Der Bodensee und die Insel Meinau

CCXXXVI. Gothenburg in Schweden Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCXXXVII. Der Bodensee und die Insel Meinau
CCXXXVIII. Olmütz in Mähren
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DER BODENSEE

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CCXXXVII. Der Bodensee und die Insel Meinau.




Mancher Mensch beurtheilt die Schönheit einer Aussicht nach ihrer Ausdehnung. Der Schweizerreisende, der das thut, mag sich die Mühe und Ermüdung ersparen, auf den Gipfel des Pilatus, oder Rigi, zu klettern; er findet dann Befriedigung von jeder Anhöhe am Bodensee. Er erfreut sich der Visten aus den Pallästen zu Mörsburg und Meinau; oder ihn entzückt die im Stahlstich verbildlichte von einem Hügel bei Constanz, die er unter einem schützenden Pavillon mit Muße, im Schooße der Bequemlichkeit, genießen mag. Hier liegt die große, spiegelhelle Fläche des Sees zu [9] seinen Füßen, und das unermeßliche Amphitheater von Schweizer- und Tyroler-Gebirgen steigt vor seinen Augen von dem Gestade allmählich zum Himmel empor. Im Vordergrunde überschaut er das fruchtbare Thurgau, die Sankt Gallischen, die Appenzellner Uferlande, mit ihren unzähligen Gebäuden, Landsitzen, Fabriken und Höfen, Dörfern und Städten. Die ganze Landschaft ist ein ununterbrochener Park; jeden Hügel ziert ein Kloster, oder ein Schloß; jeden Berg das verfallene Gemäuer einer Veste, oder Burg, oder einer Kapelle. Ueppige, lachende Fruchtbarkeit steht in grellem, aber angenehmem Contraste mit den düstern Felsenmauern und glänzenden Firnen, welche die Aussicht gegen Mittag begränzen. Nordöstlich hingegen strecken die gelben Kornfelder Schwabens sich aus, während die südlichen, wärmeren und baumreichen Ufer im Farbenschmelze aller Abstufungen des Grüns prangen und die Nähe Italiens verrathen.

Der reizendste Punkt des Constanzer See’s ist unstreitig Das, was er selbst mit Vorliebe in seinem Schooß gebettet, – die kleine Insel Meinau. Selbst neben den Eilanden im Lago Maggiore, oder im Orta, verliert sie nicht an Liebreiz, und die bezaubernd-schönen Inselchen anderer Schweizerseen, die Petersinsel im Bieler-, Aufnau im Züricher-, Schwanau im Lowizersee, halten mit Meinau den Vergleich nicht aus. Meinau liegt in einem Busen am nördlichen Ende des Bodensees, und seine Entfernung vom festen Lande beträgt nur wenige hundert Fuß. Da die Insel parkmäßig angepflanzt ist, so scheint ihr Umfang viel größer, als der wirkliche. Dieser mißt kaum eine halbe Stunde. Ihre Lage schützt sie vor der Kälte des Nords; offen hingegen ist sie den lauen Winden von Mittag, und diese, über die Fläche des See’s streichend, bringen Wärme und Erfrischung zugleich. Darum gedeihen hier auch eine Menge, zur südlichern Vegetation gehörende, Gewächse, die am nördlichen Seeufer nicht mehr fortkommen. – Ein schmaler Steg, der nach Meinau hinüber führt, ist der gewöhnliche Zugang; doch kommt man bei niedrigem Wasserstand ohne Gefahr auch mit Wagen durch den See, und wenn dieß nicht angeht, so ersetzt eine Fähre den Mangel einer breitern Brücke. Auf dem höchsten Punkte der Insel steht ein stolzer Pallast, früher die Wohnung eines Comthurs der Deutschritter; in neuester Zeit der mysteriöse Aufenthalt der Geliebten eines ungarischen Fürsten. Aus den Zimmern des Schlosses genießt man eine Reihe der schönsten Aussichten, die schon von jeher die Reisenden entzückten. Von zwei Seiten schweift der Blick fast schrankenlos über die südwärts sich über 15 deutsche Meilen ausdehnende Wasserebene, über die Hügelterrassen des Küstenlandes, bis er sich in der hohen Gebirgswelt verliert, welche der Aussicht zum Hintergrunde dient. Erhaben über alle Beschreibung ist der Anblick des See’s bei untergehender Sonne: die spielenden Wellen funkeln dann wie glühend Erz, die Ufer scheinen mit einem dunkelfarbigen Schleier umhangen, die Berge schimmern fast durchsichtig im stahlblauen Glanze und goldene und rosenfarbene Wolken drappiren das weite Gewölbe des Himmels. Doch nicht auf Meinau allein, überall hat ja die Natur solche Feststunden, wo sie ihr Feierkleid anthut, und es liegt ja blos an der Indolenz und Trägheit des Menschen, wenn er letzteres nicht sieht und jene nicht mitfeiern mag. So wandern Tausende alle Jahre auf den Rigi, oder [10] besteigen den Brocken, um einen Sonnenaufgang zu sehen, den sie daheim vom nächsten Berge schöner erlauschen könnten und mit dem hundertsten Theil der Mühe.

Bist du satt, Leser, vom Schauen? – Ist’s so, dann ist’s Zeit, daß ich dir nach so viel Schönem noch etwas Erhabenes zeige. Siehst du jene Eiche auf der Constanzer Höhe, die, von der Last der Jahrhunderte nicht gebeugt, ihre hundert kräftige Arme zum Himmel ausstreckt? Tritt näher; betrachte sie und zittere vor Ehrfurcht! denn du stehst an dem Orte, wo ein Märtyrer für die reine Lehre des Evangeliums die Qualen des Todes litt. Du findest ihn nicht in Roms goldnem Buche, diesen Heiligen: er ist kein Seliggesprochener; – aber so lange in der christlichen Menschheit das Wort Glaubensfreiheit nicht verloren geht, so lange wird auch der Name Huß kein vergessener seyn! Dieser Baum, er symbolisirt das Werk der Kirchenverbesserung, wozu der Märtyrer Huß den ersten Grundstein gelegt. Wisse, die schüchterne Hand der Verehrung setzte diese Eiche als jungen Stamm in die Asche seines Scheiterhaufens; und siehe! aus dem schwachen Reis ist, gepflegt von Gottes Hand, im Laufe der Jahrhunderte ein Riesenbaum gewachsen, der der Blitze spottet und stark ist, den Stürmen zu trotzen.

Es gibt nur eine wahre menschliche Größe. Es gibt etwas Höheres als Geistesstärke, gewaltiges Talent und mächtiges Genie. – Das Höhere ist jene Seelengröße, die alle Gaben des Geistes, alle Anlagen, Kenntnisse, Thätigkeiten, das Leben selbst, immer nur einem erhabenen Zwecke weiht, welcher nicht eigenes Wohl, nicht das Wohl der Zunächststehenden, nicht das Wohl der Vaterstadt, oder des Vaterlandes blos, sondern das Beste der Menschheit fördern will. Setzt die Götzen euerer Zeit als Götter auf Altäre, gießt die Statuen euerer Dichter, euerer Erfinder, euerer Heroen des Wissens in Erz; schmückt mit den Denkmälern euerer Könige und ihrer Räthe und Feldherren euere Gassen aus und ziert damit euere Palläste: immerhin! für einen Mann wie Huß, oder wie Luther, wird nie Raum seyn in einer Walhalla; denn für solche Räume sind solche Männer zu groß. Solche Menschen, die in der Wüste der Ewigkeit wie Meilenzeiger dastehen, an denen die Allmacht die Zeiten mißt, und die Geschichte der Menschheit ihre Epochen datirt, werden durch Denkmäler von Erz nur herabgezogen, nicht erhoben. Muß aber ja ein sichtliches Erinnerungszeichen seyn, so sey es eins, so anspruchslos und doch so herrlich, wie dieser Eichbaum![1]





  1. Da ein vortreffliches Bild von Constanz in einem spätern Theile dieses Werks gegeben werden soll, so werde ich noch Gelegenheit haben das Ereigniß, durch welches jene Stadt so große Berühmtheit erlangte, – das Conzil und Hussens Verurtheilung – ausführlicher zu schildern.