Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen

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Autor: Klotz
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Titel: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, 19, S. 298–300, 304–308
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen.
Gesichtsmusculatur und Beherrschung derselben. – Wie Darwin die Ausdrucksformen erforschte. – Die drei Principien. – Complicirte Bewegungen, Macht der Gewohnheit, Reflexthätigkeiten. – Das Beispiel vom Hunde. – Directe Einwirkung des Nervensystems.

Kinder lieben es, „Gesichter zu schneiden“; und wenn die Mutter beim Anblicke des Zerrens und Rümpfens ihres hoffnungsvollen Rangen zornig ausruft: „um Gotteswillen, Junge, die Gesichter ‚bleiben Dir ja stehn‘!“ – so liegt allerdings etwas Wahres in dieser prophetischen Drohung. Oeftere Wiederholung der nämlichen Bewegung führt zur Gewohnheit; Uebung lenkt in bestimmte Bahnen; der betreffende Muskel wird auf Kosten der anderen gestärkt, und so kann hieraus nicht blos die Neigung, gewisse „Gesichter zu schneiden“ hervorgehen, es kann der Mund bleibend eine schiefe oder anderweit ungehörige Stellung annehmen, die Stirn bleibend sich in bedenkliche Falten legen, aus denen der Physiognomiker seine Schlüsse zieht. –

Auf den Figuren 1 bis 3 (1. verkleinerte Copie aus Ch. Bell’s Anatomie, 2. und 3. aus Henle’s Handbuch der Anatomie) sehen wir das Hauptrüstzeug für den Ausdruck unserer Gemüthsbewegungen, die Gesichtsmusculatur, so wie sie sich nach Entfernung der Haut uns zeigt, als ein System in symmetrische Partien geordneter, dünner Fleischlagen, die durch ihre Zusammenziehung die Annäherung ihrer Ansatzstellen an einander und hiermit Veränderungen von größerem oder kleinerem Umfange hervorbringen. Durch Verbindung einiger dieser Muskeln unter einander wird die Wirkung theilweise eine zusammengesetzte. Die gesammte Gesichtsmusculatur aber wird durch den Gesichtsnerv regiert, der sich von der Ohrgegend aus über sie ausbreitet, und die durch äußere Eindrücke irgendwelcher Art veranlaßten Vorgänge im Hirn, dem Organe der Seele, nach außen trägt, indem er den einen oder den andern von ihnen zur Zusammenziehung bringt und so das Mienenspiel hervorruft.

Bei natürlichen Menschen werden gewisse Gemüthsbewegungen stets ihren bestimmten und deutlichen Ausdruck haben, am meisten bei Kindern, die bei geringem Unbehagen schon weinen und schreien, wo der Erwachsene noch „keine Miene verzieht“. Es tritt hier eine Beherrschung durch den Willen ein. Der Diplomat vermag ganz nach Bedarf ein gleichgültiges Gesicht zu machen, bei aller Freude über das Gelingen, bei allem Aerger über das Mißlingen einer Operation. – Die Thatsachen also sind an sich mehr oder weniger bekannt, daß gewisse Bewegungen, unter denen uns namentlich die des Gesichtes die bedeutendsten sind, gewisse Gemüthserregungen begleiten.

Die Anatomie lehrt den Verlauf der Muskelbündel und nach diesem ihre Wirkungsweise kennen. Es läßt sich so mit mehr oder weniger Bestimmtheit angeben: die Veränderungen, die wir am Gesichte eines Lachenden sehen, werden durch die, die des Weinenden durch jene Muskeln herbeigeführt. Ja, der Franzose Duchenne zeigte durch seine sogenannte „örtliche Faradisation“, das heißt durch Leitung des elektrischen Stromes auf ganz bestimmte Muskeln, daß man durch örtlichen Reiz auf bestimmte Stellen des Gesichts einzelne Muskeln zur Zusammenziehung bringen und so Ausdrucksformen erzeugen kann, die den durch bestimmte Gemüthserregungen hervorgerufenen täuschend nahe kommen. Im Jahre 1862 erschien sein Werk: „Der Mechanismus der menschlichen Physiognomie“, das mit prachtvollen Photographien ausgestattet war.

Außer diesem sind eigentlich nur noch Pierre Gratiolet’s an der Sorbonne gehaltene und nach seinem Tode 1865 herausgegebene Vorlesungen „De la physiognomie et des mouvements d’expression“ und bereits im Jahre 1844 Sir Charles Bell’s [299] „Anatomie und Philosophie des Ausdrucks“ als wirklich bedeutsame Vorläufer des erst kürzlich im englischen Original, wie in Victor Carus’ deutscher Uebersetzung an die Oeffentlichkeit getretenen neuesten Werkes von Charles Darwin zu betrachten, „Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren“, eines Buches, das, wie von seinem berühmten Verfasser nicht anders zu erwarten, einen Schatz trefflich verwertheter Beobachtungen, eine reiche Quelle der Belehrung und Anregung bietet. Was Darwin in’s Auge faßt, ist nicht blos der Gesichtsausdruck, der allerdings beim Menschen im Vergleich zu Thieren vorwiegend in Betracht kommt, es ist namentlich die Verknüpfung dieses mit gewissen Bewegungen des Körpers überhaupt und seiner Gliedmaßen, kurz mit dem, was man Geberden nennt. Gewiß verdient die Beobachtung der verschiedenen Ausdrucksformen unser ganzes Interesse, schon um der Bedeutung willen, welche sie für unsere Wohlfahrt haben. „Sie dienen,“ sagt Darwin, „als die ersten Mittel der Mittheilung zwischen der Mutter und ihrem Kinde; sie lächelt ihm ihre Billigung zu und ermuthigt es dadurch, auf dem rechten Wege fortzugehen, oder sie runzelt ihre Stirn aus Mißbilligung.

Erklärung der Figuren 1 bis 3. A. Stirnmuskel. B. Augenbrauenrunzler. C. Ringmuskel des Auges. D. Pyramidenmuskel. E. Nasenrümpfer oder Heber der Oberlippe und des Nasenflügels. F. Eigentlicher Lippenheber. G. Großer Jochbeinmuskel. H. Wangenbeinmuskel. I. Kleiner Jochbeinmuskel. K. Herabdrücker des Mundwinkels. L. Viereckiger Kinnmuskel. M. Lachmuskel.

Wir nehmen leicht Sympathie bei Anderen durch die Form ihres Ausdrucks wahr; unsere Leiden werden dadurch gemildert und unsere Freuden dadurch erhöht; und damit wird das gegenseitige wohlwollende Gefühl gekräftigt. Die Bewegungen des Ausdrucks verleihen unsern gesprochenen Worten Lebhaftigkeit und Energie. Sie enthüllen die Gedanken und Absichten Anderer wahrer als es Worte thun, welche gefälscht werden können.“

Einen besonderen Werth aber erlangt Darwin’s Behandlung des Gegenstandes dadurch, daß er die Erscheinungen nicht blos beschreibt, sondern auch erklärt, daß er sie auf ihre Grundursachen zurückzuführen versucht. Namhafte Forscher haben diese Erscheinungen geradezu für unerklärlich gehalten, so selbst der große Physiologe Johannes Müller.

Sicherlich hat die Erforschung der Ausdrucksformen ihre Schwierigkeiten, einmal bei der Flüchtigkeit vieler dieser Bewegungen, dann bei den Fehlerquellen, die theils in der Trübung des Urtheils durch’s Mitgefühl, theils in der Einbildung liegen. Darwin, der seine Beobachtungen bereits im Jahre 1838 begann, und seit jener Zeit bis zur Stunde den Gegenstand gelegentlich verfolgte, richtete seine Aufmerksamkeit zunächst auf Kinder, da ja im spätern Leben viele Ausdrucksformen einer minder reinen und einfachen Quelle entspringen und Gewöhnung eine so gewaltige Rolle spielt. Er beobachtete ferner den Ausdruck Geisteskranker, die ja den Ausbrüchen stärkster Leidenschaften ausgesetzt sind.

Darwin erstreckte seine Beobachtungen über den ganzen weiten Erdkreis. Es lag ihm daran, zu erfahren, ob dieselben Ausdrucksformen bei allen Menschenracen sich finden, namentlich bei denen, die nur wenig mit Europäern in Berührung kamen. „Sobald nur immer,“ sagt er, „dieselben Bewegungen der Gesichtszüge oder des Körpers bei mehreren verschiedenen Racen des Menschen dieselben Seelenbewegungen ausdrücken, können wir mit großer Wahrscheinlichkeit folgern, daß derartige Ausdrucksarten echte, d. h. daß sie angeborene oder instinctive sind.“ Deshalb vertheilte er im Jahre 1867 gedruckte Fragen mit der Aufforderung, die Ergebnisse der Beobachtung ihm mitzutheilen. Er erhielt sechsunddreißig Antworten von verschiedenen Beobachtern, zum Theil Missionaren oder Beschützern der eingeborenen Bevölkerung. Diese Antworten beziehen sich auf mehrere der verschiedensten und wildesten Racen. Aus der hierdurch erlangten Belehrung aber folgte, daß ein und derselbe Zustand der Seele durch die ganze Welt mit merkwürdiger Gleichförmigkeit ausgedrückt wird. Dies ist für die Beziehung der Menschenracen zu einander von großem Interesse.

Darwin ließ es aber hierbei nicht bewenden; er zog endlich auch die Ausdrucksformen der Leidenschaften bei Thieren in’s Bereich seiner Beobachtung, sicher, hier auf nichts Conventionelles, das Urtheil Trübendes zu stoßen. Wer unbeschadet seiner Gottinnigkeit das Bewußtsein natürlicher Abstammung eingesteht und nun ganz unbefangenen Blicks die Thiere beobachtet, der wird sich überzeugen, daß es keineswegs blos Wuth oder Furcht ist, was sie auszudrücken vermögen, denn „selbst der Mensch kann Liebe und Demuth durch äußere Zeichen nicht so deutlich ausdrücken wie ein Hund, wenn er mit hängenden Ohren, herabhängenden Lippen, sich windendem Körper und wedelndem Schwanze seinem geliebten Herrn begegnet.“ Daß viele Ausdrucksformen unserer Gemüthsbewegungen in der Abstammungslehre ihre einzig natürliche Erklärung finden, davon weiter unten einige Andeutungen.

Hören wir nun zunächst die drei Principien, auf welche Darwin die Ausdrucksformen der Gemüthsbewegungen zurückführt, ohne sich indeß zu verhehlen, daß es nicht in allen Fällen möglich ist, zu entscheiden, wie viel Gewicht dem einen oder dem andern derselben beizulegen sei, und daß überhaupt manche Punkte noch unerklärt blieben. Er hofft gleichwohl nach dem bis jetzt Erreichten, daß sicher alle Ausdrucksformen durch diese Principien sich werden erklären lassen. Es ist 1) das Princip zweckmäßiger associirter Gewohnheiten, 2) das Princip des Gegensatzes und 3) das Princip der directen Thätigkeit des Nervensystems.

Nach dem ersten Principe werden zweckmäßige Handlungen gewohnheitsgemäß mit gewissen Seelenzuständen associirt und ausgeführt, sie mögen nun von Nutzen sein oder nicht. „Gewisse complicirte Handlungen,“ sagt er, „sind unter gewissen Seelenzuständen von directem oder indirectem Nutzen, um gewisse Empfindungen, Wünsche etc. zu erleichtern oder zu befriedigen; und sobald derselbe Seelenzustand herbeigeführt wird, so schwach dies auch geschehen mag, so ist in Folge der Macht der Gewohnheit und der Association eine Neigung vorhanden, dieselben Bewegungen auszuführen, wenn sie auch im gegebenen Falle nicht von dem geringsten Nutzen sind. Einige in der Regel durch Gewohnheit mit gewissen Seelenzuständen associirte Handlungen können theilweise durch den Willen unterdrückt werden, [300] und in derartigen Fällen sind die Muskeln, welche am wenigsten unter der besondern Controle des Willens stehen, diejenigen, welche am meisten geneigt sind, doch noch thätig zu werden, und damit Bewegungen zu veranlassen, welche wir als expressive anerkennen. In gewissen anderen Fällen erfordert das Unterdrücken einer gewohnheitsgemäßen Bewegung andere unbedeutende Bewegungen, und diese sind gleicherweise ausdrucksvoll.“

„In Bezug auf unser erstes Princip,“ heißt es weiter, ist es bekannt, wie stark die Macht der Gewohnheit ist. Die complicirtesten und schwierigsten Bewegungen können mit der Zeit ohne die geringste Anstrengung und ohne Bewußtsein ausgeführt werden. Man weiß nicht sicher, woher das kommt, daß Gewohnheit so wirksam in der Erleichterung complicirter Bewegungen ist. Physiologen nehmen aber an (er citirt z. B. Johannes Müller), daß sich die Leitungsfähigkeit der Nervenfasern mit der Häufigkeit ihrer Erregung ausbildet. Dies bezieht sich auf die Bewegungs- und Empfindungsnerven ebensowohl, wie auf die Nerven, welche mit dem Acte des Denkens in Zusammenhang stehen. Daß irgend eine physikalische Veränderung in den Nervenzellen oder den Nerven hervorgebracht wird, welche gewohnheitsgemäß benutzt werden, kann kaum bezweifelt werden; denn im andern Falle wäre es unmöglich zu verstehen, warum die Neigung zu gewissen erworbenen Bewegungen vererbt wird.“ Schon Darwin’s interessantes Buch „Das Variiren der Thiere und Pflanzen“ giebt hierüber reiche Aufschlüsse, und jetzt führt er uns einen ganz merkwürdigen Fall nach Galton an von der Vererbung gewohnheitsgemäßer Geberden, wo durch drei auf einander folgende Generationen die seltsame Gewohnheit sich vererbte, während des festen gesunden Schlafes – also nicht als Nachahmung erklärlich – den rechten Arm zur Stirn zu heben und in der Art fallen zu lassen, daß die Hand auf die Nase schlug. – Als ein Beispiel, wie leicht Handlungen mit anderen Handlungen oder mit verschiedenen Seelenzuständen associirt werden, führen wir das an: Jeder sucht sich, wenn er auf den Boden fällt, durch Ausstrecken seiner Arme zu schützen, und nur Wenige können es über sich gewinnen, nicht so zu handeln, wenn sie absichtlich sich auf ein weiches Bett fallen lassen. Es giebt Handlungen, die unter gewissen Umständen, unabhängig von der Gewohnheit, ausgeführt werden und welche eine Folge einer Nachahmung oder irgend einer Art Sympathie zu sein scheinen. „So kann man zuweilen Personen sehen, welche, wenn sie irgend etwas mit einer Scheere schneiden, ihre Kinnbacken in gleichem Tempo mit den Scheerenblättern bewegen. Wenn Kinder schreiben lernen, drehen sie häufig, so wie sie ihre Finger bewegen, die Zunge umher in einer lächerlichen Weise.“

Von hoher Bedeutung für den Ausdruck sind Reflexthätigkeiten. Wir verstehen unter diesen meist ohne alles Empfinden oder Bewußtsein sich vollziehenden merkwürdigen Vorgängen Folgen der Erregung eines peripherischen Nerven, der seinen Einfluß gewissen Nervenzellen überliefert, worauf diese ihrerseits wieder gewisse Muskeln oder Drüsen zur Thätigkeit anregen. Hierher gehört z. B. Husten und Niesen. Beides werden kleine Kinder ohne Weiteres ausüben. Das gewissermaßen analoge Schnauben aber, das Zusammendrücken der Nase und heftige Blasen durch den verengten Gang müssen sie erst lernen; es ist eine willkürliche Bewegung, obschon sie später beinahe so leicht wie eine Reflexthätigkeit vollzogen wird. – Wahrscheinlich sind einige Handlungen, welche anfangs mit Bewußtsein ausgeführt wurden, durch Gewohnheit und Association in Reflexhandlungen umgewandelt worden und jetzt so so fixirt und vererbt, daß sie ausgeführt werden, selbst wenn kein Nutzen damit verbunden ist, so oft nur dieselben Ursachen eintreten, welche ursprünglich durch den Willen in uns diese Handlungen erregten. So wurden Niesen und Husten – nach Darwin – wahrscheinlich ursprünglich durch die Gewohnheit erlangt, jedes reizende Theilchen so heftig als möglich aus dem empfindlichen Luftwege auszustoßen. „Was das Moment der Zeit betrifft, so ist davon mehr als hinreichend vergangen, daß diese Gewohnheiten eingeboren oder in Reflexhandlungen umgewandelt wurden. Denn sie sind den meisten oder allen höheren Säugetieren gemeinsam und müssen daher zuerst in einer sehr weit zurückliegenden Zeit erlangt worden sein.“

Was nun das zweite Princip betrifft, so beruht es darin: Gewisse Seelenzustände führen zu bestimmten gewohnheitsgemäßen, zweckmäßigen Handlungen; bei einem direct entgegengesetzten Seelenzustande tritt eine unwillkürliche Neigung zur Ausführung von direct entgegengesetzten Bewegungen ein, wenn auch dieselben von keinem Nutzen sind. Zur Erläuterung dient folgendes charakteristische Beispiel. Wenn sich ein Hund in feindseliger Stimmung nähert, so geht er aufrecht und recht steif einher; sein Kopf ist leicht emporgehoben, oder nicht sehr gesenkt, der Schwanz wird aufrecht und vollständig steif getragen; die Haare sträuben sich, besonders dem Nacken und Rücken entlang; die gespitzten Ohren sind vorwärts gerichtet, und die Augen haben eine starren Blick. Diese Erscheinungen sind eine Folge davon, daß es Absicht des Hundes ist, seinen Feind anzugreifen; sie sind hiernach in hohem Grade verständlich. Nehmen wir nun an, daß der Hund plötzlich die Entdeckung macht, der Mann, der sich ihm nähert, sei kein Fremder, sondern sein Herr – vollständig und augenblicklich wandelt sich die ganze Haltung um. Der Körper duckt sich und führt windende Bewegungen aus; der Schwanz wird gesenkt und von einer zur andern Seite gewedelt; das Haar wird augenblicklich glatt; die Ohren sind heruntergeschlagen und nach hinten gezogen; die Lippen sind schlaff. Dadurch, daß die Ohren nach hinten gezogen werden, werden die Augenlider verlängert und die Augen erscheinen nicht länger mehr rund und starr. Nicht eine der soeben bezeichneten Bewegungen, welche einen so deutlichen Ausdruck der Zuneigung darstellen, ist von dem geringsten directen Nutzen für das Thier und nur dadurch zu erklären, daß sie in einem vollständigen Gegensatze zu der Haltung und den Bewegungen stehen, welche eintreten, wenn ein Hund zu kämpfen beabsichtigt.

Hören wir aber, wie sich Darwin über den Ursprung dieses zweiten Princips äußert. „Da das Vermögen der gegenseitigen Mittheilung sicherlich für viele Thiere von großem Nutzen ist,“ sagt er, so hat die Vermuthung a priori nichts Unwahrscheinliches in sich, daß Geberden, welche offenbar entgegengesetzter Natur sind, verglichen mit denen, durch welche gewisse Gefühle bereits ausgedrückt werden, zuerst willkürlich unter dem Einflusse eines entgegengesetzten Gefühlszustandes angewendet worden sein dürften. Die Thatsache, daß die Geberden jetzt angeboren sind, bietet keinen gültigen Einwurf gegen die Annahme dar, daß sie ursprünglich beabsichtigt waren; denn werden sie viele Generationen hindurch ausgeführt, so werden sie wahrscheinlich schließlich vererbt werden. … Und darüber kann kein Zweifel bestehen, daß mehrere von dem Principe des Gegensatzes abhängige Bewegungen vererbt werden.“

Wir haben nun noch das dritte Princip in’s Auge zu fassen, das Princip nämlich, daß Handlungen durch die Constitution des Nervensystems verursacht werden, von Anfang an unabhängig vom Willen und in einer gewissen Ausdehnung unabhängig von der Gewohnheit. Der hier vorliegende Gegenstand ist, wie Darwin offen eingesteht, sehr dunkel. Ein Beispiel ist das Zittern der Muskeln, das, den Menschen und vielen Thieren gemeinsam, am leichtesten durch Furcht, gelegentlich auch bei Zorn und bei großer Freude hervorgebracht wird.

Dieses Princip der directen Einwirkung des erregten Nervensystems auf den Körper ist in höchst verwickelter Weise mit dem Principe gewohnheitsgemäß associirter zweckmäßiger Bewegungen verbunden, so bei den wahnsinnigen Geberden der Wuth und dem Sichwinden unter heftigem Schmerz etc., und selbst bei schwacher Erregung von dergleichen Empfindungen führt die Macht lange associirter Gewohnheit ähnliche Handlungen herbei, die nicht unter der Controle des Willens stehen.

[304]
Mittel des Ausdruckes. – Lachen und Weinen. – Unvermögen und Indignation. – Staunen, Hohn und Abscheu.

Werfen wir nach Darlegung der drei Darwin’schen Principien einen Blick auf die verschiedenen Mittel des Ausdrucks. Da ist zunächst vielen Thieren wie dem Menschen das Stimmorgan ein sehr wirksames Mittel. Ursprünglich mag eine bei starker Erregung des Nervensystems eintretende unwillkürliche und zwecklose Zusammenziehung der Muskeln der Brust und der Stimmritze Veranlassung zur Aeußerung von Stimmlauten gegeben haben, jetzt aber wird die Stimme von vielen Thieren zu verschiedenen Zwecken benutzt; auch scheint Gewohnheit bei deren Verwendung mit in’s Spiel gekommen zu sein. Die Stimme, weil sie unter gewissen, Vergnügen, Schmerz, Zorn etc. veranlassenden Bedingungen gewohnheitsgemäß als nützliches Hülfsmittel angewendet wurde, wird allgemein gebraucht, sobald dieselben Empfindungen oder Gemüthsbewegungen unter völlig verschiedenen Bedingungen oder in einem geringeren Grade angeregt werden. Daß die Thierreihe auch zahlreiche Fälle aufweist, wo Lautäußerungen nicht mit den Athmungswerkzeugen zusammenhängen, kann nur angedeutet werden. Stachelschweine rasseln mit den Stacheln; Störche klappern mit den Schnäbeln.

Nächst den Lautäußerungen ist das Aufrichten und Sträuben

[305]

Gesichtsausdruck der menschlichen Gemüthsbewegungen.
Nach Darwin’s neuestem Buche von Adolf Neumann.

[306] von Hautanhängen, zu denen bekanntlich Haare und Federn zählen, bei den höheren Wirbelthieren ein sehr gebräuchliches Ausdrucksmittel für Zorn und Schrecken, besonders wenn beide verbunden sind oder schnell auf einander folgen: dieses Aufrichten der Hautanhänge, das durch Zusammenziehen gewisser sogenannter glatter, unwillkürlicher Muskeln erfolgt, und das auch bei Kälte eintritt, ist eine vom Willen unabhängige Reflexthätigkeit, die man also nicht als eine zur Erlangung eines Vortheils erworbene Fähigkeit ansehen kann, die aber nichtsdestoweniger leicht eintritt und fast immer von absichtlich ausgeführten willkürlichen Bewegungen, die demselben Zwecke angepaßt sind, z. B. dem Zeigen der Zähne, bei Vögeln dem Ausbreiten der Flügel und des Schwanzes, sowie vom Ausstoßen wilder Laute begleitet ist. Das Eintreten dieser Reflexthätigkeit erklärt Darwin in folgender Weise: „Thiere sind wiederholt durch viele Generationen hindurch von Wuth und Schrecken erregt worden; in Folge hiervon werden die directen Wirkungen des gestörten Nervensystems auf die Hautanhänge beinahe sicher durch Gewohnheit und durch die Tendenz der Nervenkraft, leicht gewohnten Canälen entlang auszuströmen, verstärkt worden sein.“ – „Sobald bei Thieren die Fähigkeit des Aufrichtens hierdurch gekräftigt oder gesteigert war, müssen sie die Haare oder Federn bei rivalisirenden oder in Wuth gerathenen Männchen häufig aufgerichtet und den Umfang ihrer Körper vergrößert gesehen haben. In diesem Falle scheint es möglich zu sein, daß bei ihnen der Wunsch entstanden ist, sich ihren Feinden gegenüber größer und furchtbarer aussehen zu machen, und daß sie dabei eine drohende Stellung annahmen und rauhes Geschrei ausstießen; daß ferner derartige Stellungen und Laute nach einer Zeit durch Gewohnheit instinctiv wurden. Auf diese Weise dürften Handlungen, welche durch die Zusammenziehung willkürlicher Muskeln ausgeführt wurden, zu demselben speciellen Zwecke mit solchen, welche unwillkürliche Muskeln ausführen, combinirt worden sein.“

Vielen Säugetieren bieten Bewegungen ihrer Ohren ein charakteristisches Ausdrucksmittel. Wie verschiedene Seelenzustände vermag z. B. der Hund auf diese Weise auszudrücken! Es würde jedoch zu weit führen, den reichen Schatz interessanter Beobachtungen, den Darwin uns bietet, bezüglich der Ausdrucksformen bei verschiedenen Thieren, auch nur anzudeuten.

Wenden wir uns jetzt zu den besonderen Ausdrucksformen beim Menschen. Selbstverständlich kann aus der reichen Fülle des werthvollen Stoffes, den wir hierüber in Darwin’s Buche vereinigt finden, nur Einiges herausgehoben werden, und ich verweise dabei auf die Figuren umstehender Tafel, die nach einigen der das genannte Buch zierenden Heliotypieen durch den verdienten Porträtmaler der Gartenlaube, Herrn Neumann, mit bekannter Meisterschaft auf Holz gezeichnet wurden.

Wir beginnen mit dem Ausdrucke der Freude, die uns so unverkennbar aus dem glücklichen Kindergesichte (Figur 4) entgegenlacht. Heftige Freude führt zu mancherlei zwecklosen Bewegungen, wie Herumtanzen, in die Hände schlagen, Stampfen, und zum lauten Lachen; das Lachen scheint ursprünglich der Ausdruck großer Freude oder reinen Glücks zu sein; dies zeigen kleine Kinder so gut wie Blindgeborene, Blödsinnige und Geistesschwache. Wie das Lachen des Gekitzelten eine Reflexbewegung ist, so kann auch das ebenfalls unwillkürliche Lachen in Folge einer lächerlichen Idee, obschon nicht im strengen Sinne, doch in analoger Weise aufgefaßt werden. Laut und Bewegungen des Lachenden sind bekannt; ersterer wird durch eine tiefe Einathmung hervorgerufen, welcher kurze, unterbrochene, krampfhafte Zusammenziehungen des Brustkastens und besonders des Zwerchfells folgen, um dessen willen man sich bei heftigem, anhaltendem Lachen ja die Seiten hält und Einem der Bauch wackelt. Häufig zittert hierbei der Unterkiefer auf und nieder, wie das auch bei einigen Arten von Pavianen der Fall ist, wenn sie viel Vergnügen empfinden. Der Mund wird beim Lachen mehr oder weniger weit geöffnet, die Mundwinkel werden stark nach hinten, ebenso wie ein wenig nach oben, und die Oberlippe etwas in die Höhe gezogen. Dieses Rück- und Aufwärtsziehen der Mundwinkel vermitteln die großen Jochbeinmuskeln. Dazu werden auch einige der zur Oberlippe laufenden Muskeln in mäßige Thätigkeit versetzt; die unteren und oberen Kreismuskeln des Auges werden mehr oder weniger zusammengezogen. Es besteht ein inniger Zusammenhang zwischen den kreisförmigen und einigen der zur Oberlippe laufenden Muskeln. Durch dieses Rück- und Aufwärtsziehen der Mundwinkel und das Heben der Oberlippe werden die Wangen nach oben gezogen; es bilden sich charakteristische Falten unter den Augen, und eine scharf ausgesprochene Nasenlippenfalte läuft vom Flügel des Nasenlochs zum Mundwinkel herab. Dazu kommt ein helles Auge, in Folge der Spannung, die von der Zusammenziehung der Kreismuskeln und vom Drucke der in die Höhe gehobenen Wangen, hauptsächlich aber von einer durch beschleunigte Blutbewegung veranlaßten pralleren Füllung des Auges mit Blut abhängt. Dieses strahlende Auge, wie man zu sagen pflegt, ist für den Freudigerregten, den Lachenden bezeichnend. Bei sehr heftigem Lachen werden Thränen abgesondert, und zwar nicht blos bei den Europäern, sondern auch bei den verschiedensten Völkerschaften ferner Erdstriche.

Gehen wir nun vom Lachen, dem Ausdrucke der Freude, zum Weinen, dem Ausdrucke der Leiden des Körpers und der Seele, über. Wir müssen uns da zunächst schreiende Kinder vorstellen; Darwin’s Buch bietet eine ganze Auswahl von dergleichen. Wenn kleine Kinder schreien, und dies thun sie selbst bei geringem Unbehagen, so schließen sie ihre Augen fest, so daß die Haut rings um sie gefaltet und die Stirn gerunzelt ist. Hier scheinen die Augenbrauenrunzler die ersten Muskeln zu sein, welche sich zusammenziehen; sie ziehen die Augenbrauen nach unten und innen und verursachen zwischen ihnen senkrechte Stirnfurchen, während die beinahe zu gleicher Zeit sich zusammenziehenden kreisförmigen Muskeln Furchen rings um’s Auge hervorrufen. Zuletzt ziehen sich die Pyramidenmuskeln der Nase zusammen; sie ziehen die Augenbrauen und die Stirnhaut noch tiefer herab und erzeugen tiefe Querfurchen über den Nasengrund. Bei starker Zusammenziehung dieser Muskeln wird die Oberlippe gehoben, indem sich auch die nach ihr hinlaufenden Muskeln zusammenziehen, und durch dieses Heben der Oberlippe bildet sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln eine stark markirte Falte, ähnlich wie beim Lachenden. Das feste Schließen der Lider aber und der hierdurch ausgeübte Druck auf den Augapfel schützt den letztern vor der bei der Erregung während des Schreiacts unvermeidlichen Ueberfüllung mit Blut.

Ganz kleine Kinder vergießen noch keine Thränen, deren Absonderung später die so ganz allgemeine und bezeichnende Ausdrucksform für Leiden verschiedenster Art bildet und, wie bereits angeführt, auch beim heftigen Lachen erfolgt. Nach Darwin ist das Weinen das Ergebniß einer Kette von Vorgängen wie die folgenden: „Wenn Kinder Nahrung verlangen oder in irgend welcher Weise leiden, so schreien sie laut auf, gleich den Jungen der meisten anderen Thiere, zum Theil als ein Rufen nach ihren Eltern um Hülfe, zum Theil in Folge davon, daß jede große Anstrengung erleichternd wirkt. Lang anhaltendes Schreien führt unvermeidlich zur Ueberfüllung der Blutgefäße des Auges, und dies wird zuerst bewußter Weise und endlich gewohnheitsgemäß zur Zusammenziehung der Muskeln rings um das Auge geführt haben, um dasselbe zu schützen. In derselben Zeit wird der krampfhafte Druck auf die Oberfläche des Auges und die Ausdehnung der Gefäße innerhalb derselben, ohne mit Nothwendigkeit irgend eine bewußte Empfindung herbeizuführen, durch Reflexthätigkeit die Thränendrüsen afficirt haben. Endlich ist es durch die drei Principien, daß Nervenkraft leicht gewohnten Canälen entlang ausströmt, das Princip der Association, welches in seiner Wirkungsweise sehr weit ausgedehnt ist, und daß gewisse Handlungen mehr unter der Controle des Willens stehen als andere, dahin gekommen, daß ein Leiden leicht die Absonderung von Thränen veranlaßt, ohne mit Nothwendigkeit von irgend einer andern Thätigkeit begleitet zu sein.“

Für Seelenschmerz, für Gram und Sorge ist eine schräge Stellung der Augenbrauen und ein Herabziehen der Mundwinkel bezeichnend. Was die erstere betrifft, so wird sie dadurch erzeugt, daß die Zusammenziehung der kreisförmigen Muskeln, der Augenbrauenrunzler und des Pyramidenmuskels der Nase durch eine kraftvollere Zusammenziehung der mittleren Bündel des Stirnmuskels zum Theil gehemmt wird. Eine auffällige Folge dieser entgegenwirkenden Muskelthätigkeit sind die Furchen auf der Stirn. Eine Zusammenziehung des ganzen Stirnmuskels bildet Querfurchen über die ganze Breite der Stirn; ziehen sich aber, wie im vorliegenden Fall, blos die mittleren Bündel zusammen, so lagern diese Querfurchen nur auf dem [307] mittleren Theile der Stirn. Dazu kommen nun aber noch senkrechte Furchen, die den äußern und gesenkten Theil der Stirnhaut von dem mittleren und in die Höhe gehobenen scheiden, und durch die Zusammenziehung der Augenbrauenrunzler erzeugt werden.

Die beiden Figuren 1 und 2 unserer Tafel sind Copien zweier in Darwin’s Buche heliotypirt wiedergegebenen Duchenne’schen Photographien eines jungen Mannes, der ein guter Schauspieler war; die eine stellt ihn in seinem natürlichen Zustande vor, während die andere den unverkennbaren Ausdruck des Kummers zeigt. Dieser Ausdruck scheint allen Menschenracen gemeinsam. Darwin erhielt glaubwürdige Schilderungen bezüglich des Vorkommens bei den Hindus, den Dhangars, den Malayen, Negern und Australiern. Bei Melancholie und besonders bei Hypochondrie können diese „Grammuskeln“, wie Darwin die in ihrem charakteristischen Zusammenwirken soeben geschilderten Muskeln kurzweg nennt, beständig in reger Thätigkeit gesehen werden, und die von ihrer fortwährenden Zusammenziehung abhängig bleibenden Linien oder Furchen sind für die Physiognomie solcher Geisteskranker bezeichnend. Auch die Nasenlippenfalte ist häufig bei derartigen Kranken ausgesprochen. Fragen wir aber nun nach der Ursache, warum sich bei Seelenschmerz blos die mittleren Bündel des Stirnmuskels in Verbindung mit denen rings ums Auge zusammenziehen, so giebt uns Darwin folgende Erklärung: „Wir haben Alle,“ sagt er, „als Kinder wiederholt unsere ringförmigen Muskeln, Augenbrauenrunzler und Pyramidenmuskeln zusammengezogen, um während des Schreiens unsere Augen zu schützen; unsere Vorfahren haben viele Generationen hindurch vor uns dasselbe gethan; und obgleich wir wohl mit fortschreitenden Jahren leicht das Ausstoßen von Schmerzensschreien verhindern können, wenn wir uns in Noth fühlen, so können wir doch der langen Gewohnheit wegen nicht immer eine leichte Zusammenziehung der eben genannten Muskeln verhindern; wir bemerken in der That weder deren Zusammenziehung bei uns selbst, noch versuchen wir, sie aufzuhalten, wenn sie nur unbedeutend ist. Die Pyramidenmuskeln scheinen aber weniger unter der Controle des Willens zu sein, als die andern damit in Beziehung stehenden Muskeln; und wenn sie ordentlich entwickelt sind, kann ihre Zusammenziehung nur durch die antagonistische Zusammenziehung der mittlern Bündel des Stirnmuskels gehemmt werden. Das Resultat, welches nothwendiger Weise daraus folgt, daß diese Bündel energisch zusammengezogen werden, ist das Ziehen der Augenbrauen schräg nach innen und oben, das Zusammenfalten ihrer inneren Enden und die Bildung rechtwinkliger Furchen auf der Mitte der Stirn. … In allen Fällen von Noth, mag dieselbe groß oder klein sein, strebt unser Gehirn in Folge langer Gewohnheit danach, gewissen Muskeln einen Befehl zum Zusammenziehen zu senden, als wären wir noch immer Kinder im Begriffe laut aufzuschreien; diesem Befehle aber sind wir durch die wunderbare Gewalt des Willens und die Gewohnheit theilweise entgegenzuwirken im Stande, obschon dies unbewußt geschieht, soweit es die Mittel des Gegenwirkens betrifft.“

Ich erwähnte vorhin noch das Herabziehen der Mundwinkel. Werfen wir einen Blick auf Figur 3. Wer je Kinder beobachtet hat, für den bedarf es keiner Erklärung dieses Bildes. Ich will also blos bemerken, daß diese Geberde, dieses „Mundhängen“ durch Zusammenziehen der (mit K bezeichneten) Herabzieher des Mundwinkels erfolgt. Aber nicht blos Kinder hängen den Mund, auch Erwachsenen ist es eigen, Melancholiker zeigen es namentlich bei Neigung zum Selbstmord, und Darwin erfuhr, daß es auch bei den Hindus, Malayen und Australiern gefunden wird. Die Ursache aber dieser Ausdrucksform liegt in dem nämlichen Princip wie bei der Schrägstellung der Augenbrauen; sie können „als rudimentäre Spuren der Schreianfälle betrachtet werden, welche während der frühesten Kindheit so häufig und so anhaltend sind“.

Betrachten wir jetzt unsere Figur 7, die in Figur 8 ihr Gegenstück findet. „Herr, wie können Sie sich unterstehen, mich so zu beleidigen?“ ruft es uns aus letzterer entgegen, während das entschuldigende Achselzucken der Sieben ein „Ich konnte wahrhaftig nicht anders!“ oder so etwas Aehnliches vorbringt. Dieses Achselzucken der Hülflosigkeit, der Unfähigkeit, der Geduld ist oft von Seitenwendung des Kopfes begleitet; die Stirn ist durch Heben der Augenbrauen in quere Falten gelegt, der Mund geöffnet; die Ellenbogen sind dicht nach innen gebogen; und die gehobenen offenen Hände mit gespreizten Fingern nach auswärts gedreht. Worin mag diese Geberde, deren Nutzen man nicht einsieht und die gleichwohl in allen Theilen der Welt ganz allgemein vorkommt, bei Hindus, Malayen, Mikronesiern, Abessiniern, Arabern, bei Indianern des fernen Westens und Australiern so gut wie bei den Europäern und ebenso auch bei Blinden und Tauben, die sie nicht durch Nachahmung gelernt haben können – worin, fragen wir, mag sie wohl ihren Grund haben? Nach Darwin liegt die Erklärung zweifellos im Principe des unbewußten Gegensatzes, wonach, wie wir in der vorigen Nummer (S. 300) sahen, direct entgegengesetzte Seelenzustände unwillkürlich auch entgegengesetzte Bewegungen veranlassen. „Dieses Princip scheint hier so deutlich ins Spiel zu kommen wie in dem Falle mit dem Hunde, welcher, wenn er sich böse fühlte, sich in die gehörige Stellung zum Angriffe versetzt und sich seinem Gegner so fürchterlich erscheinend macht als möglich, sobald er sich aber zuneigungsvoll gestimmt fühlt, seinen ganzen Körper in eine direct entgegengesetzte Stellung wirft, obgleich das von keinem directen Nutzen für ihn ist. Man beachte, wie ein indignirter Mensch, welcher empfindlich ist und sich einem Unrechte nicht unterwerfen will, seinen Kopf aufrecht trägt, seine Schultern zurückwirft und seine Brust ausdehnt. Er ballt häufig seine Fäuste und bringt einen oder beide Arme in die Höhe zum Angriffe oder zur Vertheidigung, wobei die Muskeln seiner Gliedmaßen steif sind. Er runzelt die Stirn und da er entschlossen ist, schließt er seinen Mund. Die Handlungen und die Stellungen eines hülflosen Menschen sind in jedem einzelnen dieser Punkte genau das Umgekehrte. Der hülflose Mensch zieht unbewußter Weise die Muskeln seiner Stirn zusammen, welche Antagonisten derjenigen sind, welche das Stirnrunzeln bewirken, und hierdurch hebt er seine Augenbrauen in die Höhe. Zu gleicher Zeit erschlafft er die Muskeln um den Mund, so daß der Unterkiefer herabhängt. Der Gegensatz ist in jeder Einzelnheit vollständig, nicht blos in der Bewegung der Gesichtszüge, sondern auch in der Stellung der Gliedmaßen und der Haltung des ganzen Körpers.“ Das Einstemmen der Ellenbogen und Ballen der Fäuste kommt nicht bei allen Racen vor, wenn sie sich indignirt fühlen – und ebenso wird in vielen Gegenden der Erde der hülflose Seelenzustand durch bloßes Achselzucken ausgedrückt, ohne ein gleichzeitiges Drehen der Ellenbogen und Oeffnen der Hände.

In der nämlichen Weise erklärt sich die Geberde des Erstaunens (Figur 9) durch das Princip des Gegensatzes. Dieses Heben der Arme oder doch der Vorderarme, dieses Oeffnen der Hände und Ausstrecken derselben nach hinten mit gespreizten Fingern, es steht in vollkommenem Gegensatze zur Haltung Dessen, der sich im gewöhnlichen, ruhigen Seelenzustande befindet, der nichts thut und an nichts denkt.

Von einem ganz besonderen Interesse aber ist der Ausdruck des Hohnes, welchen uns Figur 5 zeigt. Es ist dies das Bildniß einer Dame, die zuweilen unabsichtlich den Eckzahn der einen Seite zeigt, und welche das mit ungewöhnlicher Deutlichkeit willkürlich thun kann. So konnte nach Ch. Bell der Schauspieler Cooke den entschiedensten Haß ausdrücken, wenn er bei einem schrägen Blicke seiner Augen den äußern Theil der Oberlippe in die Höhe zog und den Eckzahn zeigte. Darwin sagt zu dieser merkwürdigen Ausdrucksweise des Menschen: „Sie enthüllt seine thierische Abstammung; denn Niemand, selbst wenn er in einem tödtlichen Kampfe mit einem Feinde sich auf dem Boden wälzt und versucht, ihn zu beißen, würde versuchen, seine Eckzähne mehr zu brauchen als seine andern Zähne. Wir dürfen wohl nach unsrer Verwandtschaft mit den antropomorphen Affen glauben, daß unsre männlichen halbmenschlichen Urerzeuger große Eckzähne besaßen, und noch jetzt werden gelegentlich Kinder geboren, bei denen sie sich von ungewöhnlich bedeutender Größe entwickeln mit Zwischenräumen in den einander gegenüber stehenden Kinnladen zu ihrer Aufnahme. Wir können ferner vermuthen, obwohl wir keine Unterstützung aus Analogie haben, daß unsre halbmenschlichen Urerzeuger ihre Zähne entblößten, wenn sie sich zum Kampfe bereiteten, da wir es immer noch thun, wenn wir wild werden, oder wenn wir einfach irgend Jemanden verhöhnen oder ihm herausfordernden Trotz bieten, ohne irgend welche Absicht, mit unsren Zähnen wirklich Angriffe zu machen.“

Es steht freilich wohl zu befürchten, daß Worte, wie diese,

[308] bei manchem Leser noch immer nicht mit der wünschenswerthen Ruhe des Einverständnisses aufgenommen werden, bei aller Verbreitung und Anerkennung, welche Darwin’s Lehre bis jetzt gefunden hat. Und so wird es denn wohl kommen, daß Einer oder der Andere die Abstammungsfrage mit jener Geberde des Abscheues von sich weist, die unsere Figur 6 recht hübsch wiedergiebt. Ich kann es ihm nicht sparen, noch folgende Worte Darwin’s anzuhören: „Beim Menschen lassen sich einige Formen des Ausdruckes, so das Sträuben des Haares unter dem Einflusse des äußersten Schreckens, oder das Entblößen der Zähne unter dem der rasenden Wuth, kaum verstehen, ausgenommen unter der Annahme, daß der Mensch früher einmal in einem viel niedrigeren und thierähnlichen Zustande existirt hat. Die Gemeinsamkeit gewisser Ausdrucksweisen bei verschiedenen, aber verwandten Species, so die Bewegungen derselben Gesichtsmuskeln während des Lachens beim Menschen und bei verschiedenen Affen, wird etwas verständlicher, wenn wir an deren Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger glauben.“ – Und nun bitte ich den Leser, Charles Darwin’s Schriften zur Hand nehmen, und er wird, aus der überzeugenden Fülle wohlverwertheter Thatsachen schöpfend, sein Vorurtheil abwerfen, und seine Anschauungsweise umstimmen. Diese Schriften, von welchen ich hier außer der neuesten, deren Inhalt eben der Gegenstand unsrer Unterhaltung war, namentlich „Die Abstammung des Menschen“ und „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“ anführe, sind ja in eleganter deutscher Uebersetzung (im Schweizerbart’schen Verlag.) auch allen Denen zugänglich, die, wie selbst viele Gelehrte, Dank ihrer Schulbildung, mit der englischen Sprache nicht vertraut sind. Ihnen Allen hat Professor Victor Carus, der vor hundert Andern den Vorzug hat, daß sich bei ihm gründliche Sachkenntniß mit einem feinen Verständniß der Sprache vereinigt, durch diese Uebersetzungen einen wesentlichen Dienst geleistet. Nur bei dem persönlichen Verhältniß, welches ihn mit Charles Darwin verbindet, war es möglich, die Arbeit in dieser Weise zu fördern, daß die Uebersetzung zu gleicher Zeit mit dem Originale – ja, die der „Abstammung des Menschen“ sogar noch etwas früher als dieses – an die Oeffentlichkeit treten konnte. Ich bedaure, daß unsere Tafel keine Figur mit dem Ausdrucke der dankbaren Anerkennung aufweist, die ich zum Schluß noch anführen könnte.
Klotz.