Der Dienst des Pfarrers/Die Art der Predigt

« Die Vorbereitung zur Predigt Hermann von Bezzel
Der Dienst des Pfarrers
Die Kasualrede »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Kapitel V.
Die Art der Predigt.
 1. Die äußerliche Art. Der Gang zur Kanzel, der nach richtigem Verstande evangelischen Gemeindeempfindens durch die Gemeinde führen soll, sei ernst und würdig, einfach und andächtig, ohne gesucht zu sein. Mörike hat in seinem „Sehrmann“ die Eitelkeit des Kanzelschrittes gegeißelt. – Der Amtsträger weiß, daß bald viele auf ihn hören werden, denen er gesunde, nahrhafte Speise, nicht geistvolle Kauserie bieten soll, wird| eindenken, daß er als Herold Gottes (I. Kor. 9, 27) zum Kampfe zu rufen und den Sieg zu verkünden hat und darum seine Seele in die Hände Gottes befehlen. Solche Gedanken verbieten den Umblick in die Gemeinde, die Beobachtung des einzelnen, moribundus moribundis hat Joh. Gerhard gepredigt. – Der Talar reiche wirklich zum talus, zur Ferse herab und sei würdig und anständig, die Beffchen seien über die weiße Binde gebunden, die immer mehr in Abnahme kommt, ohne es zu verdienen. Die eingesteckten oder lose über den offnen Stehkragen geschlungenen Beffchen nach allerlei Form und Schnitt, etwa mit eingesticktem Kreuze erweisen das Vollmaß evangelischer Freiheit mitnichten. – Unsre alten Kasuisten haben das Augenglas auf der Kanzel verboten, es solle nichts Falsches auf ihr sein. Wer seiner entraten kann, tut wohl daran, es weg zu lassen. Jedenfalls aber ist es besser es zu behalten als es auf- dann wieder ab- und wieder aufzunehmen. Der Zwicker aber gehört keinesfalls auf die Kanzel. – Das stille Gebet, das suspirium, auf der Kanzel sei wahr; auch in der Geste. Wenn die Kniebank zum Altare gewendet ist, mag Knien gut sein, wo sie fehlt, ist es kein Schade. „Laßt uns die Knie unseres Herzens beugen,“ heißt es in der alten Gebetsvermahnung.
.
 2. Die Predigt selbst. Der Kanzelgruß sei der alte ohne die lästigen Zutaten, aber auch ohne unzulässigen Abzug. Damit nichts stereotyp werde, als ob nicht die Gewöhnung an die Sitte und die Sitte gut wäre, ein Katechon, das nicht unterschätzt werden soll, werden jetzt Sprüche gewählt, die dem Texte zur Einleitung dienen sollen, etwa aus den Introiten der Sonntage.| Es fremdet an und vertreibt das Heimatsgefühl aus der Kirche. – Dann aber folge die Predigt, deren Schmuck die Wahrheit sein soll, die wahrlich nicht erst bei Leichenreden und bei – politischen gefährdet wird. Joh. 10, 41 πάντα, ὅσα, Ἰωάννης περὶ Ἰησοῦ εἶπεν, ἀληθῆ ἦν, das muß erste Bedingung sein. Es ist meist unwahr, wenn der Anfänger im Predigtamt von seinen Erfahrungen am Krankenbette redet (Wilh. Hofackers früh- und ausgereifte, Kettners in Leid bewährte Jugend sei ausgenommen) oder wenn er mit den Gedanken, die einem Christian Scriver in Gottholds zufälligen Andachten zustehen, als mit eignen kommt. Es ist unwahr, wenn religiöses Interesse mit Glauben und gottsuchende Allgemeinheiten mit Glaubensbesitz verwechselt werden, wenn die heilige Geschichte in sinnige Sage gewandelt und als jeweiliger sinnbildlicher Ausdruck des Menschengeistes nach seinem Verhältnisse zum Ewigen gewertet wird. So ist es auch nicht wahr, wenn aus Jesu Christi Persönlichkeit der eine Zug herausgenommen wird, etwa daß er uns zur Weisheit gemacht ist, während er nicht mehr unsre Gerechtigkeit sein soll, wenn man in ihm das edelste Vorbild der Heiligung feiert, während man die Erlösung, ohne welche doch jene nicht sein kann, zurückstellt. Aber es ist auch nicht wahr, wenn der Anfänger sich in einen Bekennerenthusiasmus hineinsteigert, der vergißt, was Phil. 3, 12 zu lesen ist und als geistlich Vollkommner über Fragen redet, die verarbeitet sein müssen. Wenn die hohe Rede dazu dient, den dürftigen Inhalt zu verdrängen und die Redeblüten sich an Stangen hinanranken, statt daß ein bescheidener Baum Schatten und| Frucht böte. Wie es auch unwahr ist, wenn der Sohn der Stadt in Trivialitäten und Geschichtchen sich ergeht, um gemeinverständlich zu sein.
.
 So sei die Predigt weder Wiederholung eines dogmatischen Kompendiums noch Aufguß neuester „Entdeckungen“, sondern ein schlichtes Zeugnis von dem, der uns zuerst geliebt hat, dies ständige Bekenntnis und Geheiß: gaudeo, gaudete, die Tat des Bekenntnisses zu den Katechismuswahrheiten, über denen der Gehorsam des Glaubens und die Freude des Besitzes wacht. Sie sei die Tat des Gehorsams, der nicht knechtet, aber auch nicht der Willkür ausantwortet, die Evangelien korrigiert, Wunder kritisiert, um ein wundersameres Evangelium eigner Prägung der Kritik zu entziehen. Der Haushalter hat nicht zu fragen, ob ein Stück des ihm anvertrauten Herrenbesitzes zusagt oder nicht, sondern aus dem Schatze eines um das andre heranzuholen, daß es der Gemeinde ins Herz leuchte. Er vermeidet sein Eigenes hervortreten zu lassen, damit nur Einer rede, leuchte, der Gemeinde ins Herz und Gewissen nahe. Alle Rede aber wende sich, und wenn sie den Charakter des Dialogs (wie bei Berthold von Regensburg und Ludwig Harms) annehmen sollte, an den Hörer, eingedenk des feinen Wortes von Bengel: „Was nicht per du geht, das geht perdu“ und wecke den Willen. Petri hatte recht mit seiner Frage: Nicht was hat der Prediger gesagt, sondern was hat er gewollt? – Die Polemik sei maßvoll, vermeide das persönliche Moment und treffe doch die Person, streife wohl Erlebtes und Erfahrenes, aber doch nicht so, daß, was in kleineren| Gemeinden leicht erreichbar ist, bestimmte Persönlichkeiten getroffen werden. Das Wissen bläht dann die Hörer auf und bessert den Getroffenen nicht, den nur seelsorgerliche Liebe erreicht. Man schelte nicht über den geringen Besuch der Kirche, denn die der Tadel treffen soll, erreicht er nicht und die er erreicht, trifft er nicht. – Das Illustrationsmaterial werde nicht zu oft aus dem alltäglichen Leben, nicht zu viel aus der Zeitgeschichte genommen: weder das Feuilleton noch der Leitartikel haben in der Kirche ihre Stätte, in der nicht ein Publikum, sondern die Gemeinde Christi sich versammelt. – Die Liederverse und Bibelsprüche seien maßvoll angewendet, aber korrekt, der Gemeinde auch bescheidentlich eine Aufgabe gestellt, dieses und jenes Kapitel nachzulesen, denn die Unkenntnis in der Schrift ist Gemeingut bei Gebildeten und Ungebildeten, kurz sei die Einleitung, die zur Aufmerksamkeit reize und kurz der Schluß, dessen wiederholentliche Erwartung kein gutes Zeugnis für die Predigt ist.





« Die Vorbereitung zur Predigt Hermann von Bezzel
Der Dienst des Pfarrers
Die Kasualrede »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).