Ein Schreckenstag
Das Jahr 1537 bezeichnete sich durch ein furchtbares Ereigniß in den Annalen Heidelbergs. Das alte, obere Schloß, von welchem nur noch einige Steinhaufen übrig sind, wurde [519] von einem Wetterstrahl getroffen, und da sich ein großer Vorrath Schießpulver darin befand, war die Explosion schrecklich.
Wir theilen hier einen Auszug der Epistel mit, worin. J. Micyllus diesen Vorfall seinem Freunde Camerarius berichtet, welcher sich damals in Baden-Baden aufhielt.
„Während du die Heilquellen besingst, die am Hercynerwalde dampfen, und das Thal, welchem der warme Born entquillt, waltet über uns des Schreckens Macht, und kaum wagt das furchtsame Herz sich zu regen. Ein dunkles Hochgewitter hat seine ganze Wuth an uns ausgelassen, und die Burg aus ihren Tiefen gerissen.
Es war am Tage, den wir nach der Väter frommer Sitte durch heilige Gebräuche feiern (am Markustage, den 7. April) und schon neigte sich die Sonne zum Untergange. Da plötzlich hüllt sich der Himmel in Nacht; ein dumpfes Getöse in den Wäldern verkündigt den nahen Orkan und unruhig bewegen sich die Wellen des Neckars. Bald bricht der Sturm in fürchterliches Heulen aus, alle Winde sind entfesselt und jagen die kreisenden Wolken, wirbeln den Staub auf und reißen Alles mit sich hin. Der Tag erlischt, das Auge vermag nichts mehr zu unterscheiden, Heerden und Menschen fliehen der Stadt zu; Jeder sucht zitternd einen sicheren Zufluchtsort. Blitze durchzücken die Finsterniß und immer schrecklicher brüllt der Donner in den Bergen.
Am Neckar auf sanftem Hügel erhebt sich die alte Pfalz, die einst von Ruprecht erbaut worden, als er die Fascen des römischen Reiches trug und den hohen Dom gründete und die geheiligten Sitze der Musen. Etwas tiefer, auf einer mäßigen Höhe, steht die neue Fürstenwohnung mit den gewaltigen Mauern und unter ihr reiht sich am grünen Stromufer die freundliche Stadt hin, wenn mildere Zeiten ihr günstig sind. In dieses Thal schloß der Sturm die Wolken ein zwischen den Gipfeln der Berge, und da der Ost und der West zugleich wütheten, blieb ihnen kein Ausgang. Blitze loderten durch das nächtliche Dunkel, wie die Flammen eines brennenden Gebäudes, und so gewaltig waren die Schläge des Donners, daß des Himmels Gewölbe zu bersten drohte. Auch die Erde gerieth in Aufruhr; der Neckar kochte in seinen erbebenden Ufern.
[520] Am Ende der alten Pfalz ragt eine Warte hervor, das weite Land zu überschauen. Hier lag eine unermeßliche Menge Pulvers verwahrt. Ein Donnerschlag, – das Gebirg rings umher zittert zusammen, die Mauern des Thurms spalten sich, der zündende Strahl fällt in die Tonnen – die Erde bebt, der Hügel wanket – das Schloß liegt am Boden, Balken und Steine fliegen in die Stadt herab, Thüren und Fenster springen aus ihren Angeln, Häuser stürzen ein und begraben ihre Bewohner; betrübt flieht, wer sich noch flüchten kann, doch weiß er nicht wohin. Einige bergen sich in Kellern, Andere rennen ins Freie, stumm vor Entsetzen schmiegen sich die Kinder in den Schoos ihrer Mütter; ganze Familien flüchten aus ihren Behausungen und geben ihr Eigenthum preis; Viele stehen wie an den Boden geheftet, starr und besinnungslos.
Aber auch Viele fanden ihren Tod in der Zerstörung und erst das wiederkehrende Licht machte die Verwüstung recht sichtbar.“