Der Bruder Graurok und die Pilgerin

Textdaten
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Autor: Gottfried August Bürger
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Titel: Der Bruder Graurok und die Pilgerin
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 277–286
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1777
Erscheinungsdatum: 1778
Verlag: Johann Christian Dieterich
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Erscheinungsort: Göttingen
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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Der
Bruder Graurok und die Pilgerin.
Im Mai 1777.


     Ein Pilgermädel, jung und schön,
Wallt’ auf ein Kloster zu.
Sie zog das Glöklein an dem Thor;
Ein Bruder Graurok trat hervor,

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Halbbarfus ohne Schuh.


     Sie sprach: „Gelobt sey Jesus Christ!“ –
„In Ewigkeit!“ sprach er.
Gar wunderseltsam ihm geschah;
Und als er ihr ins Auge sah,

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Da schlug sein Herz noch mehr.

     Die Pilgerin mit leisem Ton,
Vol holder Schüchternheit:
„Ehrwürdiger, o meldet mir,
Weilt nicht mein Herzgeliebter hier

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In Klostereinsamkeit?“ –


     „Kind Gottes, wie sol kentlich mir
Dein Herzgeliebter seyn?“ –
„Ach! An dem gröbsten härnen Rok,
An Geissel, Gurt, und Weidenstok,

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Die seinen Leib kastei’n.


     Noch mehr an Wuchs und Angesicht,
Wie Morgenrot im Mai,
Am goldnen Ringellockenhaar,
Am himmelblauen Augenpaar,

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So freundlich, lieb und treu!“ –

     „Kind Gottes, o wie längst dahin!
Längst todt und tief verschart!
Das Gräschen säuselt drüber her;
Ein Stein von Marmel drükt ihn schwer;

30
Längst todt und tief verschart!


     Siehst dort, in Immergrün verhült,
Das Zellenfenster nicht?
Da wohnt’ und weint’ er, und verkam,
Durch seines Mädels Schuld, vor Gram,

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Verlöschend, wie ein Licht.


     Sechs Junggeselchen, schlank und fein,
Bei Trauersang und Klang,
Sie trugen seine Baar’ ans Grab;
Und manche Zäre ran hinab,

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Indem sein Sarg versank.“ –

     O weh! O weh! So bist du hin?
Bist todt und tief verschart? –
Nun brich, o Herz, die Schuld war dein!
Und wärst du, wie sein Marmelstein,

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Wärst dennoch nicht zu hart.“ –


     „Gedult, Kind Gottes, weine nicht:
Nun bete desto mehr!
Vergebner Gram zerspelt das Herz;
Das Augenlicht verlischt von Schmerz;

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Drum weine nicht so sehr!“ –


„O nein, Ehrwürdiger, o nein!
Verdamme nicht mein Leid!
Denn meines Herzens Lust war Er;
So lebt und liebt kein Jüngling mehr.

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Auf Erden weit und breit.

     Drum las mich weinen immerdar,
Und seufzen Tag und Nacht,
Bis mein verweintes Auge bricht,
Und lechzend meine Zunge spricht:

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Gottlob! Nun ist’s volbracht!“ –


     „Gedult, Kind Gottes, weine nicht!
O seufze nicht so sehr!
Kein Thau, kein Regentrank erquikt
Ein Veilchen, das du abgepflükt.

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Es welkt und blüht nicht mehr.


     Huscht doch die Freud’ auf Flügeln, schnell
Wie Schwalben, vor uns hin.
Was halten wir das Leid so fest,
Das, schwer wie Blei, das Herz zerprest?

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Las fahren! Hin ist hin!“ –

     „O nein, Ehrwürdiger, o nein!
Gieb meinem Gram kein Ziel!
Und litt’ ich um den lieben Man,
Was nur ein Mädchen leiden kan,

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Nie litt’ ich doch zu viel. –


     So seh’ ich ihn nun nimmermehr?
O weh! Nun nimmermehr? –
Nein! Nein! Ihn birgt ein düstres Grab;
Es regnet drauf und schnei’t herab;

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Und Gras weht drüber her. –


     Wo seyd ihr Augen blau und klar?
Ihr Wangen, rosenrot?
Ihr Lippen, süs wie Nelkenduft? –
Ach! Alles modert in der Gruft;

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Und mich verzehrt die Not.“ –

     „Kind Gottes, härme so dich nicht!
Und denk wie Männer sind!
Den Meisten weht’s aus Einer Brust,
Bald heis, bald kalt; sie sind zu Lust

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Und Unlust gleich geschwind.


     Wer weis, troz deiner Treu und Huld,
Hätt’ ihn sein Loos gereut.
Dein Liebster war ein junges Blut,
Und junges Blut hegt Wankelmut,

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Wie die Aprilenzeit.“ –


     „Ach nein, Ehrwürdiger, ach nein!
Sprich dieses Wort nicht mehr!
Mein Trauter war so lieb und hold,
War lauter, ächt, und treu, wie Gold,

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Und aller Falschheit leer.

     Ach! ist es wahr, daß ihn das Grab
Im dunkeln Rachen hält?
So sag’ ich meiner Heimat ab,
Und seze meinen Pilgerstab

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Fort durch die weite Welt.


     Erst aber wil ich hin zur Gruft;
Da wil ich niederknie’n;
Da sol von Seufzerhauch und Kus,
Und meinem Tausenthränengus,

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Das Gräschen frischer blühn.“ –


     „Kind Gottes, kehr’ alhier erst ein,
Daß Ruh und Kost dich pflegt!
Horch! wie der Sturm die Fahnen trilt,
Und kalter Schlossenregen[1] wild

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An Dach und Fenster schlägt!“ –

     „O nein, Ehrwürdiger, o nein!
O halte mich nicht ab!
Mag’s thun, daß Regen mich befält!
Wäscht Regen aus der ganzen Welt

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Doch meine Schuld nicht ab.“ – –


     „Heida! Feins Liebchen, nun kehr’ um!
Bleib hier und tröste dich! –
Feins Liebchen, schau mir ins Gesicht! –
Kenst du den Bruder Graurok nicht?

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Dein Liebster, ach! – bin ich.


     Aus hofnungslosem Liebesschmerz,
Erkor ich dies Gewand.
Bald hätt’ in Klostereinsamkeit
Mein Leben und mein Herzeleid

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Ein hoher Schwur verbant.

     Doch, Gott sey Dank! mein Probejahr
Ist noch nicht ganz herum.
Feins Liebchen hast du wahr bekant?
Und gäbst du mir wol gern die Hand;

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So kehrt’ ich wieder um.“ –


„Gottlob! Gottlob! Nun fahre hin
Auf ewig Gram und Not!
Wilkommen! o wilkommen, Lust!
Kom Herzensjung’ an meine Brust!

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Nun scheid’ uns nichts, als Tod!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Schloßen = Hagel (vgl. Grimm)