eine Gräberöffnung gähnt neben der andern aus dem hellen Kalkstein dem aufwärts Schauenden entgegen.
Wie im alten Aegypten jedes Einzelding einem vorgeschriebenen Typus, einem fest normirten Gesetze zu folgen hatte, so wurden sowohl die Gräber der Könige wie die der Privaten nach einem bestimmten Plane angelegt, von dem nur geringe Abweichungen gestattet waren.
In den Pharaonengrüften schließt sich Raum an Raum, oft so, daß die ganze Gruft schräg abwärts führt und man bald auf geneigten Flächen, bald auf Treppen zu ihrem Ende niedersteigen muß. Je mächtiger, langlebiger oder frömmer der zu Bestattende war, desto mehr Säle und Kammern gab es, desto reicher ward die Ausschmückung des Grabes mit Bildern und Inschriften.
Diese beziehen sich sämmtlich auf das Leben nach dem Tode, die Dua-t oder Tiefe, die Fahrt der Sonnenbarke, in der auch die Seele des Verstorbenen Aufnahme gefunden hat, durch alle Stunden des Tages und der Nacht. An den Sternbildern des oberen und unteren Himmels gleitet der Nachen vorüber; flinke Schakale ziehen ihn, treue Gefährten halten die Schlange zurück, über deren Windungen das Boot in der Unterwelt vorwärts zu streben hat. Dort beleuchtet die Sonne die Sitze der Verstorbenen und der Dämonenwelt in der Dua-t, und wer die finsteren Felsenräume der Königsgräber mit der Fackel in der Hand durchschreitet und die Augen über die Bilder an den Wänden und Decken hinschweifen läßt, der meint in einer sinnverwirrenden Zauberwelt zu verweilen; denn gar befremdlich ist das rege Treiben im Reiche des Todes, und wenn er an Schlangen und Nattern, den menschlich gebildeten Trägern höchst wunderlicher Geräthe, an Männergestalten ohne Kopf, an den Barken, welche über den Rücken unermeßlich langer, wellenförmig gekrümmter Kriechthiere hingleiten, an Personen, die auf dem Kopfe stehen und deren Füße gen Himmel weisen, vorbeigekommen ist und die barocken Namen all dieser Phantasiegebilde gelesen hat, sieht er sich zu Häupten seltsam geordnete Sternbilder auf gekrümmten Barken auf und nieder fahren, beugt sich eine weibliche Riesengestalt über ihn hin, die Himmelsgöttin, deren blauer Leib mit Gestirnen besäet ist, auf deren Rücken sich das Sonnenschiff von Osten nach Westen oder, wenn der nächtliche Himmel gemeint ist, von Abend nach Morgen fortbewegt.
Schön ist der Gedanke, daß Seele (ba) und Herz (ab) verantwortlich sind im Jenseits für die Gesinnung und sittliche Führung während der Zeit ihrer Vereinigung mit dem Körper, dem sie Leben, Bewegung, Selbstbewußtsein, Willenskraft, Empfindung und Denkvermögen verliehen hatten. Vor dem Todtenrichter Osiris und seinen 42 Beisitzern wird das Herz des Verstorbenen, der Träger der Gesinnung und der Regungen des Gemüthes, gewogen, und zwar mit der Straußenfeder, welche die Wahrheit symbolisirt. Ist das Ergebniß dieser Wägung günstig ausgefallen und festgestellt worden, daß der Erdenbürger sich enthalten hat die 42 Todsünden zu begehen, welche das 125. Kapitel des sogenannten Todtenbuches aufzählt, und die sich auch auf den Wänden mancher Königsgruft eingemeißelt finden, dann wird der Seele gestattet, zu dem lichten Weltgeist zurückzukehren, von dem sie ausgegangen ist, und als Theil des Ra und Eins mit ihm die Welt zu beleuchten und sie zu regieren, oder auf die Erde zurückzukehren und sich in jede Gestalt zu kleiden, die ihr genehm ist. Vor ihrem Aufgehen in Gott muß sie ganz frei sein von jedem Makel; denn der kleinste Flecken würde die vollkommene Reinheit dessen, der sie in sich aufnehmen soll, trüben. Darum hat sie wohl, bevor sich die Vergöttlichung vollzieht, „durch Feuer und Wasser“ zu gehen und dann in den Gefilden der Seligen zu verweilen, dort an klaren und vollen Strömen Felder von wunderbarer Fruchtbarkeit zu bestellen und Aehren von einer Größe zu ernten, wie sie die Erde nicht kennt. – Die Mühe der Bewässerung der Aecker, des Pflügens und Säens wird den Seligen von gehorsamen Dienern abgenommen, den Schebti oder Uschebtifiguren, Püppchen aus gebranntem Thon, Holz oder Stein in Mumiengestalt mit Hacke und Pflug in den Händen, dem Saatbeutel auf dem Rücken und dem sechsten Kapitel des Todtenbuches, das ihre Bestimmung erläutert und ihre Hilfe anruft, auf der vorderen Seite des Körpers.
Nach seinem Hingang trennen sich die verschiedenen Theile des menschlichen Organismus. Der Körper, welcher der Erde und gemeinen Materie angehört, heißt Chat; er wird aber durch die Mumisirung in eine höhere Existenzordnung erhoben und empfängt dann, nachdem er durch Amulete, Ceremonien und Sprüche Reinheit erlangt hat, die Erlaubniß, die Pforten der Dua-t als Sahu zu überschreiten. Ba und ab – Seele und Herz – kennen wir bereits. Der Schatten oder Chaib-t wird selten erwähnt. Sehr eigenthümlich ist die Idee des Ka oder Genius, welcher als Doppelgänger des Menschen betrachtet werden darf und die körperliche und geistige Form darstellt, die ihn auf Erden von anderen Individuen unterschieden hat. Dieser Ka ist gewissermaßen das Vorbild, das der Gestaltung des Einzelnen zu Grunde gelegen hat. Nach dem Tode löste er sich von dem Körper ab, diente, gleichsam als luftiges Spiegelbild des Lebenden, seiner Seele zum Gefäße und vereinte sich nach der Apotheose derselben mit dem Sahu oder der geheiligten Mumie, auf die er paßte wie die Todtenmaske auf das Gesicht, wie der Schuh auf den Fuß, von dem er sich selbst abgezogen. Wie dem Entschlafenen selbst sah er der portraitähnlichen Statue desselben gleich, und mit [750] seinem Namen Ka, das ist das Abbild, wurde auch die von Menschenhänden verfertigte Bildsäule bezeichnet.
Wenn diese angerufen ward, konnte er sich an sie heften, wie an die Mumie; aber seine Existenz blieb abhängig von der Erhaltung der letzteren. Uebrigens war der Ka keine bloße Form, sondern ein Sonderwesen, das, wie der Genius der Römer, als Schutzgeist des Lebenden wie des Verstorbenen, dessen äußere Erscheinungsform er darstellte, gelten konnte. Die Hinterbliebenen wandten sich an ihn mit Gebeten und Opfern, die Seele des Dahingegangenen blieb in Verkehr mit ihm, redete mit ihm, und wenn es sie, der es frei stand, sich in jede Gestalt, auch in die von Thieren und Pflanzen zu kleiden, gelüstete, auf die Erde zurückzukehren und mit den Ihren zu verkehren, hüllte sie sich in ihre von ihr abgesonderte äußere Form, den Ka. Darum ist in den meisten Gräbern eine Statue des Verstorbenen aufgestellt worden, darum mußte die Mumie mit aller Sorgfalt vor jeder Beschädigung gehütet werden. Ward sie zerstört, so paßte der Ka nicht mehr auf den Körper, die Todtenmaske nicht mehr auf das Gesicht. Die Seele, welche sich vielleicht nach der Erde zurücksehnte, war um ihren Schutzgeist gekommen und ihr Kleid verdorben. Sie kehrte nicht mehr in den Ka zurück, und der, wenn der Ausdruck erlaubt ist, seiner Füllung beraubte Schemen verflüchtigte sich oder enteilte, um vielleicht bei der Entstehung einer neuen Menschenknospe zum Vorbild und ihr später als Schutzgeist zu dienen.Aus diesen Gründen wurden die Leichen der Aegypter mit so ängstlicher und opferwilliger Sorgfalt vor Vernichtung geschützt.
Das Erdenleben des Einzelnen sollte nicht verloren gehen; verantwortlich für ihr Verhalten auf Erden war jede Seele. Manche sehen wir auch ewiger Verdammniß anheimfallen; denn unter den tausend Gestalten, denen das Auge in den Königsgrüften begegnet, finden wir auch Verurtheilte in glühenden Oefen, die, von Flammen umzüngelt, Fächer in der Hand halten, mit denen sie sich wie zum Hohn Kühlung zuwedeln. Aus dem Hals der Geköpften spritzt rothes Blut, eine unreine Seele wird in Gestalt eines Schweines aus der unterirdischen Gerichtshalle herausgepeitscht, und kein Dante könnte eine wunderlichere, sinnverwirrendere Gestaltenfülle ausdenken als diejenige, welche wir, wohl benannt und mit bestimmter Bedeutung, in dieser unterirdischen Divina Commedia zusammenfinden. Alles, was hier in Schwindel erregender Menge auf Auge, Geist und Seele einstürmt, bezieht sich auf den Tod, und nur auf diesen, wenn wir einige kleine Darstellungen im Grabe Ramses’ III. ausnehmen.
[762] Ganz anders war es mit den Grüften der großen und reichen Privatleute bestellt. Die schönsten derselben sind unter den Königen der achtzehnten Dynastie (17. bis 16. Jahrhundert v. Ch.) in den Kalkstein des Sargberges gemeißelt worden, und von ihren Oeffnungen aus läßt sich die ganze Todtenstadt mit ihren grünen Feldern, Palmen und Tamariskenhainen, ihren herrlichen Tempeln und elenden Bauernhütten, ihren stolzen Kolossen und grauen Schutthügeln schön überblicken. In der Ueberschwemmungszeit sieht man die Nilfluth die Füße der Memnonssäulen bespülen; aber auch dann sticht das staubige gelbliche Weiß des libyschen Kalkgebirges, das sich bis in die Ebene vorschiebt, scharf ab von dem saftigen Blaugrün des Fruchtlandes.
Die Anlage jedes Einzelgrabes folgt mit geringen Abweichungen dem gleichen Plane. An einen Vorraum schließt sich die sogenannte Grabkapelle, ein größerer Raum, dessen Decke oft von Säulen oder Pfeilern gestützt wird. Diesem folgt ein anderes Felsengemach oder eine Reihe von Zimmern und Kammern, die bisweilen auch zu kleinen Seitengelassen Zugang gewähren. Am äußersten Ende der Gruft pflegt der sogenannte Bir oder Brunnen angebracht zu sein, ein senkrecht wie ein Schornstein abwärtsführender Schacht, der manchmal bis 15 Meter lang ist und an dessen unterstem Ende sich das Gemach befindet, wo der Sarg mit der Mumie des Verstorbenen Aufstellung fand.
Die Oeffnung dieses Schachtes, den man oft mit Steinen und Geröll ausfüllte, um ihn unzugänglich zu machen, wurde möglichst gut versteckt, um ihn vor Leichenräubern zu sichern. Die Statue des Verstorbenen pflegte in einem der hinteren Gemächer aufgestellt zu werden, und hier wurde zuerst die Ceremonie der Mund- und Augeneröffnuug an ihr vorgenommen; dann aber legten die Hinterbliebenen an vorgeschriebenen Tagen die Todtenopfer auf den vor der Statue errichteten Altar nieder.
In der Todtenkapelle kam – gleichfalls an bestimmten Daten – die Familie des entschlafenen Großen zusammen, gedachte seiner, beging gewisse Todtenkulte zu seinem Gedächtniß und stimmte Lieder zu seiner Ehre an. Einige Verstorbene stifteten Legate zur Erhaltung eines Sängers und Harfenschlägers, welcher bei solchen Gelegenheiten die Tugenden des Entschlafenen zum Saitenspiele zu preisen hatte. Andere Stiftungen sicherten die Darbringung der dem Verstorbenen zukommenden Spenden auf ewige Zeiten, und zwar geradezu vertragsmäßig. Uebrigens konnte sich in dieser Hinsicht der Verscheidende auf die Pietät seines Sohnes und Erben verlassen; denn dieser hätte sich durch die Vernachlässigung der Pflichten gegen die Manen des verstorbenen Vaters nicht nur der allgemeinen Mißachtung ausgesetzt, sondern auch gewärtig sein müssen, auf Erden von der in den Ka gehüllten Seele des Abgeschiedenen gequält zu werden und im Jenseits der Seligkeit verlustig zu gehen.
Wie leicht konnte auch sein Nachkomme ihm selbst das vorenthalten, was er seinem Erzeuger entzogen hatte, und zu den kläglichen Vorstellungen, welche sich in die schöne Unsterblichkeitslehre der Aegypter mischen, gehört auch die, daß dem in den Ka gehüllten Ba (der Seele) des Verstorbenen in jener Welt Opfer an Brot und Fleisch, Wein und Bier, Kleidern und Blumen, Reinigungswassern, Salbölen und Essenzen erwünscht und nothwendig seien. Die Mumie der Voreltern galt als ein Pfand, worauf hohe Summen geliehen wurden; denn wer es verfallen ließ, fiel der öffentlichen Ehrlosigkeit anheim.
Aus vielen Texten geht hervor, daß man sich besonders sehnlich viele Nachkommen und unter allen Umständen einen Sohn wünschte, um nach dem Tode der Erhaltung des Grabes und der Todtenopfer sicher zu sein. Der Mutter und Gattin kam, wie im Leben, so auch nach ihrem Hingang das Gleiche, ja unter Umständen mehr zu als dem Vater und Ehemann.
Wenn sich die Ueberlebenden in der Grabkapelle eines Großen versammelten, so gedachten sie seiner nicht unter Klagen und Thränen, sondern erinnerten sich dankbar seiner hohen Stellung, der Fülle seines Besitzes, seiner Gastlichkeit und Güte. Sehen wir von dem Sargzimmer und dem „Brunnen“ ab, so sind auch alle Darstellungen und Inschriften in solcher Gruft so beschaffen, daß sie nur von dem Erdenwallen des in ihr Bestatteten erzählen. An den Tod mahnt nichts als die Abbildung des Leichenzuges, der uns den Sarg des Verstorbenen zeigt, wie er über den Strom geführt wird, wie auf dem Deck des Kajütenhauses der Trauerbarken [763] die Frauen der Familie des Dahingegangenen und gemiethete Klageweiber mit aufgelöstem Haar und erhobenen Armen sich in lautem Jammergeschrei ergehen und sich dabei gerade so benehmen wie die Aegypterinnen von heute. Ihnen steht es zu, die Verstorbenen laut zu beklagen; denn, so sagt das Sprichwort: der Weiber Haar ist lang, aber ihr Verstand ist kurz; die Männer sollen dagegen, wie bei den heutigen Arabern, dem Tode gegenüber ruhige Würde bewahren.
In diesen Grüften erinnert Alles an das Leben, und zwar in geradezu munterer Weise. Wir sehen den Hausherrn unter den Seinen in froher Gesellschaft, zu der sich die Mitglieder beider Geschlechter eingefunden haben. Die Büffets brechen unter der Last der Früchte, der erlesenen Speisen und bekränzten Weinkrüge, Musik würzt das Mahl, junge Herren reichen den Damen duftende Sträuße, und die Schönen haben das Haupthaar mit Blumen geschmückt. Diener eilen hin und her, und selbst die Folgen des üppigen Mahles werden in einigen unserer Grüfte zur Darstellung gebracht. (Vgl. S. 762.)
Die am Gedächtnißtage versammelte Familiengemeinde erinnert sich beim Anblick dieser Gemälde der frohen im Hause des Verstorbenen verlebten Stunden, und wenn sie weiter durch die von Lampen hell erleuchteten Räume der Gruft schreitet, erzählen ihr andere Bilder und Inschriften, einen wie bevorzugten Platz im Herzen des Pharao der Entschlafene eingenommen, wie hohe Würden, Titel und Ehrenzeichen er erworben hatte, wie groß, kostbar und mannigfaltig die Tribute gewesen waren, welche unterworfene Nationen ihm als Statthalter für den königlichen Schatz zugeführt hatten, wie stattlich sein Haus, wie groß und schön gepflegt seine steif, aber gar ordentlich angelegten Gärten, wie ausgedehnt, wohlbestellt und bewässert seine Landgüter, wie ergiebig seine Jagdgründe gewesen. Jeder Angehörige dieses großen Herrn konnte stolz auf die Verwandtschaft mit ihm sein, auch wenn er die Herden, welche er besessen, abgebildet und ihre große Häupterzahl aufgezählt sah.
An das Leben, das irdische Dasein erinnert Alles, und vergebens sucht man in der Grabkapelle und den Räumen, welche sich an sie schließen, nach Darstellungen von Inschriften, welche von der Dua-t und dem Schicksal der Seele im Jenseits erzählen. Um solche zu finden, muß man durch den Bir oder Brunnen in die Sargkammer hinab oder herauf zu gelangen versuchen.
Dies Vorhaben ist oft mit großen Schwierigkeiten verbunden, und hat man das Ziel erreicht, so begegnet man häufig leeren Wänden. Manchmal freilich wird der unerschrockene Forscher schön belohnt. So haben wir uns mit unserem Freunde und Kollegen Stern eine ganze Woche lang Tag für Tag durch den 10 Meter tiefen Schacht, Welcher zu der Sargkammer des Amen em ha führte, in die Tiefe hinabsenken lassen und dort in einem Raume, welcher nur vier Fuß hoch war und unserem mehr als mittelgroßen Körper an keiner Stelle gestattete, sich schlank aufzurichten, von früh bis spät die Feder gerührt; waren doch alle vier Wände der Sargkammer mit Kapiteln des Todtenbuches, und zwar den wichtigsten, bedeckt.
Wie in der erwähnten Sargkammer, so finden sich auch in anderen manche Inschriften und Bilder, welche sich auf das Leben nach dem Tode beziehen, niemals aber solche, die sich mit dem Erdendasein des in ihnen Bestatteten beschäftigen. Wo die Wände der Kammer am Ende des Bir nackt blieben, empfing statt ihrer der Sarkophag Ausschmückungen in Bild und Wort, welche sich auf das Leben in der Dua-t und das Schicksal der Seele bezogen; und war auch der Sarg unverziert geblieben, so hatte man doch zu der Mumie Papyrusstreifen oder Rollen gelegt, welche entweder mehr oder weniger zahlreiche Kapitel des Todtenbuches, oder „das Buch vom Athem“, oder die Schrift „von dem, was sich in der Tiefe befindet“, oder „das Buch vom Durchwandern der Ewigkeit“ enthielten. Manche Mumien waren auch mit Binden umwickelt, die man mit heiligen Schriften bedeckt hatte. Alle diese Texte, von denen man auch gern gewisse Stücke auf oder in den Sarkophagen anbrachte, bezogen sich auf das Jenseits und hatten, ähnlich wie die Inschriften der Königsgrüfte, der Seele als Reiseführer und Gedächtnißstützen zu dienen.
Blicken wir nun auf das Mitgetheilte zurück und vergegenwärtigen wir uns die Besonderheit der Aegypter, sich bei all solchen Dingen schablonenhaft streng und eng an ein gegebenes Vorbild zu halten, so wirft sich die Frage auf, wie es kommt, daß die Ausschmückung der Pharaonengräber so weit von derjenigen der Privatgrüfte abweichen konnte. In den letzteren wird Alles, was wir in den ersteren betrachten und lesen, in den Sargraum zusammengedrängt, und über das Erdenleben des Verstorbenen, wovon die Wände der Privatgräber so reiche und eingehende Kunde ertheilen, fehlt in den Grüften der Könige jede Erwähnung. Ferner findet sich in ihnen kein einziger Raum, wo sich eine größere Gemeinde hätte versammeln können, um sich des Abgeschiedenen zu erinnern und seinem Ka gemeinsam zu opfern.
Läßt es sich denken, daß die Fürsten freiwillig auf diejenigen Leistungen der Pietät verzichtet hätten, auf welche die Privatleute das schwerste Gewicht legten? Gewiß nicht!
Auch die Könige wünschten, daß man ihrer gedenke; doch trennten sie die beiden Theile des Grabes, welche die Gruft der Privatleute in sich zusammenschloß. Die Höhlenmausoleen im Thale der Königspforten entsprachen dem Bir und dem Sargzimmer in der Ruhestätte des Privatmannes, und statt der Grabkapelle und der ihr folgenden Räume ließen sich die Pharaonen im Flachlande der Nekropole besondere Bauwerke errichten, und zwar jene Memnonien oder Erinnerungsmale, welche wir bereits [764] kennen gelernt haben. Und diese Sonderung ist keine zufällige gewesen, sondern hat mit zwingender Nothwendigkeit vorgenommen werden müssen.
Für die Familie und Clientel eines Großen, welche sich an gewissen Gedenktagen zu vereinigen wünschte, bot ein geräumiges Felsengrab genügenden Raum; diejenigen aber, welche den Pharao betrauern, sich seiner erinnern und ihm opfern sollten, waren ein ganzes Volk, und welches Aufgebotes an Geld und Arbeiterkräften hätte es bedurft, um Säle aus dem Felsen zu meißeln, welche groß genug gewesen wären, um die Repräsentanten einer ganzen Nation in sich aufzunehmen!
Eine Antilope, auch wohl ein Stier und einige Gänse ließen sich leicht vor der Gruft des Privatmannes schlachten, und der kleine Altar in ihrem Hintergrund gewährte Platz genug für fette Thierschenkel, gebratenes Geflügel, Kuchen, Blumen etc.; für die Manen des Königs mußten dagegen Hekatomben verbluten, zahlreiche Priester hatten die Opfertische zu umgeben und die Ceremonien beim Todtenfeste zu leiten. Der Gruft des Würdenträgers näherte sich an den Gedenktagen eine beschränkte Zahl von Besuchern, dem Memnonium des Pharao eine glänzende Procession von unabsehbarer Länge. Die bescheidenen Höhenpunkte im Leben eines Privatmannes: heiteres Beisammensein mit den Seinen, Vergnügungen im Haus und im Freien, Inspicirung reichen Besitzes etc. lassen sich leicht auf beschränkten Flächen darstellen, die großen Momente im Dasein des Herrschers gehören dagegen der Geschichte an; die ganze Nation nimmt an ihnen Theil, und wo wir, wie in den Grüften von Abd el-Qurna, das Familienhaupt mit seinen Hunden die Gazelle verfolgen und das Nilpferd mit der Harpune erlegen sehen, finden wir im Memnonium den Pharao dargestellt, wie er sich auf dem Kriegswagen von muthigen Rossen gezogen in das Schlachtgetümmel stürzt oder mit zahlreichen Gefangenen siegreich in die Heimat zurückkehrt, an deren Grenze seine Getreuen den Triumphator mit Jubel empfangen.
Wie die Bedeutung der Thaten des Königs die der Unterthanen weit übertrifft, so dürfen die Darstellungen derselben einen viel größeren Raum in Anspruch nehmen, als die der Leistungen des Bürgers. Ein Jagdstück läßt sich auf einen breiten Pfeiler in der Grabkammer malen, ein Schlachtgemälde füllt die breite und hohe geneigte Wand einer thurmhohen Tempelpforte aus. Die Gemälde, welche den Memnonien zur Ausschmückung dienen, sind umfangreicher und behandeln bedeutendere Stoffe als diejenigen, denen wir in den Privatgrüften begegnet sind, und wandern wir von einem königlichen Erinnerungsmale zum anderen, so finden wir, daß auch hier die schriftliche und bildliche Dekoration Bezug nimmt auf das Erdendasein des Königs.
In dem südlichsten Memnonium der Todtenstadt, dem von Medinet Habu, sehen wir den reichen Ramses III., jenen Rhampsinit, von dessen Schatzhause und dem klugen Baumeisterssohne Herodot eine besonders hübsche Geschichte erzählt, wie er im Frauengemache mit jungen Schönen, denen er so hold war, daß ihn seine Zeitgenossen deßwegen in Karikaturen verspotteten, das Brettspiel spielt. Auf den Pylonen dieses Memnoniums zeigen in den Stein gegrabene Gemälde von riesigen Dimensionen ihn selbst, wie er in die Schlacht zieht und seine Gegner, zwei mächtige und vielgliedrige Völkerbündnisse, niederwirft.
Prächtig erhalten blieb das Memnonium Ramses’ II. Nur die Bildsäule, welche seine Gestalt und seine Züge den Nachgeborenen bis ans Ende der Tage zeigen sollte, ist wie durch ein Wunder der Vernichtung anheimgefallen. Sie liegt zertrümmert am Boden, und doch hatte sie aus hartem Granit bestanden und an Größe den berühmten Memnonskoloß überragt. Aus ihren Bruchstücken verfertigen gegenwärtig armselige Fellachen kreisrunde Steine für ihre Handmühlen. Der bildliche Schmuck, welcher sich an den Pylonen und in den Sälen dieses Meisterwerkes der ägyptischen Architektur erhalten hat, bezieht sich wiederum auf die Heldenthaten, welche sein Erbauer auf Erden verübte.
Wandern wir vom Ramesseum aus wieder nach Nordwesten, so begegnen wir in unsrer Todtenstadt demjenigen Memnonium, welches als ältestes von allen angesehen werden darf und in vieler Hinsicht besonderes Interesse gewährt. Wir meinen den Terrassentempel der Königin Hatschepsu, welcher heute nach einem [765] christlichen Coenobium, das hier in byzantinischer Zeit bestanden hatte, Der el-bahri oder das Nordkloster genannt wird.
Um diese merkwürdige Anlage zu überblicken, bleiben wir in einiger Entfernung von ihr stehen. Die Kalkberge des arabischen Gebirges, welches die Wohnstadt Theben auf dem anderen Nilufer nach hinten abgeschlossen haben, zeigen ein weit interessanteres und schöner gegliedertes Profil, als der Sargberg mit seinem flachen Kamme im Rücken der Todtenstadt. Nur bei Der el-bahri gewinnt das libysche Gebirge ein großartiges und eigenthümliches Ansehen; denn hier ziehen sich die Felsen gleichsam in sich zusammen und erheben sich in einem schön geschwungenen Halbrund zu imposanter Höhe. Beim Aufgang und Scheiden der Sonne glänzt das gelbe und bräunliche Gestein dieser gewaltigen Bucht wie lauteres Gold, und wir haben dann seinen höchsten Saum flimmern und strahlen sehen wie eine weithin leuchtende Aureole.
Dieses nackte, ganz vegetationslose Halbrund würden die Bürger von Theben, wenn sie Griechen gewesen wären, sicher benutzt haben, um dort wie zu Tauromenium oder Syrakus ihr Theater anzulegen. Die unternehmendste aller ägyptischen Königinnen muß die großartige Schönheit dieser Felsenbucht empfunden haben, als sie dieselbe wählte, um die Terrassen ihres Mausoleums zu ihr ansteigen zu lassen. – Der Gedanke, ihre Gruft von der Grabkapelle oder dem Erinnerungsmale zu sondern, scheint ihr, deren Voreltern sich mit bescheidenen Gräbern und überreich ausgestatteten Mumien begnügt hatten, nicht gekommen zu sein.
[794] Königin Hatschepsu war ein Kind jener großen Epoche der ägyptischen Geschichte, für die wir mit Recht den Namen der „Ritterzeit“ gewählt haben; kam doch während der Kriege gegen die Hyksos und der großen Eroberungszüge, welche die ägyptischen Truppen zum ersten Male nach Asien und bis über den Euphrat hinaus führten, zur vollen Geltung, was der Einzelne in der Schlacht – sei es auf dem Kriegswagen, sei es auf dem Schiffe – an Heldenthaten verrichtete. Das Roß, ein vor der Hyksoszeit am Nil unbenutztes Thier, wird in diesen Tagen der Stolz und Genosse des Streiters, der seinen edlen Liebling mit hoch klingenden Namen und das Haupt desselben mit prunkenden Federn schmückt. Später hören wir nur noch erzählen, welche Siege der König mit Hilfe der Götter erfochten; in Hatschepsu’s Zeit werden auch die Großthaten einzelner Helden gepriesen, und wir erfahren, wie [795] sich der Schiffsführer Aahmes auf den Gewässern bei Avaris auszeichnete; wir sehen auf einem geschnittenen Steine im Louvre, wie sich der Bruder der großen Königin, Thutmosis II., den Namen des Tapferen beilegt und einen Löwen bändigt; wir hören von einem Feldherrn des Stiefbruders derselben Fürstin, Thutmosis’ III., einen märchenhaften Heldenstreich berichten. Amen em heb, einer der tüchtigsten Kriegsobersten desselben Monarchen, giebt in seiner Biographie nähere Kunde über die Thaten, welche er auf den Feldzügen gegen die Semiten des westlichen Asien verrichtet, und er vergißt dabei nicht zu erzählen, ein wie kühner und glücklicher Elephantenjäger er war. Die Dame Hatschepsu selbst versucht, sich ein männliches Ansehen zu geben, indem sie sich den Kriegerhelm auf das Haupt setzt und sich auf mehreren ihrer Bildnisse einen künstlichen Bart an das glatte Kinn heften oder auf Dekreten von sich selbst mit den grammatischen Formen für das männliche Geschlecht reden läßt.
Ließen wir eine moderne Königin eine Schrift im gleichen Sinne verfassen, so würde es heißen: „Königin Viktoria wollte den Frieden. Er schrieb nach Rußland etc.“
In der That muß ein kräftiges Herz in der Brust dieser Frau geschlagen haben.
Männlichen Sinnes wußte sie mit alten Vorurtheilen zu brechen, und wenn man vor ihr das unbeständige, salzige Meer für eine Domäne des feindlichen Seth-Typhon gehalten, es zu befahren gefürchtet und nur größere und kleinere Barken für friedliche Reisen und kriegerische Unternehmungen auf dem Nil hergestellt hatte, so überwand Hatschepsu die alte Scheu, ließ stattliche Seeschiffe auf neuen Werften am Rothen Meere herstellen und drang mit ihnen bis zum südlichen Arabien, der Arabia felix und der Aromatifera regio der Römer vor, um aus den Küstenländern des kuschitischen Punavolkes, welches mit röthlicher Haut und scharf geschnittenem Profil – seltener dunkelhäutig – abgebildet wird, Elfenbein und Gold, Gewürze, Weihrauchkerzen, Gummi und edle Hölzer, Affen und andere kostbare und seltsame Dinge in das Nilthal zu bringen und den königlichen Schatz sowie die Heiligthümer, besonders des Amon, zu bereichern.
Die Erbauerin des Tempels von Der el-bahri war die älteste Tochter Thutmosis’ I., und dieser muß ihre Tüchtigkeit und ihren unternehmenden Geist früh erkannt haben; denn obgleich er einen legitimen männlichen Erben und einen Sohn von einem seiner Nebenweiber besaß, erhob er sie dennoch in seinen letzten Lebensjahren zur Mitregentin. Sobald er die Augen geschlossen, wußte sich Hatschepsu des Thrones für sich allein zu bemächtigen, und wenn sie zunächst auch nur als Vormünderin ihres jüngeren Bruders Thutmosis II. die Regierung geführt haben mag, so stellte sie diesen doch so tief in den Schatten, daß sie während einer Reihe von Jahren unumschränkt über das Reich ihres Vaters herrschte. Aber aus dem Knaben ward ein Mann; die Königin mußte dem Volljährigen die Hälfte des Thrones einräumen, und Thutmosis II., der dem edlen Waidwerk sehr ergeben, sonst aber von geringer Bedeutung gewesen zu sein scheint, hat doch der schwesterlichen Macht Widerstand zu leisten verstanden. Gemeinsam und, wie es scheint, in guter Harmonie begannen Beide während dieser Zeit der Theilung der Krone die Anlage ihrer Doppelgruft in dem schönen Felsenamphitheater von Der el-bahri. Für jeden wird zunächst eine Grabkammer in den Kalkstein gehauen und an der Façade der zu diesen Grotten führenden Eingänge links und rechts je eine gleichlautende Inschrift angebracht, die sich nur dadurch von einander unterscheiden, daß die eine der Hatschepsu, die andere Thutmosis II., ihrem Mitregenten, gewidmet ist.
Diese Felsenkammern, welche zur Aufnahme der Mumien des königlichen Geschwisterpaares hergestellt worden zu sein scheinen, sind zugleich als Sanktuarien des Memnoniums zu betrachten, und mit der Anlage des Allerheiligsten begann der Bau jedes ägyptischen Tempels. Bevor sich die Anlage der Terrassen dem Abschluß näherte, segnete Thutmosis II. das Zeitliche, und dieser Umstand ermuthigte Hatschepsu’s illegitimen Stiefbruder, Thutmosis III., den sie als Knaben aus der Nähe von Theben entfernt und als Verbannten in den Marschdistrikten bei Buto im Delta zurückgehalten hatte, sie zu zwingen, ihn an der Regierung theilnehmen zu lassen.
Die Expedition nach Pun-t ward von ihr auf eigene Hand unternommen, und nur ungern überließ sie dem Halbbruder einen Theil des Ruhmes und Reichthums, der ihr aus derselben erwuchs. Von der anderen Seite war Thutmosis III. keineswegs dazu angethan, sich dem Willen eines Weibes geduldig zu unterwerfen, und so zeigte er seiner Stiefschwester, an deren Liebe er mit gutem Rechte zweifeln durfte, bald, daß er mehr und Größeres vermöge als sie. Kein Pharao vor und nach ihm hat so kühne, großartige und glückliche Feldzüge gegen die Asiaten unternommen, wie dieser – seine nun aufgefundene Mumie lehrt dies – an Wuchs kleine Mann, in dem eine große Heldenseele wohnte.
Wir wissen nichts über das Ende Hatschepsu’s, wohl aber lehren die Denkmäler, daß sie in argem Unfrieden mit ihrem gewaltigen Bruder gelebt hat; denn dieser, welcher sich Getreuen dankbar und mit echt fürstlicher Freigebigkeit zu benehmen gewohnt war und sich – Vieles deutet darauf hin – die Liebe des Volkes im höchsten Maße zu erwerben verstand, ließ den Unwillen und Haß, welche ihn bei Lebzeiten der Schwester gegen sie erfüllt hatte, auch die Verstorbene fühlen und ordnete an, daß man – eine unter den Pharaonen häufig gegen Vorgänger, deren Andenken man zu verunglimpfen suchte, geübte Unsitte – ihren Namen selbst auf den von ihnen gemeinsam erbauten Denkmälern auskratze und den seinen über die halb zerstörten und doch noch kenntlichen Lettern des ihren hinschrieb. Im Andenken der Aegypter hat Thutmosis’ III. Name den Hatschepsu’s lange überlebt.
Die Herstellung der Terrassen, welche zu den Felsenkapellen führten, ist ihr allein zuzuschreiben; denn sie sind der Hathor, ihrer Lieblingsgöttin, gewidmet, aus deren Eutern wir sie auf einem köstlichen Basrelief in der von ihr und für sie vollendeten Felsenkammer die Milch des Lebens trinken sehen, und viele der polygonalen Säulen, welche sich auf den Plattformen des Terrassenbaues zu Kolonnaden gesellten, zeigten an den Kapitälen das Antlitz dieser himmlischen Frau, welche als Todtengöttin in der Nekropole von Theben schon früh verehrt ward.
Der Grundplan des Memnoniums der Hatschepsu hat für Denjenigen, welcher weiß, mit wie geringen Abweichungen die priesterlichen Architekten sich an die vorgeschriebene Anordnung der Heiligthümer zu halten verpflichtet waren, etwas sehr Ueberraschendes; denn er weicht durchaus von demjenigen aller Tempel oder Memnonien, welche früher oder später in Aegypten hergestellt worden sind, ab; aber wenn man auch am Nil vergeblich nach etwas Aehnlichem sucht, so hat es doch schon früh an einer andern Stelle Denkmäler gegeben, welche dem Tempel von Der el-bahri gleichen, und zwar in Assyrien. Dorthin waren die siegreichen Heere des Vaters der drei Geschwister gelangt; dahin hatte sie wahrscheinlich Thutmosis II. und jedenfalls zu wiederholten Malen Hatschepsu’s Stiefbruder Thutmosis III. geführt, ja vielleicht war die unternehmende Königin, welche wir auch mit dem Kriegerhelme abgebildet sahen, der ägyptischen Armee bis an den Euphrat oder noch weiter nach Osten gefolgt, und so will es uns scheinen, als habe diese merkwürdige Frau, welche sich das Fremde auch auf anderen Gebieten, wo es ihr eben genehm war, zu benutzen nicht scheute, bei der Herstellung ihres Memnoniums ein assyrisches Vorbild herangezogen, es im Ganzen nachahmen lassen, sich im Einzelnen aber der ägyptischen Kunstformen und mit Vorliebe der polygonalen Säule und anderer älterer unter ihnen bedient.
Dieser Prachtbau war so angelegt, daß Processionen zu Schiff aus dem Reichsheiligthum im östlichen Theile Thebens [796] gradewegs zu einer Landungsstelle in der Nekropole hinüberfahren konnten, von der aus eine stattliche Doppelreihe von Sphinxen zu ihm hinführte. Nur wenige Löwenleiber und Pflasterstücke deuten noch an, welche Richtung die alte Wallfahrtsstraße innegehalten, und einzelne Fundamentsteine bestätigen die Vermuthung, daß man einst ein hohes Phylonenthor zu passieren hatte, um Einlaß in das Memnonium zu gewinnen. Durch die geöffneten ehernen Pforten desselben war es dann gestattet den Riesenbau zu überschauen, in dem breite Stufenreihen von einer Terrasse auf die andere und endlich zu den Felsengemächern führten, deren Façade das von außen her sichtbare Menschenwerk abschloß, während die größer bildende Natur das Auge einlud, zu dem herrlichen Halbrund hochragender Felsen hinter und über dem Tempel aufzuschauen.
Unzerstörbar sind die Unterbauten von wohlbehauenen Quadern, welche den Terrassenbau stützen, und Küustlerhände haben ihre Seitenflächen mit mächtigen Sperbern, den Vögeln des Horus, des Gottes der Auferstehung, würdig geschmückt.
Säulenhallen dienten jeder Terrasse zur Zier und boten den Processionen, welche hier zu rasten und Ceremonien vorzunehmen hatten, Schutz vor dem Brande der Sonne oder dem seltenen, aber, wenn er eintritt, heftigen Regen dieser Breiten.
An der Hinterwand der Plattformen, welche die erwähnten Treppen verbinden, sind die Bilder und Inschriften angebracht worden, welche die kühnste der Unternehmungen Hatschepsu’s im Gedächtnisse der Nachgeborenen lebendig zu erhalten bestimmt sind. Unser Straßburger Kollege und Freund Dümichen war es, der sie zuerst durch eine großartige Publikationsarbeit in die Wissenschaft einführte. Da sehen wir die Schiffe der Königin, wie sie ausfahren, wie sie befrachtet werden und mit voller Ladung die Heimfahrt antreten. An diesen höchst sorgfältig ausgeführten Bildern, welche uns jeden Theil der Takelage und Ausrüstung aufs Deutlichste und bis ins Kleinste vor Augen führen, hat sich zum Theil noch die Farbe erhalten, und die begleitenden Inschriften lehren, daß sie belastet worden sind „mit einer unerhörten Menge von Kostbarkeiten des Landes der Puna, allen edelen Holzarten des ‚heiligen Landes‘, Haufen von Weihrauchharzkörnern, grünen Weihrauch spendenden Nehabäumen, Ebenholz, reinem Elfenbein, Gold aus dem Amu- (Semiten-)Lande, Theas und Chesi-t-Holz (Kassiarinde?), (mineralischen) Ahemstücken, Weihrauch und Mestem (Spießglas), Anau- und Kefu-Affen, Thesemthieren (Windhunden), bunten Fellen der Panther des Südens, Eingeborenen und Kindern (als Sklaven).“ Außer den Pfauen hat diese Expedition Alles nach Aegypten gebracht, womit die Ophirfahrten Salomo’s den Schatz des jüdischen Königshauses bereicherten.
Wie das Heer Alexander’s des Großen oder die französische Expedition unter dem General Bonaparte ist die Flotte der Hatschepsu von gelehrten Naturfreunden begleitet worden; denn unter den Bildern der Schiffe finden sich Borten, welche mit den gebrochenen Linien erfüllt sind, die unter den ägyptischen Begriffszeichen das Wasser bedeuten, und auf diesen Zickzackstreifen sieht man alle ins Auge fallenden Gattungen der Fische des Rothen Meeres abgebildet, und zwar in so charakteristischer Weise (wir zeigen dem Leser Proben derselben), daß es unseren Zoologen leicht gelingen konnte, jede einzelne Species wieder zu erkennen und sie zu bestimmen.
Die geschuppten Bewohner des Rothen Meeres sind ihm sicher über 3000 Jahre lang treu geblieben, und die Gelehrten Hatschepsu’s haben sie so genau beobachtet, daß sie z. B. bei einer Scholle, deren Augen in der That verschiedene Größe zeigen, diesen auffallenden Umstand bemerkt und in ihrer Zeichnung wiedergegeben haben. – Sie sind auch bestrebt gewesen, neue Pflanzen in das Nilthal einzuführen, und so sehen wir sie grünende Nehabäume in großen Kübeln auf die Schiffe schleppen; später haben es auch die Botaniker Thutmosis’ III. nicht versäumt, Abbildungen von einigen der ihnen bekannten Blumen zu geben.
Daß dies merkwürdige Bauwerk ein Königsgrab, an welches sich ein Erinnerungsmal schloß, werden sollte, unterliegt keinem Zweifel. Ob aber Hatschepsu und Thutmosis II. hier in der That bestattet worden sind, wissen wir nicht. Jedenfalls haben sich weder von ihnen noch von ihrem Stiefbruder Thutmosis III. anderwärts Grüfte gefunden. Dem Letzteren scheint es durchaus nicht genehm gewesen zu sein, den eigenen Ruhm mit dem seiner Schwester vermischt zu sehen, und er ließ sich gewiß darum ein besonderes Memnonium errichten, welches gegenwärtig einen Theil des Erinnerungsmales von Medinet Habu bildet.
Welchen Zwecken eine Säulenhalle gedient hat, die sich an die Nordseite der Terrassen der [797] Hatschepsu schließt, wagen wir nicht zu bestimmen; dagegen haben Mariette’s und frühere Untersuchungen ergeben, daß man von der zweiundzwanzigsten Herrscherreihe an nicht nur den erwähnten Nordbau, sondern jeden Theil des Tempels, welcher einigen Raum bot, und so auch die oberhalb der Terrassen gelegenen Felsenkammern und die hohlen Räume unter den Unterbauten benutzt hat, um sie im eigentlichen Sinne des Wortes mit Mumien vollzustopfen.
Bis in die römische Kaiserzeit hat man dies Memnonium zur Unterbringung und vielleicht zum Versteck von balsamirten Leichen benutzt, und wenn wir nun hören, daß die große Felsenhöhle, in welcher vierzig Mumien von verstorbenen Mitgliedern des Pharaonenhauses gefunden worden sind, am oberen Theile des Felsenamphitheaters gelegen war, das den Terrassenbau Hatschepsu’s stolz überragte, so wirft sich die Frage auf, welche Gründe die Thebaner veranlaßt haben können, ihre Todten gerade hierher in Sicherheit zu bringen. Indem wir der Aufklärung dieses räthselhaften Umstandes näher treten, machen wir den Leser darauf aufmerksam, daß die jüngsten der vierzig neu entdeckten Leichen fürstlicher Pharaonen zur Zeit derselben Dynastie gelebt haben, in der Der el-bahri anfing, eine Ablagerungsstätte für die Mumien nicht nur geringer, sondern auch sehr vornehmer Bürger von Theben zu werden, und laden ihn weiter ein, davon abzusehen, die Nekropole der Amonsstadt mit unseren Friedhöfen zu vergleichen.
Statt der wohlthuenden Stille, welche auf diesen herrscht und ihre Besucher zu freundlichen Rückerinnerungen und zu stiller Sammlung ladet, herrschte in der Todtenstadt zwar mehr Ruhe als in der Wohnstadt Theben, es muß aber dennoch lebendig genug in derselben hergegangen sein; denn da gab es Balsamirungshäuser, wo allerlei Ceremonien, die wir bis ins Einzelne kennen, an den zu mumifirenden Körpern vorzunehmen waren, da wohnte die zahlreiche zu den Memnonien gehörende Priester- und Schülerschaft, da hausten in einem besonderen Viertel die Kvachyten oder Leichenbesorger, die eine wirkliche Kaste bildeten und deren trauriges Geschäft von dem Vater auf den Sohn überging, während Kasten im indischen Sinne den Aegyptern sonst unbekannt waren. Da wohnten die Klageweiber und Sargfabrikanten, da gab es Verfertiger von Amuletten, mit denen die Mumien ausgestattet werden mußten, und große Webereien, in denen die Binden hergestellt wurden, von denen man viele hundert Ellen gebrauchte, um eine einzige Leiche zu umwickeln. Da schlug der Hammer der Bildhauer und Steinmetzen auf den Block, aus dem es Statuen der Verstorbenen sowie Grabsteine herzustellen galt. Die letzteren wurden mit bescheidenen Darstellungen und Inschriften bedeckt und wie die Bildsäulen und Opferlisten in den Grüften aufgestellt.
Bei der großen Menge von Blumen und Kränzen, mit denen die Särge und Grüfte auszuschmücken waren, muß es viele Gärtnereien in der Nekropole gegeben haben, und neben manchem alten pyramidenförmigen Grabe in dem heute el-Assassif genannten Theile der Nekropole, der sich dicht an das Gebiet des Terrassentempels von Der el-bahri schließt, wurden, wie auch ein Bild, welches dem unteren Viertel einer zu Bulaq konservirten Stele (Grabsäule) entnommen ist, lehrt – wir zeigen es hier unseren Lesern – Gärtchen gehalten und sorgsam gepflegt.
Zahlreiche Fleischer, Bäcker, Bierbrauer und Weinhändler waren nöthig, um die große Menge von Opferthieren oder Fleischstücken, Braten und Kuchen, Bier und Wein zur Verfügung zu halten, welche Sitte und Glauben den Manen des Verstorbenen darzubringen geboten.
Auf den heiligen Seen neben den bedeutendsten Memnonien, von denen der größte im Süden der Todtenstadt fluthete, wurden nächtlicher Weile im Zusammenhang mit gewissen Festen mysteriöse Spiele in dramatischer Form zur Darstellung gebracht, und man hatte in der Ptolemäerzeit – wahrscheinlich weil es damals auf dem schmalen von Straßen und Plätzen überfüllten östlichen Nilufer an Platz gebrach – da, wo sich die äußerste Mittagsgrenze der Nekropole an das benachbarte Hermonthis schloß, einen großen Hippodrom angelegt, in dem noch unter den römischen Kaisern Wettfahrten abgehalten wurden.
Zu jeder Tageszeit kamen Leichenzüge über den Nil und zogen, je nach der geselligen Stellung des zu Bestattenden, in größerer oder geringerer Länge und Pracht dem Sargberge entgegen, wo sie bei der Menge der Ceremonien, welche mit der Mumie vorzunehmen waren, oft bis zum Einbruch der Nacht zu verweilen hatten.
Die Häfen der Nekropole müssen stets voll von Schiffen gewesen sein; denn keine Brücke verband beide Ufer von Theben und, wie wir wissen, gebot die Pietät, die Grüfte lieber Verstorbener zu besuchen.
Oft kamen Angehörige der hier Bestatteten aus weiter Ferne, um an ihrer Ruhestätte zu beten und auf ihren Opfertisch fromme Gaben niederzulegen. – An gewissen Tagen des Jahres füllte sich, wie namentlich die Inschriften in der östlichen Säulenhalle des Tempels von Qurna lehren, die Nekropole mit Abgesandten aus allen Gauen und Haupttempeln des Landes, um den Memnonien besonders heilig gehaltener Pharaonen Geschenke zuzuführen und den Ka vergöttlichter Herrscher durch Opfer und Gebet günstig zu stimmen. Diesen priesterlichen Gesandtschaften schlossen sich auch viele Laien an, und für diejenigen, denen der Tag zu kurz gewesen war, um das Geschäft, welches sie in die Nekropole geführt hatte, zu beenden, gab es Herbergen, an die sich Wein- und Bierhäuser schlossen, denen nicht nur von Arbeitern, Gräberbesuchern, Schiffsführern und Matrosen, die auf die heimkehrenden Leidtragenden Stunden lang warten mußten, sondern auch von Soldaten, Schülern und Priestern fleißig zugesprochen wurde.
Wie viele Arbeiter nöthig waren, um neue Grüfte in den Stein zu meißeln und in Stand zu halten, läßt sich leicht denken; die Maurer und Schmiede unter ihnen werden in Papyrusakten besonders erwähnt, und ebenso die Aufseher und Kontrolleure, welche sie und die zahllosen Gräber diesseit und jenseit des Sargberges zu überwachen hatten.
Je menschenreicher das Memnonienviertel und je kostbarer die Ausstattung war, welche viele Tempel und Grüfte auf diesem Riesenfriedhofe empfangen hatten, und an je entlegeneren Stellen endlich manche Königs- und Königinnengräber gelegen waren, desto eifriger mußte für eine gute Bewachung der Todtenstadt gesorgt werden, und so war denn auch ein Gendarmeriekorps, welches von einem hochgestellten Befehlshaber kommandirt ward, die sogenannten Mazain, in der Nekropole stationirt.
[810] Während der Glanztage Thebens und seiner Könige aus der 18. und 19. Dynastie waren die Memnonien voll von Priestern und Schülern, waren die Händler und Fabrikanten der Nekropole in voller Thätigkeit und Menschen genug vorhanden, welche für die Sicherheit ihrer Wohnsitze sorgten. Kam es einmal zu Unruhen oder Räubereien, so war die Kriegsmacht der Fürsten mächtig genug, um ihnen ein schnelles Ende zu machen. Die Behörden der Wohn- und Todtenstadt handelten in gutem Einvernehmen, und die Mazain (Gendarmen) hatten nicht viel mehr zu thun, als mit offenen Augen in allen Theilen der Nekropole, wo es Gräber gab, zu patrooilliren.
Aber diese Lage der Dinge hatte sich früh geändert. Ramses III. war es noch gelungen, die verbündeten Völker, welche Aegypten überfallen hatten, kräftig zurückzuweisen und sich theils durch die Beute, welche den Feinden abgejagt wurde, theils durch Lösegelder und die gut verkäufliche Waare kriegsgefangener Sklaven, theils auch durch Wiedereröffnung alter und in den unruhigen Tagen vor ihm aufgegebener Handelsverbindungen zu einem der reichsten Fürsten zu machen, von denen die ägyptische Geschichte erzählt. Aber dieser üppige Fürst verzettelte in übermäßigem Wohlgefallen an unerhörter Pracht einen Theil des schwer erworbenen Gutes, und mit dem anderen bedachte er die Priesterschaft und die Tempel des Landes. Der Himmel hatte ihn mit mehreren Söhnen gesegnet, und diese in Ueppigkeit und tiefer Devotion aufgewachsenen Prinzen sollten schlechten Gewinn von der sorglosen Freigebigkeit des Vaters ernten; denn die Priester des Amon von Theben, denen sie blindlings zu gehorchen gelernt hatten und in deren Hand der Löwentheil des Erbes, welches ihnen von Rechts wegen zukam, schon bei Lebzeiten Ramses’ III. gefallen war, wußten sie nach Gutdünken zu leiten. Sie halfen ihrem Vater, sich ein Grab im Thale der Königspforten und ein Memnonium im Süden der Nekropole (das heutige Medinet Habu) herzustellen, wie er es sich nicht großartiger wünschen konnte, und ließen sich auch für ihre eigenen Mumien ansehnliche und reich ausgeschmückte Grüfte anlegen. Der Sorge für das Leben nach dem Tode sollte das Dasein dieser Ramsessöhne gewidmet sein. Kein Wort, keine That auch nur von geringfügiger Größe sehen wir sie aussprechen oder verrichten. Endlich geht die gesammte Lenkung des Staates auf ihre priesterlichen Vormünder über, und der Oberpriester Herihor macht aus dem Gaukelspiele Ernst, reißt den Ramessiden das Scepter aus der schlaffen Hand und regiert Aegypten zugleich als geistlicher und weltlicher Herrscher. Alle Attribute der Pharaonenwürde nimmt er für sich in Anspruch, und das echte Herrscherhaus wird theils verbannt, theils in dunkler Verborgenheit am Leben erhalten, um den Usurpatoren durch Ehen mit ihren Töchtern den Schein der Legitimität zu verschaffen.
Die Macht Aegyptens und die Größe Thebens ging in dieser Zeit der geistlichen Herrschaft mit jäher Schnelligkeit zurück. Was ihm in Asien und Aethiopien unterthänig oder tributpflichtig gewesen war, fiel von ihm ab, und während sich die Städte im Delta durch den zunehmenden Verkehr mit den aufblühenden Staaten des Nordens und Ostens hoben, sank Theben zu einer Priesterwohnung herab.
Die geistlichen Leiter der Tempel und Schulen in der Nekropole hatten früher mächtigen Einfluß auf den für die Seligkeit nach dem Tode besorgten Pharao geübt; jetzt mußten sie sich blindlings den Verordnungen des priesterlichen Herrschers und königlichen Oberpriesters fügen, der jenseit des Nils residirte.
Die Mazaiu, denen die Bewachung der Nekropole nicht aus der Hand genommen werden konnte, gehörten jener libyschen Söldnertruppe an, welche sich in der Armee der großen, kriegführenden Pharaonen ausgezeichnet hatte, und die nun ein Mamlukenkorps bildete, dessen Macht den priesterlichen Königen von Jahr zu Jahr gefährlicher wurde und endlich auch ihren Sturz veranlaßte. Ihr Befehlshaber in der Nekropole stand in offenem Gegensatz zu dem Haupte der Wohnstadt und Residenz Theben, und das aufmerksame Studium des sogenannten Papyrus Abbot, welcher das Protokoll über die Wirksamkeit einer Enquetekommission in der Nekropole enthält, macht uns mit den Verhältnissen daselbst recht wohl vertraut. Unter einem der letzten Ramessiden waren Königsgräber beraubt worden, und nun mußte eine Fürstengruft nach der andern untersucht werden, damit man feststellen könne, in welche die Diebe gedrungen seien, in welche nicht. Die Enquete ergab, daß von zehn untersuchten Gräbern nur eins beraubt worden war, und die folgenden Ereignisse, von denen unser Papyrus berichtet, lehren mit voller Sicherheit, daß die hohen Beamten, denen die Leitung des Wohnortes Theben anvertraut war, den anderen, welche über die Nekropole geboten, höchst feindselig gegenüber standen. Wir mögen den längst verstorbenen Mazain und ihrem Chef, die sich nicht mehr vertheidigen können, nicht an die Ehre rühren, aber das oben erwähnte Dokument muß doch den Verdacht erwecken, als hätten sie mit den Kontrolleuren gemeinsame Sache gemacht und den Plünderern der kostbar ausgestatteten Fürstengrüfte durch die Finger gesehen. Jedenfalls muß kurze Zeit später die Mumie des Pharao Amenophis I., dessen Gruft die Untersuchungskommission für unangetastet erklärt hatte, bereits ihres kostbaren Schmuckes beraubt gewesen sein, und das Geständniß der Diebe, welche in die einzige von der Kommission für ausgeraubt erklärte Gruft gedrungen waren, liefert den Beweis, daß es in einer Fürstengruft in der That recht ansehnliche Beute zu machen gab.
Je schwächer die Regierung ward, desto leichter konnten sich Diebesbanden bilden, welche einen wohlorganisirten und so gewinnreichen Gräber- und Leichenraub trieben, daß es den libyschen Mazain, welche sich wenig um die ägyptische Unsterblichkeitslehre gekümmert haben werden, recht wohl reizvoll erscheinen konnte, den Verbrechern gegen einen erheblichen Gewinnantheil freies Spiel zu lassen. Dabei waren die Mazain und ihre Stammes- und Standesgenossen in allen Gauen des Landes zu mächtig, als daß es die priesterlichen Pharaonen hätten wagen können, sie abzusetzen; übrigens war es auch keine leichte Arbeit, die stundenweit aus einander liegenden Theile der Nekropole genügend zu überwachen. Jedenfalls geschah in dieser Zeit das Unerhörte, daß – die 1881 entdeckten Mumien und die schon früher geöffneten Fürstengrüfte beweisen es – die Leichen und Gräber der größesten aller Pharaonen jeder Kostbarkeit, mit der man sie und ihre Särge geschmückt und ihre Ruhestätten ausgestattet hatte, beraubt worden sind. Kein Goldbeschlag, kein werthvolles Amulett, kein verkäufliches Geräth, das die Pietät der Nachkommen ihnen mit ins Grab gegeben hatte, blieb erhalten, und doch sind sie vor vier Jahren in genau demselben Zustand wiedergefunden worden, wie man sie, um sie vor völliger Vernichtung zu retten, unter einem der Könige der 22. Dynastie, welche sich zu Bubastis im Delta erhoben und mit ziemlicher Gewißheit zu den libyschen Mamlukenhäuptern gehört haben, in der Sammelgruft der Pharaonen des Tanitischen Hauses der 21. Dynastie zusammengebracht hatte.
Das priesterliche Regiment des Herihor sollte keine lange Dauer haben. Schon sein Sohn und Enkel werden nur noch Oberpriester genannt, und ihre Macht scheint nicht über die Grenzen Thebens hinausgereicht zu haben. So mußte denn das Land widerstandslos den libyschen Söldnern gehorchen, und einer von ihnen, Seamon, machte sich, wenn unsere von E. Meyer und Anderen schon früher erörterte Kombination das Rechte trifft, zu Tanis zum Beherrscher des ganzen Landes. Er ist auch nach Theben gekommen, und als er dort in der Nekropole die Grüfte der größten Pharaonen ausgeraubt und sogar ihre Mumien von Dieben aufgerissen fand, befahl er, sie vor völligem Untergange zu retten und sie so gut wie möglich wieder herzustellen. Zuerst war die Leiche Ramses’ II., des großen Sohnes Seti’s I., in die herrliche Gruft des letzteren gebracht worden, um sie dort in einen würdigern Zustand zurückzuversetzen. Später wurden dann die Mumien des Vaters und Sohnes im Grabe Amenophis’ I. aufbewahrt, wohin man schon andere balsamirte Körper bedeutender Fürsten aus der Zeit der 17. und 18. Dynastie gebracht hatte. Dies war jedenfalls geschehen, weil das Thal der Königspforten, wo sich Seti’s I. Felsenmausoleum befand, hinter dem Sargberge und ziemlich weit von dem bewohnten Theile der Nekropole lag, [811] während die Ruhestätte Amenophis’ I. sich unweit des Terrassenbaues der Hatschepsu öffnete und mit Hilfe eines wenig zahlreichen Wächterkorps bequem zugleich mit derjenigen Gruft, welche die Könige der 21. (tanitischen) Dynastie für die Mitglieder ihrer eigenen Familie angelegt hatten, behütet werden konnte.
Dieses Grab wich sowohl in seiner Gestalt, wie in seiner Lage und Verwendung durchaus von denjenigen früherer Pharaonen ab; denn es ward in einer Höhe von 64 Metern, an einer schwer zugänglichen Stelle der Gebirgsbucht angebracht, welche sich nach Abd el-Qurna hin an das Felsenamphitheater von Der el-bahri schließt, und sein Eingang war von keinem Theile der Ebene unter ihm sichtbar. Außerdem bestand es nicht, wie die Grüfte im Thal der Königspforten, aus einer Reihe von Gemächern, die einander folgen, sondern zuerst aus einem Schacht, der, nur 2 Meter breit, 11,50 Meter tief in den Felsen führte und von dessen Ende aus in der Westwand ein Stollen sich abzweigte, der, nicht höher als 0,80 und nicht breiter als 1,40 Meter, den Besucher zwang, dem Laufe des Ganges in gebückter Haltung zu folgen. 7,40 Meter geht er so fort und schwenkt dann plötzlich nach Norden hin ab. Diese Richtung hält er in einer Länge von 60 Metern inne, wird dabei bald bis zu 1,30 schmal, bald bis zu 2 Meter breit und ändert auch sein Niveau so beträchtlich, daß man von vornherein zur Bequemlichkeit der Besucher des Gruftsaales ein halbes Dutzend Stufen roh in den Stein gehauen hat. Eine durch Meißelhiebe erzeugte Vertiefung an der rechten Wandung des Ganges beweist, daß einmal die Absicht vorlag, ihn eine neue Schwenkung machen zu lassen; dieselbe ist aber nicht zur Ausführung gekommen, und so mündet dieser lange Schacht gegenwärtig in einen großen schmalen Saal, der roh und ungleichmäßig in den Felsen gehauen ist und die beträchtliche Länge von 80 Metern besitzt.
Mit dieser Sammelgruft in einer Felsenhalle hatten die Pharaonen der 21. Dynastie, denen es gefiel, wie die spanischen Könige in der Fürstengruft des Eskurial, an ein und derselben Stelle eng vereinigt die lange Dauer des Todes zu verbringen, das alte Princip aufgegeben, welches jedem einzelnen Könige vorschrieb, eine Gruft für sich allein herzustellen, und allerdings besaß dieses Grab in unsicherer Zeit und an einer schwer zu erkletternden Stätte den Vorzug einer beinahe absoluten Unzugänglichkeit. Von der Ausschmückung desselben mit Inschriften und bildlichen Darstellungen war abgesehen worden; dafür aber hatte man den dahingegangenen Mitgliedern dieses wenig begünstigten Emporkömmlingsgeschlechtes als Wegweiser durch die Unterwelt je einen Papyrus, wie man ihn sonst für reiche Privatleute herstellte, mit in den Sarg gelegt.
Nachdem die 22. Herrscherreihe, sehr wahrscheinlich die Familie des Chefs des zu Bubastis stationirten libyschen Mamlukenkorps, die Taniten vom Throne gestoßen, fand einer der ersten unter ihnen die Sammelgruft des Regentenhauses, welches dem seinen vorangegangen war, für geeignet, die Mumien der größten Pharaonen zu beherbergen, die er bei einem Besuche Thebens in der Gruft Amenophis’ I. vorgefunden und dann pietätsvoll noch einmal einer Ausbesserung unterworfen hatte. Seine Wahl war gut; denn dies Grab konnte, wie gesagt, für das unzugänglichste in der ganzen Nekropole gelten, und es war von Der el-bahri aus sehr leicht vor Dieben zu schützen.
Als man vor Kurzem in diesem Versteck so viele Mumien solcher Pharaonen fand, deren Grüfte an anderen Theilen der Todtenstadt längst aufgefunden worden waren, hatte man anfänglich geglaubt, daß man sie vielleicht während des Einfalles der Assyrer unter Assarhaddon und Assurbanipal in Oberägypten, oder um sie vor der Wuth des Persers Kambyses zu schützen, der ja nach Herodot in der That Pharaonenleichen freventlich zerstört haben sollte, in ein unfindbares Versteck zusammengebracht habe; aber es sind an mehreren Särgen Notizen von der eigenen Hand der Ausbesserer gefunden worden, welche über die genannten Restaurationen und Verschleppungen Näheres mittheilen und uns berechtigen, den Hergang der Dinge so, wie es hier geschehen ist, darzustellen.
Auch ein anderer oben erwähnter Umstand findet nun seine Erklärung.
Alle Räume des großen Terrassentempels von Der el-bahri und selbst die Höhlungen in seinen Substruktionen sind in den der Zeit, von der wir reden, folgenden Tagen mit Mumien aus allen Ständen angefüllt worden, und dies ist gewiß nur geschehen, weil im Tempel von Der el-bahri oder in seiner unmittelbaren Nähe die Mannschaften stationirt waren, welche das Versteck der Königsleichen zu bewachen hatten. Man konnte also nirgends besser als hier die irdischen Reste seiner Hinterbliebenen vor dem Raubgesindel der Nekropole, welches in der Ptolemäer- und Römerzeit sein Wesen frecher als je getrieben haben wird, sicherstellen.
Das große Felsenversteck enthielt bei seiner Entdeckung nichts Erhebliches mehr von solchen Dingen, welche die Habsucht der Leichenräuber reizen konnte, und so liegt die Vermuthung nahe, daß, nachdem diese mehrfach erfahren hatten, es sei in dem schwer zu erklimmenden Versteck nichts Belangreiches mehr zu holen, ihre Anziehungskraft auf die Diebe verschwand und sie endlich völlig in Vergessenheit gerieth.
Als wir uns im Winter 1872 bis 1873 während einer Reihe von Monden in einer Gruft zu Abd el-Qurna häuslich niedergelassen hatten und nach uneröffneten Grüften und neuen Inschriften suchten, stellte sich häufig ein schneidiger, gewandter und findiger Araber Namens Abd el-Rassul in unseren Dienst. Er war ein guter Jäger, kannte die Wechsel der Schakale und begleitete uns des Abends, wenn wir nach gethaner Arbeit diesen schlauen und schnellen Söhnen der Nekropole auflauerten, welche oft zu Vieren und Fünfen in langer Reihe an dem gelben Kalkgefels hin lautlos zum Fruchtlande niedersteigen, um dort Beute zu suchen.
Leider ist es mir damals nicht eingefallen, diesem Manne, der die Denkmäler wie kein anderer kannte, einen ungewöhnlich hohen Lohn für einen wichtigen neuen Fund zu bieten! Ja leider; denn es lag schon damals in seiner Hand, mich die größte Entdeckung machen zu lassen, von der unsere an herrlichen archäologischen Funden so reiche Zeit zu erzählen weiß. Jedenfalls ist er ein Jahr nach unserem Aufbruche in der Lage gewesen, an den englischen Obersten Campbell, welcher sich der britischen Expedition zur Beobachtung des Venusdurchganges in Theben angeschlossen hatte, einen aus unserem Versteck stammenden Papyrus für 400 Pfund Sterling zu verkaufen.
Bald darauf zeigte der französische Orientalist Mr. de Saulcy seinem Landsmanne Maspero, dem trefflichen Direktor des Museums von Bulaq und aller Ausgrabungen in Aegypten (Mariette’s Nachfolger), Photographien des Todtenbuches der Mutter des ersten Priesterkönigs, und bald ergab es sich, daß diese lange Rolle von ihren Entdeckern in zwei Stücke geschnitten worden war, von denen eins schließlich nach Paris in den Louvre gelangte und das andere in England vor Anker ging.
Von 1878 an kamen sodann in Aegypten (sogar in Sues) immer mehr Papyrus und andere Antiquitäten in den Handel, welche sicher nur Mitgliedern der 21. Dynastie angehört haben konnten, deren Gräber bis dahin ganz unbekannt geblieben waren, und in Dr. Maspero wurde der Verdacht rege, daß Grüfte aus der Zeit der erwähnten Herrscherreihe eröffnet worden seien und ihr Inhalt hinter dem Rücken der Regierung von den Fellachen unter der Hand und, wie es sich bald herausstellte, mit Hilfe eines der reichsten und angesehensten Bürger von Luqsor, Mustapha Aga, an den Mann gebracht werde. Diesem alten Herrn war schwer beizukommen; denn er bekleidete die Würde eines englischen und belgischen Vicekonsuls, und sobald die Regierung ihn ernst anzufassen und ihn zu zwingen versuchte, über die Herkunft der von ihm verkauften Stücke aus unbekannten Königsgräbern Rechenschaft zu geben, pochte er in der That auf seine Stellung als Vertreter des mächtigen England.
Mein alter Jagdgenosse Abd el-Rassul benutzte den Diplomaten und Hehler in einer Person als Schirm und gab sich für seinen Diener aus; aber gerade durch ihn waren verdächtige Stücke in den Handel gekommen, und so machte denn Dr. Maspero eines Tages kurzen Proceß und ließ ihn, obgleich er sich auf Großbritannien berief, das Mitglied eines englischen Hauses zu sein betheuerte und Mustapha Aga ihm beizustehen versuchte, nach Qene bringen und dort ins Gefängniß setzen. Indessen mußte er nach zweimonatlicher Haft wegen mangelnder Beweise freigelassen werden.
Abd el-Rassul kehrte nach Theben zurück, aber dem Jäger hatte das Stillsitzen zwischen vier Wänden nicht gefallen, und es war ihm klar geworden, daß Maspero der Mann sei, Ernst zu [812] machen. Es konnte ihm sehr übel ergehen, und nachdem er dann auch noch in Zwist mit seinen Brüdern gerathen, machte er sich heimlich nach Qene auf und legte dort vor der höchsten Behörde das Geständniß ab, daß er eine große Gruft entdeckt habe, in der sich viele Mumien befänden, die er nach gewissen äußeren Anzeichen für Königsleichen halten möchte. Diese frohe Botschaft ward sogleich nach Kairo telegraphirt; da Maspero sich aber kurze Zeit vorher nach Europa begeben hatte, wurde Emil Brugsch B[ey], der rührige und für das Museum, welches unter seinen Augen und mit seiner Beihilfe groß geworden war, begeisterte Bruder des großen Aegyptologen H. Brugsch, mit dem Auftrage betraut, das Sammelgrab, dessen Existenz Abd el-Rassul verrathen, zu untersuchen und die Schätze, welche es barg, nach Kairo zu befördern.
[829] Am 6. Juli 1881 wurde Emil Brugsch-Bé von Abd el-Rassul zu dem Verstecke geführt, welches wir kennen, und der Eindruck, den er empfing, wie er in den weiten Felsensaal vordrang und sich dort von den größten Königen umgeben sah, welche die Geschicke des Pharaonenreiches geleitet, muß ein geradezu überwältigender gewesen sein. Das Herz stand ihm still, und er fand keine Worte, dem Staunen und dem Entzücken, das ihm erfüllte, Ausdruck zu geben. Es war ihm, als habe ihm ein seltsames Ungefähr eine Wünschelruthe in die Hand gegeben, welche ihm die Macht verlieh, den großen Eroberern, denen es gegeben gewesen war, die Völker des Nordens, Ostens und Südens vor alter Zeit zum Schemel ihrer Füße zu machen, ein neues Leben zu erschließen. Der Todesschlaf dieser Leichen hatte eben so viele und mehr Jahrhunderte gedauert, als der Himmel dem Menschen durchschnittlich Jahre zumißt, und die gewaltigsten, thatkräftigsten und an glücklichen Erfolgen reichsten Pharaonen scharten sich hier um ihn her in regungsloser Ruhe, gehorsam seinem schwachen Willen und seiner spärlichen, erborgten Macht. Die ganze Wonne des Entdeckers stürmte in dieser Stunde auf ihn ein, und neben dem Herzensjubel, welchen die Liebe gewährt, neben dem Hochgefühle des Feldherrn nach einem großen Siege, neben dem wundervollen Glücke des Künstlers, dessen Genius aus ihm heraus Erhabenes schafft, giebt es keine Wonne, welche sich mit derjenigen des Entdeckers zu messen vermag.
Gleich die dritte Mumie, der er begegnete, war die Seti’s I., dessen herrliche Gruft unter dem Namen des Belzonigrabes längst bekannt war. Ein gleiches Stück wie das Leichenzelt der Königin Isis em-heb hatte noch keines Aegyptologen Auge erblickt. Es war bestimmt gewesen, die Mumie der genannten Fürstin bei der Fahrt über den Strom in die Nekropole wie ein an den Seiten verhängter Baldachin den Blicken zu entziehen und sie vor der Berührung unberufener Hände zu schützen.
Ein Korb enthielt Opfergaben, welche die Königin in jener Welt genießen sollte: Gazellen- und Hammelkeulen, einen Kalbskopf und Gänse, alles vor Verwesung geschützt und zum Theil mit Mumienbinden umwickelt. – Dort standen Kanopen, steinerne Krüge, deren Deckel überall und so auch hier in Gestalt der Köpfe der vier Horuskinder und Todtengenien oder mit anderen Worten als Haupt des Menschen, des Hundskopfaffen, des Sperbers und Schakals gebildet wurden. Auch an Uschebtifiguren, an Libationsgefäßen von Bronze und dergleichen fehlte es nicht. Ueber die Blumen und Guirlanden, welche sich bei den Leichen fanden, hat Dr. Schweinfurth in diesen Blättern berichtet („Gartenlaube“ 1884, Nr. 38). Jetzt galt es, all diese Schätze schnell und sicher ins Freie zu schaffen, [830] und zu diesem Zwecke bot Brugsch mit der ihm eigenen Energie und unterstützt von den öffentlichen Behörden ungesäumt 300 Fellachen auf, welche sie am Fuße des Felsenrundes von Der el-bahri aufstellen mußten. Achtundvierzig Stunden lang konnte er bei der Leitung dieser anstrengenden und nicht ungefährlichen Thätigkeit sich keine Minute Ruhe gönnen und keine Sekunde die Augen schließen; denn es galt nicht nur der Habsucht der Todtenstadtbewohner entgegenzutreten, sondern auch die kostbaren ans Licht gezogenen Alterthümer vor Beschädigung zu hüten.
Als das Versteck endlich entleert war, sah er die Leichen der meisten Mitglieder des einundzwanzigsten Königshauses vor sich; aber die sterblichen Reste dieser Pharaonenreihe, von der die Geschichte nicht viel zu erzählen weiß und deren Regierung dem ägyptischen Staate wenig gefrommt hatte, regte sein Interesse in geringerem Maße an, obgleich auch diese von vorn herein Probleme stellten, die der Lösung würdig erschienen. Was wollte die Kindermumie dort, welche sich bei näherer Besichtigung als Attrape erwies, weil sie aus einem Bündel von Stäben bestand, welches, um ihm das Ansehen einer balsamirten Leiche zu geben, mit Binden umwickelt und mit einem Kinderschädel gekrönt war? Durfte man dieses Falsifikat für das Produkt einer Haremsintrigue halten? Hatte man ein erbberechtigtes Kind beseitigt, es für todt ausgegeben und ein Bündel Stäbe begraben, um die Mitlebenden in dem Wahn zu bestärken, daß es gestorben sei? Was bedeutete die andere Mumie, welche die Fellachen aufgerissen hatten und die sich gleichfalls als eine Attrape erwies? Einen wie herrlichen Anblick mußte der Sarg der Königin Nezemit geboten haben, bevor verbrecherische Hände ihn seiner goldenen Bekleidung, in welche Hieroglyphen aus edeln Steinen und Glasfluß eingelegt gewesen waren, bis auf einige kaum erkennbare Reste beraubt hatten!
Zum ersten Male sah Brugsch hier eine Königin, welche sich mit ihrem neugeborenen Töchterchen in dem gleichen Sarge hatte beisetzen lassen. Dennoch sollte die Wonne des Entdeckers erst den Gipfel erreichen, als ihm das helle Sonnenlicht bestätigte, was er beim Scheine der Fackel in dem Felsenverstecke nur hatte ahnen können, nämlich daß er im Stande sei, das Museum von Bulaq auch mit den Leichen der größten Könige aus der Blüthezeit der Pharaonengeschichte zu bereichern.
Da stand der Sarg und die Mumie eines jener Fürsten der siebzehnten Dynastie, welche die Waffen zuerst gegen die Hyksos erhoben. Neben dem längst aus der Geschichte bekannten Raseqenen sah er den Heldenkönig Aahmes I., welcher die Hyksos aus ihrer Veste Avaris vertrieben, und eine andere, die er für die seiner Gattin Nefertari, welche noch in später Zeit hoch geehrt wurde und Anbetung genoß, zu halten berechtigt war. Bei ihrer Auswickelung im Juni dieses Jahres ergab es sich indessen, daß er die Leiche Ramses’ III., des reichsten unter den Pharaonen, von welchem Herodot das hübsche, allbekannte Märchen von dem klugen Baumeisterssohne erzählt, vor sich gehabt hatte. Durch eine Verwechselung war bei den Reparaturen der Särge die Leiche des Königs in den seiner großen Vorgängerin gerathen.
Nun trugen die Fellachen den Schrein und die Leiche Amenophis’ I. herbei, des ritterlichen Fürsten, der es gewagt hatte, das ägyptische Heer nach Asien zu führen. Von Kopf bis zu den Füßen fand er seinen Leichnam mit Gewinden von blauen, gelben und rothen Blumen umgeben, und unter diesen eine Wespe. Sie war in den Sarg mit eingeschlossen worden, hatte in drei und einem halben Jahrtausend Gestalt und Farbe erhalten und hing, wenn auch vertrocknet, immer noch an dem Kelche der letzten Blume, aus der sie Honig gesogen.
Jetzt erschien auch der Sarg jenes Thutmosis’ I., des kriegerischen und baulustigen Königs, den wir als Vater der Geschwister Thutmosis II. und III. sowie der unternehmenden Königin Hatschepsu kennen gelernt haben.
Die meisten dieser Schreine, von denen die älteren bestimmt waren, in steinerne Sarkophage gestellt zu werden, deren sich denn auch einige in den ausgeraubten Grüften leer wieder gefunden haben, tragen die Form der in Binden gewickelten Mumie, und am oberen Kopfende ist häufig das portraitähnlich gebildete Antlitz des verstorbenen Herrschers zu sehen.
Wem mochte der Schrein mit dem mild lächelnden Gesichte ursprünglich angehört haben, den die Träger nun brachten? Er war für den legitimen Bruder der großen Hatschepsu hergestellt worden; so hatte der König ausgesehen, der sich so willig, oder doch mit so fruchtlosem Widerstande dem schwesterlichen Joche unterworfen.
Die Mumie der thatkräftigen Regentin kam nicht zum Vorschein; wohl aber scheint ihr eine Lade von Elfenbein und Holz, welche aus der Cachette hervorgeholt wurde, angehört zu haben, und später sollte es sich ergeben, daß der andere Sarg, welcher bald darauf ins Freie gebracht wurde und der von den Dieben seiner goldenen Bekleidung beraubt worden war, die sterblichen Reste des mannhaften Thutmosis III. geborgen, vor dessen Größe sich auch Frau Hatschepsu’s starker Geist hatte beugen müssen.
Mit rücksichtsloser Brutalität waren die Räuber mit der Mumie dieses gewaltigen Monarchen, dessen Leiche reiche Beute zu gewähren verhieß, umgegangen. An drei Stellen hatten sie seinen Körper zerbrochen, und die Messungen in Bulaq ergaben später, daß er nur 1,60 Meter groß, und Thutmosis III. also ein recht kleines Männlein gewesen sei. Als dem deutschen Kronprinzen dieser Umstand mitgetheilt wurde, sagte er: „Unser großer Friedrich war auch nur klein.“ Wir wollen hierzu bemerken, daß wir es bei der Betrachtung dieser 1,60 Meter langen Mumie thatsächlich und ganz zweifellos mit den sterblichen Resten dieses Riesen an Thatkraft zu thun haben; denn der betreffende [831] Leichnam ist mit Binden aus der feinsten battistartigen Leinwand umwicklt und mit einer Art von Leichentuch umgeben, worauf lange Texte des Todtenbuches verzeichnet stehen; diese aber beginnen mit einer Art von Einleitung, aus der hervorgeht, daß die ihr folgenden heiligen Schriften auf Befehl des Pharao Amenophis II. (des Sohnes Thumosis’ III.) hergestellt worden sind für seinen Vater und Vorgänger Thutmosis III., den Sohn der königlichen Gemahlin Isis. Dieser Frauenname erscheint hier zum ersten Male und lehrt, daß der größte der Pharaonen das Kind nicht der legitimen Gemahlin Thutmosis I., sondern einer gewissen Isis, der Favoritin unter seinen Nebenweibern, gewesen.
Bald kamen neben die Mumien dieser berühmten Pharaonen diejenigen der größten Könige aus der 19. Herrscherreihe auf dem staubigen Boden der Nekropole zu stehen. Der Sarg Ramses’ I. und die Körper Seti’s I. und Ramses’ II., deren gemeinsame Thaten von den Griechen dem Sesostris zugeschrieben worden sind, hatten sich in der Cachette gefunden. Welch ein wunderbares Ungefähr, daß die sterblichen Reste gerade dieser Größten unter den Großen erhalten bleiben sollten bis auf den heutigen Tag!
Auch Ramses’ II. Mumie wurde vor Kurzem, am 1. Juni 1886, eröffnet. Er war ein Mann von stattlicher Figur, und seine Mumie übertrifft die Thutmosis’ III. an Länge um 13 Centimeter. Emil Brugsch Bē, welcher bei ihrer Auswickelung zugegen war, versichert, daß der Kopf das allgemeine Erstaunen der ausgezeichneten, zu dieser Handlung gebetenen Gäste des Museums erregt habe. „Der Ausdruck der Züge,“ sagt er, „ist der eines Mannes von entschlossenem, fast tyrannischem Charakter,“ und ihre Photographie, welche wir im Holzschnitt wiedergeben, deckt sich durchaus mit dem Bilde, das wir von ihm an anderen Stellen entworfen. Obgleich er erst als Achtziger dahinging, blieb an seinem Antlitz alles Charakteristische erhalten, besonders auch die stark gebogene Nase, welche die Vermuthung zu bestätigen scheint, daß er einem semitischen Hause entstammte.
Die mit den Mumien bestatteten Papyrus sollten erst später aufgefunden und gewürdigt werden. Wir geben hier (S. 830) eine Probe der hieratischen Handschrift, die bei der Prinzessin Nesichunsu entdeckt ward. Die Stelle, welche H. E. Brugsch’s Photographie wiedergiebt, gehört zu einem Dekret, welches als von dem Sonnengotte Ra zu Gunsten der verstorbenen Fürstin erlassen gedacht wird und also anhebt: „Dieser ehrwürdige Gott, Herr aller Götter Amon Ra, der Gebieter des Reichsheiligthums (heute Karnak), die erhabene Seele, welche von Anfang an gewesen ist, der Gott, der sich nährt von Wahrheit, der Erste, der da gewesen ist und diejenigen, welche da sind, erzeugt hat, er, dessen Wesen alle Götter in sich schließt, der Eine und Einzige, welcher alle Dinge gemacht hat, dessen Beginn der Anfang der Welt gewesen, dessen Geburten geheimnißvoll und dessen Formen reich sind an Zahl.“ Die Mittheilung des von diesem Gotte Bewilligten, welche nun folgt, würde zu weit führen. Kehren wir zu dem Entdecker zurück!
Bald stand Alles, was das Felsenversteck geborgen, zum Transport nach Luqsor bereit, in dessen Hafen der aus Kairo herbeigerufene große Dampfer es aufnehmen sollte. Unter Brugsch’s Leitung setzte sich der Zug in der brennenden Hitze des ägyptischen Juli in Bewegung. Es galt, zuerst die staubige, Gluth ausstrahlende Ebene der Nekropole, welche sich zwischen Der el-bahri und dem Nil weit ausbreitet, zu durchmessen. Die 12 bis 16 Träger, welche unter der Last der größten Stücke, die man ihnen aufgebürdet hatte, beinah erlagen, brauchten 6 bis 8 Stunden, um zu den Booten zu gelangen, die ihrer harrten.
Wie viel Schweiß ward bei dieser Arbeit vergossen, wie mögen des wackeren Beamten Nerven gebebt haben, bis er endlich am Abend des 11. Juli dahin gelangt war, die in Zeug und Matten wohl verpackten Monumente am Hafen von Luqsor zu registriren!
Am 14. Juli langte der Dampfer an; seine Beladung ging ohne Störung vor sich, und bald darauf lichtete er mit seiner Fracht von Königen, getrieben von einer Kraft, deren mächtige Wirkung all diese gekrönten Häupter, wenn es ihnen vergönnt gewesen wäre ins Leben zurückzutreten, mit Bewunderung und Schauder erfüllt hätte, den Anker, und der Nil trug sie nach demselben Norden hin, dem so mancher von ihnen an der Spitze gewaltiger Heere lebensfroh und siegesgewiß entgegen gezogen war.
Die Nachricht von der Entdeckung so vieler Königsleichen hatte sich schnell durch ganz Oberägypten verbreitet, und nun sah man ein unerwartetes Schauspiel, das in denjenigen, welche ihm beiwohnen durften, einen unauslöschlichen Eindruck zurückließ.
An beiden Seiten des Nils strömten nämlich die Fellachen zusammen, um das wunderbare Leichenschiff zu sehen und der Schar von Königen, die es als stumme Passagiere stromabwärts führte, die letzte Ehre zu erweisen. Als gälte es, einem großen Verstorbenen aus ihrer Mitte das Ehrengeleite zu geben, folgten die Fellachenweiber mit aufgelöstem Haar dem Dampfer; bestrichen sich Stirn und Brust mit Staub und stießen jenes weit hinschallende Sagarit aus, mit dem sie bei den Leichenzügen, an denen sie sonst theilnehmen, der leidenschaftlichen Trauer, die sie erfüllt, Ausdruck geben.
Die Männer mischten sich unter die klagenden Weiber und schossen Flinte auf Flinte ab, wie sie es zu thun gewohnt sind, wenn sie angesehene Verstorbene bestatten. Von Luqsor bis Quft begleitete das ägyptische Volk die schwimmende Königsbahre mit allen Zeichen der Trauer. Ahnte die klagende Menge, welche in dieser Zeit der englischen Oberherrschaft Wohlfahrt und Selbständigkeit verloren, daß sie den Schöpfern und Erhaltern ihrer einstigen Größe die letzte Ehre erwies?
In dem neu hergestellten Museum von Bulaq fanden die Königsleichen würdige Unterkunft. (Vergl. Illustration S. 829.) Da stehen sie jetzt als numerirte Museumsstücke, und welch seltsame Fügung des Schicksals! Dieselben Kronenträger, welche tiefe Schachte in harte Felsen getrieben hatten, um ihren sterblichen Resten ewige Ruhe zu sichern und sie dem Blick und der Berührung der Ueberlebenden zu entziehen, müssen es sich nun gefallen lassen, daß ihre Mumien den neugierigen Blicken aller Welt preisgegeben und daß Tausende von Fremden, deren bloße Nähe bei Lebzeiten verunreinigt hätte, sie mit den Händen betasten, sie öffnen und nach Willkür mit ihnen verfahren.
Dr. Maspero hat all diese Schätze in seinem Museum aufs Würdigste aufgestellt, und es war gewiß eine weise That dieses Gelehrten, daß er den Waidmann und glücklichen Antiquitätensucher Abd el-Rassul mit 500 Pfund Sterling belohnt und ihn mit dem Posten eines Aufsehers der Ausgrabungen in Theben betraut hat. Der Plünderer der Gräber weiß nun, daß er für jeden neuen Fund auf rechtlichem Wege hübsche Summen verdienen kann, und der frühere Dieb ist, wie wir zu unserer Freude erfahren, zu einem brauchbaren Polizeimanne geworden.