Der Blumenschmuck ägyptischer Mumien

Textdaten
<<<
Autor: Georg Schweinfurth
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Blumenschmuck ägyptischer Mumien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 628–630
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über einen Mumienfund von 1881 und botanische Grabbeigaben
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[628]

Der Blumenschmuck ägyptischer Mumien.

Von G. Schweinfurth.

Unser Zeitalter ist durch einen beständigen Kampf mit den Schranken des Raumes sowie durch das Bestreben gekennzeichnet, die verborgensten Naturkräfte den Zwecken des menschlichen Daseins dienstbar zu machen; aber bei der großartigen Beständigkeit der Natur vermag der Mensch nur wenig. Zwar werden Landengen gespalten und die höchsten Gebirge durchbohrt; wirksamer jedoch, um sich bequeme Verkehrswege zu schaffen, modelt die Natur an den Formen des Erdballs im einzelnen Regentropfen, denn ihr Werk ist nicht an das Zeitmaß gebunden, das der Mensch nach Tagen und nach Jahren berechnet. Die Zeit aber ist unüberwindlich. Mit ihren gewaltigen Tritten löscht sie das Dasein von Eintagsfliegen aus so gut wie die Maulwurfsarbeiten der Menschheit, sie verwischt die Erinnerung an ganze Reihen von Völkern, über deren Wanderungen und Wandelungen oft kaum deutlichere Spuren berichten, als jene Fährten, die vor undenkbaren Jahrhunderten räthselhafte Thiere der Vorwelt in den weichen Ufersand der Flüsse eintraten und die nunmehr für ewig dem Felsen eingeprägt erscheinen. In Zeiträumen, die dem Menschen ungeheuer erscheinen, die aber kaum nachweisbare Veränderungen in der Fortentwickelung des Erdballs aufzuweisen haben und daher nur wenig in der Geschichte des letzteren bedeuten, verwischt sich die Erinnerung an das Dasein jener zahllosen Geschlechter, die von der ersten Menschwerdung bis zum frühesten Culturbeginne auf einander folgten, zu einem inhaltsleeren Blatte oder hüllt sich in so dichte Nebelschleier, daß auch das schärfste Auge des Forschers sie nicht zu durchdringen vermag.

Blumengewinde von der Rückseite.

Blumengewinde von der Mumie Ramses II., bestehend aus Mimusops-Blättern und Blumenblättern des blauen Lotus (½ natürlicher Größe).
Originalzeichnung von Prof. G. Schweinfurth.

Im Kampfe wider die Hindernisse des Raumes und der Zeit hat das Menschengeschlecht indeß auch Erfolge aufzuweisen, und solche begegnen uns am deutlichsten im alten Wunderlande am Nil, in Aegypten. Dreiundzwanzig Jahrhunderte sind verstrichen, seit das Auge eines Herodot sich daselbst in Andacht senkte vor der Ehrfurcht gebietenden Fülle uralter Zeugen der Vergangenheit, und heute noch ragen dort bergegleich und unverkürzt im Laufe der Jahrtausende die Pyramiden in den Himmel, während die tiefen Felsschachte der alten Gräber uns Einblicke eröffnen in schwindelnde Abgründe der Zeit.

Hier haben die alten Aegypter in zahllosen Steininschriften, Papyrusrollen und Bildwerken aller Art uns den Entwickelungsgang ihrer reichen Ideenwelt im Laufe der Geschlechter erschlossen und in dem ebenso mannigfachen als umfangreichen Bestattungspomp ihrer Todten, die sie zur Fortsetzung ihres Daseins im Jenseits mit allen Dingen ihres auf Erden gewohnten Haushalts, sei es in Substanz, sei es durch symbolische Vertretung im Bilde umgaben, Proben zur Schau gestellt, die uns ihre Häuslichkeit vergegenwärtigen, sodaß wir, diese Zeugen an der Hand und dem Fluge unserer Einbildungskraft folgend, nur hineinzugreifen haben „in’s volle Menschenleben“, wie es sich vor hundert Menschenaltern an den Ufern des Nils bewegte.

Seit Jahrhunderten wühlt nun die neugierige Epigonenzeit in diesen Vorrathskammern unseres Wissens, und immer neue und überraschendere Funde gelangen an’s Tageslicht. Die Geschichte der ägyptischen Ausgrabungen hatte ihre besonderen Glanzpunkte zu verzeichnen, wenn es dem Forscher gelang, ein von der Habsucht früherer Generationen noch unberührt gelassenes Heiligthum zu erschließen und der Kunde vom Alterthum mit einem Schlage neue und ungeahnte Horizonte zu öffnen.

Derartiger Glanz umstrahlte die Schritte des ersten Entdeckers, als vor 65 Jahren Belzoni den Eingang zu dem prachtvollen Königsgrabe fand, das heute seinen Namen trägt, als Mariette das Serapeum mit seinen kolossalen Apissarkophagen aufdeckte. Nie aber ist ein denkwürdigerer Fund gemacht worden als derjenige, welcher am 6. Juli 1881 unserem Landsmanne Emil Brugsch, einem Bruder des großen Aegyptologen, zu Theil wurde. Ganze Geschlechter der größten und berühmtesten Könige des alten Aegyptens erstanden da im engen Grabschachte nahe beim Tempel Der-el-bahari zu Theben vor seinen staunenden Blicken. Unter den vierzig Mumien aus königlichem Geschlechte, die sich hier vorfanden, glänzten so erlauchte Namen wie die eines Amosis, eines Thutmosis, eines Amenophis, eines Sesostris auf den Brustschildern ihrer leibhaftigen Körper. Ein König der gegen das 9. Jahrhundert vor Christus über Theben während einer Periode des Niedergangs herrschenden zweiundzwanzigsten Dynastie hatte die in ihren von Dieben erbrochenen Grabhallen nicht mehr vor Plünderung sicheren Mumien seiner großen Vorgänger in das erwähnte Grabversteck von Der-el-bahari bringen lassen, nachdem einige derselben in neue Särge gethan und ihnen ein erneuter Bestattungspomp zu Theil geworden war. Hier in dem tiefen Grabstollen, der mit der Außenwelt durch einen natürlichen und leicht zu übersehenden Felsriß in Verbindung gesetzt war, wurden die königlichen Särge niedergesetzt und mit einer Menge von Opfergaben und ähnlichen Dingen aufgespeichert. Araber aus der Umgegend waren in neuester Zeit in das seit 3000 Jahren unentweiht gebliebene Versteck gerathen und hatten zu plündern angefangen. Allein die durch sie in den Handel gebrachten Beutestücke lenkten bald die Aufmerksamkeit der Kenner auf den räthselhaften Fund, und endlich gelang es, die glücklicher Weise nur aus wenigen Theilnehmern, den Gebrüdern Abd-er-Rassul, bestehende Bande zum Geständniß zu bringen, bevor noch größerer Schaden angerichtet werden konnte.

Dieser großartige Gräberfund hat für die Kenntniß des Culturlebens der alten Aegypter eine besondere Bedeutung durch die Fülle von natürlichem Blumenschmuck, der an den Mumien angebracht war und der sich in so vollkommener Weise erhalten hat, daß die botanische Untersuchung der dreitausendjährigen Blatt- und Blüthentheile nichts zu wünschen läßt.

In mannigfaltiger Gestalt haben sich pflanzliche Reste aus dem ägyptischen Alterthum bis auf unsere Tage erhalten. Zunächst [629] sind dieselben zahlreich unter den Opfergaben vertreten, die mit dem Sarge in die Grabkammer eingeschlossen und daselbst auf dem Fußboden in Thonnäpfen und Schalen von verschiedener Gestalt, in Körben und anderen Behältern niedergesetzt wurden. Auf diese Weise wurde bisher eine Menge von Früchten (Feigen und Sykomoren, Granatäpfel und Weintrauben, Pinienzapfen, Datteln, Dom- und Argunpalmfrüchte etc.) erhalten, ebenso Getreideproben von verschiedenen Arten Weizen[1] und Gerste, Breiklumpen von Hülsenfrüchten (Linsen) nebst einzelnen Körnern derselben (Saubohnen und Cajanbohnen) und Gerstenbrod, letzteres nach Art der altrömischen mola salsa als Opfer in Breiform auf Schalen dargereicht, aufgefunden, dazu Farben, Harze, Droguen und Arzneimittel der verschiedensten Art, die alle Licht verbreiten halfen über die Culturpflanzen des alten Aegyptens und die Handelsbeziehungen zwischen diesem Lande und den benachbarten Gebieten von Asien oder Europa. Die dem Todten mit in das Grab gegebenen Stücke von Hausgeräthen und anderen Erzeugnissen des alten Kunstfleißes liefern ein zahlreiches Beweismaterial für das Vorhandensein gewisser Arten Textilstoffe, die bei der Korbflechterei, bei Herstellung von Garn und Geweben, von Netzen und Stricken Verwendung fanden. Zahlreich sind auch die Holzarten, die sich an den hier aufgestellten Särgen, Truhen und Schachteln, an den Figuren, Stühlen, Kämmen, musikalischen Instrumenten, kurzum an den verschiedenartigsten Geräthschaften erkennen lassen.

Mumie mit den Blumengewinden restaurirt, in den äußeren Binden Lotusblumen.
Originalzeichnung von Prof. G. Schweinfurth.

Die interessantesten Zeugen der alten Flora sind indeß im Innern der intact bis auf unsere Tage erhalten gebliebenen Mumiensärge anzutreffen. Hier finden sich theils einzelne Blüthen des Lotus in den äußeren Binden des Mumienconvoluts steckend, theils ganze Sträuße und Bündel von Pflanzenzweigen zu Seiten der Mumie, zwischen dieser und der inneren Sargwandung eingezwängt. Bei anderen Mumien fanden sich Kränze, die in der Art zusammengesetzt und geflochten erscheinen, wie wir sie als Opfergaben auf den bildlichen Darstellungen der Alten angebracht finden. Am häufigsten ist jedoch der den Mumien zu Theil gewordene Blumenschmuck in Gestalt langer und vielverzweigter Gewinde angebracht. Diese bedecken die Brust in concentrischen Reihen vielfach über einander gelegt und scheinen am Nacken zusammen geknüpft worden zu sein. Mumien aus späterer Zeit, namentlich die aus der griechisch-römischen Epoche, sind schließlich durch einen Stirnkranz von Oellaub gekennzeichnet.

Diese Blatt- und Blumengewinde spielen unter dem Namen „Kranz der Rechtfertigung vor dem Richterstuhl des Osiris“ eine große Rolle im ägyptischen Todtenbuche, und Dr. W. Pleijte hat sie zum Gegenstande einer gelehrten Abhandlung gemacht, die in diesem Jahre zu Leyden im Druck erschien. Der Kranz der Rechtfertigung ward dem Verstorbenen beim Eingang in die Unterwelt im Westen zu Theil. Da stand ein Sykomorenbaum, und in ihm wohnte die Himmelsgöttin Nut, die den Todten tränkte, benetzte und vermittelst ihres Lebenssaftes zu neuem Sein erweckte.

Die eigenthümliche Zusammensetzung und Gestalt, durch welche die Mumienguirlanden gekennzeichnet sind, erfordern bei der wichtigen Rolle, die sie in der Symbolik der alten Aegypter spielten, eine eingehendere Beschreibung. Der knappe Spielraum, welcher zwischen Mumie und innerer Sargwandung übrig blieb, gestattete keine Unterbringung von Blumengewinden nach unserer Art. Dieselben mußten flach aufliegen und durften nicht dick ausfallen. Zu solchem Behufe wurden nur Blätter von lederartiger Textur genommen und der Quere nach zweimal gefaltet, sodaß je vier Blattspreiten über einander zu liegen kamen und kleine Päckchen hergestellt wurden, die gleich lang und breit waren. Man bevorzugte Blätter der ägyptischen Weide und solche von Mimusops, der Persea der alten Schriftsteller, die noch heute im tropischen Afrika ihre Heimath hat und vom Lande Punt (Somaliküste) bereits in alten Zeiten nach Aegypten eingeführt wurde, wo man sie in den Tempelgärten eigens anbaute, die aber in der nachrömischen Zeit aus dem Lande verschwand. Die beschriebenen Blattpäckchen wurden auf Streifen zerrissener Dattelpalmblätter an einander gereiht und dienten als Agraffe für kleine Blüthen, wie z. B. von Nilakazien, Saflor und Sesbania, vom orientalischen Rittersporn, von Ackermohn, Kornblumen u. dergl., oder für Blumenblätter, die aus dem weißen und blauen Lotus, den Teichrosen des Nils und anderen für den Zweck zu umfangreichen Blüthen herausgerissen waren, indem letztere von den gefalteten Blättern klammerartig festgehalten wurden. Wenn die Blätter zu groß waren, wurden dieselben der Länge nach in zwei Stücke gerissen, die Hälften für sich gefaltet und zur Einfügung der Blüthen und Blüthentheile wie die ganzen verwandt. Feine Dattelblattstreifen, der Länge nach durch die ganze Reihe als Naht verlaufend, befestigten zum Schluß das ganze flachaufliegende Gewinde.

Diese altägyptischen Blumengewinde erinnern in der Art, wie sie zusammengesetzt und auf der Brust der mit ihnen zu schmückenden Mumie angeordnet erscheinen, an manchen Metallschmuck, der sich in verschiedenen Ländern des Orients bis auf den heutigen Tag erhalten hat, indem die zungenförmig herabhängenden Lotusblätter die Stelle von Fransen, Grelots, Klöppeln, Glöckchen, Kölbchen und ähnlichen Anhängseln einnehmen, welche an solchen Zierketten angebracht zu sein pflegen.

Der symbolischen Richtung entsprechend, die sich bei allen mit dem Todtencult der alten Aegypter zusammenhängenden Gebräuchen kund giebt, begnügte man sich bei den Mumien der Mittelclassen oft mit einer bildlichen Darstellung der erwähnten Gewinde. Da sieht man sie in greller Farbenpracht auf die starklackirten Särge gemalt. Wirklicher Blumenschmuck fand sich bis jetzt nur an den Mumien der vornehmsten Personen, zumeist solcher von königlichem Geblüt.

Die Zierlichkeit und Anmuth der ägyptischen Blumengewinde ist von mehreren Schriftstellern des classischen Alterthums gerühmt worden. Plinius gedenkt ihrer und Athenäus, der selbst in Aegypten geboren, erwähnt in seinen Tischgesprächen die aus blauen Lotusblumen zusammengesetzten Gewinde. Von Agesilaus, dem Spartanerkönige, erzählt Plutarch, daß bei seinem Besuche Aegyptens diese Guirlanden ihn dermaßen entzückten, daß er davon etliche mit nach Hause nahm.

Was nun den Zustand der Erhaltung anlangt, den die verschiedenen Pflanzentheile, aus denen die Gewinde bestehen, zu erkennen geben, so hat die Zeit, dank ihrer Absperrung von der äußeren Luft, in den dichtverschlossenen Mumienkästen und in den tiefen Felsenstollen der Gräber, wo eine constante Trockenheit und eine durch die mittlere Jahrestemperatur gebotene Gleichmäßigkeit der Spannungsverhältnisse jeden äußeren Luftwechsel unmerklich machen mußte, nur wenig über sie vermocht. Im Inneren unerbrochener Mumiensärge befinden sich diese Zeugen der altägyptischen Flora in keinem schlechteren Zustande, als solcher an Exemplaren [630] aus alten, aber wohlgepflegten Herbarien unserer Zeit zu erkennen ist, wennschon die letzteren nur so viel Jahre zählen als erstere Jahrhunderte. Wäre nicht durch den Transport der Särge und ihre Oeffnung großer Schaden angerichtet worden, so befänden sich diese Pflanzentheile noch heute in demselben Zustande wie in Folge des Trockenwerdens wenige Tage nach der Einsargung der Mumien.

Die äußerst brüchigen zarten Blatt- und Blüthentheile mußten beim Herausnehmen der Mumie und namentlich bei der Durchsuchung derselben nach Schmuckgegenständen, Papyrusrollen u. dergl. in zahllose Trümmer zerfallen. Was ganz erhalten blieb, ließ sich durch Aufweichen in Wasser ebenso gefügig behandeln, wie heutige Herbariumexemplare. Die Blätter und Blüthen konnten alsdann bis in die feinsten Einzelheiten untersucht, ausgebreitet und von neuem getrocknet werden, um in gepreßter Form zwischen Papier dauernd vor weiterer Zerstückelung geschützt zu sein.

Blumengewinde von der Mumie Amenhotep I., bestehend aus Weidenblättern und Blüthen der Nil-Akazie (½ natürlicher Größe).
Originalzeichnung von Prof. G. Schweinfurth.

Die auffälligste Erscheinung, welche sich beim Betrachten dieser tausendjährigen Pflanzenproben aufdrängt, ist die Farbenerhaltung vieler Blüthen. Diese giebt sich namentlich im röthlichen Violet des orientalischen Rittersporns zu erkennen, der die Guirlanden auf der Brust des großen Aahmos I. (Amosis) zierte, ebenso in dem der vorderasiatischen Kornblume, mit welcher die Mumie der Prinzessin Nsi-Chonsu von der zweiundzwanzigsten Dynastie geschmückt war, ferner im Roth der Blüthen des Ackermohns und des Saflors, die beide sich in diesen Gewinden vorfanden. Auch hat sich der grüne Farbstoff unverändert in den Blättern der Wassermelone erhalten, die bei der Mumie eines Priesters der genannten Dynastie lagen.

Zustand der Mumie Amenhotep I. beim Gräberfunde von Der-el-bahari am 6. Juli 1881.
Nach einer Photographie von Emil Brugsch-Bey.

Häufig bereits ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht etwa diese alten Gräberfunde Thatsachen zu Tage fördern könnten, die auf die Veränderlichkeit der Arten innerhalb eines Zeitraums von zwei- bis viertausend Jahren hindeuten würden. Wer sich mit geologischen Forschungen abgegeben und namentlich die neueren Formationen der Tertiärzeit im Hinblick auf ihre organischen Einschlüsse zum Gegenstande seiner Untersuchungen gemacht hat, wird einem Zeitraume von der angedeuteten Ausdehnung keinen großen Einfluß auf die Veränderlichkeit der Arten oder des Florenbestandes innerhalb einer bestimmten Gegend zuerkennen mögen. Zudem ist eine wirklich vollkommene Identificirung von Exemplaren beschränkter Zahl in Bezug auf den Artcharakter stets eine Aufgabe, die geringe Befriedigung verspricht.

Indeß mag die Thatsache genügen, daß bisher noch keine einzige Pflanzenart unter diesen Funden nachzuweisen gewesen ist, die nicht mit einer der heute bekannten auf’s Bestimmteste in Uebereinstimmung zu bringen war. Die auf solche Weise für die Flora des alten Oberägyptens vor einigen tausend Jahren festgestellten Pflanzenformen gehören entweder Arten an, die heute noch daselbst wildwachsend angetroffen werden, oder solchen, deren Cultur das heutige Klima dieser Gegend nicht die geringsten Hindernisse in den Weg legen würde. Mehrere Arten, wie z. B. der Ackermohn, finden sich nicht mehr in Oberägypten, wohl aber an der ägyptischen Küste bei Alexandria; andere, wie der Rittersporn, die Kornblume und die syrische Stockrose, fehlen der ägyptischen Flora und müssen von den Alten aus Asien eingeführt und in Gärten cultivirt worden sein. Man kann aber annehmen, daß in jedem Falle eher die veränderten Culturverhältnisse des Bodenbaus an dieser Verschiedenheit Schuld haben, als ein in der Zwischenzeit stattgehabter Klimawechsel, für den keinerlei durchgreifende auf dem Gebiete der organischen Natur oder der Bodengestaltung nachgewiesene Thatsache anzuführen ist.



  1. An dieser Stelle muß auf’s Entschiedenste der irrthümlichen, leider aber sehr weitverbreiteten Vorstellung entgegengetreten werden, daß diese mehrtausendjährigen Weizenkörner jemals zum Keimen gebracht worden seien. Die Riesenhalme von sogenanntem Mumienweizen, die das Florentiner Museum aufbewahrt, verdanken ihre Entstehung einer groben Mystification des betreffenden Gärtners. Ist die äußere Gestalt vieler Pflanzentheile auch unverändert geblieben, so kann doch das Gleiche nicht von der chemischen Natur der sie zusammensetzenden Stoffe gesagt werden, und dieser Umstand schließt jede Möglichkeit aus, daß auch die Keimkraft der uralten Getreidekörner sich unverändert erhalten konnte.