Der Eishandel (Die Gartenlaube 1867/3)
[48] Der Eishandel. Seit den letzten zwanzig Jahren ist das Eis zu einem wichtigen Stapelartikel im Welthandel geworden, wenn auch die Summen, welche er repräsentirt, nicht genau angegeben werden können, weil eine Eissteuer bisher unsern erfinderischen Finanzleuten noch entging und Aus- und Einfuhrlisten über das Eis schweigen.
Nur ganz festes, klares und reines Eis erhält sich den ganzen Sommer über gut in den Eiskellern, die man jetzt vielfach überirdisch nach neuen Methoden baut. Italien wird meist vom Aetna aus mit Eis versehen und im Winter nehmen kleine Flotten mit dem kostbaren Materiale ihren Weg nach Neapel, Rom, Genua und andern Hafenplätzen. Da unsere Teiche und Flüsse oft nicht in gehöriger Dicke zufrieren, oder ein mürbes, schlechtes Eis liefern, so versehen uns die Gletscher der Schweizer Alpen damit, von wo aus ganze Eisenbahnzüge nach Süddeutschland gehen und Hunderte fleißiger Hände in der beschäftigungslosen Winterzeit Arbeit finden. Der Eishandel in Europa aber, so große Verhältnisse er auch schon angenommen hat, ist nur ein Kind im Vergleich zu jenem Nordamerikas. Wie dort Charleston und New-Orleans die Centralpunkte für den Baumwollenhandel sind, so Boston für den Eishandel. Der Begründer dieses Erwerbzweiges war ein Bostoner Kaufmann, James Tulor, der bereits im Jahre 1810 eine große Schiffsladung Eis nach der westindischen Insel Martinique führte und ein so gewinnbringendes Geschäft mit dieser einen Ladung – man sprach von viertausend Dollars – machte, daß sich bald eine Reihe von „Eiscompagnien“ bildete, und es deren im Jahre 1844 schon sechszehn gab. In wie großartiger Weise dieselben den Handel betrieben, ersieht man daraus, daß eine derselben allein siebentausend Dollars nur für Heu und Stroh zum Verpacken ihrer kalten Waare ausgab.
Die Hauptquelle des Bostoner Eises ist der durch ein krystallklares süßes Wasser ausgezeichnete „Fresh Pond“ bei Cambridge in der Nähe Bostons. Geräth die Eisschicht gut, d. h. wird sie fest und dick, so liefert ein Acker Eis gegen eintausend Tonnen zu zwanzig Centner. Die Gewinnung wird ganz systematisch betrieben. Die „Eisleute“ schneiden, nachdem der Schnee sorgfältig entfernt wurde, mit einem scharfen Pfluge Linien in die Eisdecke, die dann ausgesägt werden. Das so in regelrechte Streifen und Würfel zerfallende Eis wird mit besonderen Werkzeugen und Winden herausgehoben und in hölzerne Schuppen gebracht. Früher wendete man nur Pferde- und Menschenkraft an, jetzt stellt man kleine Dampfmaschinen auf, die das Geschäft ungleich schneller besorgen.
Auch im Staate New-York blüht die Eisproduction, namentlich am Rockland-See am Hudson, der gegen hunderttausend Tonnen liefert. New-York allein exportirt jetzt jährlich zweihundertfünfzig- bis dreihunderttausend Tonnen Eis nach dem Süden in sechshundert bis siebenhundert Schiffen. – Giebt dies schon eine Vorstellung von der Bedeutung des Eishandels, so werden wir über den erzielten Gewinn noch mehr aufgeklärt, wenn wir wissen, daß ein Acker gefrorener Seeoberfläche einen weit höheren Ertrag liefert, als ein Acker des fruchtbarsten Bodens. Zwar schwankt das Einkommen gerade so wie bei unsern Feldfrüchten und ein Jahr ohne Frost ist ein Mißjahr; durchschnittlich trägt indeß der Acker Eis fünfhundert Dollars ein. Die Zahl der mit dem Eishandel in Nordamerika beschäftigten Personen wurde 1864 aus siebenzehntausend, das angelegte Capital auf mehr als sieben Millionen Dollars angegeben.