Der Ehrentag des Teutoburger Waldes
Eine bange Sturmnacht lag hinter uns. Von Mitternacht bis zum frühen Morgen hatte die Windsbraut den Gebirgswald durchtobt und die alten Eichenwipfel des Teutberges in wildem Kampfe geschüttelt. Es schien fast, als ob nun auch die Elemente ihre Ungunst an dem Heldenbilde auslassen wollten, welches seit mehr denn einem Menschenalter seiner Vollendung entgegengeharrt hatte und von den Stürmen manch trüber Zeit viel erzählen konnte. Wenn sie das Werk selbst, welches fest wie der Fels, auf dem es errichtet ist, von der Höhe des Teutberges in die Lüfte ragt, auch nicht mehr zu schädigen vermochten, so drohten sie doch, den lange erwarteten Ehrentag, zu dem Tausende von nah und fern herbeigeeilt waren, in einen grauen, unfreundlichen Regentag zu verwandeln und so den Glanz des Festes zu trüben.
Es war in der Frühe des letzten Tages vor dem Weihefeste, als ich durch den morgenfrischen Wald zu der Höhe hinanstieg, von der das Erzbild Armin’s hinabschaut auf die einst von ihm beherrschten Gaue und auf die Gefilde, in denen die römischen Legionen dem Racheschwerte seiner Deutschen erlegen waren. Drunten in den Gründen und Schluchten des Osning brauten wallende Nebelmassen, die in ihrem Ringen der Phantasie ein Bild des Kampfes boten, der vor nunmehr fast zweitausend Jahren dort gekämpft wurde und den auch heute der dort oben aus hoher Bergeszinne stehende, mit seinem Schwerte weithin über Berg und Thal winkende Feldherr wie damals zu lenken schien.
Höher wand sich der Weg längs dem Abhange des Berges hinan, mit jedem Schritte fast einen neuen Abschnitt des herrlichen Gebirgspanoramas entrollend, bis, am Fuße des Denkmals angelangt, ein vollständiger Rundblick dem Auge sich bot, welcher um so überraschender wirkte, als inzwischen Sonne und Wind die Nebel und Wolken hinweggescheucht hatten und nun die Gegend, vom hellen Glanze der Morgensonne bestrahlt, in ihrer ganzen Schönheit dalag. Gegen Norden schweift der Blick über das lippische Ländchen mit seinen freundlichen Städten und Dörfern bis zur Porta und den Weserbergen; nach Osten ragt der Brocken auf, während in Süden und Südwesten eine schöngeschwungen blaue Linie die hessischen und sauerländischen Berge bezeichnet, denen sich, im Dufte der Ferne immer mehr verschwindend, die bergischen und rheinischen Höhenzüge anreihen, bis weiter nach Westen hin die malerische Kette des Teutoburger Waldes mit ihren frischgrünen Laubmassen das Rundbild schließt.
Von dieser Stelle, wie man sie aus weit und breit nicht schöner hätte finden können, schaut der Cheruskerheld über das Land hinaus; und neben der Schönheit und Großartigkeit des Denkmals selbst ist es wohl gerade die Erhabenheit des sich hier dem Auge bietenden Gesammtbildes, was den Zauber spinnen hilft, von dem Jeder, der diese Stätte betritt, sich umweht fühlt.
Der Held, dessen Erzbild dort vor unseren Blicken sich erhebt, ist uns als Individualität zwar fremd geworden; sein in der Blüthe der Jahre dem Wohle des Vaterlandes geopfertes Leben verschwindet, wie sein tragisches Ende, im Dunkel der Geschichte, aus welchem nur seine große That gleich einem hellen Sterne hervorstrahlt; um so größer aber steht er, nicht als Person, sondern als Repräsentant einer großen Idee vor unseren Augen da, uns menschlich näher geführt durch den diese glanzvolle Erscheinung umhüllenden Schatten eines schweren Verhängnisses, welches Sohn und Gattin von des Helden Seite riß und ihn nach einer kurzen ruhmreichen Laufbahn einsam unter Mörderhänden verbluten ließ. Ein Ideal an jugendlicher Mannesschönheit, wie unser geistiges Auge ihn geschaut, so zeigt es sich uns auch hier, in übermenschlicher, hünenhafter Größe, das wuchtige Schwert in starker Faust hoch erhoben, ein Sinnbild deutscher Kraft.
Allgemach beginnt es auf dem Platze um das Denkmal und unter den Bäumen des Waldes lebendig zu werden. Ueberall, wohin man sieht, ragen Zelte und Bretterbuden aus dem dunkeln Laubgrün empor. Darüber wehen bunte Wimpel im Morgenwinde und ein lustiges Völkchen treibt sich emsig schaffend dazwischen umher. Dort vor seinem Waldhause erblicken wir den Schöpfer des Denkmals, den „Alten vom Berge“. Von einem zahlreichen Kreise seiner Kinder und Enkel, sowie einer Schaar zum Theil aus weiter Ferne herbeigekommener Freunde umgeben, sieht er, an einen Pfeiler seines Häuschens gelehnt, den Arbeitern zu, welche eben die letzte Hand anlegen, um den Platz zum Empfange der zahlreich erwarteten Gäste herzurichten, deren erste heute schon in hellen Haufen von allen Seiten den Berg hinanziehen. Trotz des warmen Augustmorgens hat er einen dicken warmen Pelzrock angelegt; denn die kühlen Nächte und das unfreundliche rauhe Wetter der letzten Tage, welches sich hier oben auf der Höhe doppelt fühlbar macht und dem das kleine Waldhaus wohl nur einen ungenügenden Widerstand entgegenzusetzen vermag, haben seine Gesundheit angegriffen und ihm heftige Gliederschmerzen zugezogen. Dennoch konnten alle Bitten seiner Freunde, drunten im Städtchen eine bequemere und geschütztere Wohnung zu beziehen und dort den Tag der Feier abzuwarten, ihn nicht dazu bewegen, sein altes Heim zu verlassen. Hier, wo er so lange gewirkt, will er nun auch ausharren als treuer Wächter bis zu dem Augenblicke, wo er sein Ziel ganz erreicht und das Werk seines Lebens dem deutschen Volke übergeben haben wird. Dieser Augenblick ist nun nahe, und welche Gedanken mögen wohl an dem Geiste des greisen Meisters vorübergehen, wenn er jetzt, nach siebenunddreißig langen Jahren mühsamer Arbeit und oft harten Kampfes hinblickt auf das in herrlicher Vollendung vor ihm dastehende Denkmal, das eigenste Werk seines Geistes und seiner Hand – und dann seinen Blick über den sonst so stillen Wald schweifen läßt, welcher belebt ist von den Schaaren derer, die von allen Enden Deutschlands herbeigekommen sind, um morgen seinen Ehrentag mit ihm zu feiern.
In dem Gasthause eines am Fuße der Grotenburg gelegenen kleinen Dörfchens, in welchem ich am Abend zuvor mit einer Schaar fremder Festgäste eingekehrt war, hängt das Bild eines schönen stattlichen Mannes mit ernsten, aber noch jugendlichen Zügen. Die edel geformte, mächtige Stirn und das große, leuchtende Auge lassen auf den ersten Blick den geistig bedeutenden Menschen erkennen und veranlaßten mich näher zu treten, um zu sehen, wen das Bild darstelle. Ich las: „Ernst von Bandel, Bildhauer“. Zwischen jetzt und der Zeit, aus welcher jenes Bild stammt, liegt ein volles Menschenalter, und so lehrt uns ein Blick auf dieses Bild und das Denkmal, was fester Wille und muthige Ausdauer zu erringen vermögen.
Der Platz vor dem kleinen Waldhause wird keinen Augenblick leer; bald sind es Freunde und Bekannte, bald Fremde, denen freilich der Alte vom Berge schon längst ein alter Bekannter geworden ist, und die ihn nun hier begrüßen. Aber so viele ihrer auch kommen mochten, für jeden hatte der in diesen Tagen [639] gewiß viel Geplagte ein freundliches Wort. Als ich ihn zu Hut und Stock greifen sah, um in Begleitung seiner Gattin einen Spaziergang über den Festplatz und durch den Wald zu machen, trat auch ich auf ihn zu, grüßte ihn und bat um die Erlaubniß, mich ihm bei seinem Gange anschließen zu dürfen, was er freundlich gewährte. Die mannigfachen Ausschmückungen des Festplatzes schienen nicht gerade den besondern Beifall des alten Herrn zu besitzen, welcher wohl der Ansicht sein mochte, daß der rings den Festplatz umrahmende Wald den besten Schmuck abgebe; und in der That nahmen sich denn auch schon jetzt die theilweise noch von dem vergangenen Tage herrührenden und allmählich welkenden Kränze und Guirlanden seltsam genug neben dem frischen Laubgrün des Eichwaldes, dem sie entnommen waren, aus. Bald verließ ich den Gefeierten, der von immer neuen Andringlingen in Anspruch genommen ward.
Je weiter der Tag fortschritt, um so bunter wurde das Bild des sich hier oben entwickelnden Lebens, und erst der nahe Abend führte die fremden Gäste wieder zu der freundlichen mit Fahnen, Kränzen und Laubgewinden festlich geschmückten Lippe’schen Residenz hinab, wo man jetzt die Ankunft des Kaisers erwartete.
Gegen seine Gewohnheit ließ der Kaiser diesmal ziemlich lange auf sich warten. Endlich, es war etwa sieben Uhr, da dröhnte der erste Kanonenschuß durch die Luft; mit feierlichem Klange fielen die Glocken ein und donnernder Jubelruf brauste durch die menschengefüllten Straßen. Wenige Minuten später erschien der Kaiser, welcher zuvor am Thore von den Vertretern der Stadt und einer Schaar weißgekleideter Jungfrauen begrüßt worden war, in einem von vier prächtigen Isabellen gezogenen Wagen in der Biegung der Straße, neben ihm der Fürst zur Lippe. Auf’s Neue brach der Jubel los, welcher sich gleich einem Echo beim Erscheinen des im zweiten Wagen sitzenden Kronprinzen wiederholte und die hohen Gäste bis zu ihrer Einfahrt in den Schloßhof begleitete. Mit dem Eintritte der Nacht stiegen rings von den Höhen mächtige Feuergarben empor, den morgenden Festtag weithin über das Land verkündend.
Lange noch tönte der Jubel der Menge um das alte Schloß, und wiederholt trat der Kaiser, für die ihm geltenden Zurufe freundlich dankend, an das Fenster, so daß endlich ein altes lippisches Bauernmütterchen, in großer Entrüstung darüber, daß man den Kaiser immer von Neuem störte, ärgerlich ausrief: „Nee, nu is et genaug, de oole Mann möt sin’ Ruh häbben, hei kann ja kaum en Bieeten eeten! Loatet doch nu mal den Jungen kommen!“
Endlich ist der Jubel verrauscht, und nächtliche Stille ruht über dem Städtchen.
Der Festtagmorgen brach an, die Straßen wachten auf und lange vor dem Abmarsche des officiellen Festzuges begann der Zug des Volkes zum Berge. Wo der Weg am Fuße des Teutberges in den Wald einbiegt, erhob sich ein stattlicher Ehrenbogen, mit welchem dort die Söhne des Waldes den Kaiser beim Eintritte in ihr Reich empfangen. Dunkles Tannengezweig bildete das Material zu dem Bogen, der mit prächtigen Geweihen und einer interessanten Sammlung von Jagdwaffen, von der Saufeder und dem mittelalterlichen Radschloßgewehre bis zu dem modernen Hinterlader geschmackvoll decorirt war. Einen originellen und wirklich höchst malerischen Schmuck des Bogens aber bildeten vier kräftige Jägergestalten, welche je rechts und links, hüben und drüben, das Gewehr im Arme und den Schweißhund am Leitriemen, als lebende Statuetten in den mit braunem Haidekraute drapirten Nischen aufgestellt waren. Damit nichts an dem Bogen sei, was nicht dem Walde entstammte, hatte man sogar das in mächtigen Lettern über dem Bogen prangende „Willkommen im Teutoburger Walde“ aus Birkenrinde gefertigt, deren schneeiges Weiß sich wirksam gegen das dunkle Tannengrün abhob. Dieser wirklich prächtige Bogen, an welchem der Kaiser bei Fahrt zum Denkmale von achtzig lippischen Forstbeamten unter Führung ihres Chefs, des Forstmeisters Feye, mit dem klangvollen Waidmannsrufe „Ho-rü-do!“ empfangen wurde, erregte dessen lebhaftes Interesse, so daß er einige Zeit vor demselben halten ließ.
Nun aber hieß es für uns sich eilen; um noch vor dem Kaiser zur Höhe des Berges zu gelangen. Wir schlossen uns einer Schaar frischer, junger Forstleute an, und mit ihnen ging’s „auf wildverwachsenen Wegen, die noch kein Fuß betrat“, steil hinauf. Wohl zwanzig Minuten waren wir, ohne aufzublicken, bergan gestiegen; da lichtete sich der Tann – wie Wetterstrahl leuchtet es durch die Wipfel: das Erzbild Armin’s vom Glanze der Morgensonne umstrahlt. Noch wenige Schritte, und wir sind auf der Höhe. Wie das dort vor uns lebt und wogt! „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?“
Auch ohne daß wir nach der engeren Heimat fragen, verräth uns der Laut der Sprache die Manigfaltigkeit der Landsmannschaft. Jedes Eckchen des großen deutschen Vaterlandes zählte seine Söhne hier; und daß auch das neue deutsche Reichsland nicht fehlte, zeigte uns das dort drüben luftig im Winde flatternde Turnerbanner von Straßburg, dem der unter dem Jubelrufe der Menge dort angelangte Kaiser seinen Gruß zuwinkte. Es war ein wahrer Wald von Bannern, die dort mit lustigem Wehen den Kaiser grüßten. Das wallte und flatterte in allen Formen, Farben und Zeichen: die meist schlichternste Fahne des Kriegers neben dem reichgestickten Banner des Sängers und Turners. Selbst von jenseits des Meeres waren sie herübergekommen, die Söhne Deutschlands; und wenn sie auch jetzt das Sternenbanner der neuen Heimath zum Gruße an das alte Vaterland flattern lassen – die Herzen sind deutsch geblieben!
Das Bild, welches sich jetzt dem Auge bot, bedürfte des Malers, um es in seiner bunten Mannigfaltigkeit und großartigen Eigenthümlichkeit wieder zu geben: Dort, gegenüber dem Bandelhäuschen, unter dessen blumengeschmückter Veranda der „Alte vom Berge“ neben seiner greisen Gattin, von seinen Kindern und Freunden umgeben, steht und mit freudig-bewegtem Blicke auf sein vollendetes Werk hinsieht, gewahren wir auf der mit Laubgewinden und Fahnen geschmückten Hoftribüne den Kaiser mit seinem Sohne, umgeben von einem Kranze fürstlicher Herren und Damen, so wie den Vertretern der Regenten von Sachsen, Bayern, Hessen und Baden; dahinter ein zahlreicher im Glanze von Orden und reichen Uniformen strahlender Hofstaat. Hüben und drüben, zu beiden Seiten, dichtgefüllte Tribünen. Den Raum zwischen der Kaisertribüne und der Bandelhütte nimmt der Festzug ein, dessen Vorhut, die sechszehn Horn’schen-Schlachtschwertirer in ihrer romantisch-mittelalterlichen Tracht, mit Panzerhemden und sechs Fuß langen Schlachtschwertern, gleichzeitig die Ehrenwache des Kaisers bildete. Der Ursprung dieser seltsamen Schaar reicht bis weit in das Mittelalter zurück, wo der Sage nach die Bürger des unweit Detmold gelegenen Städtchens Horn einst ihren Edelherrn, einen Vorfahren des jetzigen Fürsten, mit bewaffneter Hand aus der Gefangenschaft befreiten. Zur Erinnerung daran sind die bei dieser That gebrauchten Waffen und Rüstungen aufbewahrt und auf Kind und Kindeskinder vererbt; sie bilden bei feierlicher Gelegenheiten noch heute den Ehrenschmuck der dazu berechtigten Bürger. Neben diesen ernsten Gestalten, meist älteren Männern, zeigen sich die jugendlichen Gestalten der Turner und Studenten, letztere in vollem Wichse, mit Schläger und Federbarett; neben und hinter diesen die übrigen Mitglieder des Festzuges, und weiter hinaus, Kopf an Kopf gedrängt, die bunte, fröhliche Menge, welche bis hinauf zum Denkmal den weiten Raum füllt und noch auf den Stufen des Unterbaues Platz gefunden hat, während Der, dem alles dieses gilt, unbekümmert um das Treiben zu seinen Füßen, ruhig von seiner Höhe hernieder schaut. Den Rahmen zu diesem farben- und gestaltenreichen Gemälde bildet der das Ganze umschließende prächtige Eichwald, in dessen Wipfeln, wie auf dem Dache des Bandelhäuschens, eine Schaar kühner Kletterer ihren Platz gewählt hat; und über dem Allen wölbt sich der von goldigem Sonnenlichte durchstrahlte Himmel, an welchem lichte Wölkchen dahinsegeln.
Die ihrem Inhalte nach wirklich schwungvolle und von patriotischer Wärme getragene Festrede vermochte, da sie leider nur von Wenigen verstanden wurde und deshalb mehrfach zu Aeußerungen der Ungeduld Anlaß gab, die Feststimmung allerdings nicht zu erhöhen; doch bedurfte es dessen auch nicht, denn als nun der Weiheact selbst durch Entfalten der Reichsfahne und Kanonendonner unter Jubelrufe der Menge vollzogen war, hätte Nichts die Weihe des nun folgenden Augenblicks überragen können. Von dem Adjutanten des Kaisers geführt und auf den Arm seines Sohnes gestützt, schreitet dort der ehrwürdige
[640–641][642] Meister durch die lautlos harrende Menge zur Kaisertribüne. Dort erheben bei seinem Eintritte Alle sich ehrerbietig, während der Kaiser den Künstler mit herzlichem Händedrucke bewillkommnet, ihm Glück wünscht zur Vollendung des Werkes und ihm im Namen des ganzen Volkes dankt.
Es war der bedeutungsvollste Augenblick des ganzen Festes, als beide Greise, der Kaiser und der Künstler, dort standen, Hand in Hand; Jeder auf der Höhe seines Wirkens, Jener in der Mitte seines durch ihn geeinigten Volkes, ein würdiger, nur glücklicherer Nachfolger des Helden, dessen Erinnerung die Feier des Tages galt; Dieser am Ziele seiner Arbeit und seines Strebens, den Lorbeer des Ruhmes empfangend.
Mit diesem Bilde hätten wir am liebsten die Feier beschlossen; allein die Pflicht der geschichtlichen Treue läßt uns nicht sofort abkommen.
Nicht ohne ein leises Unbehagen sah man abermals einen Redner die kleine Tribüne besteigen; es war ein Freund des Künstlers, Justizrath Lüders, der in kurzen herzlichen Worten das Verdienst des Meisters würdigte, welcher während dieser Ansprache, so viel als es ihm möglich wurde, sich den Blicken der Menge zu entziehen suchte und, mit der mächtig ihn überkommenden Bewegung kämpfend, still vor sich hinblickte. Nur einmal, als der Redner der mannigfachen Hindernisse gedachte, welche sich der Vollendung des Denkmals entgegenstellten, und gegenüber der oftmals eintretenden Muthlosigkeit aller Anderen die niemals wankende Zuversicht des Meisters schilderte, der auf alle gegen ihn laut werdenden bangen Zweifel stets nur die Antwort gehabt habe: „Seid unbesorgt, mit Gottes und des deutschen Volkes Hülfe schaffe ich das Denkmal doch noch fertig!“ – da erhob der Meister sein Haupt, und mit einem strahlenden Blicke die Menge überfliegend, schien er gleichsam sagen zu wollen: „Und seht Ihr wohl, daß ich mich nicht in meinem Vertrauen getäuscht habe!“
Vieltausendstimmig erschallte jetzt das Hoch auf den Meister durch den Wald, mit dem die Menge in den Ruf des Redners einstimmte. Der Kaiser selbst führte den Gefeierten von seinem Sitze an die Brüstung der Tribüne, um ihn der jubelnden Menge zu zeigen. Noch einmal umfuhr er dann das Denkmal in Begleitung des Meisters und verließ dann den Berg, während die Menge im Schatten der Bäume sich lagerte, um in geselligem Kreise beim Klange der Becher die Eindrücke des eben Erlebten in sich nachhallen zu lassen.
Während hier noch die Becher klangen, flog die Kunde von der herrlichen Feier auf den Flügeln des Blitzes bereits nach allen Winden über Land und Meer, um Alle, welche diese Feier mit uns begingen, mit uns an dem Durchlebten Antheil nehmen zu lassen, und um die Grüße zu erwidern, welche aus der Ferne gesandt wurden. Und gar reichlich waren sie gekommen, nicht allein aus allen Theilen Deutschlands, von der Nordsee bis zu den Alpen – weit über Deutschlands Grenzen hinaus, so weit überhaupt Deutsche über den Erdkreis verstreut sind, hatte man des Festes gedacht; da waren unter anderen Telegramme aus Paris, aus Rom:
Deiner denken vereint heute die Deutschen in Rom;“
von den Sachsen Siebenbürgens: „Die aus allen Gauen des Sachsenlandes zu einem Vereinsfeste versammelten deutschen Siebenbürger entbieten den zur Feier in Detmold versammelten Vertretern des deutschen Volkes herzlichen Brudergruß“; aus New-York, Richmond in Virginien, aus Amoy in China: „Ihrem ruhmreichen Kaiser senden bei Veranlassung des Armins-Denkmals herzlichen Gruß die Deutschen in Futscheu“.
An dem Tage, an welchem das Denkmal Armin’s dem deutschen Volke übergeben wurde, durfte billig auch derer nicht vergessen werden, welche in nun vergangenen Tagen ihrem Volke das Bild des tapferen Cheruskerfürsten in Wort und Schrift gezeichnet und so das Andenken an denselben lebendig erhalten haben, nun aber längst unter dem kühlen Rasen ruhen. Der talentvolle, unglückliche Grabbe, der Dichter der „Hermannsschlacht“, ein Sohn Detmolds, und der durch seine Untersuchungen über die Varusschlacht verdiente Geschichtsforscher Clostermeyer. Für die Gräber beider waren von dem Dichter Ferdinand Freiligrath, bekanntlich ebenfalls einem Detmolder Kinde, Kränze gesandt, mit welchen die Ruhestätten der Heimgegangenen geschmückt wurden. Dem Dichter aber sandte man als Dank für seine sinnige Gabe einen von dem bei der Feier anwesenden Emil Rittershaus verfaßten poetischen Gegengruß:
„Vom Haus, wo Deine Wiege stand,
Sei heute Dir ein Gruß gesandt.
Jetzt hast Du Heimath allerwärts.
Dein Heim, es heißt das deutsche Herz.“
Der Jubel des Festes ist verrauscht, und an der Stätte, welche an jenem Tage in den Tausenden von deutschen Männern aus allen Gauen des Vaterlandes das Abbild des unter einem Herrscher geeinigten Deutschlands sah, rauscht der Wald wieder seine alte Melodie; von hoher Bergeswarte aber wird, der Macht der Elemente und den Stürmen von Jahrhunderten trotzend, das Erzbild des großen Cheruskerfürsten noch über ferne Geschlechter hinabschauen, als eine Mahnung, hochzuhalten das Panier der nationalen Freiheit und Selbstständigkeit, gleichviel ob die Waffen mit welchen der Kampf um jene Güter gekämpft wird, dem Schwerte Armin’s gleichen, oder ob es die Waffen des freien Geistes sind, mit welchen wir heute nach zweitausend Jahren abermals kämpfen unter dem Schlachtrufe: „Wider Rom!“