Textdaten
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Autor: Hermann Löns
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Titel: Der Aronstab
Untertitel:
aus: Der zweckmäßige Meyer. Ein schnurriges Buch, S. 58–63
Herausgeber:
Auflage: 1.–4. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Sponholtz
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Erscheinungsort: Hannover
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[58] Der Aronstab.

Meine Augen geben sich ein Freudenfest, ein Fest in Grün und Gold und Silber.

Golden fällt die Sonne durch die grünen Wipfel auf die silbernen Stämme, betont hier einen Farrn, hebt dort eine Blüte hervor, zieht da eine Grasrispe aus der Verborgenheit.

Ich war neulich fertig mit der Menschheit gewesen, restlos fertig. Ich hatte Karl Moor in mir zitiert: „Menschen, Menschen, heuchlerische Krokodilenbrut!“ Zumal das weibliche Geschlecht. Ich zitierte König Lear, Nietzsche, den Apostel Paulus, Schopenhauer, Strindberg, und verwandte Geister.

Aber irgend etwas muß der Mensch für das Herz haben, soll es nicht verknorpeln. Doch woher nehmen und nicht stehlen? So hängte ich mein Herz an die Tiere des Waldes. Es wurde ein böser Hereinfall. Überall Falschheit und Niedertracht. Sehr bald hatte ich genug davon.

So blieben mir nur noch die Blumen, die Bäume und Sträucher. Ich trat ihnen näher, schloß Freundschaft mit allen, den zarten und starken, den schlichten und stolzen, und es dauerte nicht lange, da wurde mein welkes Herz glatt und prall und meine Augen blitzten, wie einst im Mai.

Es fallen viele Sonnenstrahlen durch die Wipfel auf den Waldboden, aber dieser eine hier bei mir ist ganz besonders schön. Drei goldene Spinnennetze sind in ihm, und da, wo er im silbernen Efeuteppiche sein Ende findet, erhebt sich ein wunderbar schöner Straußfarrn, und vor ihm ist etwas ganz [59] Herrliches, etwas Heißes, Glühendes, Rotes, die Fruchttraube des Aronstabes.

Das ist eins der seltsamsten Kräuter des Waldes. Wenn sein strotzendes, protzendes Blattwerk im Vorfrühling aus der festen Erde schießt, dann ducken sich die Windröschen und Leberblümchen schleunigst und selbst der stolze Lärchensporn macht ihm seinen Diener. Ist aber erst die Blüte da, diese einzigartige Blüte, lächerlich aufgeblasen und doch voller Würde und Bestimmtheit im Auftreten, dann macht sogar die goldene Waldnessel sich ganz klein.

Ich muß lachen, wenn ich an die Blüte des Aronstabes denke, und an ihre Listigkeit. Oben ist sie weit und breit, und dann verengt sie sich zu einem Trichter, in dessen Halse, wie die Stacheln in einer Mausefalle, steife Borsten stehen, nach innen und unten geneigt. Tief im Grunde der Blüte ist eine gemütliche Kneipecke, und darin wird ein Stoff verschänkt, nach dem sich alles Mögliche kleine Krabbelzeug die Rüsselchen leckt.

Sobald nun der Aronstab sein dunkelpurpurnes Pistill heraussteckt und den Ausschank eröffnet, kommen die Gäste von allen Seiten heran, drängen sich in den Schankkeller und Kneipen, bis sie das Bedürfnis nach frischer Luft haben, und so stolpern sie die Kellertreppe hinauf. Dann aber gibt es einen Mordskrach, denn die Borsten versperren den Ausgang. Nun wird getobt und geflucht und hin- und hergetaumelt, und das will der Wirt gerade, denn durch das unziemliche Benehmen der sternhagelvollen Gäste wird die Befruchtung der Blüte herbeigeführt und sobald das geschehen ist, fallen die Borsten herab, der Weg ist frei und die Gäste können ihre dicken Köpfe auslüften.

Eine Wolke stellt sich vor die Sonne; im Walde sieht es kalt und trübe aus. Böse blicken mich des Aronstabes Früchte an. Sie sind giftig. Und der Aronstab ist ein Schwindler. Erst tut er so, als gäbe es Freibier bei ihm, und dann läßt er [60] sich mit Zwangsarbeit bezahlen. Das ist eine Gemeinheit, die nach dem Staatsanwalt schreit. Ich will nichts mehr von dem Aronstabe wissen, aber auch garnichts mehr. Er macht sich der qualifizierten Nötigung in idealer Konkurrenz mit widerrechtlicher Freiheitsberaubung schuldig. Hinaus mit dir aus meinem Herzen, du übler Patron! Ich reiße dich samt Knolle und Wurzelfasern aus, schleudere dich auf den Müllplatz meiner Erinnerung und suche mir anständigeren Verkehr.

Ich glaube, mit dem Kuhwachtelweizen läßt es sich umgehen. Er sieht so ehrlich aus mit seinen honiggelben Blüten und den himmelblauen Deckblättern darüber, die er sich der prachtvollen Komplementärwirkung halber zugelegt hat. Das heißt, wer so mit Ehrlichkeit protzt, dem soll man doch nicht zu sehr trauen. Denn weshalb hat er die Schopfblätter, die von rechtswegen doch grün sein sollen, so blau gefärbt? Doch nur deshalb, um solche Bienen damit anzulocken, die an blauen Blüten fliegen. Also arbeitet er mit Schwindelplakaten, Vorspiegelung falscher Tatsachen zu betrügerischen Zwecken. Paragraph so und so des B.-G.-B. Ich danke für die Bekanntschaft! Auch von der Osterluzei hier an der Kirchhofsmauer will ich nichts wissen, denn ihre gelben Blüten handeln genau so gemein, wie die des Aronstabes. Und ebenso macht es der Pfeifenstrauch da an der Laube. Ich fange an Pflanzenhaß und Reue in mir zu erwecken.

Aber Ausnahmen gibt es überall und wenn es auch Unsinn ist, sagt man, sie bestätigen die Regel, man nimmt sie hin, wie den Schatten des Lichtes. So schlendere ich denn fröhlich am Raine entlang, dem nächsten Wäldchen zu, freue mich am rosenroten Ohrenheil und am silberweißen Augentrost und an den lustigen Blüten des Klappertopfes, die so aufgeblasene Backen haben. Doch da fällt mir ein, alle drei sind Schmarotzerexistenzen, nicht ganz schlimme, aber immerhin doch solche, die das Wachstum ihrer Wirtspflanzen beeinträchtigen. Die Nesselseide freilich, die dort mit wirrem, rosenrotem Geranke [61] die Brennesseln umgarnt, ist ein ganz gefährlicher Wucherer. Erst bittet sie bescheiden um ein Plätzchen zu Füßen der Nessel, keimt wie jede anständige Pflanze im Boden, und sobald sie das getan hat, kriecht sie an der Nessel empor, haftet sich mit vielen tausend Saugnäpfen an, gibt ihren Zusammenhang mit dem Erdboden auf und lebt ganz von der fleißigen, wenn auch ungemütlichen Nessel, die sich wundert, daß ihre Brennhaare in diesem Falle völlig versagen.

Pfui Teufel, wie gemein geht es doch auf der Welt her! Ich glaube, selbst oben am blauen Himmel herrscht Mord und Totschlag, Lüge und Betrug zwischen den Fixsternen und Planeten. Nach der Mistel hier im Apfelbaum sehe ich garnicht recht hin; ich kenne sie und ihre Gaunerei. Und auch der rötliche Sommerwurz dort ekelt mich, denn ich weiß, welch ein stinkfauler Bursche das ist. Was die fleißige Luzerne mit vieler Mühe dem Boden abringt, das bettelt sie ihm zu drei Viertel ab. Aber dafür fehlt ihr auch das grüne Ehrenkleid, ebenso, wie der blassen Fichtenspargel da am Waldrande und der Schuppenwurz, der im Frühling dort unten in der Quellschlucht ihre gespenstigen Triebe aus dem Fallaube reckt.

Das ist erst die richtige! Nicht nur, daß sie die Haselsträucherwurzeln zwingt, sie zu füttern, bis sie beinahe platzt, lockt sie mit irgend einer Tunke auch noch allerlei harmloses Getier in die Schuppen ihrer ekelhaften Wurzeln und frißt sie dann einfach auf. Das ist glatter Mord. Und ein Mörder ist auch das Fettkraut da auf der Wiese, und wenn es auch noch so harmlos aussehende Veilchenblüten als Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit heraushängt. Das Tierchen, das auf den Gummiarabicum-Blättern kleben bleibt, die so aussehen, als gäbe es da etwas ganz besonders Süßes und Saftiges, wird bis auf die harten Teile bei lebendigem Leibe verdaut. Also Hinterlist und Grausamkeit in einer Person. Ich werfe dem klebrigen Kraute [62] einen kalten Blick zu und gehe weiter. Aber da stehen Pechnelken, an deren Leimringen halbtote Ameisen zappeln, und hier murkst das Gaisblatt eine junge Buche ab, und dort schwindelt der Efeu den anderen Sträuchern vor, wenn er nicht die Eiche hielte, so stände sie nicht so stolz da. Es ist einfach nicht zum Ansehen, diese Wirtschaft hier!

Darum pilgere ich dem Moore zu; da wird doch ein anständigerer Geschäftsbetrieb herrschen. Ja Kuchen! Hier das weiche, schleimige, schwache Torfmoos erstickt und ersäuft die Kiefern und die Birken, der Sonnenlau meuchelt mit seinen klebrigen Blättern, was in der Luft schwirrt und flirrt, und der Wasserschlauch lockt allerlei kleines Getier in seine unheimlichen Reusen und füttert sich damit dick und fett. Und dabei hat der Sonnenlau so süße Silberblüten und die goldenen Wasserschlauchblumen sind von entzückender Offenherzigkeit. Der Teufel hole euch alle miteinander! Ich werde fortan nur mit den ganz Kleinen und den ganz Großen von euch verkehren.

Ich grüße euch mit dem Hute in der Hand, ihr stolzen, hochschäftigen Buchen dort oben, und dich, knorrige Eiche, deren Äste die Sprache der Runen raunen, dich auch, schlanke Birke mit dem seidenumsponnenen Stamme, und dich, Ahorn, du seltsam gelaunter Baum! Bei euch ist Kraft, Selbständigkeit und Ehrlichkeit. Ein verlegnes Rauschen geht durch die Wipfel, die in der Abendsonne erröten. Und? Stimmt es auch hier nicht? Habt auch ihr ein schlechtes Gewissen? Ach ja, ich vergaß es ganz, daß ihr hilflos und verlassen wäret, hungrig und mager, und krumm und klein, wäre das Pilzgeflecht nicht da, das farblose, unsichtbare, weiche und wässrige, das dem verrottenden Laube die Nährstoffe entzieht und euch übermittelt, und allerlei Spaltpilze und Amöben. Ich werde euch immer lieben, aber mit meiner Hochachtung ist es vorbei, und fortan grüße ich euch nicht mehr mit dem Hute in der Hand, sondern nicke euch mit spöttischem Lächeln zu.

[63] Und die gelben und grünlichen und grauen Flechten an euren Stämmen sind überhaupt keine selbständigen Pflanzenpersönlichkeiten, sondern nur juristische Personen, Vereinigungen von Algen und Pilzen, und wenn die Farrne zu euren Füßen, diese Moralprotzen, ihre Sporenhäufchen stolz als Beispiele anständiger, geschlechtloser Vermehrung verweisen, ich weiß, was sie trieben, als sie noch jung waren und in aller Heimlichkeit, im Mulme, der wilden Liebe huldigten, und daß der Pilz da ein ganz unzuverlässiger Vertreter ist, von dem man nicht weiß, gehört er zu den Pflanzen oder zu den Tieren, das ist mir wohl bewußt.

Ich sitze auf einem Steine und lege Bein zu Beine, wie Walter von der Vogelweide, halte den rechten Zeigefinger an die Nase, denke: „Hm!“ und starre nach demselben Aronstab von vorhin. Mit den Menschen bin ich fertig, vor den Tieren graut es mir, und nun ist mir auch der Glaube an die Flora abhanden gekommen.

Das kommt davon, wenn man klüger als andere Leute sein will, klüger als zum Beispiel das Fräulein dort, das in der Wiese Blumen bricht, als die Kinder, die dort Himbeeren pflücken, als der Bauer, der mit der Sense auf der Schulter hinter mir her geht.

Alle Philosophie ist dummes Zeug; am meisten die Naturphilosophie.

Komm her; wollen uns wieder vertragen, oller Aronstab!