Der Caucasus
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Nicht ist’s die Fabel vom politischen Gleichgewicht, was den europäischen Wappenadlern fort und fort Klauen und Schnabel schärft und der Hyder Krieg das Leben fristet, sondern die Ungleichheit der Cultur ist’s unter den Völkern der Erde. Durch sie werden Afrika und Asien an die Füße Europa’s gekettet und sie leiht den Königen stets neuen Vorwand, nicht nur ihre Ländersucht zu verfolgen, sondern ihr Eroberungsstreben auch durch das Interesse zu adeln, was die besten Menschen daran haben, daß Cultur und Gesittung sich verbreiten mögen über die ganze Erde. Aus gleichem Grunde nimmt es den rohen Völkern die Sympathien der gebildeten Welt, und deshalb werden Thaten, welche unter entgegengesetzten Verhältnissen Begeisterung hervorrufen und Tausende von Armen zu thätigem Beistand bewaffnen würden, mit Gleichgültigkeit oder mit kalter Anerkennung vernommen. Wen entflammt z. B. die Tapferkeit und Beharrlichkeit der Araber in Vertheidigung ihres Landes gegen die civilisirten Unterdrücker von der Seine? Der Aufstand der Griechen gegen ihre türkischen Herren – eine Schilderhebung, der alle Herzen entgegenschlugen, der die Edelsten und Besten freudig Leib und Leben opferten, die das Wunder gewirkt hat, einen König in einen Freiheitshymnen-Dichter zu verwandeln, – war dieser Aufstand legitimer, als der Kampf eines seit Anfang der Geschichte freien Volkes gegen die ihm Fesseln bringenden Slaven? oder ist Hellas Befreiungskrieg an Großthaten etwa reicher gewesen, als dieser? Und doch regt sich für die Tscherkessen kein Gänsekiel und
[55] kein Pfennig in Europa! So steht’s mit der Gerechtigkeit unserer Sympathien. Zeit und Umstände regen sie auf, oder ersticken sie, und die Mode nimmt sie in Schutz, oder ignorirt sie, oder läßt sie fallen.
Sey getrost, lieber Leser, ich predige dir keinen Kreuzzug. Folge mir immerhin in die Thäler des Caucasus, zwischen dessen Mauern ein dem Tode und der Vertilgung grausam geweihetes Volk, ohne irdische Hoffnung, aber mit unverzagtem Herzen hinaufblickt zum Himmelszelte, und wo von den Lebenden nur Die noch beneidet wer den, welche ihnen vorausgegangen sind im Vollbringen der einen heiligen Pflicht. Folge mir an das offene Grab des Heldenvolks, und willst Du eine Blume hinein werfen – thue es, und kehre Dich nicht an die Spötter, welche im Panzer der Gleichgültigkeit sicher sind vor allem Weh des Gefühls. –
Es giebt ein Land im fernen Osten, von dem schon Vater Herodot Wunderdinge erzählt, ein Land, auf dem der Schleier der Mythe seit Jahrtausenden ruht. In diesem Lande war der Schauplatz für die Thaten der Halbgötter der Erde, jene Thaten, welche die Dichter begeistern von Geschlecht zu Geschlecht. Von des Caucasus eisigem Gipfel stieg zu den Göttern hinan Prometheus und stahl das Feuer, und an dem caucasischem Felsen geschmiedet erlitt er die Rache der Himmlischen. Auf der caucasischen Küste stand das heilige Colchis, und Jason führte seine Heldenschaar dorthin, das goldne Vließ zu holen. An Tscherkessiens unwirthlichem Gestade irrte Odysseus, in Colchis lebte Medea, die Gefürchtete, trieb die Zauberin Circe unheimliche Werke. Auf der Halbinsel Taman sahen Homer und seine Zeit den Kocytus und Acheron, „die ersten Flüsse, welche zur Unterwelt führten und das Reich Neptuns begrenzten.“ Als die älteste aller Völkerburgen nennt die Sage den Caucasus, und in der von ihr geschützten und umfaßten südlichen Landschaft äußert sich die Natur in solcher Ueppigkeit, daß man die biblische Bezeichnung des Paradieses, „wo Milch und Honig fließt,“ noch heute auf sie anwenden kann und es nicht Wunder nehmen darf, daß alte Geschichten das Paradies selbst hier finden lassen. Aber aus diesem Paradiese hat der Engel mit dem Zweiflammenschwerte, – Krieg und Pesth – seit lange her die Menschen vertrieben: verwaist sind die fruchtreichen, prangenden Ebenen, herrenlos und öde liegen sie da, und nur im rauhen Gebirg haust seit undenklicher Zeit der starke Mensch mit der Genossin Freiheit, gleich unzugänglich der Kette, wie der Kultur. Während die Ebenen zu seinen Füßen die Herrschaft unzählige Mal gewechselt, blieb der Caucasier in vollem Genusse dessen, was er höher achtete, als alle andern Güter der Erde, und wofür er von jeher das nach der Freiheit ihm Liebste, das Leben, hinzugeben bereit war. Der Caucasier – Er verzichtete freiwillig auf alles andere um des Einen willen, dieß Eine war sein Reichthum und sein Erbe von den Erstlingstagen der historischen Sage bis auf den heutigen Tag. Unter solchen Umständen vermochte auch nie die Cultur Wurzel zu schlagen, und man begreift die Rohheit dieser Völkerschaften voller Barbarei und Heroismus.
[56] Der Caucasus, als Sitz derselben, trug seinen heutigen Namen schon in urältester Zeit. Er ist jene Gebirgsmauer zwischen zwei Welttheilen, die am Westrand des schwarzen Meeres bei Anapa als ein schwacher Bergrücken beginnt, sich ausbreitet, bis fast 17,000 Fuß hoch emporgipfelt, weit über die Linie des ewigen Eises hinaus, und dann sich allmählig wieder abdacht. Seine Länge von West nach Ost beträgt 120 geographische Meilen, seine Breite 10 bis 30 Meilen. Nördlich fällt er steil in die Steppen der großen und kleinen Kabardei herab; südlich in die reizenden Hochthäler des Rioni und Kur. Nur durch eine schwache und niedrige Kette steht er mit den Gebirgen Hocharmeniens in Verbindung. Kein anderes Gebirge trägt einen so rauhen, wilden Charakter. Mit den Alpen ist der Caucasus gar nicht zu vergleichen. Seine höhern Regionen sind wasserarm, und nur auf einigen Punkten ist die Gletscherbildung entwickelt, wodurch noch Leben auf der Marke des ewigen Eises keimt. Sonst überall ist die Natur todt, nichts sieht man als nacktes Gestein, zerrissen und zerklüftet, ohne Vegetation. Erst in der Mittelregion, in der Höhe von 6000 bis 9000 Fuß, werden die tiefeingeschnittenen Thäler wasserreicher und erfreut das üppige Grün der Gräser und Kräuter. Tiefer hinab schmücken die herrlichsten Matten und die schönsten Wälder die Seiten der Berge, und die Thäler stellen sich als liebliche Gründe dem Auge dar. Aber diese untere Region wird nur gelegentlich, nur dann, wo es mit Sicherheit geschehen kann, von den Hirten der Tscherkessen mit den Heerden besucht. Die eigentliche Wohnung der Caucasier ist die mittlere Region. Von Geschlecht zu Geschlecht an Entbehrungen gewöhnt, bebauen diese gestählten Menschen jedes kulturfähige Fleckchen bis zur Schneelinie hinauf, und oft mit Gefahr ihres Lebens. Ihre Dörfer stehen meistens in den Thalschluchten und in solchen Lagen, welche den Zugang schwer und die Vertheidigung leicht machen. Ueber die Zahl der Gebirgs-Bevölkerung hat man viel gestritten. Die der Kabardei und Achbasien eingeschlossen, betrug sie vor dem Unabhängigkeitskampfe anderthalb Millionen. Wenn man weiß, daß in dem nun zehnjährigen ununterbrochenen Kriege mit dem mächtigsten Reiche der Erde über 200,000 Russen gefallen sind, und wenn man veranschlagt, daß Hunger und Elend wohl eben so sehr als das russische Blei die Reihen der Bergvölker dezimirten, so wird man die sich noch jetzt gegen Rußland behauptende Gesammtbevölkerung auf höchstens eine Million veranschlagen dürfen, von denen etwa 100,000 fähig sind, die Waffen zu tragen. – Das ganze Volk spaltet sich, wie ehedem die Schotten im Hochlande, in 10 Clans, deren Namen allein schon die Frage: ob die Tscherkessen wirklich die Ureinwohner des Caucasus sind, oder spätere Eindringlinge, zur Ruhe bringen: denn schon Strabo und Procopius erwähnen der Abaskoi oder Hencochoi und Bruchoi, welche, den angehängten griechischen Plural wegnehmend, noch heute so heißen. Alle diese Stämme reden eine Stammsprache in verschiedenen Dialekten, welche von den Sprachen der umwohnenden Völker, der Osseten, Grusier und Tataren, gänzlich verschieden ist. Das Tscherkessische, vielleicht das älteste und unverfälschteste Idiom der Erde, trägt den Stempel des Volkes. [57] Eifersüchtig bewahrt man es vor jeder Neuerung, und obschon ohne schriftliche Denkmäler, hält man es werth, wie ein Heiligthum. – Eben so unverändert bewahrt das Volk Verfassung, Sitten und Gesetze, welche nicht auf schriftliche Urkunden, sondern allein auf Herkommen und Tradition sich gründen. Ihre Verfassung spiegelt auf eine den Geschichtsforscher frappirende Weise die ältesten Zustände der Germanen wieder. Sie haben Clan- (Stamm)-, und Gaugemeinschaften. Feudalistische Grundformen sind so kenntlich, wie bei den Deutschen zu Tacitus Zeit. Niemals herrschte im Caucasus ein Einziger. An der Spitze eines jeden Gaues steht ein Führer, als Fürst. Die Gemeinschaften schwören sich einander Beistand zur Wehr und Abwehr. Keine Ursache entschuldigt, keine mildert die Schande der Feigheit. Todesstrafe kennen die Tscherkessen nicht. Sklaverei sühnt das größte aller Verbrechen – Verrath gegen das Vaterland; Sklaverei dünkt dem freien Volke mehr als der Tod, und freiwillig opfert sich oft der Verbrecher, jener zu entgehen. Die Maßregeln im allgemeinen Interesse des Volks, Krieg und Frieden etc., werden auf Versammlungen entschieden, welche jeder Gau durch einen freigewählten Abgeordneten beschickt. Die Ausführung der Beschlüsse fällt den Clanfürsten zu, deren Würde in der Familie forterbt. Das Volk ehrt die Fürsten von Zeit zu Zeit durch freiwillige Geschenke. Bestimmte Abgaben darf keiner fordern. Eine Art Adel, ein Ritterstand, steht den Fürsten zunächst, und jener führt sein Ahnenregister so genau, als nur irgend ein deutscher Freiherr. Die Adlichen haben freie Hintersassen auf ihren Besitzungen und Sklaven – diese die Beute des Kriegs. Der Sklave ist Sache; er wird verkauft und vertauscht nach Willkühr. Uebrigens hat der Ritter kein Vorrecht vor dem gemeinen Freien und beider Stimmrecht bei den Versammlungen ist von einerlei Werth.
Frühzeitig adoptirten die Tscherkessen das Christenthum. Später fand Muhameds Lehre Eingang. Man nahm wenigstens deren Formen an, und behielt von den christlichen Vorstellungen die bei, welche die liebsten geworden waren. So verehren die Tscherkessen neben dem Propheten die Mutter Gottes und neben den Korans-Heiligen christliche Apostel. Die Sitten der Tscherkessen sind eben so rein, als rauh. Für das zarte häusliche Leben haben sie keinen Sinn. Das Weib ist ein untergeordnetes Wesen – der Tscherkesse vergiebt seiner Ehre nichts, wenn er seine Tochter einem Werber für das Noviziat des Harems verkauft. Raub ist kein Verbrechen – Blutrache Tugend: die Freiheit aber ist Allen das Heiligste, Höchste.
So steht dies Volk in der Gegenwart wie das letzte Blatt aus einem vor undenklicher Zeit geschriebenen Buch. Wir staunen die herrlichen großen Züge an – aber wir verstehen sie nicht. Im prächtigen Juchtenbande des russischen Völkercodex kann es am wenigsten passen; zerrissen also, vernichtet soll es werden! – In der That ist der Caucasus, als das Thor, durch welches der Slaven Herrschaft nach Südasien strebt, für Rußland viel zu wichtig, als daß es, vom Standpunkte seiner Politik folgerecht weiterschreitend, nicht Alles daran setzen sollte, sich dessen vollständigen Besitz zu sichern; und so wird es ausführen, was schon beschlossen war, als es durch den Adrianopeler Traktat von den Türken sich Etwas abtreten ließ, was diesen niemals gehört hat. –
[58] Rußland hat seine Zeit gut gewählt; aber es darf nicht zaudern, und muß den Augenblick benutzen, der noch sein ist. Der alte Jehova schickt keine Ladung, wenn er heimsuchen will; und – „er ist ein eifriger Gott, ein Rächer, zornig und von großer Kraft, dessen Wege im Sturm und Wetter sind, vor dem ein fressend Feuer hergeht, während Dunkel unter seinen Füßen ist.“ Es ist eine Zeugungsstunde einer ganzen verhängnißvollen Zukunft die Stunde, wo Völker ausgetilgt werden, und wie hoch die Weltklugheit der Staatenlenker auch stehen mag, es giebt eine höhere, von der Machiavell nichts gewußt. Mir hat die Geschichte längst gelehrt, daß der Abgrund, der, auf den Willen eines Einzigen, ganze Nationen verschlingt, ein offner Schlund bleibt, den kein Berg ausfüllen kann; er bleibt die immer offne Pforte des Unterreichs, wo die Furien wohnen, welche über schrecklichen Plänen brüten. Wohl weiß ich, daß die Fürsten an das Steuer des Staats gesetzt sind, auf daß sie das Schiff lenken mit starkem Arm. Aber lenken sollen sie es nach göttlichem und menschlichem Gesetz. Wehe ihnen, wenn sie zu Recht sitzen, ohne einen Richter zu sehen über sich, und sie vergessen, daß wir alle Sünder sind. Dann werden sie nicht mehr menschlich Recht sprechen über ihre Brüder, und sie dürfen sich nicht beklagen, wenn auch über sie einst nicht menschlich gerichtet werden sollte. – –