Der Brand in der Bergstadt Eibenstock
Das sächsische Erzgebirge, ohnehin reich an Mißgeschick, ist am 19. März dieses Jahres in einer seiner Städte, Eibenstock, durch ein neues furchtbares Unglück betroffen worden, durch einen Brand, der ein ganzes Drittel der Häuserzahl vernichtete und über 2000 Menschen obdachlos machte. Es sind freilich keine Paläste, die dort abbrannten, aber jedes Häuschen, jede Hütte, war doch ein Eigenthum, wie bescheiden auch, und vor Allem war es eine Heimath seiner Bewohner, in der sie ihr Leben sich verlaufen sahen. Das schützende väterliche Dach ist zerstört und für Hunderte war in den ersten Tagen des Entsetzens die Decke des Himmels das Dach ihrer Wohnung. Doch über dieser Himmelsdecke wohnt der Herr der Liebe und mit den Unglücklichen einen wir unsere Hoffnung, daß aus diesem Born der Liebe die Quellen flüssig werden, um wieder aufzurichten, was der Gewalt des Elements erlag. Eibenstock feierte ein trauriges Fest der Auferstehung; aber es wird wieder und freudig auferstehen aus dem Schutt und nach den Tagen des Leides und des Kummers auch wieder die Tage des Trostes und der Freude erleben. Ueberall regen sich die Herzen, die bei der Kunde von so großem Unglücke von Mitleid geschwellt sind und mit vollen Händen wird gegeben werden, um zu helfen, wo Hülfe so noth thut.
Eibenstock liegt am rechten Ufer der zwickauer Mulde, etwa 1/2 Stunde von diesem Flusse entfernt, an dem Dorfbach und dem Döhnitzbach, drei Stunden von Schneeberg und eben so weit von Schwarzenberg entfernt, 21/2 Stunden von Johanngeorgenstadt. Ein Theil des Orts liegt am Dorfbach entlang mit regellos zerstreuten Häusern, der andere zieht sich die Höhe hinauf. Alle Gassen sind winklig, kurz, höckerig und meist ohne Pflaster. Im Westen erhebt sich der 2300 Fuß hohe bewaldete Krünitzberg, im Norden der Bühel, 2000 Fuß hoch, im Süden die Hackleite, 2200 Fuß hoch und der 3132 Fuß hohe Auersberg. In südlicher Richtung, 1/2 Stunde von Eibenstock, beginnt das „sächsische Sibirien.“
Es war gegen die Mittagsstunde des 19. März, als plötzlich die Lärmtrommel ertönte. Im Thaltheil der Stadt, in der sogenannten vordern Rehme, war das Feuer in einem Schuppen ausgebrochen, theilte sich sofort dem Wohnhaus mit und ergriff, mit einer wirklich unglaublichen Schnelligkeit, die Nachbarhäuser. Von diesen aus wurden die hochaufsteigenden Flammen durch den Sturm fortgerissen, zündeten entfernter davon ragende Giebel an, und so sprang, wie ein Raubthier, das entfesselte Element in wilden Sätzen bald nach links, bald nach rechts, bald nach vorn, bei jedem Sprunge ein neues Opfer packend. In der kurzen Zeit von einer Stunde hatte sich das Flammenmeer auf einer Strecke von 1100 Schritt weit ergossen, und auf seinem Wege Alles verheert, vernichtet. Nicht nur die Häuser wurden zerstört, auch beinahe alles bewegliche Eigenthum. Das schon für gerettet Gehaltene wurde von der nacheilenden Glut erreicht und gleichfalls zerstört. Menschliche Hülfe war hier vergebens; sie stand, trotz aller Opferbereitschaft, rathlos und machtlos, und mußte die Flammen unaufhaltsam vordringen sehen, und übernahm nur die Aufgabe, den nach oben gelegenen Theil der Stadt zu schirmen.
Auch der Verlust von drei Menschenleben ist zu beklagen. Ein Mann verbrannte, der in berauschtem Zustande am Gartenzaun seines Hauses lag, als die Flammen heranwütheten. Seine Augehörigen, die ihn bei ihrer Flucht nicht vermißt hatten, mußten aus der Ferne zusehen, wie der Unglückliche von der Glut ergriffen, umzüngelt, elend verbrannt wurde! Zwei Arbeiter sind schwer verletzt worden.
Der Anblick der verheerten Fläche ist furchtbar. Das ganze lange Thal abwärts Ruine bei Ruine, jede einzeln stehend, denn die Häuser standen dort nicht reihenweise, sondern waren hingebaut, wie der Boden es eben zuließ oder wie die Laune des ehemaligen Erbauers es gewollt hatte. Was an Holzwerk in den Gebäuden war, ist Alles so gänzlich verzehrt, daß man nur die vier Mauern mit dem Stück Schornstein sieht, der noch erhalten ist.
Auf einer Fläche von 15 Acker Land, in einer Ausdehnung von 1100 Schritt liegen 115 Häuser ohne die Neben- und Hintergebäude in vollständigen Trümmern. Etwa 400 Familien mit etwa 2000 Gliedern sind ohne Obdach, und es mußten diese in den übrig gebliebenen 300 Häusern, die ohnehin schon zahlreich besetzt sind, untergebracht werden. Es ist eine schwere Aufgabe, dieser großen Anzahl vollständig beschäftigungs- und verdienstloser Menschen, denn ihr Arbeitsgeräth ist verbrannt, die nöthige Nahrung zu reichen. Es hat sich zwar sofort ein Comité gebildet, das der Aufgabe zu entsprechen bemüht ist, aber ohne die ausgiebigste Unterstützung von Außen ist dies unmöglich. Möge daher diese Unterstützung allseitig und reichlich ausfallen
Als wir Eibenstock am 23. März Mittags verließen, wo wir uns an Ort und Stelle von dem grauenvollen Zustande überzeugt hatten, fiel ein dichter Schnee, der in kurzer Zeit die Erde hoch überdeckte. Es muß diese Erneuerung des Winters die Noth nur um so größer machen. Sie spricht laut und mahnend zu den Herzen.
So weit unser Berichterstatter. An die zahlreichen Leser der Gartenlaube richten wir nun die freundliche Bitte, der armen Eibenstocker nicht ganz zu vergessen. Alle von dort eintreffenden Nachrichten bestätigen das große Elend und die Hülflosigkeit der Abgebrannten. Die Meisten haben Alles verloren und nichts als das nackte Leben gerettet. Schnelle Hülfe thut noth.
Der unterzeichnete Verleger der Gartenlaube wird milde Beiträge an Geld gern annehmen, darüber öffentlich quittiren und an die betreffende Behörde einsenden.
Leipzig, den 30. März 1856.