Textdaten
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Autor: Rudolf Doehn
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Titel: Der Altvätertag der Union
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 847–850
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Altvätertag der Union.

Es giebt Tage, welche durch Ereignisse ausgezeichnet sind, die ihnen für alle Zeit eine welthistorische Bedeutung sichern und sie niemals dem Gedächtnisse denkender Menschen entschwinden lassen. Zu diesen Tagen zählt auch der 22. December, der Tag, an welchem vor länger als zwei und einem halben Jahrhundert die sogenannten „Pilgrime“ oder „Pilgerväter“ mit Spaten und Handwerkzeug, mit Bibel und Schwert zugleich an der Küste von Massachusetts landeten und ein Gemeinwesen gründeten, aus dessen Weiterentwickelung dereinst die mächtige Republik der Vereinigten Staaten von Nordamerika hervorgehen sollte. Die Geschichte dieser puritanischen Pilgerväter, ihre gehässige Verfolgung in England, ihre Flucht nach Holland und ihre Verzweiflungsfahrt über den atlantischen Ocean wird in Verbindung mit den in der Neuen Welt von ihnen erlebten, an’s Sagenhafte grenzenden Abenteuern nicht nur für Dichter, namentlich amerikanische Dichter, die sich nach einem nationalen Hintergrunde umsehen, eine reiche Fundgrube bilden, sondern auch für Alle, welche tiefgreifende politisch-religiöse Begebenheiten zu würdigen verstehen, stets von dem höchsten Interesse sein. Die früheren englischen Niederlassungen in Amerika waren vorzugsweise von einzelnen Unternehmern oder Handelsgesellschaften zu keinem höheren Zwecke versucht worden, als dem der Erwerbung von Reichthümern; sie waren daher auch meistens mißlungen. Ein günstigerer Erfolg wurde erst erzielt, als bessere und edlere Männer aus uneigennützigeren und idealeren Beweggründen sich zu Ansiedelungen jenseit des Oceans entschlossen. Diese Männer kamen mit ihren Familien nach Neu-England und zwar zu einem dauernden Verbleiben daselbst, nicht sowohl um der Verbesserung ihrer zeitlichen Glücksumstände willen, als vielmehr wegen des ungestörten Genusses bürgerlicher und religiöser Freiheit, die ihnen in der alten Heimath verweigert wurde.

Schon die Königin Elisabeth hatte die Puritaner nicht geliebt, weil sie ahnte, daß die von jenen erstrebte religiöse Unabhängigkeit nicht wohl von der politischen Freiheit zu trennen sei; das hinderte indeß die Puritaner nicht, die „Queen Bess“, wie der Volksmund die Königin getauft hatte, hoch in Ehren zu halten, vorzugsweise, weil sie die Uebergriffe des römischen Papstthums bekämpfte und die nationale Macht Englands förderte. Selbst in Fesseln beteten die Puritaner in vollster Aufrichtigkeit, daß das Leben der sie mit den strengsten Strafen heimsuchenden Elisabeth bewahrt bleiben möge vor den Dolchen der papistischen Meuchelmörder. Ganz anders wurde dies unter der Regierung Jacob’s des Ersten. Das englische Volk und namentlich die puritanischen Secten bemerkten gar bald den Unterschied zwischen ihm und seiner Vorgängerin auf dem Throne. „Während diese,“ wie Leopold von Ranke sagt, „nur immer von der Liebe ihrer Unterthanen gesprochen hatte, redete Jacob unaufhörlich von dem Gehorsam, welchen man ihm nach göttlichem und menschlichem Rechte schuldig sei.“ Dazu kam noch, daß Elisabeth eine Vorliebe hatte für tapfere Männer und ausgezeichnete, kühne Charaktere, Jacob aber sich vor Männern von Geist und Thatkraft fürchtete und nur solchen sein Vertrauen schenkte, die er durch Begünstigungen aller Art, durch Geschenke und Wohlthaten an sich gefesselt wähnte. Seinem Grundsatz: „Kein Bischof, kein König!“ getreu, glaubte er in der bischöflichen Kirche Englands das einzige Bollwerk zu finden gegen die Jesuiten, die er fürchtete, und gegen die Puritaner, die er haßte. Im Vertrauen auf seine „Herrscherkunst“ betrachtete er, gleich den Fürsten des dreizehnten Jahrhunderts, sein Königthum als eine Anweisung auf Vorrechte und Vortheile und hielt es für sein gutes Recht, seine Günstlinge und Diener daran Antheil nehmen zu lassen.

Die Puritaner standen zur Zeit von Jacob’s des Ersten Regierung an Kopfzahl weit hinter ihren religiösen und politischen Gegnern zurück; sie überragten dieselben jedoch an jener sittlichen Kraft, die freiheitsliebenden und überzeugungstreuen Menschen eigen zu sein pflegt. Sie erklärten kühnlich das Recht des eigenen Urtheils in Glaubenssachen für unveräußerlich und behaupteten: jedes menschliche Wesen sei des natürlichen Vorrechtes theilhaftig, den Schöpfer aller Dinge im Einverständniß mit den Weisungen seines eigenen Gewissens zu verehren und anzubeten. In Uebereinstimmung mit diesen Grundsätzen machten sie auch, im Parlamente und im Privatleben, das Recht des Volkes auf den Genuß der bürgerlichen Freiheit geltend. Die Kanzeln der Puritaner waren die Rednerbühnen des Bürgerstandes und der gemeinen Leuten und ihre Prediger erkühnten sich bisweilen sogar, die dem königlichen Vorrechte so gefährliche Lehre zu verkündigen, daß der Souverain für seine Handlungen der Volksvertretung verantwortlich sei und der richtig und gesetzlich zum Ausdruck gelangten öffentlichen Meinung nachgeben müsse. So konnte es denn kaum anders kommen, als daß der stolze, auf seine in geistlichen und weltlichen Dingen absolute Machtvollkommenheit so eingebildete Jacob mit den Puritanern bald in den heftigsten Streit gerieth und ihnen endlich zurief: „Ich will Euch entweder zur Unterwürfigkeit zwingen oder zum Lande hinausjagen.“ Hunderte von puritanischen Geistlichen wurden zum Schweigen verurtheilt oder in das Gefängniß geworfen, und viele Tausende von calvinistischen Nonconformisten, das heißt solchen, die mit den aus der römisch-katholischen Kirche in die englische Episkopalkirche herübergenommenen Aeußerlichkeiten, Satzungen und Ceremonien nicht einverstanden waren, fühlten sich gedrungen, England zu verlassen und in fremden Ländern eine Zuflucht zu suchen.

Vor Allem war es Holland, wohin die um ihres Glaubens willen verfolgten Puritaner ihre Schritte lenkten. Zu ihnen gehörte auch die besonders radicale Secte der Brownisten oder Separatistea, die sich mit ihrem Prediger John Robinson um’s Jahr 1610 in Leyden niederließ; das angesehenste weltliche Mitglied war ein gewisser William Brewster, früher ein Schützling von Davidson, dem Geheimschreiber der Königin Elisabeth. Eine Zeit lang fühlten sich die Auswanderer in Holland glücklich und zufrieden und erwarben sich auch die Liebe und Hochachtung der Holländer. Auf die Dauer wollte ihnen jedoch das Leben unter dem fremden Volke nicht gefallen; sie mochten ihre englische Sprache und Nationalität nicht aufgeben und hingen überhaupt, trotz der erlittenen Verfolgungen, mit unwandelbarer Liebe an ihrem alten Vaterlande. Da indeß eine Rückkehr dorthin nicht rathsam war, so faßten sie eine Auswanderung nach Amerika in’s Auge, um sich dort unter englischem Schutze eine neue Heimath zu gründen. Nach reiflicher Erwägung der Licht- und Schattenseiten dieses [848] Planes, und nachdem sie in England bei der Londoner Compagnie und der Plymouth-Gesellschaft die nöthigen Schritte zur Ueberlassung eines Landstriches in Nord-Virginien gethan hatten, rüsteten sich die jüngsten und kräftigsten Leute unter ihnen zur Reise über den Ocean. Von Gönnern und Freunden mit Geldmitteln unterstützt, kauften sie zwei Schiffe, ein kleines von 60 Tonnen, den „Speedwell“ (Ehrenpreis), und ein größeres von 180 Tonnen, die „Mayflower“ (Maiblume). Auf diesen Fahrzeugen sollten vorläufig 120 Gemeindemitglieder nach der Neuen Welt hinüber ziehen.

Am 22. Juli 1620 lief der „Speedwell“ vom Hafen von Delft aus. John Robinson und die Aeltesten der Leydener Gemeinde hatten es sich nicht nehmen lassen, die Auswanderer dorthin zu begleiten. Die Abschiedsstunde wurde in ernster religiöser Weise gefeiert. Der alte, treue Prediger kniete nieder zwischen seinen Freunden und Glaubensgenossen und richtete an die scheidenden Brüder eine letzte ergreifende Ansprache. „Wir werden uns nun bald trennen,“ sagte er, „und ob ich Euch jemals auf dieser Erde wiedersehe, weiß Gott allein. Mag dies aber geschehen oder nicht, ich verpflichte Euch, daß Ihr mir nicht weiter folgen sollt, als Ihr mich selber Christi Lehren befolgen gesehen habt. Wenn Gott durch irgend ein anderes Werkzeug Euch Wahrheiten offenbart, so nehmt sie auf wie die Wahrheiten die ich Euch lehrte; denn ich bin überzeugt, daß der Herr noch weitere Wahrheiten aus seinem heiligen Worte wird hervorbrechen lassen. Die gegenwärtigen Zustände in den reformirten Kirchen kann ich nur beklagen; es herrscht da kein Fortschritt. Die Lutheraner bleiben hartnäckig bei den Worten Luther’s stehen und wollen lieber sterben, als irgend etwas von dem annehmen, was Gott durch Calvin offenbarte; andererseits beharren auch die Calvinisten mit größter Zähigkeit bei Allem, was Calvin lehrte, obschon auch dieser große Mann nicht alle Dinge richtig erkannte. Sicherlich waren die beiden genannten Reformatoren zu ihrer Zeit hellglänzende Lichter, aber dennoch waren auch sie nicht im Stande, die ganze Wahrheit zu erfassen; wären sie jetzt noch am Leben, so würden sie Manches in einem klareren Lichte sehen als früher. Beherziget stets - ich bitte Euch inständigst darum - die Lehre unserer Kirche, die da sagt: Man soll bereit sein, jede Wahrheit anzuerkennen, welche aus dem geschriebenen Worte Gottes hervorgeht. Prüfet und vergleichet auch andere gute Schriften, die Wahres enthalten! Die vollkommene Wahrheit kann nicht plötzlich und auf einmal aus der antichristlichen Finsterniß hervorleuchten, sie bricht sich erst nach und nach Bahn.“ Mit diesen einer freien Forschung in religiösen Dingen huldigenden Worten entließ John Robinson die auswandernden Glaubensgenossen, und aus diesem Grunde ist, wenn auch unter harten Kämpfen, die unbedingte Gewissensfreiheit in den Vereinigten Staaten von Amerika emporgewachsen. Die Scheidenden aber brachten noch vom Schiffe aus den Zurückbleibenden als letzten Abschiedsgruß eine volle Musketensalve und drei Kanonenschüsse dar.

Am 6. August gingen der „Speedwell“ und die „Maiblume“ von Southampton aus nach Amerika unter Segel. Das erstere Schiff wurde jedoch bald als seeuntüchtig befunden, sodaß man zur Umkehr gezwungen war. Jetzt verloren indeß auch einige der Reisenden den Muth zur Auswanderung; allein die beherztere Mehrzahl begab sich an Bord der „Maiblume“ und segelte auf dieser am 6. September von Plymouth aus ab. Es befanden sich auf diesem Schiffe 41 Männer mit ihren Familien, sodaß sich die Gesammtzahl der Auswanderer auf 101 Köpfe belief; darunter waren William Brewster mit einer zahlreichen Familie, William Bradford aus Scrooby, John Carver, ein Diakonus der Leydener Kirche, der junge Eduard Winslow und dessen Braut, das reichste Paar in der ganzen Schaar, Capitain Miles Standify aus Lancashire, ein kühner, feuriger Soldat, und seine schöne Gattin Rosa, John Alden, der Freund von Standish, der Jüngste unter den Pilgern, John Allerton und Dr. Eduard Fuller. Alle diese Männer thaten sich in der späteren Geschichte der Colonnie rühmlichst hervor.

Nach einer stürmischen Fahrt von 63 Tagen langte die „Maiblume“ auf der Höhe des Cap Cod an. Ihr Bestimmungsort war „irgend ein Punkt in der Nähe des Hudsonflusses, allein innerhalb des Gebietes der Londoner Compagnie“, also irgendwo an den Küsten des heutigen New-Jersey oder Connecticut. Als das Schiff auf diesem Cours gen Süden fuhr, traf es auf einige gefährliche Untiefen, vielleicht diejenigen auf der Höhe von Nantucket; es mußte umkehren, die Landspitze umsegeln und in einer Bucht vor Anker gehen, welche von der etwa 12 deutsche Meilen langen Halbinsel des Cap Cod eingeschlossen wird, wo gegenwärtig die Rhede von Provincetown ist.

Zur Verhütung aller Gesetzlosigkeit und Anarchie wurde für den Fall einer Colonie-Gründung eine Urkunde aufgesetzt und auf einem Tische in der Kajüte der „Maiblume“ von der ganzen Schaar der einundvierzig erwachsenen männlichen Auswanderer unterzeichnet. Diese Urkunde lautet im Wesentlichen folgendermaßen:

„Im Namen Gottes, Amen. Wir, deren Namen unten verzeichnet stehen, die getreuen Unterthanen des Königs Jacob von Großbritannien, die wir zum Ruhme Gottes und zur Förderung des christlichen Glaubens, sowie unserm Könige und dem Vaterlande zu Ehren eine Reise unternommen haben, um in den nördlichen Theilen von Virginien (das Gebiet Virginiens war zu jener Zeit weit ausgedehnt) die erste Colonie anzulegen, verpflichten und verbinden uns durch Gegenwärtiges feierlich und gegenseitig, in Gegenwart Gottes, zu einem bürgerlichen Gemeinwesen, behufs besserer Ordnung und zur Förderung der vorerwähnten Zwecke. Wir geloben kraft dessen, solche gerechte und billige Gesetze, Verordnungen, Urkunden, Verfassungen und Amtshandlungen von Zeit zu Zeit zu beschließen und zu erlassen, wie sie für das allgemeine Wohl der Colonie passend und dienlich befunden werden mögen. Wir versprechen hiermit diesen Ordnungen allen schuldigen Gehorsam zu leisten. Zum Zeugniß desselben haben wir unsere Namen unterschrieben zu Cap Cod am 11. November, anno domini 1620.“

Nach Unterfertigung dieser Urkunde, die als der erste rohe Entwurf einer späteren demokratischen Verfassung angesehen werden darf, verfloß aber noch mehr als ein Monat, bevor die Pilgrime landeten. Zuerst stellten sie Fahrten zur Erforschung der Küsten einer großen Bucht, in die sie gelangt waren, an, um eine geeignete Stelle zur Niederlassung aufzusuchen; in einer kleinen Schaluppe und auch zu Fuß durchsuchten sie das Land und hatten bei dem früh eingetretenen strengen Winter viel von der schneidenden Kälte, dem tiefen Schneefall und den hindernden Schneewehen zu leiden. „Wir gelangten,“ so heißt es in dem Tagebuche der Pilger, „in ein tiefes mit allerlei Buschwerk und hohem Grase bewachsenes Thal, wo wir nur mühevoll hindurchdringen konnten. Ein Reh sprang auf, und Quellen frischen Wassers sprudelten hervor, was uns herzliche Freude bereitete. Wir setzten uns nieder und tranken unser erstes Wasser in Neu-England. Niemals zuvor hatten wir Wasser mit solcher Lust getrunken.“

Bei einer andern Landung stießen sie auf einige Indianer, die aber scheu und feindselig waren; von der starken Kälte fror das Wasser an ihren Kleidern, „daß sie fest und steif wurden, wie eiserne Panzer“. An einzelnen Küstenpunkten fanden sie Gräber, einige Ueberreste von menschlichen Wohnungen viele verlassene Wigwams, hier und da einen Haufen Mais und gelegentlich Spuren von Niederlassungen civilisirter Menschen, vielleicht der Normannen, die früher hier gehaust haben mochten. Endlich gelangten die Wanderer in einen hübschen Hafen, dessen Küste ihnen zur Ansiedelung tauglich erschien. Es war der letzte Tag der Woche. Die Pilger ordneten ihre Kleider, luden die Flinten, dankten Gott für die Errettung aus so mancherlei Mißgeschick und legten sich zur Ruhe nieder. Den folgenden Tag verbrachten sie nach Gottes Gebot in aller Stille und innigem Gebet - die erste puritanische Sonntagsfeier in der Neuen Welt. Am Montag landeten sie an einem Felsen auf der Stelle, wo heutzutage Plymouth liegt.

Ein junges Mädchen, Namens Marie Chilton, wird als diejenige genannt, die den Felsen von Plymouth, so nannten sie in dankbarer Erinnerung an die Stadt Plymouth in England den Ort, wo sie sich niederlassen wollten, zuerst betrat. Jener Montag aber war der 22. December 1620; er heißt jetzt der Vor- oder Altvätertag und wird allenthalben gefeiert, wo sich Söhne Neu-Englands zusammenfinden, am Atlantischen Meer wie am Stillen Ocean, am Mississippi wie am Ohio, an den canadischen Seen wie am Golf von Mexico. Der Boden, welchen die Pilgrime zuerst betraten, ist heiliges Land. Von der Habe, die sie an’s Land brachten, werden noch heute einige Ueberreste als Reliquie in der Pilgrimshalle zu Plymouth aufbewahrt; man [850] findet dort unter Anderem Lehnstühle und Spinnräder, den großen eisernen Kessel des tapferen Miles Standish, das Stickmusterbuch der kleinen Laura Standish und die Wiege Peregrin White’s, des Kindes, welches während der Fahrt an Bord der „Maiblume“ geboren und zum Andenken an die Wanderung der Pilger Peregrin genannt wurde. Es war ein eigenthümliches Weihnachtsfest, welches die neuen Colonisten in Amerika feierten.

Schon am 25. December wurde der Grund gelegt zum ersten Hause in Plymouth, und das war das Gemeindehaus, welches zeitweilig Allen zur Wohnstätte dienen mußte. Zu ihrem ersten Gouverneur wählten sie John Carter, auch bildeten sie eine Compagnie Soldaten mit Capitain Miles Standish an der Spitze. Jeder Soldat hatte ein Panzerhemd, ein Schwert und eine Muskete mit Luntenschloß. Darauf begannen sie für die einzelnen Familien Häuser zu bauen, dieselben bestanden aus Baumstämmen und Mörtel, waren mit Stroh oder Schilf gedeckt und hatten Fenster von ölgetränktem Papier. Schließlich errichteten sie einen großen Schuppen für ihre gemeinsame Habe, ein kleines Hospital für die Kranken und eine ziemlich feste Kirche, auf deren Dache vier Kanonen aufgepflanzt wurden. Als Pfarrer fungirte William Brewster. Die Befestigung der Kirchen war in der ersten Colonialzeit eine allgemein als zweckmäßig erklärte Sitte, denn dorthin zogen sich die Ansiedler bei plötzlichen Angriffen der Indianer mit Allem, was ihnen lieb und theuer war, zurück und vertheidigten dann das Gotteshaus bis zum letzten Mann.

Was ihre Nahrung betraf, so lebten die Pilger, bis sie selbst Korn geerntet hatten, vorzugsweise von den Erträgnissen der Jagd und des Fischfangs. Zuweilen erlegten sie Hirsche und wilde Truthähne und fingen Stockfische, Seekrebse und Schalthiere. Von den Indianern lernten sie, Fische mit Pfeilen zu schießen und Aale mit Füßen aus dem Schlamme herauszutreten. Dennoch litten sie häufig Hunger und wußten am Abend oft nicht, woher sie am Morgen die nothdürftigste Nahrung nehmen sollten. „Ich habe Männer vor Schwäche wegen Mangels an gesunder Speise taumeln gesehen,“ so erzählt einer ihrer Chronisten. Auf diese Weise von Noth und Gefahren aller Art bedrängt, starb während des ersten Winters fast die Hälfte der Colonisten dahin. Eine Zeit lang waren nur noch sieben Personen kräftig genug, um die Kranken zu pflegen und die Gestorbenen zu begraben. In den ersten Tagen des April 1621 wurde auch Gouverneur Carver dahingerafft, und seine Gattin folgte ihm bald gebrochenen Herzens in das Grab; ihr Sohn war schon früher, bald nach der Landung gestorben. Allein alle diese Heimsuchungen waren nicht im Stande, die Ausdauer und Seelenstärke der Pilgrime zu erschüttern, und als im Frühling die Sonne wieder warm schien, die Vögel wiederkehrten und lustig sangen und die Krankheit aufhörte, da stimmten die Ueberlebenden Lob- und Danklieder an; keiner von den Colonisten wollte auf der nach England heimkehrenden „Maiblume“ zurückfahren, selbst die Frauen mit ihren Kindern zogen die Freiheit in dem unwirthlichen Lande der mit Knechtschaft verbundenen Bequemlichkeit in der alten Heimath vor. Auch erhielten die Pilger um diese Zeit erfreuliche Nachrichten von Seiten der Wilden. Der Häuptling Samoset, welcher im Umgange mit englischen Fischern die englische Sprache gelernt hatte, und Massasoit, der vornehmste Sachem oder König des Landes, fanden sich bei den Colonisten ein. Nach feierlichen Begrüßungen und gehörigen Schmausereien wurde zwischen Massasoit und den Pilgern ein Friedens- und Freundschaftsbündniß abgeschlossen, und der alte Häuptling sprach, indem er würdevoll mit ausgestreckter Hand auf das umliegende Land hinwies: „Engländer, ergreifet Besitz von dieser Gegend; den es ist Niemand vorhanden, um es zu behaupten; der Große Geist sandte in seinem Zorn eine Pest und fegte das rothe Volk von diesem Boden weg.“ Das Bündniß mit Massasoit und seinen Stammgenossen wurde nahezu fünfzig Jahre hindurch unverletzt erhalten.

Anders war es mit den Narragansett-Indianern; gegen sie wurden die Pilger wesentlich durch die Umsicht und Unerschrockenheit des kleinen, aber desto stärkeren und muthigeren Capitains Miles Standish geschützt. Von diesem braven Manne hat die Sage viele interessante Züge berichtet, die der amerikanische Dichter Henry Wadsworth Longfellow zu einem seiner reizendsten Gedichte, der „Brautwerbung des Miles Standish“, verarbeitet hat. Unter den Opfern der Hungersnoth und des Fiebers, welche die Colonisten in dem schrecklichen Winter heimgesucht hatten, war auch Rosa Standish gewesen. Tief betrübt bestattete der Gatte ihre Leiche zur Erde, aber nur zu bald fühlte er, „daß es nicht gut, wenn der Mann allein ist“. Er warf sein Auge auf Priscilla Mullins, „das liebliche Mädchen von Plymouth“.

Der Capitain Standish zählte damals siebenunddreißig Jahre, Priscilla aber war kaum zur Jungfrau erblüht. Dies hinderte ihn jedoch nicht, seinen Freund John Alden zu bitten, für ihn den Freiwerber bei Priscilla zu spielen; er, Standish, schrecke nicht vor den Pfeilen und Kugeln seiner Feinde zurück, aber das vernichtende „Nein“ einer lieblichen Jungfrau könne er nicht ertragen. Alden habe viele zarte Gedichte gelesen und wisse daher die Worte zu stellen. Nach einigem Zögern entschließt sich Alden zu dem schweren Gange. Er nähert sich langsam und bedächtig der Wohnung Priscilla’s, die er beim Spinnrade und ein religiöses Lied singend antrifft. Nachdem er seinen Antrag in nicht sehr gewandter Weise vorgebracht, blickt das Mädchen den jungen, frischen Burschen an und fragt, weshalb Miles Standish nicht selber komme.

„Er hat keine Zeit für solche Sachen,“ erwidert Alden. Priscilla kommt dies bei einer so ernsten Sache doch etwas merkwürdig vor; sie richtet ihre schelmischen Augen auf den Brautwerber und sagt:

„Meiner Treu, John, warum sprichst Du nicht in Deinem Namen?“ Erröthend stürmt dieser fort und läuft lange an der Küste umher. Endlich kehrte er, etwas beruhigt, zu Standish zurück und erzählte dem ehrenwerten Kriegsmanne treu und offenherzig den Hergang der Sache. Der Capitain braust nun auf, nennt den armen, unschuldigen John einen Verräther, mit dem er künftig nichts mehr zu thun haben wolle. Darauf eilt er in den Kriegsrath und läßt die mit Pfeilen gefüllte Klapperschlangenhaut, welche der Narragansett-Häuptling der Colonie als Kriegserklärung gebracht, mit Pulver und Blei füllen und dem Absender zurückschicken. Dann macht er sich kriegsbereit und zieht gegen den Feind. Nach einiger Zeit traf die Nachricht ein, daß Standish im Kampfe mit den Indianern sein Leben verloren habe, und als John Alden der Priscilla diese traurige Mähr mitgetheilt hatte, schloß er sie mit den Worten in seine Arme: „Was verbunden der Herr, das sollen die Menschen nicht scheiden.“ Bald wurde nun der Hochzeitstag anberaumt, und als die Trauung des Paares vollzogen war, erschien plötzlich ein wettergebräunter, bis an die Zähne bewaffneter Mann am Eingange der Kirche, schritt auf John Alden zu und bat ihn wegen seines früheren barschen Benehmens um Verzeihung. Miles Standish war nicht gefallen; er kehrte vielmehr als Sieger heim und segnete den eben geschlossenen Ehebund. Später verheiratete er sich mit der Schwester seiner ersten Frau, die ihn überlebt haben soll. Seine zahlreichen Nachkommen haben ihm zu Duxburg in Massachusetts, dem Staate der „blauen Hügel“, ein Monument errichtet, welches im August 1871 mit großer Festlichkeit eingeweiht wurde.

Rudolf Doehn.